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Veröffentlicht am 08.04.2021

Typisch japanisch

Der Klang der Wälder
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Durch Zufall trifft Tomura in der Turnhalle seiner Schule eines Tages auf einen Klavierstimmer, der dort das schuleigene Instrument in Ordnung bringt. Für Tomura eröffnet sich eine neue Welt, er ist sogleich ...

Durch Zufall trifft Tomura in der Turnhalle seiner Schule eines Tages auf einen Klavierstimmer, der dort das schuleigene Instrument in Ordnung bringt. Für Tomura eröffnet sich eine neue Welt, er ist sogleich fasziniert von der Klangvielfalt des Klaviers und der präzisen Arbeit des Mannes. So sehr, dass er eine Ausbildung zum Klavierstimmer beginnt und hinterher im selben Laden wie der Mann zu arbeiten beginnt. Vor Tomura liegen Jahre harter Arbeit und Selbstzweifel, denn die Kunst des Klavierstimmens ist eine ganz besondere, die viel Übung erfordert.

Das Buch besitzt diesen ganz bestimmten, japanischen Büchern eigenen Zauber. Die Erzählung ist schlicht, die Handlung wenig spektakulär und sehr ruhig. Und dennoch wird man als Leser sogleich von der poetischen Sprache und der Macht des Gesagten und des Ungesagten in den Bann gezogen, die dem Buch eine märchenhafte Atmosphäre verleihen. Schlägt man das Buch auf, fühlt es sich an, als tauche man tief hinab in den Ozean. Die Außenwelt wird abgedämpft, während alles andere gleichzeitig viel klarer wird, und man die Melodie des Buches vernimmt, die sich für Tomura im Klang der Wälder manifestiert.

Neben dem wunderbaren Märchencharakter erfährt man beim Lesen tatsächlich auch Einiges über Klaviere und die ihnen eigene Klangwelt. Das ist jedoch keinesfalls so trocken wie man im ersten Moment vielleicht glauben mag, sondern im Gegenteil sehr faszinierend. Dass viele Klaviere sich verschieden anhören, war mir vorher klar, aber welche riesigen Unterschiede zwischen ihnen bestehen und wie bedeutsam beispielsweise schon eine geringfügige Änderung der Höhe des Hockers und die minimale Justierung der Pedale bewirkt, nicht. Man kann als Nicht-Klavierspieler also auch eine Menge lernen mit diesem Buch.

Fazit: Ich habe es sehr gerne gelesen; es ist sehr ruhig, dabei jedoch auch sehr poetisch und atmosphärisch.

Veröffentlicht am 04.04.2021

Ein interessanter Einblick für Alice-Fans

Die Erfindung von Alice im Wunderland
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"Alice im Wunderland" dürfte wohl jedem ein Begriff sein. In diesem Sachbuch widmet sich Peter Hunt den Hintergründen und der Entstehungsgeschichte des beliebten Kinderbuchklassikers.

Dabei steht vor ...

"Alice im Wunderland" dürfte wohl jedem ein Begriff sein. In diesem Sachbuch widmet sich Peter Hunt den Hintergründen und der Entstehungsgeschichte des beliebten Kinderbuchklassikers.

Dabei steht vor allem die Freundschaft zwischen Charles Dodgson, der den meisten als "Lewis Carroll" bekannt ist, und der kleinen Alice Liddell im Vordergrund. Diese ist Vorbild der Alice-Figur und zugleich Adressatin der von Dogdson erfundenen Geschichten, welche überwiegend im Rahmen mehrerer gemeinsamer Bootsausflüge entstanden.

Das Buch bietet Einblicke in die Zeit, die Dogdson mit Alice und deren Schwestern verbracht hat, und weist auf die versteckte Genialität des Werkes mit seinen zahlreichen Anspielungen auf Personen und Gegebenheiten aus der Umgebung der Liddell-Schwestern hin. Es werden so einige interessante Fakten angesprochen und Vermutungen aufgestellt, und wer "Alice im Wunderland" gelesen hat, kann mit diesem Buch sicher eine Menge Spaß haben. Immer wieder werden kürzere Szenen zitiert, Vergleiche zu Liedern und Reimen herangezogen und großformatig abgedruckte Zeichnugen und Skizzen Tenniels, des Original-Illustrators der Alice-Bände, sowie von Dogdson angefertigte Fotographien eingestreut.

