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Veröffentlicht am 04.04.2020

Großartiger Roman über das Alter

Dankbarkeiten
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Kurzmeinung:
Dankbarkeiten von Delphine de Vigan hat mir unglaublich gut gefallen. In dem relativ schmalen Buch steckt sehr viel drin. Es geht um große, bewegende Themen rund ums Alter. Erzählt wird die ...

Kurzmeinung:
Dankbarkeiten von Delphine de Vigan hat mir unglaublich gut gefallen. In dem relativ schmalen Buch steckt sehr viel drin. Es geht um große, bewegende Themen rund ums Alter. Erzählt wird die Geschichte aus drei verschiedenen Perspektiven.


Meine Meinung:
In diesem relativ schmalen Büchlein steckt so viel drin! Es geht um die alte Frau Michka, die langsam dementsprechend wird und nicht mehr alleine leben kann. Daher zieht sie in ein Seniorenheim. Es geht um die junge Marie, um die sich Michka früher gekümmert hat und wo es nun zu einer Art Rollenumkehr kommt, weil sich nun Marie um Michka kümmert. Dann gibt es auch noch Jérôme, den Logopäden, der beruflich mit Senioren arbeitet und nun auch Michka in sein Herz schließt. Die Geschichte wird abwechselnd aus der Sicht dieser drei Personen erzählt.

In diesem Roman bearbeiten De Vigan sehr viele verschiedene Themen rund um das Thema Alter. Es geht um die Schwieigkeiten für die Senioren sowie die Angehörigen, zu lernen, die Defizite und Einschränkungen zu akzeptieren und zu lernen, mit ihnen umzugehen. Um die damit einhergehende Rollenumkehr. Darum wie es ist, ein Leben lang unabhängig gewesen zu sein und nun mit immer mehr Einschränkungen zu leben lernen muss. Auf Hilfe angewiesen zu sein und lernen zu müssen, diese anzunehmen. Es geht um Einsamkeit, sowohl physische, als auch psychische. Um den Rückblick auf das eigene Leben. Um Reue und verpasste Chancen, aber auch um Dankbarkeit. Um Erinnerungen, schöne, wie schmerzliche. Und schließlich geht es auch ums Sterben. Darum, wie viel Selbstbestimmung möglich ist, auch was den Zeitpunkt und die Art des Sterbens betrifft.

De Vigan versteht es meisterlich, diese vielen Aspekte des Themas Alter zu einem wunderschönen Roman zu verweben. Und dieses Buch trifft einen Nerv. Denn das Alter und das Sterben betrifft uns alle. Ich denke bei dem Buch an Angehörige, und auch an mich.

Sehr schön finde ich auch den Aspekt der Logopädie. Es macht die Macht der Wörter deutlich. Und wie wichtig sie für uns sind. Auch der langsam voranschreitende Wortverlust von Michka ist sehr gut umgesetzt und auch in der Übersetzung gut gelungen.

Etwas schade fand ich, dass für mich die Figur der Marie etwas blass geblieben ist. Aus ihrer Perspektive hätte ich gern noch viel mehr erfahren. Bestimmt auch, weil das die Rolle ist, mit der ich persönlich mich im Moment am meisten identifizieren konnte. Ich hätte gern mehr darüber gelesen, wie sie mit der Situation umgeht, wie sie sich dabei fühlt. Die Figur der Michka fand ich absolut großartig. Ich habe sie sehr schnell ins Herz geschlossen und mit ihr gelitten und mich gefreut. Auch Jérôme fand ich gut dargestellt. Durch seine Perspektive kam noch mal eine andere Dynamik in die Geschichte.


Fazit:
Dankbarkeiten von Delphine de Vigan ist ein großartiger Roman über das Alt werden, über Ängste, Einsamkeit und das Sterben. Über die Vergangenheit, Stolz, Scham und Reue. Über die Wichtigkeit von Beziehungen, über Liebe und Dankbarkeit. Und über die Macht der Worte.

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Veröffentlicht am 24.03.2020

Gute Unterhaltung

Meine Schwester, die Serienmörderin
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Kurzmeinung:
Meine Schwester, die Serienmörderin von Oyinkan Braithwaite ist ein dunkler, aber auch fast satirischer, gut zu lesender Roman über ein paar Morde, aber hauptsächlich über die Beziehung zwischen ...

