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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 17.09.2017

Gute Unterhaltung mit einigen Schwächen

Die Phantasie der Schildkröte
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Edith war mir anfänglich total unsympathisch. Sie ist eine regelrechte Soziopathin und wirkt leicht autistisch. Mit der Zeit erfährt man aber, woher dieses Verhalten kommt, und dank Schneewittchen und ...

Edith war mir anfänglich total unsympathisch. Sie ist eine regelrechte Soziopathin und wirkt leicht autistisch. Mit der Zeit erfährt man aber, woher dieses Verhalten kommt, und dank Schneewittchen und anderen Menschen, die in ihr Leben treten, verändert sie sich stark und wird einem mit jeder Seite sympathischer. Dennoch muss ich zugeben, dass ich keine wirkliche Bindung zu ihr aufbauen konnte.

Schneewittchen ist ein aufgewecktes, altkluges Kind, das Edith auf Schritt und Tritt folgt. Sie ist sicherlich jedem sympathisch, auch wenn es mir bei ihr genauso ging wie bei Edith und ich keinen emotionalen Zugang zu dieser Figur fand.

Neben den beiden Protagonistinnen treten eine weitere Reihe interessanter und ungewöhnlicher Charaktere auf. Am unsympathischsten ist hier definitiv Ediths Mutter, die wirklich nur schimpfen und beleidigen kann. Die anderen Figuren, die so nach und nach in Ediths Leben treten und eine wichtige Rolle einnehmen, sind da zum Glück schon viel sympathischer, so dass hier am Ende eine kunterbunte, amüsante Besetzung auftritt, die Ediths Leben und das Lesevergnügen bereichern. Dank dieser Menschen entwickelt sich Ediths graues Leben sehr zum Positiven. Sie emanzipiert sich, findet Freunde, schwänzt ihre Arbeit, wird spontan und interessiert sich sogar für Männer.

Ediths Verwandlung ist für den Leser erfreulich und voraussehbar, geht mir persönlich aber zu schnell. Hier hätte ich mir ein gemäßigteres Tempo gewünscht. Zwar behält sie einige ihrer Macken, aber diese verkümmern eigentlich eher zu Schrullen, die jedermann haben kann. Befremdlich bis zum Schluss fand ich ihre fiktiven Unterhaltungen mit der Schildkröte Mechthild und ihrer Wunschfreundin, die Moderatorin ihrer Lieblingssendung.

Die Handlung entwickelt sich rasant, und es gibt so einige amüsante Erlebnisse, die Ediths Leben kräftig durcheinander wirbeln. Die Geschichte ist sehr humorvoll, manche Szenen wirken regelrecht slapstickhaft (Ich sage nur: Verfolgungsjagd einer mutmaßlichen Mörderin). Da sie aus Ediths Sicht geschrieben ist, hat man Anteil an ihren Gefühlen und Gedanken, und diese sind oft recht skurril und komisch. Aber es werden auch ernste Themen angesprochen. Vor allem geht es hier viel um Selbstliebe und Toleranz.

Dreht sich anfangs alles um Ediths und Schneewittchens Beziehung und die Aufgaben, die Edith zu lösen hat, stehen diese ab circa der Hälfte des Buches allerdings etwas zurück. Ich persönlich fand das aber ganz gut, da Ediths Veränderung so das "Werk" mehrerer Personen war und nicht nur das eines ominösen Mädchens, von dem keiner weiß, wo es herkommt.

Die letzte Aufgabe - die ich hier natürlich nicht verraten werde - passt dann eigentlich nicht so recht zu den vorherigen, zumal sie von einem zehnjährigen Kind gestellt wird, das zwar für sein Alter sehr weise, aber trotzdem noch kindlich ist. Hier hatte ich das Gefühl, dass die Autorin zu viel für Edith wollte und diese in kürzester Zeit quasi alles, was sie im Leben verpasst hat, nachholen sollte.

