Eine fühlbare Trauer
Kurz nach der Trennung nimmt sich Matteo Bianchi's Ex-Partner "A." das Leben - in ihrer ehemals gemeinsamen Wohnung. Die Trauer, die Bianchi fühlt, ist unfassbar, doch schafft es der Autor, sie fühlbar ...
Kurz nach der Trennung nimmt sich Matteo Bianchi's Ex-Partner "A." das Leben - in ihrer ehemals gemeinsamen Wohnung. Die Trauer, die Bianchi fühlt, ist unfassbar, doch schafft es der Autor, sie fühlbar zu machen. Matteo Bianchi nimmt uns in seiner autobiographischen Traueraufarbeitung "Von dem, der bleibt" mit in die schwerste Zeit seines Lebens. Er vermittelt uns seinen Schmerz so, dass man ihn schier miterlebt. Die Ohnmacht wirkt greifbar, er klammert sich an viele Strohhalme - mögen sie auch noch so absurd sein, wie der Besuch bei mutmaßlichen Totenmedien - um zu verstehen, weshalb "A." den schlimmsten Schritt setzte, den sich Angehörige vorstellen können.
Der Schreibstil des Autors ist emotional direkt, er verheimlicht nichts, geht offen mit Trauer, Selbstvorwürfen, Zweifeln und Anschuldigungen um. Die kurzen Kapitel ermöglichen immer wieder ein kurzen Innehalten. Bianchis Sprache ist in weiten Teilen literarisch beeindruckend und thematisch ergreifend. Er zeigt auf, dass es für die Hinterbliebenen unmöglich ist, den Suizid zu fassen, geschweige den zu verstehen und dass es ein langer Prozess des langsamen Heilens ist. Zudem wird aufgezeigt, dass sich in den letzten 25 Jahren gesellschaftlich auch etwas getan hat - war das Thema Suizid lange Zeit tabuisiert, erhält es langsam mehr Aufmerksamkeit und es beginnt die Möglichkeit, offen darüber zu sprechen, auch wenn eine endgültige Endtabuisierung noch nicht in Sicht ist.
Bianchi gibt Hoffnung, dass "Überlebende", wie er die Hinterbliebenen nennt, auch heilen und die Trauer überwinden können, auch wenn der Weg beschwerlich ist und die hinterlassene Lücke niemals geschlossen werden kann. Der Autor hat immer wieder das Gespräch mit anderen Betroffenen und Expert:innen gesucht, um zu verstehen, weshalb Menschen ihr Leben beenden und wie den Hinterbliebenen geholfen werden kann. Besonders zum Ende hin - hier steigt die Erzählperspektive aus der Emotion in die Sachlichkeit - vermittelt er Zuversicht, dass der schmerzhafte Trauerprozess schlussendlich ein Ende finden kann.
Mein Fazit: "Von dem, der bleibt" ist ein höchst berührendes, emotionales Buch über die Trauer eines Hinterbliebenen nach einem Suizid, dass nachvollziehen lässt, wie der Kreis des Trauerns - mit all seinen düsteren Facetten - funktioniert und wie er schließlich auch durchbrochen werden kann. Eine absolute Leseempfehlung für alle Betroffenen, um Hoffnung zu schöpfen und alle Interessierten, die sich auf eine emotionale und glaubhafte Aufarbeitung einlassen können.