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Batyr

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.08.2024

Abgrund

Das Lied des Propheten
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Zwangsläufig, unaufhaltsam, verstörend die Entwicklung, die der Autor vor den Augen des atemlosen Lesers entfaltet: in Irland, uns vertraut in der Gegenwart als wirtschaftlich erfolgreicher Staat mit hoher ...

Zwangsläufig, unaufhaltsam, verstörend die Entwicklung, die der Autor vor den Augen des atemlosen Lesers entfaltet: in Irland, uns vertraut in der Gegenwart als wirtschaftlich erfolgreicher Staat mit hoher Lebensqualität, entwickelt sich zunächst schleichend, dann in rasantem Tempo in ein totalitäres politisches System, dessen Strudel eine vollkommen unspektakuläre Mittelschichtsfamilie erfasst, mitreißt und vernichtet.

Beklemmend, wie man sich bei der Lektüre vollkommen im Bewusstsein von Eilish wiederfindet, wissenschaftliche Angestellte, verheiratet mit einem Führer der Lehrer-Gewerkschaft, vier Kinder vom Kleinkindalter bis zum Halbwüchsigen. Jede Regung, ob im Drang nach Beschwichtigung, ob im Gefühl völliger Hilflosigkeit, ob abgestumpft oder vollkommen verzweifelt, wird in einem Sprachgestus dargestellt, der sich lose am Bewusstseinsstrom orientiert.

Immer bedrohlicher spitzen sich die Ereignisse zu, immer hilfloser die Menschen, die zum wehrlosen Objekt des Systems werden. Mit der Inhumanität der Verhältnisse korrespondiert eine expressionistisch angehauchte Sprache, die Natur, Lebensverhältnisse, psychische Befindlichkeit und ein vollkommen aus dem Ruder gelaufenes Staatswesen adäquat porträtiert.

‚Das Lied des Propheten‘ ist ein Roman, der den Leser ebenso verstört zurücklässt wie seine Protagonisten. Allein der letzte Satz vermag einen Hauch von zweifelhafter Hoffnung zu vermitteln, wenn Eilish zu ihrer Tochter sagt: „… aufs Meer, wir müssen aufs Meer, das Meer ist Leben.“

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Veröffentlicht am 19.08.2024

Sozialstudien in rüdem Ton

Die Perserinnen
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Die politischen Verhältnisse in der Iranischen Republik sind ein Dauerthema in der Nachrichtenwelt, doch dieser Roman richtet zum ersten Mal den Blick auf die Auswirkungen der islamischen Revolution auf ...

Die politischen Verhältnisse in der Iranischen Republik sind ein Dauerthema in der Nachrichtenwelt, doch dieser Roman richtet zum ersten Mal den Blick auf die Auswirkungen der islamischen Revolution auf die Menschen des persischen Volkes, demonstriert an fünf Frauen einer Familie, die man getrost der früheren Elite zurechnen darf.
Abschreckend jedoch die Porträts der einzelnen Figuren, die an Kaltherzigkeit, innerer Leere, Langeweile kaum zu überbieten sind, präsentiert in zeitweise recht rüder Sprache, ohne dass die Notwendigkeit dieses Idioms wirklich ersichtlich wird.
Was der Klappentext als großes Familiengeheimnis verkauft, ist eine verwandtschaftliche Konstellation, wie sie in jedem Groschenroman vorkommen könnte.
Die Protagonistinnen verteilen sich auf drei Generationen, zwei von ihnen sind in Persien zurückgeblieben, während die anderen, begünstigt durch den immensen Reichtum ihrer Familie, ihr Heil in der Flucht nach Amerika suchten. Es wäre für den Leser überaus reizvoll gewesen, detailliertere Informationen über die historischen Entwicklungen zu erhalten, dargestellt an den handelnden Figuren. Doch die Charaktere bleiben holzschnittartig, die Geschichte des Landes schemenhaft. Außer ihrem sagenhaften Vermögen und den Spielarten ihrer diversen Neurosen haben diese Frauen wenig zu bieten.
Insgesamt stellt die Lektüre dieses Romans leider eine ziemliche Enttäuschung dar.

