Schattierungen des Abschieds
Es ist November 1998, als sich A. mit Anfang 40 das Leben nimmt. Sein Ex-Partner, der 32-jährige Matteo Bianchi, findet ihn erhängt in der Wohnung in Mailand. Entsetzen, Schock und Trauer bestimmen von ...
Es ist November 1998, als sich A. mit Anfang 40 das Leben nimmt. Sein Ex-Partner, der 32-jährige Matteo Bianchi, findet ihn erhängt in der Wohnung in Mailand. Entsetzen, Schock und Trauer bestimmen von diesem Moment an den Alltag des Hinterbliebenen, des Davongekommenen…
„Von dem, der bleibt“ ist ein autofiktionaler Roman von Matteo B. Bianchi.
Der Schreibstil ist ein wenig fragmentarisch, bisweilen anekdotenhaft. Kurze Passagen wechseln sich ab. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Matteo - mal im Präsens, mal im Präteritum, aber nicht chronologisch. Dabei wird nicht nur in den Zeiten, sondern auch hinsichtlich der Themen oft gesprungen. Dennoch wirkt die Struktur nur auf den ersten Blick chaotisch. Beim Lesen erschließt sich allmählich die sinnvolle Abfolge.
Die atmosphärische, eindringliche und zugleich unaufgeregte Sprache des Romans hat mich beeindruckt. Kein Wort ist zu viel. Kluge Gedanken reihen sich aneinander. Gelungene Bilder vermitteln das beinahe Unbeschreibliche. Immer wieder eingestreute Zitate ergänzen den Text auf bereichernde Weise.
Im Zentrum stehen vor allem Matteo und A. Die Gedanken und Gefühle des Ich-Erzählers werden sehr gut deutlich. Viele weitere Figuren tauchen nur kurz auf und bleiben blass, was jedoch in diesem Fall absolut passt.
Drei Schwerpunkte zeichnen sich auf der inhaltlichen Ebene ab: Erlebnisse aus der gemeinsamen Vergangenheit mit A., der Suizid an sich und vor allem die Zeit nach dieser drastischen Erfahrung. Insbesondere die Frage, wie es den Angehörigen nach einem Selbstmord geht und wie schwierig diese Art von Verlust für das eigene Weiterleben ist, wird intensiv beantwortet. Offen, selbstkritisch und ehrlich werden Schuldgefühle, Zweifel, Verzweiflung, Trauer, Liebe und weitere Emotionen, die damit verbunden sind, geschildert. Das macht die Lektüre einerseits sehr bewegend und andererseits für Nicht-Betroffene zudem sehr aufschlussreich. Neben den persönlichen Umständen sind allgemeinere Informationen zum Thema Suizid eingeflochten, was für zusätzliche Einblicke sorgt.
Obwohl es auf den rund 300 Seiten keine Spannungskurve oder Ähnliches gibt, hat mich der Text durchweg bei der Stange gehalten. Zwar konnte ich nicht jedes Gefühl des Protagonisten komplett nachempfinden. Dies ist jedoch verständlich und nimmt dem Buch nichts von seiner Aussagekraft.
Der deutsche Titel weicht vom italienischen Original („La vita di chi resta“) ab, ist allerdings nicht mehr oder weniger treffend gewählt. Das Cover erschließt sich leider nicht sofort.
Mein Fazit:
Mit „Von dem, der bleibt“ hat Matteo B. Bianchi ein bewegendes Buch verfasst, das bei mir noch lange nachhallen wird. Eine interessante und intensive Lektüre. Ein Jahreshighlight 2024!