Aufwühlender Jugendroman…
Wer braucht ein Herz, wenn es gebrochen werden kannIm Rahmen einer Leserunde auf Lovelybooks bin ich auf das Buch „Wer braucht ein Herz, wenn es gebrochen werden kann“ aufmerksam geworden. Um genau zu sein, war es das Cover, was mich angesprochen hat, ...
Im Rahmen einer Leserunde auf Lovelybooks bin ich auf das Buch „Wer braucht ein Herz, wenn es gebrochen werden kann“ aufmerksam geworden. Um genau zu sein, war es das Cover, was mich angesprochen hat, denn es hebt sich von anderen Jugendromanen ab. Drei cool gekleidete Mädels gucken lässig von oben herab auf den Leser/die Leserin. Im Hintergrund ist der Teil eines gebrochenen Herzens zu erkennen, was ein wenig an ein Graffiti erinnert. Auch die Farbgestaltung in Schwarz, Rot, Beige ist nicht unbedingt typisch in diesem Genre. Kein bisschen Kitsch und genau das machte mich neugierig.
Der Klappentext deutet dann auch eine besondere Jugendgeschichte an, auch wenn schon viel verraten wird, doch er macht neugierig und ich wollte unbedingt mehr über Mo und ihr Leben erfahren.
Nach ein paar Tagen war das Buch dann bei mir und ich legte auch direkt los.
Der Jugendroman „Wer braucht ein Herz, wenn es gebrochen werden kann“ von Alex Wheatle ist am 06.03.2019 im Kunstmann-Verlag erschienen und spielt in South Crongton in England:
Maureen (Mo) lebt allein mit ihrer Mutter in einem sozialen Brennpunkt der Stadt. Zwischen den beiden ist es ziemlich schwierig, denn Mo’s Mutter ist nur mit sich selbst beschäftigt. Anstatt ihrer Tochter Aufmerksamkeit und Zuneigung zu schenken und sie zu beschützen, kümmert sie sich jedoch nur um ihren neuen Freund und ertränkt ihre Probleme in Alkohol. Mo ist also zum größten Teil auf sich allein gestellt, wenn sie nicht ihre Freundinnen, Nachbarn und Sam hätte. Sam, ihre erste große Liebe und alles könnte schön sein. Doch dann eskaliert die Situation mit Lloyd, der sich dieses Mal nicht nur an Mo vergreift. Vor Mo liegt nun eine schwierige Zeit intensiver Gefühle, die geprägt ist von ihrem inneren Konflikt, die eigene Wut auszuleben und Rache zu üben oder aber sich selbst nicht durch die Wut zerstören zu lassen.
Gut 4,5 Stunden habe ich für dieses Buch gebraucht, das mich doch recht aufgewühlt zurücklässt.
Die 15-jährige Protagonistin Mo ist selbstbewusst und sehr mutig. Sie ist schon recht reif für ihr Alter und auf sich allein gestellt, denn ihre Mutter ist mit ihren eigenen Problemen beschäftigt. Mo kämpft um eine „normale“ Mutter-Tochter-Beziehung, doch ihre Mutter erkennt das nicht. Vielmehr geht es ihr darum, ihren neuen Partner halten zu können, auch wenn der alles andere als gut für Mo ist. Eine echt verfahrene Situation und für die Protagonistin aus meiner Sicht ziemlich ausweglos. Halt sucht sie bei ihren Freundinnen, die auch in dem sozialen Brennpunkt wohnen und von denen jeder sein eigenes Päckchen zu tragen hat. Trotzdem halten sie zusammen und sind füreinander da. Mich hat Mo’s Schicksal sehr aufgewühlt, denn es hätte ein Bericht aus einer Akte im Jugendamt sein können. Die Protagonistin ist mit ihren Ängsten, Sorgen und Nöten sehr authentisch dargestellt worden und ihr Handeln ist für mich immer nachvollziehbar. Die Verzweiflung und Enttäuschung gerade ihrer Mutter gegenüber konnte ich direkt fühlen.
Auch die anderen Figuren sind sehr gelungen, obwohl ich mir für Sam etwas mehr Tiefe gewünscht hätte. Außerdem hätte ich Mo und Sam gern noch etwas mehr zusammen erlebt, damit auch diese Gefühle noch besser transportiert werden. Warum Sam sich im letzten Sommer dann von Mo getrennt hat, konnte ich verstehen. Auch wenn das Motiv meines Erachtens nicht stark genug ist, darf man nicht vergessen, dass es hier um 15-jährige Jugendliche geht. Trotzdem gibt es keinerlei Zweifel an Sams Gefühlen für Mo.
