Ein sensibilisierendes Buch über Hass im Netz
Was wir nicht kommen sahenAda, 18 Jahre alt, verabschiedet sich eines Abends von ihren Eltern – und wählt den Freitod. Zurück bleiben ihre Eltern, auf der Suche nach Antworten und einem Grund.
Katharina Seck hat mit Was wir nicht ...
Ada, 18 Jahre alt, verabschiedet sich eines Abends von ihren Eltern – und wählt den Freitod. Zurück bleiben ihre Eltern, auf der Suche nach Antworten und einem Grund.
Katharina Seck hat mit Was wir nicht kommen sahen eine Geschichte geschrieben, die unter die Haut geht und lange im Gedächtnis bleibt. Ihr außergewöhnlich poetischer Schreibstil ist beeindruckend und malt Bilder, die die Schwere des Themas in einem fast zu schönen Licht erscheinen lassen. Metaphern und Vergleiche durchziehen das Buch und sorgen für eine besondere Atmosphäre, doch manchmal hätte die Handlung mehr Raum gebraucht. Auch wenn ich Secks gesellschaftlichen und politischen Aussagen zustimme, fühlte sich der Roman an manchen Stellen eher wie ein Essay oder eine Rede an.
Das Thema des Romans ist schmerzhaft aktuell: Cybermobbing, Verlust, Misogynie, Trauer und Freundschaft. Diese Aspekte sind mit großer Sensibilität beschrieben, oft so nah, dass sie wehtun. Besonders die Perspektivwechsel zwischen Ada, den anonymen Usern im Netz und ihrer Mutter Jenny – zwischen Vergangenheit und Gegenwart – machen die Geschichte lebendig und spannend. Obwohl man von Anfang an weiß, dass Ada ihrem Schicksal nicht entkommen wird, hofft und bangt man trotzdem mit.
Das Buch sensibilisiert auf eindringliche Weise für die Mechanismen von Hass im Netz und die Strukturen, die es erlauben, ihn anonym und straffrei zu verbreiten. Es ist daher ein wichtiges Werk – nicht nur für Jugendliche, um die Dynamik und Konsequenzen von Cybermobbing zu verstehen, sondern auch für Eltern, die die Gefahren der digitalen Welt besser greifen möchten. Seck zeigt, wie schnell aus Hass eskalieren kann, und wie machtlos Einzelne dem gegenüber sein können.
Doch es gibt auch Schwächen. Manche Gespräche wirken auf mich konstruiert, fast schon lehrbuchhaft. Adas reflektierte Art passt nicht immer zu ihrer inneren Zerrissenheit – ihre Angst, Paranoia und Hilflosigkeit erscheinen zu flach. Auch Jennys Trauerverarbeitung schreitet für meinen Geschmack zu schnell und linear voran. Nach nur sechs Wochen wirkt sie erstaunlich gefasst, verzeiht, wo noch Schmerz und Wut Platz gehabt hätten. Besonders die Zeit direkt nach der Nachricht von Adas Tod hätte ich als Leserin gerne mitverfolgt. Die Zeit, in der die Welt dann auseinanderbricht und zerbrochen bleibt – sie fehlt mir. Auch die Perspektiven der anonymen User, die Hass säen, wirken zu bewusst. Hier hätte ich mir unreflektierte, impulsive Figuren gewünscht, die nicht einmal ansatzweise hinterfragen, was sie anrichten.
Was wir nicht kommen sahen ist ein kraftvolles Buch, das sich gesellschaftlich relevanter Themen annimmt. Zwischen den Zeilen blitzen Botschaften über Feminismus, Männerbilder und soziale Verantwortung hervor. Ein lesenswertes Werk, das zum Nachdenken anregt und lange nachklingt.