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Veröffentlicht am 21.02.2022

Wird Stalking durch Digitalisierung einfacher?

NEXX: Die Spur
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ACHTUNG: eine überarbeitete Version von "Nexx- die Spur"
Von Volker Dützer hatte ich bisher zwei hervorragende historische Romane gelesen: „Die Unwerten“ und „Die Ungerächten“. Nun wollte ich seine „Eignung“ ...

ACHTUNG: eine überarbeitete Version von "Nexx- die Spur"
Von Volker Dützer hatte ich bisher zwei hervorragende historische Romane gelesen: „Die Unwerten“ und „Die Ungerächten“. Nun wollte ich seine „Eignung“ als Thriller-Autor mal mit „Morgen bist du tot“ testen (dieses Buch ist bereits unter dem Titel „Nexx – Die Spur“ erschienen) – ich wurde nicht enttäuscht...
Um bei diesem Thriller nicht zu viel zu verraten, werde ich nur eine ganz kurze Inhaltsbeschreibung geben: Valerie de Crécy ist eine taffe Enthüllungsjournalistin für die Sendung „Die Aufdecker“. Sie möchte den schillernden Hellseher Gabriel Nexx enttarnen, sie ist felsenfest davon überzeugt, dass er ein Schwindler und Lügner ist. Bei einer Veranstaltung rettet sie ihm (ungewollt durch Zufall) das Leben, deshalb ist „der große Meister“ bereit, ihr ein Exklusiv-Interview zu gewähren... Valerie ahnt jedoch nicht, dass Gabriel Nexx sie bereits seit längerem in seinem Fokus hat und sie schon überwacht. Die Situation eskaliert und Valerie bittet den Polizisten Lenny Koriatis um Hilfe. Da Gabriel Nexx bereits Valeries Todestag öffentlich vorhergesagt hat, bleibt nur wenig Zeit... So viel zum Inhalt, jedes Wort mehr wäre Zuviel...
Mir war Valerie anfangs nicht besonders sympathisch, ich gebe zu, dass ich kurz gedacht habe, sie habe die dramatischen Ereignisse inszeniert, um ihre Popularität zu steigern...Aber dann wurde deutlich, dass der Autor ganz bewusst dieses Mittel benutzt hat: gerade Stalking-Opfern wird häufig nicht geglaubt, da die Stalker die Begebenheiten in das Gegenteil verdrehen, so dass es immer wieder zu „Aussage gegen Aussage“ kommt... Deshalb ist bei den polizeilichen Ermittlungen die Glaubwürdigkeit des Opfers von großer Bedeutung – und das hat sich leider auch nach der Reformierung des Stalking-Paragrafen nicht maßgeblich verändert... Im Roman findet Valerie in Lenny einen Polizisten, der ihr glaubt, also ist die 1. Hürde schon mal genommen... aber die Beweislast ist schwierig!
Denn hier kommt der 2. Aspekt dieses Romans zum Tragen: die Digitalisierung unserer Zeit, wie schnell wir Daten weitergeben, häufig ohne nachzudenken – so ist es auch Valerie passiert... Und die Kombination zwischen Stalking und Zugriff auf persönliche Daten erweist sich als hochexplosiv und sehr gefährlich!
Ich bin in der Digitalisierungstechnik ein „echtes Landei“, auf dem Gebiet sind mir sicherlich 10-jährige Kinder weit Voraus...aber ich konnte dem Autor so weit folgen, dass wir alle in unserem täglichen Leben viel zu gedankenlos mit unseren Daten umgehen, uns zu wenig Gedanke um Datensicherheit machen. Vielleicht existiert (noch) nicht jede von Volker Dützer beschrieben Möglichkeit des „Datenklaus“, aber ich denke, sie KÖNNTE durchaus vorhanden sein – oder es wird sie in absehbarer Zukunft geben!
Ein Thriller, der durchaus Potential hat, über den Inhalt nachzudenken und den ich nicht sofort nach dem Zuklappen vergessen konnte – also einiges mehr als normale Thriller als Unterhaltungsromane und „Gänsehaut-Erzeuger“ zu bieten haben... Also wird Herr Dützer mir nicht nur mit seinen historischen Romanen in Erinnerung bleiben, sondern mit einem intelligenten Thriller, der mich beschäftigt hat! Und deshalb kann und möchte ich ihn auch gern weiterempfehlen!

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Veröffentlicht am 05.02.2022

Von einem schwierigen Start ins Leben...