Wer genau Schneewittchen ist, erfährt man nicht zur vollen Zufriedenheit. Meine Vermutung hat sich teilweise bestätigt, und mir hätte eine etwas bodenständigere Erklärung besser gefallen.

"Die Phantasie der Schildkröte" ist kurzweilige Unterhaltung mit einem sehr guten Ansatz, mir ging jedoch die Entwicklung der Protagonistin viel zu schnell und ab der Hälfte des Buches fehlte mir irgendwie der anfängliche Zauber der Geschichte.

Veröffentlicht am 10.09.2017

Zwei ungleiche Brüder auf der Suche nach dem Vater und sich selbst

Die Wurzel alles Guten
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Die Geschichte wird abwechselnd aus Pekkas und Eskos Sicht erzählt, wobei Pekka deutlich mehr erzählt, während Eskos Passagen eher kurz waren. Ich fand das passend, denn es spiegelt die unterschiedlichen ...

Die Geschichte wird abwechselnd aus Pekkas und Eskos Sicht erzählt, wobei Pekka deutlich mehr erzählt, während Eskos Passagen eher kurz waren. Ich fand das passend, denn es spiegelt die unterschiedlichen Charaktere der beiden wider.

Pekka war mir von Anfang an sympathisch. Er ist ein liebevoller Sohn und Vater und steht allem offen gegenüber, geht auf Menschen zu. Amüsant ist seine Angst vor dem Zahnarzt, die letztendlich dazu führt, dass er sich bei Esko einer aufwändigen Behandlung unterziehen muss.

Mit Esko hingegen musste ich erstmal warm werden. Er hat schon fast etwas Autistisches an sich, es wird jedoch im Laufe der Geschichte klar, wieso er so ist, und er macht eine enorme Wandlung durch. Seine Erzählungen werden dann auch immer länger, was ich als gelungenes Stilmittel empfand.

Pekka und Esko sind beide auf ihre eigene Art sehr amüsant und liebenswert. Während Pekka eher mit Selbstironie glänzt, fällt Esko durch seine Schrulligkeit auf. Er ist ganz extrem auf seinen Beruf als Zahnarzt fixiert, und so gibt es in diesem Buch unzählige Metaphern, die sich um die Zahnpflege drehen. Diese sind teils skurril und haben mich sehr zum Lachen gebracht. Einige sind aber auch sehr weise. Mir hat das sehr gut gefallen.

Im Laufe der Geschichte treffen die Brüder auf weitere Personen, die auch alle sympathisch und auf ihre Weise einzigartig sind. Mehr möchte ich aber über diese Figuren nicht verraten.

Der Schreibstil ist lebendig, und ich bin wirklich durch das Buch geflogen. Nousiainen hat einen feinen Humor, den ich sehr mochte. Dennoch kommen auch ernste Themen zum Tragen. Allen voran die Frage nach den eigenen Wurzeln, die Suche nach dem Vater und letztendlich nach der eigenen Geschichte. Es ist für die Brüder ein Selbstfindungstrip, der nicht nur Angenehmes zu Tage fördert. Nousiainen schafft den Spagat zwischen Tragik und Komik meisterhaft. Neben den persönlichen Problemen der Protagonisten kommen auch ernste gesellschaftliche Probleme zur Sprache wie das finnische Gesundheitssystem, der Rechtspopulismus in Skandinavien oder die Entmündigung der Aborigines. Und natürlich alle Aspekte der Zahnhygiene!

Auch die Eigenheiten der Finnen wird hier mit einem Augenzwinkern liebevoll skizziert. Ich musste hier öfter schmunzeln. Ich war scshon mehrere Male in Finnland, und mir kam doch einiges bekannt vor, das ich während meiner Urlaube mit Staunen oder Kopfschütteln wahrnahm. Selbst unter Skandinaviern gelten die Finnen als skurriles Völkchen. Aber genau das macht die Finnen auch so liebenswert.