Die Handlung des Buches hat mir auch sehr gefallen. Die Spannungskurve ist gut entwickelt worden, so dass der Leser / die Leserin im Buch gehalten wird. Man begleitet Mo die gesamte Zeit, leidet mit ihr und hofft, gerade kurz vor dem Ende, dass sie vernünftig wird. Wird sie dann auch für ein paar Sekunden, doch dann gipfelt es in einer totalen Katastrophe. Wow! Damit habe ich echt nicht gerechnet und es hat mich innehalten lassen. Wie soll ein Mensch sowas je verarbeiten. Heftig!
Besonders gefallen hat mir dann Mo’s Entscheidung am Ende des Buches und auch die hat mich sehr berührt und zeugt von einer gewissen Reife. Mo wurde sich der Konsequenzen ihres Handelns bewusst und das wird gerade für jugendliche Leser/Leserinnen sehr schön visualisiert.
Aber wie liest sich das Buch nun?
Es sind 29 längere Kapitel, die in der ICH-Form aus Mo’s Sicht geschrieben sind. Das hat mir sehr gefallen, vor allem um sich gut in Mo und ihre Gefühlswelt hineinversetzen zu können.
Bisher habe ich noch kein Buch von Alex Wheatle gelesen, so dass ich sehr gespannt auf seinen Schreibstil war. Die Leseprobe hatte mir gefallen, doch ich muss ehrlicherweise gestehen, dass die nicht unbedingt erkennen lässt, wohin sich der Schreibstil entwickelt. Ich hatte doch einige Probleme in das Buch zu kommen, weil ich das Geschriebene nicht als flüssig empfand. Der Ghetto-Slang hat mich zum Teil rausgerissen, auch wenn er wirklich zu dieser Geschichte passt. Meines Erachtens ist er aber nicht mehr in jeder Formulierung zeitgemäß und zum Teil widersprüchlich (SPOILER ANFANG: Wenn ein Mädchen, während ihre Mutter mit ihr spricht, denkt: „Halt die Fresse.“, dann ist das hart. Meines Erachtens steht dem aber entgegen und ich finde es auch nicht richtig gelungen, wenn sie zu spät zur Schule kommt, an den Lehrer zu denken mit: „Der … zieht mir die Ohren lang.“ SPOILER ENDE) Meine 14-jährige Tochter verzog bei manchen Ausdrücken peinlich berührt ihr Gesicht, doch für diese Altersgruppe sollte das Buch ja eigentlich ansprechend sein.
Mich persönlich hätte die Geschichte ohne Ghetto-Slang noch mehr berührt.
Besonders gelungen fand ich die emotionalen Beschreibungen, insbesondere in Bezug auf die Beziehung zwischen Mo und ihrer Mutter.
Mein Fazit nach 263 Seiten im Taschenbuch:
„Wer braucht ein Herz, wenn es gebrochen werden kann“ ist ein aufwühlender Jugendroman, der sehr emotional zeigt, wie wichtig Liebe, Zuneigung, Geborgenheit und auch Schutz durch das Elternhaus sind und wohin es ein Kind oder Jugendlichen führen kann, wenn er all diese Dinge nicht erfährt.
Wer einen spannenden Jugendroman sucht, der auch schwierige Themen wie Vernachlässigung durch das Elternhaus, Leben im sozialen Brennpunkt, Abhängigkeiten der Eltern, häusliche Gewalt und Drogen thematisiert, dürfte mit diesem Buch gut beraten sein, jedoch trifft der Schreibstil nicht unbedingt jeden Geschmack, auch wenn er insgesamt gut zur Geschichte passt.
Von mir erhält dieses Buch eine Kaufempfehlung (4/5 Sternen), weil die Figuren und die Handlungen so realistisch dargestellt sind und mich wirklich berührt haben. In der heutigen Zeit fällt es mir nicht schwer, mir vorzustellen, dass es genauso auch in Wirklichkeit passiert ist. 1 Sternchen ziehe ich für den Schreibstil ab, der mich doch einige Male aus dem Lesefluss gerissen hat.
Insgesamt ist es aber ein wirklich gelungener Roman, den ich nur weiterempfehlen kann.
Vielen Dank an Alex Wheatle für diese Geschichte.