Das Leben in unseren Händen
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Mit „Das Leben in unseren Händen“ hat Eva Neiss ihr zweites Buch vorgelegt. Ich hatte von ihr schon „Lotte Lenya und das Lied des Lebens“ gern gelesen und auch dieses gefiel mir wieder ausgesprochen gut. ...

Mit „Das Leben in unseren Händen“ hat Eva Neiss ihr zweites Buch vorgelegt. Ich hatte von ihr schon „Lotte Lenya und das Lied des Lebens“ gern gelesen und auch dieses gefiel mir wieder ausgesprochen gut.
Ich finde, beide Bücher sind absolut nicht miteinander vergleichbar: „Lotte Lenya“ ist eine Roman-Biografie über eine sehr bekannte Persönlichkeit, während mir Dr. Martin A. Couney bisher nicht mal vom Namen her bekannt war. Eva Neiss schreibt in ihrem Nachwort: „Zuerst wollte ich diese schillernde Persönlichkeit zur Hauptfigur eines eigenen Romans machen, bis mir aufging, dass ich ihn seine Geheimnisse lieber wahren lassen wollte. (…) Er selbst hat das Mysterium um seine Person genährt, in dem er seinen Lebenslauf immer wieder umschrieb. (…) Was jedoch klar ist: Er hat über 50 Jahre seines Lebens dem Überleben von Frühgeborenen gewidmet.“ (S. 413) Ich war so erstaunt über seine vorausschauenden Methoden und seine spektakuläre Finanzierung, dass ich sie hier lieber nicht beschreibe, um den Überraschungseffekt auch zukünftigen Leser*innen zu ermöglichen.
Also: statt Dr. Couney stehen die (fiktiven) Schwestern Hannah und Ada Rosenbaum im Mittelpunkt. Sie können 1939 mit einem der letzten Schiffe aus Europa in die USA flüchten, während ihre Eltern und ihr jüngerer Bruder auf der „St. Louis“ nachkommen wollen… Kurz nach ihrer Ankunft setzen bei Ada Wehen ein, über zwei Monate zu früh. Zu Hannahs großen Entsetzen wird die Frühgeburt in eine eiskalte Abstellkammer mit geöffnetem Fenster gebracht („Es wird nicht lange dauern“, „Es kann nicht überleben.“, S. 55). Auf Hannahs Intervention ruft eine mitfühlende Krankenschwester Dr. Couney an… und so bekommt die kleine Sarah eine echte Überlebenschance.
Wir begleiten Hannah und Ada, ihre Verwandten Judith und Simon und eben auch Sarah durch die ersten Jahre in New York, wir besuchen mit ihnen Coney Island, fahren auf das Empire State Building, tauchen ein in das pulsierende Nachleben, erleben den Kriegseintritt der USA – aber erfahren auch, wie sehr viele Menschen damals ums ihr Überleben kämpfen mussten. Hannah und Ada haben vollkommen unterschiedliche Lebensziele – wir nehmen daran teil und können sie für uns werten…
Die Autorin hat einen sehr bildhaften, lebendigen Schreibstil, so dass es mir ausgesprochen leichtgefallen ist, in das damalige Leben einzutauchen, den Schwestern zu folgen und mit ihnen einige Zeit zu verbringen. Es war spannend, immer authentisch und ich habe mich mitgefreut, mitgebangt und mitgelitten…
Die Geschichte endet nach einem kleinen Zeitsprung mit einer Familienfeier nach Kriegsende, Hannah sieht auf das „vollkommen unvollkommene Leben“ um sich herum – ja, das ist es doch, wonach wir uns alle etwas sehnen (da es ja „das vollkommene Leben“ vermutlich nicht gibt): ein vollkommen unvollkommenes Leben…
Nach dem Zuklappen des Buches ist etwas eingetreten, was ich eigentlich selten erlebe: ich hätte gern gewusst, wie es Sarah, Hannah und Ada und ihren Familien weiterhin ergeht, was sie im New York der 1950 / 1960-er Jahre erleben – und hatte sofort einige Bilder vor Augen…
Aber so soll es ja eigentlich auch sein: Bücher sollen anregen, die Geschichte weiterzudenken – insofern: Frau Neiss, das Ziel ist bei mir erreicht! Und na klar: ich kann dieses Buch nur wärmstens weiterempfehlen!

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Veröffentlicht am 20.01.2022

"Die Ungerächten" - ist "ungerächt" gleich "ungerecht"?

Die Ungerächten
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Mit „Die Ungerächten“ hat Volker Dützer seinen zweiten Roman um Hannah Bloch geschrieben. Ich habe Hannahs Weg bereits in dem Buch „Die Unwerten“ verfolgt, aber ich glaube, auch ohne Vorkenntnisse kann ...