Kurzmeinung:
Meine Schwester, die Serienmörderin von Oyinkan Braithwaite ist ein dunkler, aber auch fast satirischer, gut zu lesender Roman über ein paar Morde, aber hauptsächlich über die Beziehung zwischen zwei sehr unterschiedlichen Schwestern.



Meine Meinung:

Zu allererst: das Buch ist tatsächlich weniger spannend, als ich es bei dem Titel und Klappentext erwartet hätte. Für mich geht es mehr um Unterhaltung, um die Beziehung zwischen den Schwestern, der vernünftigen Krankenschwester Korede und ihrer wunderschönen und egozentrischen Schwester Ayoola. Die beiden Schwestern sind wirklich sehr unterschiedlich. Die eine, strahlend schön, selbstbewusst, egoistisch und mit der schlechten Angewohnheit, ihre Männer zu töten.

Die andere immer in ihrem Schatten stehend. Von ihr überstrahlt, von ihr abgestoßen und gleichzeitig angezogen und sich für sie verantwortlich fühlend.

Die Geschichte erzählt also von den Morden an mehreren Männern, ist aber kein Thriller oder Krimi. Das Buch erzählt zwar von einer Serienmörderin und zwei Schwestern, die gemeinsam Leichen verschwinden lassen. Eigentlich steht aber die Beziehung der zwei Schwestern im Fokus und die Emanzipation der älteren Schwester, die sich aus der Bannkraft der Jüngeren zu lösen beginnt. Auch die Familiengeschichte und das Aufwachsen der beiden Schwestern spielt eine Rolle und nach und nach beginnt man besser zu verstehen, warum sich die beiden so entwickelt haben.

Der Schreibstil ist sehr angenehm. Das Buch liest sich schnell und leicht, auch durch die kurzen Kapitel. Man kann sehr gut in die Geschichte eintauchen. Die Charaktere waren mir sehr nah. Haben mich teilweise wütend gemacht, teilweise habe ich mit ihnen gemeinsam gelitten, gehofft, gebangt. Teilweise waren sie fast ein bisschen überzeichnet, so dass ich die Geschichte teilweise fast satirisch und mit bitterem Humor gelesen habe. Gleichzeitig war das aber nie zu viel und ich habe nie die Nähe zu den Figuren verloren. So möchte ich das bei einem Buch gern erleben und das hat dieses Buch zu einem guten Leseerlebnis für mich gemacht.

Sehr gut gefallen haben mir auch die in der Geschichte verstreuten Einblicke in die afrikanische Kultur, sei es das Essen oder besondere Kleidungsstücke oder kulturelle Werte & Normen.


Fazit:
Meine Schwester, die Serienmörderin von Oyinkan Braithwaite war inhaltlich anders und wurde anders erzählt, als ich es nach dem Klappentext erwartet hatte. Statt Mord und Totschlag stehen ganz klar die zwei Schwestern und ihre Beziehung zueinander im Mittelpunkt der Handlung. Das wurde aber sehr gut umgesetzt. Die Figuren sind interessant und nahbar. Der Schreibstil ist toll. Das Buch lässt sich leicht lesen und die Geschichte ist mitreißend und fesselnd. Klare Empfehlung von mir.

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Veröffentlicht am 09.03.2020

Geschichte mit viel Potenzial, leider zäh erzählt

Palast der Miserablen
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Kurzmeinung:
Eigentlich hätte dieses Buch mir echt gut gefallen können. Die Themen sind sehr interessant und die Geschichte hat viel Potenzial. Leider kam ich mit dem eher distanzierten Schreibstil nicht ...

Kurzmeinung:
Eigentlich hätte dieses Buch mir echt gut gefallen können. Die Themen sind sehr interessant und die Geschichte hat viel Potenzial. Leider kam ich mit dem eher distanzierten Schreibstil nicht so gut klar und so blieben mir die Charaktere fremd und ich konnte wenig Anteil nehmen.


