Der Wolkenkutscher und sein Goldschürfer
„Es trifft ihn wie eine Welle: Er hat sich in seinem Sturm geirrt, zwölf Jahre lang. In der Schlussphase seiner Besessenheit ging es nicht darum, Miranda wieder zum Leben zu erwecken. Es ging ihm um etwas ...
„Es trifft ihn wie eine Welle: Er hat sich in seinem Sturm geirrt, zwölf Jahre lang. In der Schlussphase seiner Besessenheit ging es nicht darum, Miranda wieder zum Leben zu erwecken. Es ging ihm um etwas ganz anderes.“
Inhalt
Felix Philips ist mit Leib und Seele Theaterregisseur, seine ganze Aufmerksamkeit gilt dem Schauspiel, vor allem nachdem seine Frau verstorben ist und wenig später seine dreijährige Tochter Miranda einer Hirnhautentzündung erliegt. Vom Leben gebeutelt versucht er in den Aufführungen all das umzusetzen, was ihm wichtig ist. Damit er möglichst frei und ohne ständige Querelen agieren kann, überträgt er einen Großteil der Verantwortung seinem Mitarbeiter Tony, der sich als sehr hilfreich erweist. Doch Felix sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht und ist tief getroffen, als ihm Tony schließlich mitteilt, dass seine Tage am Theater gezählt sind, weil die Verantwortlichen nicht länger die Unterstützer von Felix sind, sondern fortan Tony selbst die Produktionen leiten wird.
Voller Gram zieht sich der entlassene Künstler in eine alte, heruntergekommene Hütte zurück und plant seine Rache. Wenigstens seine Shakespeare Adoption des Stückes „Der Sturm“ muss noch aufgeführt werden, geht es doch gerade in dieser Inszenierung um einen Vater, dessen halbwüchsige Tochter in Gefahr gerät. Und so wartet er auf einen günstigen Moment, der zwölf Jahre später tatsächlich gekommen ist. Als Lehrmeister eines Projektes für Verbrecher agiert Felix nun schon mehrere Jahre in der Gefängnisanstalt Fletcher und versucht den Insassen diverse Theaterstücke mittels Schauspielerei näherzubringen. Und diesmal werden seine Kontrahenten im Publikum sitzen und auf der Bühne tobt „Der Sturm“.
Meinung
Dies ist mein drittes Buch aus der Feder der weltberühmten Autorin, die mich bereits mit ihren Klassikern „Der Report der Magd“ und dem Fortsetzungsroman „Die Zeuginnen“ begeistern konnte. Beides absolute Lieblingsbücher und dieses hier setzt die Reihe munter fort, so dass ich mich nun verstärkt auch den zahlreichen anderen Werken von Frau Atwood widmen werde.
Zunächst einmal ist die Idee hinter dieser Geschichte einfach nur toll und absolut lebensnah, denn das Handlungsmotiv der Rache für ein jahrelanges Hintergehen durch einen Vertrauten spricht mich direkt und unmittelbar an, eben weil es so glaubhaft und lebensecht daherkommt. Dabei legt sie Autorin großen Wert darauf, das man im Hauptprotagonisten nicht den Rächer an sich wahrnimmt, sondern seinen ganzen familiären Background kennt und ihm deshalb emotional sehr nahe kommt. Ich liebe es, wenn ich mich in irgendeiner Weise mit den Personen eines Buches identifizieren kann und das schafft dieses Buch schon von der ersten Seite an.
Besonders gut gelungen ist das Zusammenspiel zwischen einer an sich traurigen, bemitleidenswerten Geschichte, die zwischendurch immer mal wieder leise Töne anschlägt und der Freudigkeit des Schauspiels und der Verwirklichung menschlicher Emotionen auf der Bühne. Bei diesem Buch geht beides: lautes Lachen und leises Weinen – demnach eine ganze Gefühlspalette auf den 300 Seiten und das in einem lebendigen Wechsel. Darüber hinaus kann man sich hervorragend in das Theaterstück von Shakespeare hineindenken, weil ganze Szenen geprobt werden und diverse Diskussionsrunden mit den vermeintlichen Akteuren geführt werden, die selbst als Gefangene die neun verschiedenen Gefängnisse des Stückes finden und interpretieren sollen.
Fazit
Ich vergebe begeisterte 5 Lesesterne, für diesen unterhaltsamen, berührenden, faszinierenden Roman der nicht nur Freud und Leid Einzelner aufgreift, sondern ein eigenes Universum schafft, in dem Menschen Platz finden, denen das Leben übel mitgespielt hat, die sich aber nicht ohne weiteres von ihrem Schicksal lösen können und erst durch das Zusammenspiel verschiedener Faktoren eine Wandlung erfahren.
Dies ist ein Buch, welches man ganz oft lesen kann und in dem man immer wieder neues entdecken wird. Vielleicht ergibt sich schon ein ganz anderes Bild, wenn man die literarische Vorlage von Shakespeare kennt, dann kann man sicher noch mehr Nuancen und Seitenhiebe wahrnehmen. Für mich ein absolutes Highlight und auch ein tolles Buch für den Deutschunterricht oder eine Leserunde – es gibt so viele Ansätze, die ganz verschiedenartig ausgebaut werden können – also auch noch eine Aufgabe für die Phantasie und Vorstellungskraft der Leser.