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Veröffentlicht am 23.05.2018

Gute Grundidee, öde Umsetzung

36 Fragen an dich
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Ich wollte das Buch gerne lesen, da ich die Idee dahinter sehr spannend fand. Können sich zwei Fremde durch das Beantworten eines Fragenkataloges innerhalb kurzer Zeit so gut kennenlernen, dass sie sich ...

Ich wollte das Buch gerne lesen, da ich die Idee dahinter sehr spannend fand. Können sich zwei Fremde durch das Beantworten eines Fragenkataloges innerhalb kurzer Zeit so gut kennenlernen, dass sie sich anfreunden oder gar eine Beziehung eingehen würden?

Die Umsetzung allerdings war so la la. Zuerst einmal konnte ich den beiden Protagonisten nicht viel abgewinnen. Hildy ist irgendwie total farblos und langweilig. Sie erfüllt das typische Klischee der netten High School-Schülerinnen: Eigentlich total gut aussehend, aber denkt, sie sei für Männer nicht interessant genug. Sie lebt eigentlich ein angenehmes Leben in einer wohlhabenden Familie, hat jedoch Kummer, da ihre Eltern kurz vor der Trennung stehen. Um das Klischee perfekt zu machen, hat sie natürlich noch einen obligatorischen besten schwulen Freund.

Hildys Gegenpol bildet Paul. Der Typ mit der tättowierten Träne unter dem Auge. Der Typ, der abweisend, unfreundlich und brutal ehrlich ist. Der Bad Boy, der eine schwere Kindheit hatte und niemanden an sich ranlassen will.

Da wird es natürlich schwierig, ein ernsthaftes Gespräch zu führen, wenn zwei solch verschiedene Welten aufeinandertreffen. Und tatsächlich läuft der Versuch total aus dem Ruder. Ein teurer Fisch fliegt – Ich mag es übrigens nicht, wie wenig Hildy dem Wert eines Fischlebens beimisst! – und Hildy macht sich aus dem Staub. Was im Nachhinein ärgerlich ist, weil sie Paul eigentlich ziemlich supi fand, obwohl er so mies zu ihr war. Aber der macht sie zum Glück ausfindig, und so geht das mit den Fragen eben online weiter.

Und spätestens hier hat mich die Langeweile gepackt. Vielleicht lag es daran, dass ich erst kurz vorher „New York zu verschenken“ von Anna Pfeffer gelesen hatte, welches komplett im Chat-Stil verfasst wurde. Ich finde diese Art von Kommunikation anstrengend. Vor allem wenn sie mit Tipp- und Grammatikfehlern verziert wird, um das Ganze authentisch zu machen. Die Fragen und vor allem die Antworten der beiden erschienen mir schier endlos. Und das ewige Herumgeeiere, fast schon wie im Kindergarten, nervte mich zunehmend. Erst im letzten Viertel konnten die beiden mich dann nochmal aufwecken, als es wieder zum Real Life-Treffen kam und noch so einige Dinge geklärt wurden. Das Ende war dann auch total überraschend – nicht.

Die 36 Fragen an sich sind ganz interessant. Ich kann mir gut vorstellen, dass man mit seinem Gegenüber eine Bindung eingehen kann, wenn man sich darauf einlässt. Und ja, Hildy und Paul lernen sich dadurch immer besser kennen. Aber mal ehrlich: Würden die beiden nicht toll aussehen und hätten sich nicht bereits auf den ersten Blick optisch anziehend gefunden, hätten die 36 Fragen sie auch nicht zusammengebracht. Im Endeffekt konnten sie damit halt ausschließen, dass der heiße Hengst/die süße Schnecke kein totaler Psycho ist. Aber ich fand weder Paul noch Hildy besonders liebenswert. Paul hat immerhin noch den „Ich hatte schweres Leben, bin aber gar nicht so tough, wie ich tue“-Mitleidsbonus. Und ja, sie sind beide ganz nett. Aber das war’s halt eben auch. Von daher hat die Geschichte mir kein Herzklopfen entlockt, sondern eher ein müdes Lächeln.

Alles in Allem ist „36 Fragen an dich“ ein ganz netter Roman mit einer guten Grundidee, die allerdings meiner Meinung nach recht öde umgesetzt wurde. Wer aber kein Problem mit langweiligen Stereotypen und Klischees hat, der wird sich hier ganz gut unterhalten fühlen.

Veröffentlicht am 20.05.2018

Nachdenklich stimmende Tragikomödie

Wenn alle Katzen von der Welt verschwänden
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Der namenlose Protagonist ist 30 Jahre alt, Postbote und wohnt alleine mit seinem geliebten Kater Weißkohl. Als er erfährt, dass er bald sterben wird, fällt ihm erst auf, was für ein tristes Leben er bislang ...