Veröffentlicht am 21.03.2021

Erschreckend ehrlich

Die Schlachthaus-Tagebücher
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Lina Gustafsson ist Tierärztin. Um die Bedingungen für Schlachttiere zu verbessern, nimmt sie für einige Monate einen Job auf einem schwedischen Schlachthof an. Ihre Aufgabe ist es unter anderem, die neu ...

Lina Gustafsson ist Tierärztin. Um die Bedingungen für Schlachttiere zu verbessern, nimmt sie für einige Monate einen Job auf einem schwedischen Schlachthof an. Ihre Aufgabe ist es unter anderem, die neu ankommenden Tiere zu begutachten und darauf zu achten, ob einzelne Tiere Verletzungen haben, sodass sie bei der Schlachtung vorgezogen werden können. Außerdem überprüft sie mit anderen Tierärzten gemeinsam den Umgang des Stallpersonals mit den Schweinen und nimmt an Kontrollen zur Lebensmittelsicherheit teil.

Dass ihre Arbeit nichts für schwache Mägen ist, ist wohl jedem klar - in ihren ersten Tagen wird Lina herumgeführt, sieht die verschiedenen Stationen, die die Schweine durchlaufen: von der Ankunft über das Treiben und Vergasen bis hin zum Entbluten und Ausweiden wird alles recht detailliert beschrieben. Immer wieder fallen Lina dabei Misstände und Tierquälereien auf. Schon beim Ausladen aus den Transportern werden die Tiere, die nach der oft stundenlangen Fahrt entkräftet und gestresst sind, mit Plastikpaddeln geschlagen, damit sie sich möglichst schnell in die Buchten treiben lassen, wo sie auf ihre Tötung warten. Viele lahmen oder haben Bisswunden. In den Buchten angekommen gibt es kaum Futter, und diejenigen, die über Nacht dortbleiben, stehen auf einer winzigen Fläche mit vielen anderen zusammen oft zentimetertief im Wasser. Beim Gang in die Gaskammer, in der sie unter Schmerzen mit Kohlendioxid getötet werden, kommen wieder die Plastikpaddel zum Einsatz.

Obwohl Lina diese Punkte immer wieder anspricht, reagieren viele Mitarbeiter nur gereizt und genervt, und ändern tut sich kaum etwas. Die Aussichtslosigkeit dieser Situation und Linas schwindende Hoffnung werden ebenso greifbar wie das Leid der Tiere. Der erschreckende Teil des Buches ist nichteinmal der, in dem die Körper der Schlachttiere aufgeschnitten und die Organe entnommen werden (Achtung, auch das wird mehrmals ausführlich beschrieben), sondern alles, was davor geschieht. Und dennoch entspricht der Umgang mit den Tieren ganz offiziell den Richtlinien, sodass Lina zwar Berichte über das ruppige Verhalten der Mitarbeiter an die Aufsichtsbehörden schicken und diese auch selbst immer wieder um einen sanfteren Umgang mit den ohnehin verängstigten Tieren bitten kann, das aber dann auch schon alles ist.

Linas anfängliche Empörung weicht bald dem Verdruss des Alltags - obwohl jeder Tag ein wenig anders abläuft und immer mal wieder etwas Unvorhergesehenes geschieht, sind sie am Ende doch alle gleich. Jeden Tag werden etwa 3.100 Schweine alleine auf diesem einen Hof geschlachtet, jeden Tag kommen dort völlig gestresste, verängstigte Tiere an, jeden Tag werden sie in ihrer Panik noch weiter mit den Plastikpaddeln getrieben. Und alles, was Lina tun kann, ist diejenigen zur Schlachtung vorziehen zu lassen, die offensichtlich große Schmerzen haben.