Meine Meinung:
Ich finde es wirklich ziemlich schwer, dieses Buch zu bewerten. Der Anfang war wirklich spannend. Als Leser*in lernt man den jungen Shams und seine Familie kennen, die im Süden des Iraks leben. Man erfährt viel Interessantes und Unfassbares über die Golfkriege und das Leben im Irak zu Zeiten Saddam Husseins. Von vielen Ereignissen und Konflikten hatte ich damals wie heute in den Nachrichten gehört. Von den Konflikt zwischen den Golfstaaten Irak, Iran, Kuwait. Den Konflikten zwischen Sunniten und Schiiten. Aber es ist für mich etwas anderes, wenn ich von (wenn auch fiktiven) Schicksalen lese, die es persönlich betroffen hat. Das hat es mir am Anfang näher gebracht und verständlicher gemacht.

Spannung wird zunächst auch durch das Erzählen auf zwei verschiedenen Zeitebenen erzeugt. Die Erlebnisse von Shams und seiner Familie im Süden des Iraks und schließlich die Flucht nach Bagdad auf der einen Seite, und weiter in der Zukunft die Zeitebene, in der Shams aus zunächst noch ungeklärten Gründen in einem Gefängnis gefoltert wird. Zunächst ist das wie gesagt alles spannend und interessant.

Doch im Verlauf zieht sich die Geschichte dann leider sehr. In der vergangenen Zeitebene reihen sich verschiedene Episoden aneinander, die vom Alltag von Shams Familie in Bagdad erzählen. Eigentlich könnte das alles ganz interessant sein und ich habe auch viel über die fremde Kultur und das Leben in Bagdad erfahren. Es geht um die Folgen von Kriegen und dem Handelsembargo, welches Hunger, und großes Leid gebracht hat. Es gibt Familien, die eines ihrer Kinder verkaufen, um den Rest der Familie zu ernähren. Diese Schicksale haben mich schockiert, Allerdings bin ich mit dem Schreibstil nicht warm geworden. Die Figuren blieben mir fern und ich habe keinen Anteil an ihren Erlebnissen genommen, da die Erzählweise eine Distanz behält. So erschienen mir die einzelnen Episoden irgendwie zusammenhanglos und lieblos aneinandergereiht.

Die Geschichten konnten mich wegen der distanzierten, teilnahmslosen Erzählweise emotional nicht richtig erreichen. Insgesamt las es sich eher wie ein Sachbericht.

Die Zeitebenen des Gefangenen Shams fand ich zunächst noch spannender. Allerdings zieht es auch da zu lange bis fast zum Schluss hin, bis man erfährt, warum er überhaupt gefangen ist. Diesen langen Spannungsbogen können die kurzen Passagen nicht tragen


"Wir sind doch nur eine schnelle Schlagzeile oder eine Kurzmeldung in den Nachrichten wert. [...] Die Leute hören doch seit Jahrzehnten nur von Krieg und Problemen. Das ist für die ganz normal und wie Hintergrundrauschen." (Aus "Palast der Miserablen, S. 255ff)



Fazit:
Es fällt mir schwer, dass Buch zu bewerten. Den Anfang und das Ende fand ich wirklich gut, spannend und fesselnd. Auch dazwischen gab es interessante Aspekte über die Geschichte des Irak und das Leben dort zu Zeiten Saddam Hussein. Aber die eigentliche Geschichte war leider zäh und mit dem Schreibstil bin ich nicht warm geworden. Die Geschehnisse und die Figuren blieben mir fern und ich konnte wenig Anteil an der Geschichte nehmen.

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Veröffentlicht am 18.02.2020

Von Liebeskummer, Angst und mehr

Nix passiert
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Kurzmeinung:
Nix passiert von Kathrin Weßling ist ein Buch, dass es mir am Anfang nicht ganz leicht gemacht hat und mich dann doch ganz schnell voll und ganz für sich einnehmen konnte. Ich war begeistert ...

Kurzmeinung:
Nix passiert von Kathrin Weßling ist ein Buch, dass es mir am Anfang nicht ganz leicht gemacht hat und mich dann doch ganz schnell voll und ganz für sich einnehmen konnte. Ich war begeistert von der poetischen Sprache und wunderschönen Metaphern, von dieser emotional fordernden Geschichte. Begeistert von den echten, verletzlichen, menschlichen Figuren. Kathrin Weßling schafft den Spagat zwischen tiefgreifend und leicht, zwischen traurig und zum Lachen. Teilweise sarkastisch, fast zynisch, und meistens einfach so wahr und echt.


