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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 09.09.2023

Außergewöhnliche Neuinterpretation

Tell
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Joachim B. Schmidt erzählt die Geschichte des Schweizer Freiheitskämpfers Wilhelm Tell neu - und wirft ein ganz anderes Bild auf den Sagenhelden.

Er macht aus ihm einen Menschen, der auf den ersten Blick ...

Joachim B. Schmidt erzählt die Geschichte des Schweizer Freiheitskämpfers Wilhelm Tell neu - und wirft ein ganz anderes Bild auf den Sagenhelden.

Er macht aus ihm einen Menschen, der auf den ersten Blick gar nicht so sympathisch wirkt. Interessant ist hierbei, dass Schmidt Tell selbst erst ganz zum Schluss zu Wort kommen lässt; das restliche Buch über formen nur die Gedanken anderer ein Bild des Mannes. Es wird schnell klar: Niemand kann den eigenbrödlerischen Bauern besonders gut leiden.
Die berühmte Apfelszene (in der der Autor übrigens zur schriftstellerischen Hochform auffährt) stellt dann einen wichtigen Wendepunkt dar: Tell wird verletzlich, ein Mann mit Vergangenheit und auf einmal sieht man doch auch Positives in ihm. Kurz gesagt: Schmidt holt ihn von seinem Helden-Sockel runter und macht einen ganz normalen Menschen aus ihm.

Das Buch besteht aus vielen kurzen Sequenzen, in denen je aus der Perspektive einer anderen Figur berichtet wird. Dies hat nicht nur eine unglaubliche Dynamik zur Folge, sondern unterstreicht auch die Kernaussage des Buches: Tell ist nur einer von vielen Individuen oder um es mit Schmidts Worten zu sagen: "Sie sind alle Tell."

Schiller hat seinerzeit Figuren mit bestimmten Charaktereigenschaften geschaffen, Schmidt hingegen haucht jeder dieser Figuren Leben ein und macht aus ihnen authentische, menschliche Personen mit Ängsten, Träumen, einer Vergangenheit.
Selbst mit dem Habsburger Landvogt Gessler kann man mitfühlen; es wird deutlich, dass es den stereotypen Prota- und Antagonisten nicht gibt.

Ich bin wirklich begeistert von dieser Neuinterpretation der Tell-Sage, Schmidt hat hier großes schriftstellerisches Können bewiesen und ein spannendes und zugleich emotionales Werk mit Tiefe geschrieben, welches ich nur wärmstens empfehlen kann. Für mich definitiv eines meiner Jahreshighlights.

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Veröffentlicht am 03.09.2023

Zu überladen an Witzen

Elternabend
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Sascha Nebel ist gerade dabei, ein Auto zu stehlen, als eine wütende Frau beginnt, dieses mit ihrem Baseballschläger zu demolieren. Als die Polizei auftaucht, machen die beiden sich aus dem Staub und landen ...

Sascha Nebel ist gerade dabei, ein Auto zu stehlen, als eine wütende Frau beginnt, dieses mit ihrem Baseballschläger zu demolieren. Als die Polizei auftaucht, machen die beiden sich aus dem Staub und landen auf dem Elternabend einer fünften Klasse. Um nicht aufzufallen, geben sie sich als das Ehepaar Schmolke aus, das bis dahin noch keine Schulveranstaltung ihres Sohnes besucht hat.

Der Klappentext klang für mich nach einer witzigen, absurden Geschichte und da ich von Fitzek bisher selten enttäuscht wurde, griff ich zu diesem Kein-Thriller.
Leider fand ich den Schreibstil diesmal ziemlich anstrengend. Es gibt kaum einen Satz ohne Witz, wodurch der Humor sehr erzwungen wirkt (ähnlich wie in "Schreib oder Stirb"). Es war einfach zu viel und ich hätte mir gerne ein paar mehr Passagen ohne Klischees, Flachwitze, alte Kalauer oder Stereotype gewünscht, denn die Grundidee ist so absurd, dass sie auch ohne diese hohe Dichte an Witzen gut funktioniert hätte.
Positiv anmerken muss ich hingegen den Umgang mit ernsten Themen, welche ab dem zweiten Drittel vorkommen (Achtung, Triggerwarnung am Anfang des Buches beachten). So haben die Charaktere doch etwas Tiefe bekommen und die Story war nicht mehr ganz so flach. Obwohl mir die Dialoge auch hier teilweise zu lehrbuchmäßig und dadurch unauthentisch waren.

Ich bin glaube ich einfach nicht die richtige Zielgruppe. Wer offensichtlichen, albernen Humor dem unterschwelligen vorzieht, hat hier sicherlich seinen Spaß. Das Buch lässt sich wie von Fitzek gewohnt flüssig und in einem Rutsch durchlesen. Ich freue mich jetzt einfach auf seinen nächsten Thriller im Herbst und lasse in Zukunft die Finger von seinen anderen Werken.

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Veröffentlicht am 30.08.2023

Spannend bis zum Schluss

Der Kastanienmann
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Die Polizei steht vor einem Rätsel: In Kopenhagen taucht eine grausam entstellte Leiche auf, es gibt weder Verdächtige, noch ein Motiv für den Mord. Die einzige Spur ist das am Tatort platzierte Kastanienmännchen, ...

Die Polizei steht vor einem Rätsel: In Kopenhagen taucht eine grausam entstellte Leiche auf, es gibt weder Verdächtige, noch ein Motiv für den Mord. Die einzige Spur ist das am Tatort platzierte Kastanienmännchen, welches die Fingerabdrücke eines Mädchens trägt, das seit einem Jahr tot ist.