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Veröffentlicht am 10.07.2024

Zeiten und Menschen

Astrids Vermächtnis
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Dies ist also der letzte Teil einer Trilogie, die den Leser mit den unterschiedlichsten Phasen der norwegischen Geschichte vertraut macht.

Im Zentrum dieses dritten Bandes steht nun die Zeit der deutschen ...

Dies ist also der letzte Teil einer Trilogie, die den Leser mit den unterschiedlichsten Phasen der norwegischen Geschichte vertraut macht.

Im Zentrum dieses dritten Bandes steht nun die Zeit der deutschen Okkupation Norwegens während des zweiten Weltkriegs. Der Leser erhält einen tiefen Einblick in die verschiedenen Strömungen der Politik. Was für das norwegische Publikum nach Auskunft des Nachworts ureigenstes Wissen darstellt, da bereits die Kinder im Schulunterricht mit den Details dieses Angriffs auf ihre nationale Identität vertraut gemacht werden, erlangen deutsche Leser neue und gänzlich unerwartete Kenntnisse. Das macht die Lektüre zu einem bedeutsamen Gewinn, wird doch bewiesen, dass Nationalsozialismus, Drittes Reich und 2. Weltkrieg bei weitem noch nicht auserzählt sind! Der heldenhafte Widerstand solcher Figuren wie der Pfarrer und die junge Astrid verkörpern überzeugend einen Patriotismus, der auch den Verlust des eigenen Lebens nicht scheut.

Daneben öffnet sich ein farbiges Panorama des norwegischen Volksglaubens, der Mythen und der Kunst. Es wird deutlich, dass es gerade dieser identitätsstiftende Schatz ist, der das einsame Land hoch im Norden für die Nazis so interessant macht, glauben sie doch, hierin eine tiefe Verbindung mit ihrer eigenen völkischen Ideologie zu finden. Diesen Hintergrund arbeitet der Roman überzeugend heraus, wenn allerdings auch gelegentlich diese Informationsvermittlung ein wenig in den Ton eines VHS-Vortrags verfällt.

Insofern ist der Prolog dieses Romans auch unverzichtbar, da durch den Rückgriff auf das frühe 17. Jahrhundert diese Verquickung von Christentum und heidnischem Glauben in den Ereignissen um die siamesischen Zwillingsschwestern augenfällig dargestellt wird. Die gelegentlichen Verweise auf das Geschehen im 19. Jahrhundert hingegen stellt für die Leser, die mit den beiden ersten Werken dieser Trilogie nicht vertraut sind, eine gewisse Herausforderung dar, die jedoch durch genaues Lesen und Kombinationsgabe durchaus zu bewältigen ist.

Ein wenig befremdlich allerdings wirkt das Bemühen des deutschen Übersetzers, in den Dialogen eine Art künstlich erzeugte altertümliche Sprache zu verwenden. Die eher süddeutschen Anklänge des beständig erscheinenden ‚mir‘ wirken vollkommen unangemessen, ohne dass eine andere Lösung dieses sprachlichen Problems auf der Hand läge.

Abschließend ist jedoch festzuhalten, dass es Lars Mytting gelingt, mit seiner farbigen und prägnanten Schilderung dieses historischen Panoramas beim Leser ein genuines Interesse an seiner Heimat zu wecken.

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Veröffentlicht am 16.06.2024

Genre-Mix

Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland
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Sarah Brooks führt ihre Leser recht gekonnt an der Nase herum! Angesichts des Covers und nach der Lektüre der ersten Seiten liegt der Schluss nahe, einen historischen Abenteuerroman a la Jules Verne vor ...

Sarah Brooks führt ihre Leser recht gekonnt an der Nase herum! Angesichts des Covers und nach der Lektüre der ersten Seiten liegt der Schluss nahe, einen historischen Abenteuerroman a la Jules Verne vor sich zu haben: die altmodische Diktion des Titels, der antiquierte Schauplatz eines Eisenbahnzuges, die geheimnisvollen Personen, die sich am Romananfang als Protagonisten präsentieren.