Mit „Die Ungerächten“ hat Volker Dützer seinen zweiten Roman um Hannah Bloch geschrieben. Ich habe Hannahs Weg bereits in dem Buch „Die Unwerten“ verfolgt, aber ich glaube, auch ohne Vorkenntnisse kann man gut in die aktuelle Geschichte eintauchen, da ein ausführlicher Prolog alle wichtigen Details beschreibt (aber Stopp: ich kann „Die Unwerten“ wirklich wärmstens empfehlen – deshalb lieber damit anfangen!)
Entweder gibt es nicht viele Bücher, deren Handlung unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg einsetzt – oder ich habe sie bisher kaum entdeckt. Mich haben jedenfalls die detaillierten und z.T. unter die Haut gehenden Beschreibungen des (schwierigen) täglichen Lebens in den zerbombten Städten nach Kriegsende sehr berührt. Der Autor hat einen lebendigen und bildhaften Schreibstil, so dass ich selbst den nagenden Hunger verspürt, entsetzlich gefroren, ein Dach über den Kopf gesucht, mich auf dem Schwarzmarkt umgesehen habe...
Hannah hat die Aktion T 4 überlebt und arbeitet nun eng mit den Amerikanern zusammen, um weitere nationalsozialistischen Verbrechen aufzuklären, denn es sind zwar die wichtigsten Persönlichkeiten durch die Nürnberger Prozesse verurteilt worden, aber viele sind untergetaucht und/oder haben andere Identitäten angenommen, um sich der Justiz zu entziehen... Aber die Amerikaner wollen die weitere Strafverfolgung der deutschen Staatsanwaltschaft überlassen... Hannah ist entsetzt, macht sich doch unter den Deutschen der „Persilschein“ breit (vereinfacht: „Du sagst, ich war nie Nationalsozialist, dann sage ich auch, dass Du keiner gewesen bist...“)
Ein weiterer Protagonist ist Pawel Kowna, dessen Schwester und Vater im April 1945 in Sachsenhausen ermordet wurden, er hat seinem Vater kurz vor dessen Tod versprochen, er werde für das Leid seiner Familie Rache an den Deutschen nehmen. „Es fraß an ihm wie ein Geier, der seinen Schnabel in ein Stück Aas hackt. Pawel fühlte sich schuldig. Warum hatte er als Einziger die Verfolgung und Deportation, das Grauen der Lager und den Todesmarsch überlebt?“ (S. 62, E-book). Pawel lebt immer stärker den Selbstjustizgedanken, er geht sogar so weit, davon zu träumen, alle Bewohner einer deutschen Kleinstadt durch vergiftetes Wasser zu ermorden.
Die Gedanken und Überlegungen von Hannah und Pawel werden immer wieder in verschiedenen Sichtweisen herausgearbeitet und thematisiert, uns Leser*innen werden quasi die verschiedenen Ansatzpunkte präsentiert: kann es legitim sein, das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen und einen Nazi-Verbrecher zu ermorden, da anscheinend „die Deutschen“ (aus was für Gründen auch immer) kein Interesse haben, die notwendigen Schritte einer gesetzlichen Strafverfolgung in Gang zu setzen?
Mir war bisher nicht bekannt, dass auch die katholische Kirche, Nationalsozialisten Unterschlupf gewährt hat und sogar sehr aktiv daran beteiligt war, diesen Menschen über die sog. „Rattenlinien“ die Flucht z.B. nach Südamerika zu ermöglichen.
Aber das Buch hat durchaus auch heitere Seiten, verkörpert durch Hannahs Freundin Ruth. Ruth hat zwar auch heftige Schicksalsschläge hinnehmen müssen, aber sie verfolgt das Ziel, das Leben einfach zu genießen. Sie engagiert sich im großen Stil im Schwarzmarkt und durch sie werden wir Zeugen des Kohle- und Kaffeekrieges. Bei diesen Szenen – sehr spannend geschildert – musste ich mehrmals lächeln...
Volker Dützer hat seinem Buch ein Zitat von Mahatma Gandhi vorangestellt: „Auge um Auge – und die ganze Welt wird blind sein“, Ja, das passt ausgezeichnet!
Die Frage vom Titel „Ist ungerächt gleich ungerecht?“ lasse ich bewusst stehen, die kann / muss jeder für sich selbst beantworten!
Dieses Buch wird – genau wie „Die Unwerten“ - noch lange nachhallen und ich bin sicher, dass mir dieses Buch präsent bleiben wird, ich kann es deshalb bedingungslos weiterempfehlen – und ich bin sehr neugierig, wie Hannahs Weg weiterhin verläuft...