Mich hat "Die Wurzel alles Guten" sehr gut unterhalten, und ich habe Esko und Pekka sehr gerne auf ihrer Suche nach dem Vater und sich selbst begleitet. Für mich ist dieses Buch ein kleines Highlight, und ich kann es jedem wärmstens empfehlen.

Veröffentlicht am 03.09.2017

Eine Künstlerin auf der Suche nach Erleuchtung

Am Ende der Welt ist immer ein Anfang
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Bekannt war mir Maria von Blumencron bereits als Filmemacherin und Autorin, die das Schicksal tibetischer Flüchtlingskinder dokumentierte und unter anderem zusammen mit einem ihrer fünf tibetischen Patenkinder ...

Bekannt war mir Maria von Blumencron bereits als Filmemacherin und Autorin, die das Schicksal tibetischer Flüchtlingskinder dokumentierte und unter anderem zusammen mit einem ihrer fünf tibetischen Patenkinder das Buch "Kein Pfad führt zurück" schrieb, welches ich sehr interessant fand. In diesem Buch jedoch geht es nun nicht um das Engagement der Autorin für Tibet, sondern um die Person Maria von Blumencron.

Als freischaffende Künstlerin in der Film- und Buchbranche hat sie natürlich so einiges zu erzählen, wobei hier nicht der Fokus auf ihrem künstlerischen Schaffen liegt. Es geht um Maria, eine sensible Frau, um ihre Suche nach dem Sinn des Lebens und dem Versuch, irgendwo und bei irgendwem anzukommen. Hierfür ist es auch notwendig, des öfteren in die Vergangenheit zurückzublicken, denn Maria leidet an vielen alten, teils noch offenen Wunden. Der Verlust der Mutter, die sie schon als Kind verließ und sich das Leben nahm, bevor es zu einem Treffen kommen konnte. Ein Missbrauch in der Kindheit. Das gespaltene Verhältnis zum Vater und der Stiefmutter.

Die Autorin legt hier einen regelrechten Seelenstriptease hin, benennt ganz klar ihre Macken, Fehler und Probleme. Sie verfällt dabei nicht ins Jammern, sondern ist selbstkritisch und selbstironisch. Das hat mir gut gefallen. Auch schafft sie es meist, selbst über sehr ernste Themen immer noch eine Prise Humor zu streuen. So ist der Schreibstil recht unterhaltsam und kurzweilig. Manchmal fand ich ihn aber auch zu blumig und pseudo-philosophisch. Vor allem die "Selbstgespräche" mit ihrer Seele oder ihrem Alter Ego "Lucy" lasen sich eher zäh und befremdlich und wirkten erzwungen lustig.

Einen hohen Stellenwert nimmt hier das Spirituelle und Esoterische ein. Auf der Suche nach Frieden, Erleuchtung oder was auch immer ist Maria ruhe- und rastlos und geradezu auf der Flucht. Gerade im letzten Drittel wurde mir ihr munteres Gespringe durch allerlei Glaubensrichtungen zu anstrengend und das Lesen machte mir sichtlich weniger Spaß als vorher. Vielleicht lag es daran, dass ich mit diesen spirituellen Dingen nicht viel anfangen kann, aber es ist nicht so, dass ich Spiritualität und Esoterik per se nicht offen gegenüber stehe. Z. B. fand ich den Guru Mooji sehr interessant und habe mir vorgenommen, mir ein Buch von ihm zu besorgen, da ich seine Wirkung auf Menschen nachvollziehen möchte. Und in vielen Lehren stecken ja auch ganz viele faszinierende und hilfreiche Ansätze drin. Anfangs dachte ich noch, es sei ja eine gute Sache, wenn man allen Religionen und Lehren gegenüber offen ist und für sich das Beste aus allem herauszieht.