Meine Meinung:
Ein bisschen hatte ich Schwierigkeiten, in die Geschichte hineinzukommen. Für mich war es das erste Buch der Autorin und ich musste mit dem Stil erst warm werden und in das Setting hineinkommen. Etwas abgeschreckt war ich von zunächst langen Seiten gefüllt von Liebeskummer und Gejammer. Doch ich habe weitergelesen und war dann ganz schnell ganz begeistert von der poetischen Sprache und wunderschönen Metaphern, von dieser emotional fordernden Geschichte. Begeistert von den echten, verletzlichen, menschlichen Figuren. Ich habe Alex jedes Wort geglaubt und war ziemlich angetan von dieser erfrischenden Männerfigur, die so wenig den typischen Männerfiguren in der Literatur entspricht und mir gerade deswegen sehr gefallen hat.

Liebe Liebeskummer Bestseller Großstadt Kleinstadt Familie LeseprobeDie Geschichte ist jung, authentisch, „relatable“. Ich habe mich verstanden gefühlt und geborgen. Davon zu lesen, dass andere auch solche Erfahrungen machen. Das es ok ist, solche Sachen zu fühlen und zu denken. Das es ok ist, Angst zu haben, verletzlich zu sein, keinen Plan zu haben.
Aber am meisten begeistert hat mich wirklich der Stil und die großartige und außergewöhnliche Sprache. Diese Mischung aus Schmerz, tollen sprachlichen Bildern und Humor. Am liebsten hätte ich jeden zweiten Satz angestrichen und aufgeschrieben.
Kathrin Weßling schafft den Spagat zwischen tiefgreifend und leicht, zwischen traurig und zum Lachen. Teilweise sarkastisch, fast zynisch, und meistens einfach so wahr und echt.

In dem Buch stecken viele Themen und ich denke, für jeder Leserin wird etwas anderes herausstechen. In der Geschichte geht es um Liebeskummer, um falsche Entscheidungen. Um Freundschaft. Es gibt eine Reflexion darüber, was Heimat bedeutet. Was Familie bedeutet. Über den Umgang mit Schmerz, mit Unsicherheit, mit Trennungen und Liebeskummer.

Es macht den Vergleich zwischen dem Leben in der Stadt und auf dem Land (und kommt dabei leider nicht ganz ohne Klischees aus. Was mich beim lesen aber nicht gestört hat.). Es geht um die bedeutsamen und bewegten Jahre der Jugend. Wie grausam Jugendliche sein können. Wie schwer es einem die eigenen Ängste machen können. Wie einem die Heimatstadt viel zu eng werden kann, und man sich jahrelang fort träumt. Und wie einem der neue Ort dann zu weit ist und man selbst sich verloren fühlt.
Ihr merkt schon, in dem Buch steckt viel drin und ich würde euch empfehlen, das Buch einfach selbst zu lesen und herauszufinden, was dieses Buch für euch ist und was für euch heraussticht.


Fazit:
Nix passiert von Kathrin Weßling ist ein schönes Buch, ein echtes Buch. Eine Geschichte voller Schmerz und Schönheit, Angst und Hoffnung. Von Familie und Freundschaft, vom Erwachsenwerden und (Über)Leben. Und natürlich von der Liebe.
Ich habe Nix passiert von Kathrin Weßling gern gelesen und möchte jetzt unbedingt mehr von der Autorin lesen.

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Veröffentlicht am 15.02.2020

Ein spannender, reflektierter und bewegender Roman zu einem sensiblen Thema

Nichts, was uns passiert
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Kurzmeinung

Nichts, was uns passiert von Bettina Wilpert hat mich sehr beeindruckt. Die Autorin nimmt sich des sensiblen Themas Vergewaltigung an und macht daraus einen spannenden, reflektierten und bewegenden ...

Kurzmeinung

Nichts, was uns passiert von Bettina Wilpert hat mich sehr beeindruckt. Die Autorin nimmt sich des sensiblen Themas Vergewaltigung an und macht daraus einen spannenden, reflektierten und bewegenden Roman.



CN: Vergewaltigung



Meine Meinung:

Dieses Buch hat mich sehr bewegt und noch lange in mir nachgehallt. Immer wieder musste ich beim Lesen Pausen machen und über den Inhalt nachdenken. Gleichzeit hat es mich aber auch so gefesselt, dass ich es sehr schnell durchgelesen hatte.