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Veröffentlicht am 20.10.2021

Damit hätte die deutsche Geschichte einen anderen Verlauf genommen...

Die Clique der Ehrlosen
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Thomas Majhen hat m.E. mit seinem Roman „Die Clique der Ehrlosen“ ein in mehrfacher Hinsicht interessantes und beeindruckendes Buch geschrieben: ich habe selten so viel bei Wikipedia nachgelesen und selten ...

Thomas Majhen hat m.E. mit seinem Roman „Die Clique der Ehrlosen“ ein in mehrfacher Hinsicht interessantes und beeindruckendes Buch geschrieben: ich habe selten so viel bei Wikipedia nachgelesen und selten meine Notizverzeichnis-Funktion beim Tolino so stark in Anspruch genommen!
Zuerst muss ich eine komplette Bildungslücke gestehen: von der Septemberrevolution 1938 hatte ich bisher keine Ahnung... Klar, Elsers Attentatsversuch 1939, Stauffenberg (und andere) 1944 – und auch immer mal wieder Einzelpersonen, die es gewagt haben und gescheitert sind... Aber dass sich 1938 eine größere Anzahl von hohen Wehrmachtsoffizieren und auch einflussreichen Zivilisten zusammengefunden haben, um Hitler zu stürzen (von einigen wurde auch sein Tod billigend in Kauf genommen) – nein, das war mir vollkommen neu!
Auslöser für diesen Zusammenschluss war die Blomberg-Fritsch-Affäre (Oberbefehlshaber des Heeres / der Wehrmacht), sie wurden durch falsche Anschuldigungen ihrer Ämter enthoben, damit hatte Hitler sich seiner wichtigsten Kritiker seiner aggressiven Außenpolitik „entledigt“ und konnte selbst den Oberbefehl übernehmen. Beide waren in der Wehrmacht sehr angesehen und viele durchschauten den dahinterliegenden Zweck.
Hans Oster baut ein Netzwerk auf, zu dem u.a. Erwin von Witzleben, Carl Goerdeler, Wilhelm Canaris, Friedrich Heinz und viele mehr gehören – für mich war die große Anzahl erstaunlich und wie offen sie teilweise über ihre Pläne gesprochen haben...
Thomas Majhen nimmt uns Leser*innen mit in das Jahr 1938, wir nehmen teil an konspirativen Treffen, bei denen die Männer jedes Für und Wider genau diskutieren – sehr spannend waren für mich die verschiedenen Haltungen, die ihren Ursprung z.B. in ihrer Herkunft, Tradition, Religiosität, Erfahrung usw. lagen. Auch ihre Versuche mit der englischen Regierung Kontakt aufzunehmen, fand ich ausgesprochen bemerkenswert...
Der zweite Handlungsstrang ist eine Augsburger Schülergruppe von vier Freunden um Christoph, die ein Jahr vor dem Abitur stehen. Hier spiegelt der Autor die „normale“ Bevölkerung und ihre Reaktionen auf Handlungen, Reden und Taten des „Führers“, Alltagssorgen im Nationalsozialismus... z.B. entschließt sich Christoph mit seinen 17 Jahren doch noch der Hitlerjugend beizutreten, obwohl er die damit verbundenen Ideologie eigentlich ablehnt. Sein engster Freund Jan ist ein überzeugter Nationalsozialist... deutlich wird hier, dass die Risse der Befürwortung, der Skepsis und der Ablehnung des nationalsozialistischen Gedankenguts quer durch Familien und Freundschaften gegangen ist!
Thomas Majhen vermischt grandios seine profunde Recherchearbeit mit einem fiktionalen Teil, dieser ist auch ausgesprochen gut und spannend geschrieben, ein wahrer „Pageturner“ – dabei dachte ich, ich sei mittendrin! Doch darüber möchte ich jetzt hier nichts schreiben, um nicht zu Spoilern - selber lesen ist angesagt!
Ich hatte eingangs geschrieben, dass es für mich sehr interessantes und beeindruckendes Buch gewesen sei: ich hätte niemals gedacht, dass mich ein Buch über Wehrmachtsgedanken, -ideologien und -hintergründe derartig fesseln könnte. Ein Buch, über das ich sicherlich noch viel Nachdenken werde, hat es mir doch auch einige meiner Vorurteile über die deutsche Wehrmacht unter Hitler deutlich aufgezeigt.
Für jeden, der sich für die deutsche Geschichte im Nationalsozialismus und der einem Gedankenspiel „was wäre, wenn...“ nicht abgeneigt ist, kann ich dieses Buch nur wärmstens empfehlen – es zählt mit Sicherheit zu meinen Lese-Highlights 2021 obwohl es (oder gerade weil?) es so gar nicht in mein „Beuteschema“ passt!