Mich hat aber diese unglaubliche Flatterhaftigkeit der Autorin angestrengt. Sie kriegt auf der einen Seite viele Dinge nicht gebacken, die meiner Meinung nach wichtig sind (ein gutes Verhältnis zum Sohn, Kontaktaufnahme zum Vater und zur Stiefmutter, minimaler Verdienst, um die Grundkosten decken zu können), auf der anderen Seite scheut sie weder Kosten noch Mühe, sobald sie hört, dass es hier ein spirituelles Seminar gibt, dort ein toller Yogi lehrt. Lebensbäume zeichnen, reinigende Massagen anbieten - sie brennt jedes Mal aufs Neue für irgendwas, das ihr zufällig über den Weg läuft, aber nichts ist beständig. Auch verliebt sie sich in diesem Buch in zwei Männer, die sich ebenfalls wie sie dem Spirituellen verschrieben haben, und beginnt sofort ohne näheres Kennenlernen eine Beziehung mit ihnen. So etwas kann ich auch schwer nachvollziehen, auch wenn es im zweiten Fall wohl tatsächlich etwas Dauerhaftes geworden ist.

Geld ist auch oft ein Thema. Auf der einen Seite hat sie mit ihren Filmen und Büchern schon einiges verdient, so dass Steuerschulden im fünfstelligen Bereich auflaufen, auf der anderen Seite hat sie meistens nichtmal Geld, um ihre Miete zu zahlen oder sich Essen zu kaufen. Wenn dann aber jemand sagt: "Hey, komm nach Indien, da hält Meister XY tolle Satsangs ab!", dann ruft ganz plötzlich jemand an und kommt auf die Idee, ihr ein paar Tausend Euro zu schenken und sie sitzt im nächsten Flieger. Spontaneität ist toll, ganz klar. Aber mir war das immer zu extrem, denn es ist ja nicht so, dass sie nicht auch anderweitig Verpflichtungen hätte. So wird auch immer das schlechte Verhältnis zum Sohn, der beim Vater lebt, kurz erwähnt. Und man muss sich da nicht so wirklich wundern, wieso das Verhältnis schlecht ist, denn über ihre extensive Sinnsuche stellt die Autorin alles Andere hintenan. Vielleicht tue ich Maria von Blumencron damit total Unrecht - auch da sie im Rahmen einer Leserunde erwähnte, dass ihr Sohn selten vorkommt, weil sie ihr nahe stehende Personen schützen will. (Dies ist jedoch "Insiderwissen", dass der normale Leser nicht hat.) Aber so kommt es nunmal für mich als Leserin rüber und das ist meine Meinung dazu.

Im Vorwort erfährt man, dass die Autorin hier zwar ihre Lebensgeschichte wiedergibt, sie schränkt jedoch ein: "Dort, wo es galt die Besetzung meines Roadmovies zu schützen, habe ich mich entschieden wahrhaftig, statt entblößend zu sein. Und was die 'ultimative Wahrheit' betrifft, so findet sich diese sowieso meistens zwischen den Zeilen. Was wir für die Realität halten, ist nur das Spiel auf der Bühne." Man kann das Buch also auch als Roman verstehen. Ich persönlich habe es jedoch als Autobiographie betrachtet und das macht es vielleicht stellenweise schwerer, Maria und ihr Handeln zu verstehen. Und so wollte ich öfter einfach mal den Kopf oder die Autorin selbst schütteln.

Mein persönliches Fazit: Maria von Blumencron ist eine sehr interessante Persönlichkeit, die viel zu erzählen hat. Trotz meiner Kritikpunkte ist sie eine sympathische Person, der man wünscht, dass sie endlich dort ankommt, wo sie hinmöchte. Das Buch liest sich sehr flüssig und kurzweilig, es ist auf jeden Fall unterhaltsam. Mir war der Erzählstil jedoch zu sprunghaft, und die spirituelle Sinnsuche (oder wie man das nennen mag) nahm viel zu viel Platz ein. Wer sich dafür jedoch interessiert, wird mit dem Buch mehr Freude haben als ich. Deshalb gebe ich nur eine eingeschränkte Leseempfehlung für "Am Ende der Welt ist immer ein Anfang" ab, sondern lege alternativ ihre anderen Bücher über Tibet ans Herz.