Die Sprache, in der Lina ihren Arbeitsalltag auf dem Hof schildert, ist nüchtern und sachlich, und lässt die Bilder für sich sprechen. Die einzelnen Kapitel sind kurz, denn jedes entspricht einer Art Tagebucheintrag. Das Buch ist nicht fiktiv, Lina Gustafsson hat, wie sie am Ende des Buches wiederholt betont, alles Beschriebene tatsächlich beobachtet und erlebt. Schlachtungen sind ein Thema, das die meisten Menschen lieber vermeiden, einfach weil sich niemand besonders gerne Gedanken darüber macht - und nicht ohne Grund ist es uns unangenehm, wie dieses Buch zeigt. Im Detail von den schlechten Bedingungen zu lesen, in denen die Tiere die letzten Stunden vor ihrem Tod verbringen, ist erschreckend. Noch erschreckender ist es jedoch, dass dies alles vom Gesetz als vollkommen in Ordnung eingestuft wird.

"Die Schlachthaus-Tagebücher" ist in seiner Ehrlichkeit und Ungeschöntheit nicht einfach zu lesen, und ich habe das Buch währenddessen immer wieder für eine Weile beiseite legen müssen. Dennoch bin ich am Ende sehr froh um den tiefen Einblick, den es dem Leser eröffnet.

Veröffentlicht am 18.03.2021

Eine ergreifende Biographie

Der Junge, der den Wind einfing
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William wächst in Malawi auf. Seine Jugend ist geprägt von Armut und der ständigen Sorge um die jährliche Maisernte, von der das Überleben der ganzen Familie abhängt. Als seine Eltern aufgrund einer Hungersnot ...

William wächst in Malawi auf. Seine Jugend ist geprägt von Armut und der ständigen Sorge um die jährliche Maisernte, von der das Überleben der ganzen Familie abhängt. Als seine Eltern aufgrund einer Hungersnot das Schulgeld nicht länger aufbringen können, beschäftigt sich William stattdessen damit, die Funktionsweise alter Radios zu erkunden und sich selbst die Grundlagen von Physik und Elektrizität beizubringen. Und eines Tages hat er eine großartige Idee - er möchte ein Windrad bauen, um die Lebensqualität seiner Familie und aller anderen Menschen Malawis zu erhöhen.

Es ist sehr beeindruckend, was dieser Junge alles erreicht hat, umso mehr wenn man bedenkt, dass die Geschichte nicht bloß frei erfunden ist. Etwa die ersten zwei Drittel des Buches beschäftigen sich mit der Kindheit und frühen Jugend Williams. War er als kleiner Junge noch zutiefst beeindruckt von den Sagen über Zauberer und Hexerei, die tief im Glauben seines Volkes verankert sind und das Leben Vieler maßgeblich beeinträchtigen, so entwickelt er bald ein großes Interesse an der Wissenschaft. Er beginnt, an kaputten Radios herumzuschrauben, die die für sein Dorf die einzige Verbindung zur Außenwelt darstellen, und ist fasziniert von den Mechanismen dahinter. Dann kommt Anfang der 2000er eine große Hungersnot auf, da es infolge des schlechten Wetters zu massiven Ernteausfällen kommt. Die Fehleinschätzungen sowie unvernünftigen Entscheidungen der Regierung lassen den Großteil der Bevölkerung mittellos und vor allem ohne jegliche Möglichkeit, an Nahrung zu kommen, zurück - viele Menschen, nicht nur in Williams Dorf, sterben in dieser Zeit. William und auch viele andere müssen verfrüht die Schule abbrechen, und der ewige Kreislauf der Armut scheint von vorne zu beginnen. Williams Rettung ist die kleine Bibliothek des Ortes, in der er einige amerikanische Bücher über Physik findet, mit denen er sich intensiv beschäftigt - und die Idee zum Bau eines Windrads reift in ihm heran. Erst der letzte Teil des Buches handelt dann tatsächlch von dessen Bau und der Bedeutung, die es für William und seine Familie hat.

