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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 07.11.2024

Eindringlich und wichtig

Meine dunkle Vanessa
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Ich habe schon lange kein Buch mehr gelesen, das so starke Emotionen in mir ausgelöst hat wie “Meine dunkle Vanessa”: Wut, Ekel, Mitleid. Bei manchen Szenen hat sich alles in mir zusammengezogen.
Zwischen ...

Ich habe schon lange kein Buch mehr gelesen, das so starke Emotionen in mir ausgelöst hat wie “Meine dunkle Vanessa”: Wut, Ekel, Mitleid. Bei manchen Szenen hat sich alles in mir zusammengezogen.
Zwischen zwei Zeitperspektiven springend erfahren wir die Geschichte der 15-jährigen Vanessa, die von ihrem 42-jährigen Lehrer nach und nach durch Grooming gefügig gemacht und nicht nur emotional, sondern auch sexuell missbraucht wird. Wir erleben hautnah, wie sie über die Jahre hinweg einfach nicht von ihm loskommt, welche ambivalenten Gefühle sie hat, wie der Lehrer es durch Manipulation schafft, dass sie selbst sich als Schuldige fühlt. Vanessas Gefühls- und Gedankenwelt sind dabei extrem authentisch dargestellt.
Besonders gut hat die Autorin auch den inneren Kampf der Protagonistin aufgezeigt, ihren Schmerz, als sie merkt, dass ihre über die Jahre aufrecht gehaltene Fassade der Liebesgeschichte bröckelt und sie sich eingestehen muss, dass sie doch das Opfer ist, das sie nie sein wollte.
Es wird deutlich, dass die psychischen Folgen eines solchen Traumas weitreichender sind, als man zunächst annimmt.

Der Roman bekommt eine große Empfehlung von mir, allerdings nur für diejenigen, die solch harte Kost ertragen können; denn er bereitet Bauchschmerzen, steckt den Finger tief in die Wunde und beschreibt sehr explizit. Und ist genau deshalb so wichtig. ⭐️4,5/5⭐️

*Übersetzt von Ulrike Thiesmeyer

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Veröffentlicht am 07.11.2024

Interessanter Ansatz, aber wenig überzeugend

Unser Ole
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In “Unser Ole” verbindet Katja Lange-Müller die Schicksale dreier Frauen: Elvira, Oles Großmutter und diejenige, die ihn aufgezogen hat und heute noch pflegt. Ida, Elviras Mitbewohnerin. Und Manuela, Elviras ...

In “Unser Ole” verbindet Katja Lange-Müller die Schicksale dreier Frauen: Elvira, Oles Großmutter und diejenige, die ihn aufgezogen hat und heute noch pflegt. Ida, Elviras Mitbewohnerin. Und Manuela, Elviras Tochter, die seit Oles erstem Geburtstag keinen Kontakt mehr hat.
Sie waren als Kinder nicht gewollt, haben keine Liebe von den Eltern erhalten, können diese genauso wenig geben und sind allesamt sehr Ich-bezogen. Als ein plötzlicher Todesfall sie zusammenführt, werden alte Wunden aufgerissen und Traumata zutage gefördert.
Der Großteil der Geschichte kommt mit einem Schauplatz aus: Elviras Haus. Außer den vier genannten Protagonistinnen gibt es auch kaum Personen.
Hört sich nach Theaterstück an und es hat sich auch wie eine Mischung aus diesem und einem Roman gelesen. Als hätte man ein Drama ausformuliert. Dabei verliert sich Lange-Müller in endlosen Schachtelsätzen, sodass mir die Frage kam, was die Autorin damit bezweckt. Für mich hat es sich gelesen, als hätte sie den Text künstlich anspruchsvoller machen wollen.
Gut gelungen fand ich die ganzheitliche Darstellung der drei Frauen, die jeweils unterschiedliche Selbst- und Fremdwahrnehmung, ihre Unterschiede und die auf den zweiten Blick vielen Gemeinsamkeiten.
Ihr respektloser, geradezu verachtender Umgang mit Ole, den jede von ihnen weniger als Mensch denn als Last wahrzunehmen scheint, wird wohl bei den meisten Leser
innen auf Abscheu stoßen. Viel mehr Emotionen wurden jedoch nicht geweckt.
Insgesamt ein Buch, was zwar ganz interessant aufgebaut ist (Theaterstück-ähnlich), aber mich nicht wirklich überzeugen konnte. Die Story war einigermaßen unterhaltsam, mehr aber auch nicht. Es endet genau wie es angefangen hat: irgendwo mittendrin. ⭐️3/5⭐️