Der namenlose Protagonist ist 30 Jahre alt, Postbote und wohnt alleine mit seinem geliebten Kater Weißkohl. Als er erfährt, dass er bald sterben wird, fällt ihm erst auf, was für ein tristes Leben er bislang eigentlich geführt hat. Als dann der Teufel einen Deal anbietet, zögert er nicht lange. Der Roman erschien in Japan übrigens bereits 2012 und wurde dort auch 2016 verfilmt.

Die Grundidee des Buches finde ich sehr spannend, auch wenn sie natürlich recht schräg ist. Für jeden Tag Leben muss die Hauptfigur eine Sache von der Welt verschwinden lassen, die der Teufel aussucht. Jedes Kapitel behandelt einen Tag und somit eine Sache, die von der Welt getilgt wird. Der Postbote macht sich Gedanken über diese Dinge, welche Bedeutung sie für die Menschen und für ihn speziell haben/hatten, und er erinnert sich an sein Leben, an seine große Liebe, an seine Eltern und seine beiden Katzen, von der eine noch bei ihm lebt. Durch diese Analysen und Erinnerungen lernt man ihn nach und nach besser kennen. Ich fand ihn sehr sympathisch und konnte mit ihm fühlen. Seine Gedankengänge fördern viele (oft unangenehme) Wahrheiten zu Tage und stimmen durchaus nachdenklich. Seine Erinnerungen, vor allem die an seine verstorbene Mutter, sind teils sehr emotional und haben mich wirklich berührt.

Auf der einen Seite hält der Postbote am Leben fest und möchte nicht sterben, auf der anderen Seite fängt er langsam an, sein Schicksal anzunehmen und loszulassen. Er reflektiert sein bisheriges Leben und erkennt, dass es nicht darauf ankommt, wie lange, sondern wie intensiv man gelebt und geliebt hat.

Der Schreibstil ist angenehm zu lesen und ich bin durch das mit 190 Seiten sowieso schon nicht allzu dicke Buch regelrecht geflogen. Auch wenn die Thematik ernst ist, finden sich hier etliche humorvolle Stellen.

"Wenn alle Katzen von der Welt verschwänden" ist eine ruhige, aber emotionale Tragikomödie, die sich mit den schwierigen Themen Verlust, Trauer und Tod beschäftigt. Nachdem ich wegen der etwas schrägen Geschichte anfänglich noch etwas skeptisch war und befürchtete, dass es ins Alberne abdriften könnte, hat es mir dann doch sehr gut gefallen.

Veröffentlicht am 18.05.2018

Kurzweilige Unterhaltung mit liebenswürdigen Charakteren

Ans Meer
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Das Buch wollte ich nicht nur lesen, weil mich der Klappentext neugierig gemacht hat, sondern auch weil ich René Freund als Autor wirklich schätze. Ich habe bislang von ihm „Mein Vater, der Deserteur“ ...

Das Buch wollte ich nicht nur lesen, weil mich der Klappentext neugierig gemacht hat, sondern auch weil ich René Freund als Autor wirklich schätze. Ich habe bislang von ihm „Mein Vater, der Deserteur“ und „Niemand weiß, wie spät es ist“ gelesen, und v. a. letzteres gefiel mir äußerst gut!

Die Geschichte wird hauptsächlich aus Antons Sicht erzählt, stellenweise aus der Sicht von Doris, seinem Schwarm, die ihm auf seinem Road Trip folgt. Die Handlungsstränge führen dann zusammen und Doris begleitet die Gruppe auf den letzten Kilometern nach/in Italien.

Anton ist ein komischer Kauz, aber auf seine Art auch recht liebenswürdig. Seine Figur macht eine starke Wandlung durch. So bricht er nicht nur aus seinem täglichen Berufstrott aus, macht sich strafbar durch die „Entführung“ des Busses und seiner teils minderjährigen Begleiter, und er lässt sich nicht mehr von seiner herrschsüchtigen Mutter an die kurze (Telefon-)Leine legen. Mit Doris konnte ich weniger anfangen. Die Liebesgeschichte war sicherlich weit entfernt von jeglicher Romantik, auch wenn Antons Schwärmerei sehr putzig war.

Die Mitfahrer bilden eine illustre Gruppe, die anfänglich gar nicht zusammenpassen mag, aber sich zusammenrauft. Schön fand ich, dass irgendwann alle gegenseitig aufeinander aufgepasst haben und sich eine gewisse Gruppendynamik entwickelte.