Mit gut 600 Seiten veröffentlicht Søren Sveistrup einen eher langen Thriller. Das tut der Spannung allerdings keinen Abbruch: Sobald ein Fünkchen Langeweile aufkommen könnte, überrascht er mit einem unerwarteten Ereignis, einem weiteren Verdächtigen oder einer neuen Spur.
Mit zwei Einzelkämpfern, die beide eigentlich gar nicht bei der Mordkommission sein wollen, schafft er ein interessantes Ermittlerduo. Die Charaktere sind allgemein gut ausgearbeitet und authentisch, auch wenn man nicht alles über sie erfährt. Ich mochte es, dass neue Figuren nach und nach ins Spiel kommen, sodass man trotz vieler Personen nicht durcheinander kommt.
Auch die skandinavisch-herbstliche Atmosphäre wird wunderbar vermittelt. Der Autor führt die Lesenden ebenso wie sein Ermittlerteam immer wieder auf falsche Spuren und es macht Spaß, diesen zu folgen.
Als ich gerade dachte, dass es nun aber genug ist mit falschen Fährten, kam man der Lösung endlich auf die Spur.
Das Ende hingegen war etwas unglaubwürdig, sowohl das Motiv bzw. Plan des Täters, als auch der gesamte Showdown und das etwas zu postive Happy End.
Dennoch hat mich das Buch gut unterhalten und die ein oder andere Nacht wachgehalten, weil ich es einfach nicht aus der Hand legen konnte.

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Veröffentlicht am 23.08.2023

Kurzweiliger Roman ohne Tiefgang

Meine Schwester, die Serienmörderin
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Korede führt eigentlich ein unscheinbares Leben. Doch ihre jüngere Schwester Ayoola - jedermanns Liebling, wunderschön und impulsiv - benötigt häufig die Hilfe der pragmatischen Krankenschwester: denn ...

Korede führt eigentlich ein unscheinbares Leben. Doch ihre jüngere Schwester Ayoola - jedermanns Liebling, wunderschön und impulsiv - benötigt häufig die Hilfe der pragmatischen Krankenschwester: denn sie ermordet regelmäßig ihre Liebhaber.

"Meine Schwester, die Serienmörderin" ist ein sehr kurzweiliger Roman: Kapitel mit wenigen Seiten, kurze, klare Sätze und das Fehlen von ausschweifenden Formulierungen lassen die LeserInnen nur so durch das Buch fliegen. Leider baut sich trotzdem weder Spannung, noch ein richtiger Lesefluss auf. Auch zu den Charakteren entsteht keine Nähe, selbst Koredes Gedanken und Gefühle bleiben einem oft ein Rätsel, obwohl aus ihrer Perspektive berichtet wird. Generell hat es sich die Autorin meiner Meinung nach an vielen Stellen sehr einfach gemacht und der ganzen Geschichte fehlt es an Tiefe.
Das Buch wird als "feministisch" und "witzig" gelobt, für mich kam beides zu kurz.
Gut dargestellt finde ich hingegen die ambivalente und manipulative Beziehung der Protagonistinnen zueinander, sowie deren Abhängigkeitsverhältnis.

Insgesamt ist es also trotz des morbiden Themas eher eine seichte Geschichte, welche man ohne Längen gut in einem Rutsch durchlesen kann. Die Erwartungen sollten allerdings trotz der guten Kritiken nicht allzu hoch sein.

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Veröffentlicht am 23.08.2023

Können Albträume tödlich sein?

Schlaflos - Insomnia
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King führt uns mal wieder nach Derry: Diesmal geht es um den Witwer Ralph, der seit Monaten unter Schlaflosigkeit leidet und Dinge sieht, von denen er nicht weiß, ob sie Realität oder Einbildung sind. ...

King führt uns mal wieder nach Derry: Diesmal geht es um den Witwer Ralph, der seit Monaten unter Schlaflosigkeit leidet und Dinge sieht, von denen er nicht weiß, ob sie Realität oder Einbildung sind. Als Nachbarin Louis von den gleichen Problemen berichtet, merken sie, dass es hier um etwas viel Größeres geht und sie beide Auserwählte mit einer Mission sind.

Fangen wir mit dem Positiven an: Die ersten 500 Seiten waren toll. Sympathische Charaktere (selten hab ich ein fiktives Paar so sehr gemocht), Spannung, Grusel, es war alles dabei, was einen guten King eben ausmacht. Außerdem strotzt das Buch nur so vor Anspielungen auf andere Werke und ich hab sie alle geliebt.
Ich habe anfangs so mit Ralph mitgelitten, weiß ich doch als Mama von einem Kleinkind, wie sehr wochenlanger Schlafmangel an einem zehrt.
Leider konnten die folgenden 500 Seiten da nicht mithalten. Auf einmal wurde es extrem langatmig, ich musste mich regelrecht durch die Seiten kämpfen (und das, obwohl ich Kings Ausschweifungen sonst gerne mag). Die Handlung geht sehr ins Fantastische und es wird irgendwann einfach nur noch schräg. Auch der anfangs aufgebaute Horror ging für mich verloren. Es gab eine interessante Nebenhandlung rund um Abtreibungsbefürworter/ -gegner, die allerdings ins Leere lief und für die Geschichte doch nicht so wichtig war, wie gedacht.
Das Ende hat mich dann doch wieder positiv gestimmt, dies war wirklich gelungen.
Trotzdem eines der wenigen Bücher Kings, die ich nicht weiterempfehlen würde.

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