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Veröffentlicht am 04.11.2024

Ohne roten Faden

Seinetwegen
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Zora del Buono war selbst noch ein Baby, als ihr Vater starb und hat so keine eigenen Erinnerungen an ihn. Da ihr Leben lang konsequent über ihn geschwiegen wurde, ist es nicht verwunderlich, dass sie ...

Zora del Buono war selbst noch ein Baby, als ihr Vater starb und hat so keine eigenen Erinnerungen an ihn. Da ihr Leben lang konsequent über ihn geschwiegen wurde, ist es nicht verwunderlich, dass sie nun doch mehr über diese Leerstelle erfahren möchte, bevor es zu spät ist - ihre Mutter ist inzwischen an Demenz erkrankt und im Heim und sie findet beim Ausräumen des Hauses endlich Dokumente zum Unfall.
Das größere Interesse gilt allerdings dem Unfallverursacher, “E. T.”, wie er zwecks Personenschutz in Zeitungsartikeln genannt wurde. Und so macht sie sich auf die intensive Suche nach ihm, weiß irgendwann mehr über ihn als über den Vater selbst.
Schön finde ich dabei zu beobachten, wie E. T. in ihrer Wahrnehmung vom Teufel höchstselbst immer weiter vermenschlicht, sie am Ende - trotz seiner Tat - sogar so etwas wie Mitgefühl für ihn empfinden kann.
Das Buch ist kein klassischer Roman, sondern eher ein Notizbuch ihrer Recherche, welches aus fragmentartigen Textabschnitten besteht, teils sehr zusammenhanglos, teils auch nur spekulativ. Dadurch geht der rote Faden etwas verloren, ein Lesefluss entsteht auch nicht wirklich. Sehr gelungen fand ich jedoch die kurzen “Kaffeehaus”-Szenen, niedergeschriebene Gespräche mit zwei, bzw. später drei, älteren Bekannten zu verschiedenen Themen. Auch die Statistiken zu Verkehrsunfällen fand ich interessant - und sehr erschreckend.
Insgesamt konnte mich “Seinetwegen” leider trotz der spannenden Thematik nicht wirklich abholen und ich musste mich durch die 200 Seiten regelrecht durchkämpfen. ⭐️2,5/5⭐️

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Veröffentlicht am 29.10.2024

Schockierend, aber distanziert

Reichskanzlerplatz
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“Reichskanzlerplatz” erzählt die Geschichte Magda Goebbels’ aus der Sicht des fiktiven Liebhabers Hans Kesselbach, der über einen zwanzigjährigen Zeitraum immer wieder Kontakt zu ihr hat. Diese ungewöhnliche ...