Herzstück des Romans ist aber nicht Anton, sondern die krebskranke Carla, die den Busfahrer geradezu nötigt, einen „Abstecher“ nach Italien zu machen. Den nahenden Tod vor Augen, ist sie bewundernswert stark. Ebenso wie ihre 11jährige Tochter, die sich während der Fahrt rührend um die Mutter kümmert und die eigenen Sorgen hintenan stellt. Das Ende ist zufriedenstellend und vor allem realistisch. (Nun ja, bis auf die beiden Kiffer, die… nein, ich will nicht spoilern.)

Ich mag Freunds Schreibstil. Er ist eloquent, lebendig, humorvoll und lässt sich angenehm lesen. Die Emotionen werden gut eingefangen. Die Geschichte um Carla hat mir dann auch ein paar Tränchen in die Augen getrieben.

Dennoch muss ich anmerken, dass die Geschichte recht kurz ist und mir im Vergleich zu Freunds anderen Büchern, die ich kenne, der Tiefgang fehlte. Der Roman ist fast schneller vorbei, als ich mich darauf einlassen konnte. Er ist unterhaltsam, hat aber keinen großen Eindruck bei mir hinterlassen. Man hätte vermutlich noch mehr aus der Geschichte herausholen können. Aber ansonsten ist „Ans Meer“ auf jeden Fall kurzweilige Unterhaltung mit liebenswürdigen Charakteren.

Veröffentlicht am 16.05.2018

Erschütternder Bericht aus dem Kriegsgebiet durch die Augen eines Kindes

"Mama sagt, dass selbst die Vögel nicht mehr singen"
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Myriam lebt zusammen mit ihren Eltern und ihrer kleinen Schwester in Aleppo. Die ersten Jahre ihres Lebens sind friedlich. Der Vater hat einen kleinen Kiosk, die Mutter arbeitet bei der christlichen Organisation ...

Myriam lebt zusammen mit ihren Eltern und ihrer kleinen Schwester in Aleppo. Die ersten Jahre ihres Lebens sind friedlich. Der Vater hat einen kleinen Kiosk, die Mutter arbeitet bei der christlichen Organisation "Maristes bleues", Myriam geht gerne in die Schule. Doch dann beginnen die Unruhen. Es wird immer gefährlicher, auf die Straße zu gehen, und irgendwann fangen die Bombenangriffe an und die Familie Rawick befindet sich mitten im Krieg.

Myriams Leben in Aleppo war wirklich schön, so wie sie es schildert. So kenne ich es auch aus anderen Biographien syrischer Kinder, die ich gelesen habe ("Nujeen - Flucht in die Freiheit" und "Ich bin das Mädchen aus Aleppo"). Es ist traurig, dass man sich das nicht so richtig vorstellen kann, da die meisten von uns dieses Land nur im Zusammenhang mit Krieg und Zerstörung kennen. Aber es ist wichtig, dass auch von dem Leben davor erzählt wird, damit der Leser ein anderes Syrien kennenlernen kann und versteht, was die Menschen durch den Krieg alles verloren haben.

Die einzelnen Einträge sind meist sehr kurz gehalten und bestehen nur aus wenigen Sätzen. Anfänglich noch fröhlich, werden sie von Seite zu Seite bedrückender. Erst scheint alles ganz weit weg, kommt immer näher und dann ist es Alltag, dass Tag und Nacht die Bomben fallen und man auf dem Weg von der Schule rennen muss, um nicht von einer Kugel getroffen zu werden. Mehrmals muss die Familie umziehen, da ihr Zuhause nicht mehr sicher ist oder zerstört wurde.

Myriam und ihre Familie sind gläubige Christen, die sich auch durch ihre Mitarbeit bei den "Maristes bleus" aktiv einbringen. Doch die meiste Zeit hat ihr Glaube keinen Einfluss auf das Miteinander in Aleppo, sie haben ganz normal Kontakt zu Muslimen, und vor dem Einzug des IS schien die Familie keine Probleme gehabt zu haben mit der muslimischen Bevölkerung. Auch im Krieg spielt die Religion der Familie eher eine untergeordnete Rolle, man hilft sich gegenseitig und leidet zusammen, gleich welcher Religion man angehört.

Die Sprache ist kindgerecht, wenngleich ich denke, dass die Einträge nicht der Ausdrucksfähigkeit eines Kindes im damaligen Alter der Autorin entsprechen. Das Tagebuch beginnt im April 2011, zu diesem Zeitpunkt ist Myriam sieben Jahre alt. Auch wenn die Einträge einfach gehalten sind, erscheinen mir manche Ausdrücke und Beobachtungen zu scharfsinnig für ein Kind solchen Alters. Das stört mich aber nicht, und selbst wenn Myriam hier die Hilfe eines Erwachsenen hatte, sind die Schilderungen dennoch authentisch.

