Wow, dieses Buch klappt man zu und weiß, dass es noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Ein wahres Meisterstück, wie ich finde, aber sicher auch nicht jedermanns Sache.
Es geht um unvorstellbare Kriegsgräuel: das Massaker von Nanking im Jahr 1937, als die Japaner in China einfielen und alles dem Erdboden gleichmachten.
Die englische Studentin mit dem Spitznamen „Grey“ ist nach Tokio gereist, um einem Hinweis nachzugehen, den sie vor langer Zeit in einem Buch entdeckt hat. Sie hat gelesen, dass ein Mann namens Shi Chongming einen alten Film besitzt, auf dem ein Verbrechen festgehalten wurde, das so unsagbar schlimm ist, dass die Welt dessen Existenz einfach bestreitet. Grey wird für verrückt erklärt, für einen durchgeknallten, perversen Freak, doch sie gibt nie auf und will beweisen, dass sie sich das nicht alles nur eingebildet hat.
Ein langer, schwerer Weg erwartet sie in der fremden Stadt und obwohl sie Chongming schnell ausfindig machen kann, will er ihr nicht zuhören. Bis klar wird, dass sie ihm im Gegenzug auch helfen könnte – und sie lässt sich auf den Deal ein. Nichtsahnend, dass sie sich damit in tödliche Gefahr begibt …
Der Schreibstil ist einfach wundervoll, so eindrücklich und fesselnd. Zunächst ist die Spannung eher unterschwellig spürbar, aber in der zweiten Hälfte gleichen manche Szenen schon eher einem Horrorfilm. Es wird blutig, nervenaufreibend, gänsehauterzeugend.
Durch die lebendige Atmosphäre, die Mo Hayder mit ihren wunderbaren Beschreibungen der Schauplätze und der meist sehr ungewöhnlichen Charaktere schafft, ist man immer mitten im Geschehen.
Grey mietet sich in einem riesigen halb verfallenen Haus ein, dessen Größe und Zustand so ausführlich geschildert werden, dass man den Moder riechen kann, die zerrissenen Seidentapeten vor sich sieht und sich unweigerlich ständig fragt, was hinter den verschlossenen und vernagelten Türen im Erdgeschoss und den unbewohnten Teilen vor sich geht. Im Inneren des Hauses liegt ein total verwilderter, großer Garten, den ich mir auch lebhaft vorstellen konnte. Alleine dieser Schauplatz ist so faszinierend, dass ich denke, eine Verfilmung wäre sicher ein Riesenerfolg.
Dazu kommen noch die vielen Rückblenden, in denen Shi Chongming über seine Erlebnisse im Jahr 1937 berichtet. Man fühlt mit ihm und seiner Frau, leidet mit den Kriegsflüchtlingen und man spürt richtig, wie angespannt und lebensbedrohend die Situation war.
Alles wirkt so extrem realistisch und das machte für mich auch einen großen Teil des Reizes aus. Weil Grey sich intensiv mit diesen Verbrechen und den Ausprägungen menschlicher Grausamkeiten beschäftigt, wird sie von ihren Mitmenschen für nicht normal gehalten. Allerdings kann ich sie sehr gut verstehen, denn ich teile ihre Neugier.
Wer keine Angst vor der Begegnung mit extremer menschlicher Bestialität hat, dem kann ich dieses Buch nur empfehlen. Extrem eindrücklich, spannend und emotional.