Myriam lebt zusammen mit ihren Eltern und ihrer kleinen Schwester in Aleppo. Die ersten Jahre ihres Lebens sind friedlich. Der Vater hat einen kleinen Kiosk, die Mutter arbeitet bei der christlichen Organisation "Maristes bleues", Myriam geht gerne in die Schule. Doch dann beginnen die Unruhen. Es wird immer gefährlicher, auf die Straße zu gehen, und irgendwann fangen die Bombenangriffe an und die Familie Rawick befindet sich mitten im Krieg.
Myriams Leben in Aleppo war wirklich schön, so wie sie es schildert. So kenne ich es auch aus anderen Biographien syrischer Kinder, die ich gelesen habe ("Nujeen - Flucht in die Freiheit" und "Ich bin das Mädchen aus Aleppo"). Es ist traurig, dass man sich das nicht so richtig vorstellen kann, da die meisten von uns dieses Land nur im Zusammenhang mit Krieg und Zerstörung kennen. Aber es ist wichtig, dass auch von dem Leben davor erzählt wird, damit der Leser ein anderes Syrien kennenlernen kann und versteht, was die Menschen durch den Krieg alles verloren haben.
Die einzelnen Einträge sind meist sehr kurz gehalten und bestehen nur aus wenigen Sätzen. Anfänglich noch fröhlich, werden sie von Seite zu Seite bedrückender. Erst scheint alles ganz weit weg, kommt immer näher und dann ist es Alltag, dass Tag und Nacht die Bomben fallen und man auf dem Weg von der Schule rennen muss, um nicht von einer Kugel getroffen zu werden. Mehrmals muss die Familie umziehen, da ihr Zuhause nicht mehr sicher ist oder zerstört wurde.
Myriam und ihre Familie sind gläubige Christen, die sich auch durch ihre Mitarbeit bei den "Maristes bleus" aktiv einbringen. Doch die meiste Zeit hat ihr Glaube keinen Einfluss auf das Miteinander in Aleppo, sie haben ganz normal Kontakt zu Muslimen, und vor dem Einzug des IS schien die Familie keine Probleme gehabt zu haben mit der muslimischen Bevölkerung. Auch im Krieg spielt die Religion der Familie eher eine untergeordnete Rolle, man hilft sich gegenseitig und leidet zusammen, gleich welcher Religion man angehört.
Die Sprache ist kindgerecht, wenngleich ich denke, dass die Einträge nicht der Ausdrucksfähigkeit eines Kindes im damaligen Alter der Autorin entsprechen. Das Tagebuch beginnt im April 2011, zu diesem Zeitpunkt ist Myriam sieben Jahre alt. Auch wenn die Einträge einfach gehalten sind, erscheinen mir manche Ausdrücke und Beobachtungen zu scharfsinnig für ein Kind solchen Alters. Das stört mich aber nicht, und selbst wenn Myriam hier die Hilfe eines Erwachsenen hatte, sind die Schilderungen dennoch authentisch.
Myriam und ihre Familie sind nicht aus Syrien geflohen, sondern leben noch in Aleppo. Ich habe leider nicht viel über sie in Erfahrung bringen können, und auch im Buch erfährt man nicht, wie es ihr heute ergeht. Das fand ich sehr schade. Man kann nur hoffen, dass sie und ihre Familie dort sicher sind.
"Mama sagt, dass selbst die Vögel nicht mehr singen" ist ein erschütternder Tatsachenbericht aus der Sicht eines unschuldigen Kindes, der eindrücklich den Alltag der syrischen Bevölkerung inmitten des Krieges schildert.