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Veröffentlicht am 19.10.2021

Eine Mordserie in Hamburg oder: ewig dürstet die Geranie...

Todesengel im Viertel
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Cord Buch hat sich mit seinem 4. Krimi um Werner Jensen und Wiebke Maurer (herzlichen Glückwunsch zur Beförderung, Frau Maurer!) an ein sehr sensibles Thema gewagt. Auf St. Pauli geschehen mehrere Frauenmorde: ...

Cord Buch hat sich mit seinem 4. Krimi um Werner Jensen und Wiebke Maurer (herzlichen Glückwunsch zur Beförderung, Frau Maurer!) an ein sehr sensibles Thema gewagt. Auf St. Pauli geschehen mehrere Frauenmorde: eine wird vergiftet vor einer katholischen Kirche abgelegt, die zweite findet man verbrannt vor einer Freikirche und eine dritte ist gesteinigt und wird vor einer Moschee gefunden (ich verrate hier nichts, es steht im Klappentext!). Frauenhasser? Religiöser Wahn? Zuhälterkrieg?
Auch die Journalistin Nele betreibt mit ihrer Freundin eigene Nachforschungen, da Birte die erste Tote kannte und sie selbst hatte die dritte Tote interviewt...
Für mich war es das dritte Buch dieser Reihe (aber man kann sie alle einzeln lesen, die Fälle sind in sich abgeschlossen), so dass ich mich gleich wieder heimisch in Neles Küche fühlte...
Der Autor zeigt uns ein Stück Hamburg außerhalb der Touristenströme und beschreibt das Leben im „Viertel“ (Schanzenviertel) sehr authentisch – der Staatsanwalt zu Werner: „Sie kennen sich da aus, sind sozusagen der Experte für das Viertel.“ (S. 6)
Doch die Ermittlungen sind zäh, Werner und Wiebke treten auf der Stelle, die Zeugen mauern – doch dann gibt es eine Wendung... aber mehr wird hier nicht verraten!
Mich haben die ausführlichen Recherchen des Autors zum Thema „Frauenhass“ sehr beeindruckt: er zitiert aus religiösen Schriften, wie z.B. das Buch Jesus Sirach (nicht Teil der Bibel) oder aus einem Hadith (nicht Teil des Korans), Wiebke äußert sich dazu: „Alte religiöse Texte waren das. Von Leuten, die noch immer daran zu glauben scheinen. Die Frau als Untertan des Mannes und solche Geschichten.(S. 72) Oder an anderer Stelle; „Ein Herr Breivik schreibt, dass im antiweiblichen Geschlechterkampf selbst die Tötung von Frauen eingeschlossen ist.“ (S. 146) („Herr Breivik“ ist Anders Behring Breivik, der 2011 in Oslo und auf der Insel Utoya 77 Menschen ermordet hat). Auch Blogs der Männerrechtsbewegung, Men's Liberation oder von den Maskulinisten werden erwähnt (die Zitate immer kursiv geschrieben, deshalb gut erkennbar).
Das alles hat Herr Buch sehr geschickt in die laufenden Ermittlungen eingefügt, so dass wir Leser immer wieder in Zweifel geraten, wer wohl für die Frauenmorde verantwortlich ist – ich kann versprechen: es bleibt bis zum großen „Show-Down“ sehr spannend!
Und nun ein Wort zur im Titel dieser Rezension erwähnten Geranie: sie taucht in allen Büchern von Cord Buch auf, sie steht bei Nele auf der Fensterbank und hat sich mittlerweile zum „running gag“ entwickelt. Nie wird sie gegossen, aber diesmal bekommt sie eine Wasser-Notration von einer vollkommen unerwarteten Seite und wird sogar umgetopft – aber sie ahnt bereits ihr Schicksal, sie wird wieder ignoriert werden... Aber ich liebe sie und warte jedes Mal auf ihre Erwähnung!
Mir hat der Roman wieder sehr gut gefallen, äußerst interessant. Ich finde beeindruckend, dass sich ein Autor in einem Krimi mit dem Thema Femizide beschäftigt (er geht zu dem Thema auch in seinem Nachwort ein) – Chapeau, Herr Buch! Ich empfehle dieses Buch sehr gern weiter und hoffe, dass es viele Leser*innen findet!

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