Als Kind schon musste Felicity einige schlimme Erfahrungen machen und war ganz auf sich allein gestellt. Inzwischen sind 25 Jahre vergangen und Felicity lebt in einer australischen Justizvollzugsanstalt, wo sie durch Zufall auf ihre ehemalige Nachbarin Rose trifft, die sich aber nicht an sie erinnern kann. Rose war damals Felicitys Fluchtpunkt, wo sie Zuneigung und Geborgenheit suchte, die sie bei ihrer eigenen überforderten Mutter nicht fand. Doch wurden die Besuche bei Rose für Felicity zum Alptraum, der ihr Leben veränderte, weil niemand ihr zu Hilfe kam. Und nun steht Rose ihr gegenüber, die Frau eines bekannten Fernsehstars, auf die Felicity über all die Jahre immer wütender wurde. Wieso ist sie hier in der Anstalt? Felicity jedenfalls sinnt auf Rache und davon wird sie niemand abhalten…
Nicole Trope hat mit ihrem Buch „Das Finkenmädchen“ einen sehr unterhaltsamen und fesselnden Roman vorgelegt, der den Leser durchweg in Atem hält. Der Schreibstil ist flüssig und doch mit einer gewissen Eindringlichkeit und Intensität. Der Leser wird schon mit dem Einstieg in die Geschichte in Atem gehalten, denn der Spannungsbogen wird gleich gut angelegt und bleibt auf hohem Niveau bis zum Schluss. Die Handlung wird mit kurzen Kapiteln aus verschiedenen Perspektiven erzählt, einerseits erfährt der Leser über das Leben von Birdy in der Gegenwart und von den Erlebnissen in der Vergangenheit, die oftmals regelrecht schockieren. Zum anderen bekommt man die Sichtweise von Rose angetragen, wodurch der Leser auf eine sehr emotionale Reise geschickt wird und gleichzeitig auch sehr nachdenklich stimmt. Der Leser kommt den Charakteren sehr nah, kann sich in ihre jeweilige Situation hineinfühlen und denkt ständig darüber nach, wie er selbst wohl in dem einen oder anderen Punkt gehandelt hätte. Der Autorin gelingt es wunderbar, dem Leser beide Sichtweisen sehr deutlich zu machen und so auf der Klaviatur von Gefühlen zu spielen. Durch die geschickte und langsame Entblätterung der Geschichte bleibt der Leser in der Handlung gefangen, wobei er gleichzeitig alles hautnah miterlebt.
Die Charaktere sind sehr detailliert ausgearbeitet und mit Leben versehen worden. Ihre individuellen Züge lassen sie sehr real und authentisch wirken. Der Leser kann mit ihnen fühlen, leiden und bangen, aber auch ihr Handeln nachvollziehen. Felicity war noch ein kleines Kind, als der Vater die Familie verließ. Um ihrer überforderten Mutter und ihre kleine Schwester sowie der Trübsinnigkeit des Elternhauses zu entkommen, suchte sie Zuflucht im Nachbarhaus bei Rose und ihrer Familie. Felicity ist in ihrer geistlichen Begrifflichkeit langsamer als andere, sie wirkt in ihren Gedankengängen immer noch irgendwie kindlich, aber gleichzeitig besitzt sie auch eine lange aufgestaute Wut und Aggressivität. Sie wirkt wie eine Rakete kurz vor der Explosion. Nach außen gibt sie sich überaus selbstbewusst und stark, doch das ist nur ihr Schutzschild, damit andere nicht merken, wie sehr sie tief in ihrem Inneren verletzt wurde und dass diese Wunden nie verheilt sind. Rose wirkt wie eine sehr sympathische Frau, die alles für ihre Familie getan hat. Doch der Leser muss auch erkennen, dass Rose für ihre heile Welt oftmals die Realität nicht erkennen wollte.
„Das Finkenmädchen“ ist ein wunderbar erzählter und spannender Schicksalsroman über zwei Frauen, die aufgrund von Erlebnissen, Verhaltens oder der Zeit selbst zu Opfern wurden. Nicole Trope legt den Finger direkt in die Wunde und gibt dem Leser in hervorragender Weise Einblick von allen Seiten, so dass die Geschichte noch lange nachklingt, wenn die letzte Seite bereits gelesen ist. Absolute Leseempfehlung für ein Kleinod! Chapeau – alles richtig gemacht!