Eine vielschichtige und abwechslungsreiche Anthologie
Als großer Fan der Scythe-Trilogie von Neal Shusterman war ich total gespannt als ich gehört habe, dass wir mit einer Kurzgeschichtensammlung nochmal zurück ins Scythe-Universum reisen dürfen. Vor wenigen ...
Als großer Fan der Scythe-Trilogie von Neal Shusterman war ich total gespannt als ich gehört habe, dass wir mit einer Kurzgeschichtensammlung nochmal zurück ins Scythe-Universum reisen dürfen. Vor wenigen Tagen ist diese Anthologie nun auch auf Deutsch erschienen und ich habe natürlich sofort reingelesen. Auch wenn ich einige Geschichten lieber gelesen habe als andere, war "Gleanings" für mich eine durchweg interessante und anregende Rückkehr ins Scythe-Universum, die mir richtig Lust gemacht hat, die Hauptreihe nochmal zu lesen.
"Vor ihnen stehen wir perfekt aufgereiht,
die scharfe Klinge einer Avantgarde,
die die Äxte schwingt,
jede gleicht jenen, die vor ihr kamen.
Wir sind einer in allen
und alle in einem
und wir. werden. töten."
Da der Fischer Verlag die Gestaltung der Originalausgabe übernommen hat, ist das Cover von "Gleanings" sehr passend zur gesamten Reihe gestaltet. Mit der Reihe von unterschiedlichen Scythe in langen blauen Roben mit passenden Sensendem beigem Grund mit den futuristisch anmutenden Streifen und dem Comic-Titel ergibt sich ein stimmiges Gesamtbild, das wieder auf zentrale Motive und die eher düstere Stimmung vorbereitet. Sehr gefreut hat mich auch, dass der Verlag ebenfalls den Originaltitel behalten hat. Das Wort "Gleanings" wird in der deutschen Übersetzung Deutschen immer mit "Nachlese" übersetzt, was also sowohl auf der Ebene der Scythe als auch auf einer Meta-Ebene als Anspielung auf einen Zusatz zur Reihe eine passende Bedeutung hat. Nach einem kurzen Inhaltsverzeichnis gibt es 14 Kapitel, die jeweils eine Kurzgeschichte enthalten sowie ein fünfzehntes Bonuskapitel mit einer Geschichte exklusiv für die deutsche Ausgabe.
"An einem Tag gab es auf der Welt noch natürlichen Tod und am nächsten nicht mehr. Wenn der Verlust meines Mannes mich eins gelehrt hat, dann, dass alles sich von einem Moment zum nächsten ändern kann - und wird. Menschen, Wahrheiten, Realitäten. Der Trick besteht darin zu entscheiden, ob eine bestimmte Veränderung gut oder schlecht oder etwas ist, wofür wir noch keine Worte haben."
Anfangs hatte ich ein wenig Sorgen, dass ich nach fast drei Jahren nicht mehr genügend von der Scythe-Welt weiß, um voll und ganz in "Gleanings" abtauchen zu können. Dies hat sich aber als absolut unberechtigt herausgestellt. Natürlich sollte man die Reihe vorher dringend gelesen haben, um das Worldbuilding zumindest grundlegend zu verstehen und es steigert auch den Lesespaß, wenn man nicht alle vorkommenden Figuren vergessen hat, insgesamt werden aber alle wichtigen Informationen, die man zum Verstehen der einzelnen Geschichten präsent haben muss, nochmals wiederholt. Besonders gefreut hat mich, dass wir hier einige altbekannte Figuren wieder treffen. Scythe Curie darf gleich in mehreren Geschichten glänzen, Scythe Goddard erhält endlich seine Hintergrundgeschichte, Nebenfiguren wie Scythe Constantin oder Scythe Xenocrates bekommen nochmals einen Auftritt und selbstverständlich sind auch der Thunderhead und sein Abkömmling Cirrus wieder mit von der Partie.
"Bewusstsein. Ein solch seltsames, nicht greifbares Konstrukt. In einem Moment nichts - im nächsten alles. Ein Urknall, aber auf persönlicher Ebene."