Mich hat das Buch sehr beeindruckt. Gerade der große Abschnitt, in dem beschrieben wird, wie es zu der Hungersnot kam und wie die Menschen während dieser ums Überleben kämpfen, ist sehr eindrücklich beschrieben und alles andere als leichter Stoff. Während man diese Seiten liest, kann und mag man sich gar nicht vorstellen, dass diese Geschichte nicht vor mehreren hundert Jahren spielt, sondern tatsächlich Anfang des 21. Jahrhunderts. Dass andere Menschen zu dieser Zeit in Großstädten , umgeben von Technik und Wohlstand und mit vergleichsweise gut funktionierenden Bildungs- und Gesundheitssystemen leben, während man in Williams Dorf nicht einmal Wasserpumpen hat und die Menschen abends um sieben Uhr schlafen gehen, weil es kein Licht gibt. Während große Teile der Bevölkerung dort zu arm ist, um den Kindern den Schulbesich zu ermöglichen, und es alljährlich einige Monate gibt, in denen der Gürtel enger geschnallt werden muss, solange man auf die Ernte wartet.

Der tiefe Einblick in das Leben von Williams Familie, dass auch heute noch für viele Menschen Alltag ist, hat mich sehr beeindruckt. Auch darüber hinaus hat mir das Buch sehr gut gefallen. Obwohl man von vorneherein weiß, was William am Ende erreichen wird, kann man sich kaum mehr von den Seiten losreißen.

Es ist erschreckend, von diesem Kontrast zu lesen, der in unserer Welt noch immer zwischen Arm und Reich herrscht. Ich kann dieses Buch nur wärmstens weiterempfehlen.

Veröffentlicht am 14.02.2021

Die Katzen von Shinjuku

Die Katzen von Shinjuku
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Yama, Mitte 20, träumt davon, eines Tages Drehbuchautor zu werden. Doch momentan verdient er sein Geld damit, sich Quizfragen für Fernsehshows zu überlegen. Die Arbeit bereitet ihm schon lange keine Freude ...

Yama, Mitte 20, träumt davon, eines Tages Drehbuchautor zu werden. Doch momentan verdient er sein Geld damit, sich Quizfragen für Fernsehshows zu überlegen. Die Arbeit bereitet ihm schon lange keine Freude mehr und die Ansprüche seines Vorgesetzen sind hoch. Niedergeschlagen verirrt er sich in eine kleine Bar namens "Karinka" im Shinjuku-Viertel und beobachtet dort etwas, das schnell seine Begeisterung erweckt: Die Stammgäste des Lokals scheinen darauf zu wetten, welche streunende Katze sich als nächstes am Fenster zeigt. Ist das die Idee, nach der er gesucht hat? Yama lässt sich in die Kunst des Miau-jongg, wie die Gäste das Spiel nennen, unterweisen, und lernt dabei Yume kennen, die im Karinka arbeitet. Sie scheint den Katzen sehr nahe zu sein, weicht persönlichen Fragen jedoch stets aus. Gleichzeitig findet Yamas Vorgesetzer Gefallen an der Idee, eine Fernsehshow aus dem Miau-jongg-Konzept zu entwickeln und das Ganze groß aufzuziehen.

Für Yama stellen diese bald allabendlichen Barbesuche eine willkommene Ablenkung von seiner unliebsamen Arbeit dar, die ihn jeder Kreativität beraubt und ihn seinem Gefühl nach immer weiter fortbringt von dem, was er eigentlich im Leben erreichen möchte. Erst, wenn er wieder bei einem Hoppy und ein paar Yakitori-Spießen im Karinka sitzt und das Plakat mit den Katzen anschaut, dass Yume gezeichnet hat und das dort am Kühlschrank hängt, regt sich in ihm der starke Wunsch danach, seinem Leben eine neue Richtung zu geben.

Ich habe eine Weile gebraucht, um in das Buch hineinzufinden, in der ersten Hälfte war es mir etwas zu langatmig.Die Geschichte beginnt langsam, zögerlich, wie eine Katze, die sich erstmals einem Fremden nähert und erst nach und nach Vertrauen zu ihm fasst. Mit der Zeit konnte ich mich besser in die Geschichte hineinfühlen und habe die skurrilen Charaktere, die Sukegawa in seinem Roman als Stammkundschaft der kleinen Bar skizziert, sehr zu schätzen gelernt.

Der poetische, ruhige Schreibstil entfalten zweifellos seinen ganz eigenen Zauber, wenn man sich darauf einlässt. "Die Katzen von Shinjuku" ist kein Roman, der viel Action bietet, dafür besticht er mit einer Atmosphäre der Melancholie und Behutsamkeit.

Ein sehr schönes, ruhiges Buch!