Kollaborateure, Kriegsgewinnler und Kunstraub
Paris 1944 – die Alliierten sind längst in der Normandie gelandet, die Deutschen verlassen die französische Hauptstadt. Das ist der historische Hintergrund, vor dem Michelle Cordier ihren Krimi ansiedelt.
Jean ...
Paris 1944 – die Alliierten sind längst in der Normandie gelandet, die Deutschen verlassen die französische Hauptstadt. Das ist der historische Hintergrund, vor dem Michelle Cordier ihren Krimi ansiedelt.
Jean Ricolet, ein junger Polizist ist voll Tatendrang aus den Cevennen nach Paris gekommen, um dem Verbrechen die Stirn zu bieten. Sein erster Fall mutet enttäuschend an, soll er doch den Lynchmord an einem Fleischhauer, der seinen Kunden Hundefleisch verkauft haben soll und daher von der aufgebrachten Menge erschlagen worden ist, aufklären. Zusätzlich soll er den Mord an einem mutmaßlichen Nazi untersuchen, der wertvolle Kunstwerke nach Deutschland verschoben haben soll. Doch dieser Fall soll so schnell wie möglich zu den Akten gelegt werden. Dem ehrgeizigen Neuling kommen die Anweisungen seines Chefs, Commissaire Brulait seltsam vor. Als er dann noch der Kunstexpertin Pauline Drucat begegnet, die für das Mordopfer gearbeitet hat, verbeißt er sich in den Fall des Kunsträubers. Was Jean noch nicht weiß ist, dass Pauline eigentlich für die Résistance gearbeitet hat und ein höchst persönliches Interesse an einem der verschwundenen Gemälde hat.
Je tiefer Ricolet in die Kunstszene einsteigt, desto mehr beschleicht ihn das Gefühl, dass auch im Morddezernat Kollaborateure und Sympathisanten des Nazi-Regimes sitzen.
Seite für Seite deckt Michelle Cordier die unterschiedlichsten Verwicklungen und persönlichen Verstrickungen der handelnden Personen auf. Nichts ist so wie es scheint, nicht einmal der so einfach aussehende Fall des getöteten Fleischhauers.
Meine Meinung:
Michelle Cordier schafft es sehr gut, die historischen Hintergründe von 1944 einfließen zu lassen. Die Deutschen räumen das Feld und in ihrem Fahrwasser versuchen die Anhänger der Vichy-Regierung noch schnell ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Sehr geschickt sind auch die Verbrechen des Marcel Petiot eingeflochten, der angibt, über ein weitverzweigtes Fluchthilfenetzwerk zu verfügen, um Menschen zu retten. In Wahrheit ist er ein geisteskranker Massenmörder, der belegte 27, aber vermutlich über 60 Menschen, aus reiner Habgier ermordet hat.
Habgier ist überhaupt eine starke Triebfeder im Paris von 1944. Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs sind rar, weil die Produkte an die Deutschen abgeliefert werden müssen. Der Schwarzmarkt blüht, einige wenige bereichern sich. Sehr gut ist der oft vergebliche Kampf der Polizei gegen die Verbrecher, die sich von Kleinkriminellen bis hin zu Kollaborateuren und Kriegsgewinnlern in den eigenen Reihen erstreckt.
Die Figur des jungen, unbedarften und beinahe schon naiven Jean Ricolet gefällt mir recht gut. Er wirkt ein wenig verloren in der Großstadt Paris. Doch mit jedem Tag, den er dem Moloch abtrotzt, wird er sattelfester in seinem Beruf. Es ist ihm zu wünschen, dass er seinen Enthusiasmus behalten darf. Hin und wieder wirkt er in seinen Alleingängen und Aktionen überheblich. Seine Kollegen scheinen resigniert zu haben und versuchen ein wenig durch zu tauchen. Das scheint mir angesichts der miesen Bezahlung und des schlechten Images der Polizei durchaus authentisch.
Pauline Drucat ist für mich eine widersprüchliche Figur. Auf der Suche nach dem Bild geht sie fast buchstäblich über Leichen. Das hat sie mir ein wenig unsympathisch gemacht. Allerdings muss man die Zeit mitberücksichtigen. Alles, was sie sich erträumt hat, ist verloren. Jeden Tag danach trachten, auch den nächsten zu erleben. Ihr Engagement für die Résistance bleibt mir ein wenig zu blass. Ihre persönliche Familiengeschichte ist mir jetzt ein Haucherl „too much“. Der verbissene Nazi-Halbbruder hätte jetzt nicht unbedingt sein müssen. Der Gefahren sind ohnehin genug, das hätte es diese tiefe persönliche Verstrickung nicht unbedingt mehr gebraucht.
Der flüssige Schreibstil ist mir bekannt, da ich die beiden Krimis der Reihe „Pomelli & Vidal“ kenne. Die atmosphärische und hautnahe Beschreibung vom Paris um 1944 haben mir gut gefallen. So streifen wir an der Seite des staunenden Ricolet durch Paris und bewundern die verschiedensten Sehenswürdigkeiten.
Fazit:
Ein historischer Krimi, der im Paris von 1944 angesiedelt ist und der durchaus Potential für eine Fortsetzung hat. Gerne gebe ich 4 Sterne.