“Reichskanzlerplatz” erzählt die Geschichte Magda Goebbels’ aus der Sicht des fiktiven Liebhabers Hans Kesselbach, der über einen zwanzigjährigen Zeitraum immer wieder Kontakt zu ihr hat. Diese ungewöhnliche Perspektive finde ich gut gewählt.
Es ist aber keine reine Biografie, vielmehr ist es ein Porträt des Dritten Reiches, vom Aufkommen bis zum Ende, welches aufzeigt, wie schnell man (Mit-)Täter wird.
Während Magda aktiv zur überzeugten Nationalsozialistin konvertiert, lädt Hans sich Schuld auf, indem er wegschaut und verdrängt, versucht, sich selbst zu schützen - denn durch seine Homosexualität schwebt er selbst in großer Gefahr.
Der Schreibstil ist sehr sachlich und jeder Satz scheint Bedeutung zu haben - weswegen das Buch etwas Konzentration bedarf. Außerdem wird einiges Wissen vorausgesetzt.
Die beiden Protagonist*innen werden trotz ihrer Rollen sehr menschlich dargestellt und ihre verschiedene Charakterzüge beleuchtet.
Ich persönlich konnte durch die distanzierte Erzählart jedoch keinen guten Bezug zu ihnen oder der Geschichte aufbauen, weshalb ich das Buch trotz des schockierenden Inhalts als nicht allzu intensiv wahrgenommen habe.
Dennoch empfehle ich den Roman, da er gekonnt ein Kapitel deutscher Geschichte beleuchtet, welches nicht wiederholt werden darf und eindrücklich zeigt, wie schnell man zum Schuldigen wird, selbst wenn man sich selbst zu den Guten zählt - was aktueller denn je ist.
⭐️4/5⭐️

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Veröffentlicht am 26.10.2024

Verrückt und einzigartig

Draußen feiern die Leute
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In einem niedersächsischen Dorf passiert neben dem jährlichen Zwiebelfest nicht viel Aufregendes.
Doch nach und nach verschwinden immer mehr Jugendliche spurlos.
Eine Gruppe von Außenseitern beschließt, ...

In einem niedersächsischen Dorf passiert neben dem jährlichen Zwiebelfest nicht viel Aufregendes.
Doch nach und nach verschwinden immer mehr Jugendliche spurlos.
Eine Gruppe von Außenseitern beschließt, das Rätsel zu lösen und macht sich auf den Weg, die Vermissten zu finden.

Nach dem Klappentext habe ich von “Draußen feiern die Leute” wohl eine Mischung aus Krimi und Coming-of-Age-Roman erwartet. Was ich bekommen habe? Einen wilden Ritt durch alle Genres, einen Dorfroman mit absurden Wendungen, ein absolut einzigartiges und verrücktes Debüt.
Sven Pfizenmaiers Eloquenz zeigt sich schon in den ersten Sätzen, allein die Beschreibungen des Dorfes und des Zwiebelfestes sind großartig.
Zunächst scheint in besagtem Örtchen auch alles gewöhnlich zu sein, mit absoluter Leichtigkeit und als wär es das Normalste auf der Welt, stellt uns Pfizenmaier dann die Protagonist*innen vor: Drei Jugendliche mit besonderen Fähigkeiten, eine Art Anti-Avengers; der eine ein Pflanzenmensch, die nächste schläft wochenlang am Stück, der Dritte hat eine höchst ermüdende Aura und hat so schon als Baby seine eigene Mutter gelangweilt.
Natürlich sind das nicht alle skurrilen Charaktere, das ganze Buch wimmelt davon.
Und als wäre das nicht genug, überrascht der Autor ständig mit den unvorhersehbarsten Wendungen, geht ins absolut Absurde und setzt gut platzierte Pointen.
Dennoch hat das Buch auch ernste Themen, so wird schnell deutlich, dass die Verschwundenen sich alle nach etwas gesehnt haben: einer besseren Welt, in der sie sich verstanden und als Teil einer Gesellschaft fühlen können.
Die Suche nach ebendiesen ist ebenso spannend wie der sagenumwobene Drogenboss Rasputin (und was man sich über ihn erzählt, ist wirklich wild), der etwas mit ihrem Verschwinden zu tun hat.

Zusammengefasst steckt dieser Roman voller Sprachgewandtheit, Witz, skurrilen Figuren, jugendlichen Sehnsüchten und ganz vielen Drogen - ja, manchmal fühlt sich das Lesen wie ein einziger literarischer Trip an. Empfehlung an alle, denen der Humor zusagt und die auf der Suche nach etwas Neuem sind. Etwas Vergleichbares habt ihr noch nicht gelesen, versprochen. ⭐️4/5⭐️

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