Auf einen Auftritt von wirklich zentraler Hauptfiguren wie Citra, Rowan oder Grayson darf man hier allerdings nicht setzen. Bis auf wenige kurze Anspielungen und eine Begegnung mit Citras Familie wird auf unsere liebgewonnenen Helden keinen besonderen Augenmerk mehr gelegt. Das fand ich persönlich natürlich schade, damit hatte ich aber ehrlich gesagt schon gerechnet, denn ehrlich gesagt hätte der Autor nach dem offenen Ende von Band 3 mit einem erneuten Auftritt von Citra, Rowan und Co mehr kaputt machen können als mir lieb war. Zwar wagt der Autor einen vorsichtigen Ausblick in die Zukunft, in dem man das Schicksal der Hauptfiguren erahnen kann, insgesamt steht allerdings nicht der weitere Verlauf der Geschichte und mehr die Welt der Scythe an sich im Vordergrund dieser Anthologie.
"Du sehnst dich nach der Macht, die mit der Zerstörung einhergeht - aber fast nichts ist so mächtig wie der Blick hinter den Schleier der Realität."
Durch die sehr unterschiedlichen Geschichten können wir aus einer Vielzahl neuer Perspektiven in das Scythe-Universum zurückkehren und nochmals viele Details und Hintergründe zum Scythetum, der "Säuberung", dem System der Widerlinge, der Marsmission des Thunderheads und den Anfängen der Unsterblichkeit erfahren. Dabei konnte mich der Autor auch hier wieder mit seiner Mischungen aus philosophischem Gedankenexperiment und packendem Gesellschaftsthriller berühren, verstören und begeistern! Die vielen Details, Geschichten und Gedanken fügen sich nahtlos in das Bild ein, das in der Hauptreihe gestaltet worden ist und machen Lust, sofort wieder in die Geschichte einzutauchen. Wer die Scythe-Reihe geliebt hat, wird also auch mit dieser Kurzgeschichtssammlung viel Spaß haben!
"Insgeheim fürchtete Morty, dass er es nicht in sich hatte. Auch wenn er theoretisch eine grenzenlose Lebensspanne Zeit hatte, seine Technik zu verfeinern, war er sich nichts sicher, ob er ein solches Niveau erreichen konnte. Ja, die Menschheit hatte ein Heilmittel gegen den Tod erfunden, aber das bedeutete nur, dass er eine Ewigkeit Zeit hatte, an diesem Anspruch zu scheitern. Was würde das mit ihm machen? Würde ihn seine Leidenschaft verlassen? Würde die Flamme seiner eigenen Kreativität ersticken ohne einen Wind, der sie anfachte? Ms. C beklagte häufig, dass Kunst mehr und mehr von immer weniger handelte. Was würde passieren, wenn es um gar nichts mehr ging?"
Die 15 Kurzgeschichten sind dabei alle sehr unterschiedlich gestaltet und einzigartig in ihrer Erzählform und Perspektive, haben aber alle zwei Gemeinsamkeiten: es kommt ein Scythe vor und die Geschichte nimmt garantiert einen anderen Ausgang als zu Beginn gedacht. Egal ob ein Ausflug ins All, eine Jagd durch Träume, ein einleitendes Gedicht oder ein grausiger Tierthriller - die Geschichten haben oft einen überraschenden Kniff, die sie hochspannend machen. In "Gleanings" waren einige Co-AutorInnen am Werk, deren Schreibstil sich teilweise stark von Neal Shustermans unterscheidet. Das macht diese Sammlung aber nur noch abwechslungsreicher und interessanter. Auch wenn das Anthologie-Format durch die abgeschlossenen Geschichten nicht zum Durchsuchten einlädt, habe ich die 480 Seiten in kürzester Zeit gelesen und könnte nun auch ohne Weiteres ein doppelt so dickes Buch voll mit weiteren Geschichten verschlingen. Der Schreibstil, die Erzählart, das wahnsinnig ausgeklügelte Worldbuilding und die vielen tollen Ideen - ich werde einfach nicht müde, aus Neal Shustermans Scythe-Welt zu lesen!!
Fazit:
"Gleanings" ist eine vielschichtige und abwechslungsreiche Anthologie, die die Rückkehr in das spannende Scythe-Universum ermöglicht. Wer die Hauptreihe mochte, wird auch mit diesen 15 Kurzgeschichten wieder viel Spaß haben!