Doch bald schon glaubt der Leser, es mit dem Genre Fantasy zu tun zu haben, allzu phantastisch sind Szenerie und Ereignisse, die sich im Verlauf der Handlung entfalten.

Prägnant tritt plötzlich der wirtschaftspolitische Standpunkt der Autorin in den Vordergrund: Macht und Machenschaften der Kompanie animieren dazu, kapitalismus-kritisch Stellung zu beziehen. Auf der gleichen Schiene kommt ganz massiv ein ökologischer Aspekt zum Tragen, außergewöhnlich hier nur, dass das Ödland in der Lage ist, sich vehement gegen Ausbeutung und Zerstörung der Umwelt zur Wehr zu setzen.

Letztlich aber erweist sich der Roman als positiv gefärbte Utopie, da es zur Versöhnung der einander feindlich gegenüberstehenden Sphären kommt. In der Freundschaft zwischen den beiden Repräsentantinnen der konträren Lebenswelten scheint die Hoffnung auf eine Veränderung der Verhältnisse auf, die nach dem dramatischen show-down des Schlusses allzu unvermittelt und umfassend zum Tragen kommt.

Insgesamt lässt sich konstatieren, dass wir es mit dem ‚Handbuch‘ mit einem Werk zu tun haben, das wir allen Lesern ans Herz legen können, die in ihrem Lesegeschmack nicht auf eine bestimmte Kategorie fixiert sind, die bereit sind, den Wendungen und Finten der Handlungsführung willig zu folgen und einer unterhaltsamen Form einer engagierten Literatur Geschmack abgewinnen können.

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Veröffentlicht am 20.04.2024

Afrikanische Frauen

Issa
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In zunehmendem Maße steht die Aufarbeitung des Kolonialismus auf der politischen und gesellschaftlichen Agenda, da war es nur eine Frage der Zeit, bis auch die Literatur sich dieser Frage annimmt.

In ...

In zunehmendem Maße steht die Aufarbeitung des Kolonialismus auf der politischen und gesellschaftlichen Agenda, da war es nur eine Frage der Zeit, bis auch die Literatur sich dieser Frage annimmt.

In Mirrianne Mahns Debütroman ‚Issa‘ geschieht dies auf der Ebene der Bewältigung persönlicher Traumata. Die Frauen mehrerer Generationen werden in unterschiedlicher Weise von diesem historischen Erbe touchiert.

Am eindeutigsten, direktesten zeigt sich der Lebensweg von Enanga zu Anfang des 20. Jahrhunderts vom Kolonialismus determiniert. Indem die deutschen Herrenmenschen die einheimischen Frauen rücksichtslos sexuell ausbeuten, wird dem Erbgut der Nachkommen ein unauslöschlicher Stempel aufgedrückt.

Der zerrissene Charakter der Mutter der Titelheldin zeigt die Widersprüchlichkeit, die von diesem doppelten Erbe hervorgerufen wird. Einerseits verkörpert sie europäische Härte und materielles Erfolgsdenken, die sie bei ihren Besuchen in der Heimat nachdrücklich demonstriert, um ihre Souveränität gegenüber erlittenen Kränkungen unter Beweis zu stellen. Andererseits bricht sich das kulturelle Erbe Afrikas machtvoll Bahn, wenn sie ihre in Deutschland lebende schwangere Tochter zwingt, den Schutz heimischer Rituale anzustreben. Alle diese weiblichen Figuren erregen die Anteilnahme und das Interesse der deutschen Leserschaft.

Eine gewisse Distanz gegenüber der Titelfigur mag sich bei einigen Lesern regen, schlägt sie doch zunächst einen übermäßig flapsigen Tonfall an, wenn es um das ihr abverlangte Eintauchen in die archaische Kultur ihrer Vorfahren geht. Auch die penetrante Betitelung ihres deutschen Partners als Kindsvater stellt eine Herabsetzung dar, die von manchen Rezipienten womöglich übel vermerkt wird. Der modernistische Jargon des Textes auf der Rückseite mit der Kennzeichnung des Werks als ‚empowerndes‘ Debüt rückt das Buch in eine ‚woke‘ Ecke, was diesem eindringlichen, berührenden Roman nicht gerecht wird.

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