Zunächst möchte ich die vielen interessanten Perspektiven betonen, in denen diese Geschichte erzählt wird. Zunächst wird abwechselnd die Sicht von Anna und Jonas geschildert, später kommen auch weitere Zeugen zu Wort, Freunde, Familie und Bekannte. Aber Erzähler ist eine unbekannte dritte Person. Das ist zunächst etwas ungewöhnlich zu lesen, dann habe ich mich aber daran gewöhnt und fand diesen Stil sehr interessant. Es macht diesen Text besonders und passt auch zum Thema. Es schafft unweigerlich eine größere Distanz zu den Personen und dem Geschehen, und das ist bei so einem sensiblen Thema vielleicht auch ganz gut so.



Sehr gelungen sind auch die unterschiedlichen Sichtweisen und Interpretationen dargestellt. Wenn man nur die Perspektive einer Figur kennt, ist man schnell „auf deren Seite“, nimmt die Schilderungen als gegeben hin. Durch die zweite (und mehrere andere) Perspektiven führt die Autorin den Leser:innen vor Augen, wie vielschichtig soziale Interaktionen sind und wie viele Sichtweisen und Interpretationen es für die selbe Situation geben kann.



Das Thema an sich ist natürlich sehr sensibel. Man sollte sich vorher darüber im Klaren sein und wissen, worauf man sich einlässt. Allerdings finde ich den Umgang damit in diesem Roman sehr gelungen.



"Vergewaltigung? Die hatte sie sich anders vorgestellt: Ein Mann, der einen nachts auf dem Nachhauseweg überfällt, oder der Onkel, der die Nichte als Kleinkind missbraucht. Oder der Nachbar. Aber kein Doktorand, den man kennt, zu dem man Vertrauen aufgebaut hat. Ein Geliebter. Ein Freund." (Aus: Nichts, was uns passiert. S. 65)



Die Autorin lässt uns an den Gefühlen der Protagonistin teilhaben. Zweifel, Angst, Schuld. Hätte sie es verhindern können? Sich mehr wehren müssen? Die Zweifel, ob sie eine Anzeige machen soll. Und schließlich die Wut. Die Wut, die sie doch zur Anzeige bringt. Die Wut über den Polizisten, der fragt, was sie anhatte, mit wie vielen Männern sie schon geschlafen habe. Sie mit den Worten verabschiedet, sie solle doch nicht so viel Alkohol trinken.

Klar ist nicht jeder Polizist so. Aber allein zu wissen, dass so etwas vorkommt macht mich so unfassbar wütend. Frauen, die sowieso schon vulnerabler sind, dann auch noch mit so einem unangemessenem Verhalten zu konfrontieren. Victim Blaming, als würde sich die Protagonistin nicht schon schuldig genug fühlen. Gleichzeitig wird auch die Rolle der gesellschaftlichen Strukturen, in denen wir leben, betont.



"Dass wir in einer Rape Culture leben. Vergewaltigung war ein strukturelles Problem – kein persönliches. Die Gesellschaft ist patriarchal. (...) Nie wurde als Erstes gefragt: Ist er schuldig? Sonder: Hat sie gelogen?" (Aus: Nichts, was uns passiert. S. 137)



Daneben kommt aber auch der vermeintliche Täter zu Wort. Wie er mit den Anschuldigen umgeht, wie die Anzeige und die Gerüchte sein Leben verändern, seinen Alltag, seine Freundschaften, seine Hobbys und seinen Arbeitsplatz.





Fazit:

Nichts, was uns passiert von Bettina Wilpert war ein großes Highlight für mich. Ein Buch, das mich bewegt hat. Das mich zum Nachdenken gebracht hat. Das es mir nicht leicht gemacht hat. Es gibt dort kein schwarz-weiß, keine einfachen Entscheidungen. Kein "Sie hat recht", kein "Er ist der Böse". Das Thema Vergewaltigung wird von vielen Seiten betrachtet und, wie ich finde, sehr gelungen dargestellt. Mit all den Konsequenzen für das vermeintliche Opfer, den vermeintlichen Täter und den Einfluss der Gesellschaft.

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