Veröffentlicht am 26.08.2017

Mallorquinische Lebenslust und trottelige Kleinganoven

Balearenblut
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"Balearenblut" ist der erste Krimi rund um Lisa Langer. Ein witziges Detail ist, dass sie Reisejournalistin und Krimiautorin ist, genau wie Hanne Holms.

Lisa war mir generell recht sympathisch, blieb ...

"Balearenblut" ist der erste Krimi rund um Lisa Langer. Ein witziges Detail ist, dass sie Reisejournalistin und Krimiautorin ist, genau wie Hanne Holms.

Lisa war mir generell recht sympathisch, blieb aber bis zum Schluss etwas distanziert und farblos. Zudem ermittelt sie nicht wirklich selbst, sondern wird von Jorge quasi "mitgezogen". Sie hat Mut und ist nicht auf den Kopf gefallen, aber trägt auch nicht übermäßig viel zur Aufklärung des Falles bei. Da der Klappentext: "Lisa Langer ermittelt!" verspricht, wünsche ich mir für Folgebände, dass sie dann auch wirklich ermittelt und nicht nur assistiert.

Und so gibt es neben der Journalistin eine weitere, mindestens genauso wichtige Figur: Jorge, Chef-Ermittler a.D., der noch immer auf "seine" Insel Acht gibt und einen guten Draht zu den Kleinkriminellen Alcúdias hat. Seine Ermittlungsarbeit kann man getrost als "unkonventionell" bezeichnen. Jorge war mir sehr sympathisch, und seine trotteligen "Hilfsganoven" sorgten für so manch amüsante Szene.

Neben Lisa und Jorge ermittelt noch Hauptkommissar Perello, der die in den Mord verwickelten Verbrecher aber meist schon fertig verschnürt auf dem Silbertablett serviert bekommt. Angenehm fand ich, dass Perello und Jorge Hand in Hand arbeiten, denn meist ist es doch so, dass der neue Kommissar seinen Vorgänger nicht leiden kann. Die beiden aber begegnen sich sehr respektvoll. Und dank Perello fliegen sogar ein paar Fünkchen in diesem Buch.

Daneben gibt es noch eine ganze Palette an Nebenfiguren. Hotelangestellte, Anwohner, Verbrecher - Holms zeichnet auch diese Charaktere liebevoll und detailliert.

Die Geschichte wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt, allen voran aus denen von Jorge und Lisa, aber auch von diversen Nebenfiguren. So erhält man als Leser immer mehr Puzzleteile und setzt diese nach und nach zusammen.

Bis auf die Leiche im Hotel bleibt dieser Kriminalfall unblutig, was mir persönlich immer gut gefällt, da ich auf Blut und Grausamkeiten gerne verzichte und lieber kluge Ermittlungsarbeit und Ermittler, die sich selbst nicht so ernst nehmen, bevorzuge.

In diesem Fall gab es viele Beteiligte und Strippenzieher, und gerade die vielen Handlanger und Hilfsganoven machten das Ganze manchmal etwas unübersichtlich. Kommissar Zufall tritt auch hier wieder in Aktion. Auch gab es eher weniger Action, ein echter Spannungsbogen fehlt, aber es wird auch nicht langweilig. Der Fall bleibt bis zum Schluss verzwickt und wird dann zur Zufriedenheit des Lesers aufgelöst, aber ich hätte gerne noch erfahren, ob und wie die großen Strippenzieher bestraft wurden.

Das Setting ist gerade für Mallorcafans attraktiv. Fernab der typischen Touristengebiete lernt man unbekanntere Ecken der Insel kennen. Hier findet sich sicherlich der ein oder andere Tipp für den nächsten Urlaub. Auch die mallorquinische Lebensart und Gastfreundschaft wird hier sehr schön wiedergegeben. Da sich Jorge und Lisa gerne durch die mallorquinische Küche schlemmen, sind dankenswerterweise noch im Anhang Rezepte zu finden.