Myriam und ihre Familie sind nicht aus Syrien geflohen, sondern leben noch in Aleppo. Ich habe leider nicht viel über sie in Erfahrung bringen können, und auch im Buch erfährt man nicht, wie es ihr heute ergeht. Das fand ich sehr schade. Man kann nur hoffen, dass sie und ihre Familie dort sicher sind.

"Mama sagt, dass selbst die Vögel nicht mehr singen" ist ein erschütternder Tatsachenbericht aus der Sicht eines unschuldigen Kindes, der eindrücklich den Alltag der syrischen Bevölkerung inmitten des Krieges schildert.

Veröffentlicht am 03.05.2018

Unterhaltsamer Jugendroman mit liebenswürdigen Charakteren

Acht Städte, sechs Senioren, ein falscher Name und der Sommer meines Lebens
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Jen Malone hat bereits mehrere Bücher für Kinder und Jugendliche veröffentlicht. Ich kannte bislang jedoch noch nichts von dieser Autorin. Doch der Klappentext von "Acht Städte, sechs Senioren, ein falscher ...

Jen Malone hat bereits mehrere Bücher für Kinder und Jugendliche veröffentlicht. Ich kannte bislang jedoch noch nichts von dieser Autorin. Doch der Klappentext von "Acht Städte, sechs Senioren, ein falscher Name und der Sommer meines Lebens" hat mich sofort neugierig gemacht.

In dieser Geschichte treffen lauter sympathische Charaktere aufeinander.

Die 17-jährige Bree ist eine richtige Couch-Potato mit quasi null Antrieb, die sich noch gerne von der überfürsorglichen Mutter alles hinterhertragen lässt. Sie erfüllt auf der Europareise echt alle Klischees des tumben Amerikaners. So ernährt sie sich in Europa aus Angst vor Neuem nur von Burger, Pizza und Energieriegeln, hat keine Ahnung von Geschichte und Kultur und spricht keine Fremdsprachen. Trotz dieser Makel mochte ich sie sehr. Da die Geschichte aus ihrer Sicht erzählt wird, hat man Anteil an ihren Gefühlen und Gedanken, und diese sind meist doch äußerst amüsant. Sie macht erwartungsgemäß die größte Veränderung durch.

Sam ist der absolute Dreamboy, und obwohl ich ihn sehr mochte, war er mir zu perfekt. Er hatte wirklich keinerlei Schwächen oder Makel. Hier hat die Autorin meiner Meinung nach etwas zu dick aufgetragen. Manche Szenen zwischen Bree und Sam sind dann auch enorm kitschig, aber für junge Leser ist das sicherlich noch ok.

Die Seniorengruppe besteht aus dem texanischen Ehepaar Hank und Maisy, das für diverse Lacher sorgt, da es auch im hohen Alter nicht die Finger voneinander lassen kann, den lebenslustigen Freundinnen Emma und Mary, dem gebildeten und liebenswürdigen Mr. Fenton sowie der introvertierten Dolores, die wie Bree mehr oder weniger zu dieser Reise genötigt wurde. Hinzu kommen noch diverse Nebencharaktere wie Elizabeth, Brees Eltern, der Busfahrer Bento und Brees beste Freundin, die allesamt ebenfalls sympathisch sind.

Die Story ist gerade im Mittelteil etwas unspektakulär. Die Reiseerlebnisse an sich sind ganz nett beschrieben, aber zwischendurch hatte ich das Gefühl, dass die Handlung nicht wirklich voranschreitet. Im letzten Viertel aber wurde es dann wirklich mitreißend und emotional, auch stellenweise richtig traurig aufgrund eines unvorhergesehenen Ereignisses. Das Ende ist nicht sonderlich überraschend, aber dennoch hat es mir gefallen, denn man gönnt den Figuren ihr Happy End von Herzen.

Der Schreibstil ist locker und humorvoll und lässt sich sehr angenehm lesen, so dass ich richtig durch die Seiten geflogen bin.

"Acht Städte..." ist ein unterhaltsamer Jugendroman über das Erwachsenwerden, Selbstfindung, Freundschaft, die erste Liebe und das Hinausschauen über den eigenen Tellerrand. Ich kann ihn v. a. jungen Menschen empfehlen, die vielleicht Angst davor haben, sich aus ihrer Komfortzone zu begeben. Dieser Roman macht wirklich Lust darauf, sofort den Koffer zu packen und die Welt zu erkunden.