Herrlich abgefahrenes Roman-Debüt
Moritz Hürtgens "Boulevard des Schreckens" lässt sich gar nicht so leicht kategorisieren. Der Roman beginnt wie eine ganz normale Satire und entwickelt sich dann langsam, aber stetig zu einem der abgefahrenen ...
Moritz Hürtgens "Boulevard des Schreckens" lässt sich gar nicht so leicht kategorisieren. Der Roman beginnt wie eine ganz normale Satire und entwickelt sich dann langsam, aber stetig zu einem der abgefahrenen Romane, die ich je gelesen habe - eine wilde Mixtur aus Satire, Gesellschaftskritik, Krimi, Fantasy und Horror. Und obwohl diese Mischung total wild ist, funktioniert sie wundersamer- und wunderbarerweise.
Moritz Hürtgen kenn ich vor allem durch Twitter. Dort bin ich ihm einige Zeit gefolgt, bis ich Twitter verließ. Er ist aber vor allem Chefredakteur der Satirezeitschrift "Titanic". Zumindest war er das bisher. Er scheint seinen Job bei der Titanic (zumindest laut Klappentext des Romans) abzugeben, um sich auf seine Schriftsteller-Karriere zu konzentrieren.
Tatsächlich war für mich Hürtgens Roman-Debüt nicht wegen seines Bekanntheitsgrades interessant, sondern deshalb, weil es beim Kunstmann-Verlag, den ich sehr schätze, erschienen ist. Dadurch, dass er bei Kunstmann erschienen ist, war mir klar, dass der Roman definitiv lesenswert ist.
Wie gesagt beginnt der Roman in ziemlich normalen Bahnen: Martin Kreutzer ist Volontär bei einer großen Tageszeitung. Die Einladung zu einer Redaktionskonferenz nutzt er, ein Interview mit dem bekannten Künstler Lukas Moretti zu versprechen. Es kommt, wie es kommen muss: Moretti will Martin Kreutzer natürlich kein Interview geben, so dass dieser sich gezwungen sieht, ein gefälschtes Interview abzuliefern. Dummerweise stirbt Moretti, während Kreutzer, das Interview ersinnt und abschickt. Was danach folgt, ist die oben bereits erwähnte wilde Mischung.
Mir hat Moritz Hürtgens Roman sehr gefallen. Man kann da natürlich viel reininterpretieren. Das dürfte Hürtgen auch ziemlich bewusst so gestaltet haben. Mich hat der Roman aber vor allem - auch ganz ohne ständige Interpretation - unterhalten. Vor allem hat mich bis zum Ende beschäftigt, was genau da eigentlich passiert. Träumt Kreutzer? Ist es eine Fieberphantasie? Steht er unter dem Einfluss von Drogen? Was zum Teufel geht da ab? Das alles ist auf ungewöhnliche Weise unterhaltsam und spannend.
Tatsächlich ist "Boulevard des Schreckens" aber auch eine ziemlich bissige Gesellschaftskritik, dabei wenig subtil in ihren Verweisen auf bekannte Zeitungen und Zeitschriften bzw. die dazu gehörigen Medienhäuser, Querdenker und "besorgte Bürger" tauchen ebenso auf wie koksende Chefredakteure, korrupte (bayrische) Politiker und fliegende verbrannte Forellen.
Ich habe nicht die leiseste Ahnung, ob Hürtgen sich eine Verfilmung des Romans erhofft, anbieten würde sich "Boulevard des Schreckens" definitiv. Einige von Hürtgen beschriebene Szenen sind so prägnant, dass ich sie gerne auf der großen Leinwand sehen würde.
Wie dem auch sei, "Boulevard des Schreckens" ist bissig, unterhaltsam und von meiner Seite empfehlenswert für all jene, für die Gesellschafts- und Medienkritik spaßig-irr sein darf.