Allen in Allem ist "Balearenblut" der gelungene Auftakt zu einer neuen Krimiserie, die sich um Lisa Langer drehen soll. Bezüglich der Protagonistin ist noch viel Luft nach oben, aber generell bietet Hanne Holms hier gute und kurzweilige Unterhaltung.

Veröffentlicht am 20.08.2017

Intensiv aufgearbeitetes Brennpunktthema, gut als Schullektüre geeignet

Anschlag von rechts
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Seit der Flüchtlingskrise 2015 gab es eine vierstellige Anzahl von Übergriffen auf Flüchtlingsheime in Deutschland. Fremdenfeindliche Parteien wie die AfD gewinnen immer mehr Wählerstimmen, und in Städten ...

Seit der Flüchtlingskrise 2015 gab es eine vierstellige Anzahl von Übergriffen auf Flüchtlingsheime in Deutschland. Fremdenfeindliche Parteien wie die AfD gewinnen immer mehr Wählerstimmen, und in Städten wie Dresden gehören Protestmärsche Rechtsradikaler mittlerweile zum Alltag.

Reiner Engelmann ist Autor zahlreicher Publikationen zu Brennpunktthemen. Sein neues Jugendbuch basiert auf einer wahren Begebenheit. Der Autor hat mit betroffenen Flüchtlingen gesprochen und durch seine Recherchen interessante Einblicke in die Psyche rechtsradikal motivierter Täter und deren Familienangehörigen gewonnen.

Das Buch ist chronologisch aufgebaut. Nachdem stellvertretend für alle Opfer die Schicksale von fünf Flüchtlingsfamilien vorgestellt wurden, lernt der Leser die drei Täter kennen und wie es zur Tat kommt. Es folgen Vernehmungen, Untersuchungshaft, Prozess und Verurteilung. Im Anhang gibt es noch einen Exkurs über Fluchtursachen sowie ein Glossar über Symbole und Codes aus der neonazistischen Szene

Auch wenn die Gefühle der Flüchtlinge nach dem Anschlag wiedergegeben werden, liegt der Fokus ganz klar auf den Tätern. Man erhält einen Einblick in die Psyche der beiden Männer und der Frau, die die Tat gemeinsam begangen haben. Hierbei kommen auch andere soziale Probleme wie Arbeitslosigkeit und Alkoholismus zur Sprache. Allen dreien gemein ist, dass sie eher ungebildet sind, aus der unteren sozialen Gesellschaftsschicht kommen und nicht gerade auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Sie sind leicht beeinflussbar und anfällig für "Stammtischparolen".

Interessant fand ich auch, dass Familienangehörige zu Wort kommen. So werden die Verhältnisse, in denen die Täter leben, nochmal genauer beleuchtet. Ich hätte mir jedoch gewünscht, dass die Täter keine Stereotypen sind, wie man sie sich vorstellt. Es wäre meiner Meinung nach gut gewesen, auch Täter aus anderen sozialen Schichten und mit höherer Bildung kennenzulernen. Aber gut, die Geschichte orientiert sich eben an einem realen Fall, und ein Großteil der Neonazis stammt nunmal eher aus der unteren Schicht.

Engelmanns Schreibstil ist nüchtern und unaufgeregt. Er nimmt keine Wertung vor und gibt so dem Leser die Möglichkeit, sich selbst eine Meinung zu bilden. Ich wurde so einerseits nicht von den Figuren berührt, aber das fand ich völlig in Ordnung, denn so war es mir andererseits möglich, alle Geschehnisse rein objektiv zu betrachten. Ich persönlich finde das bei einem solch komplexen Thema wichtig.

Das Buch richtet sich an Leser ab 13 Jahren, und ich kann mir "Anschlag von rechts" sehr gut als Schullektüre für Jugendliche vorstellen.