Das Buch „Briefe aus Taipeh“ des chinesischen Autors Fish Wu ist eine sogenannte Graphic Novel, also ein Roman oder eine Geschichte in Form von kommentierten Zeichnungen.
Dies erleichtert den Zugang zum ...
Das Buch „Briefe aus Taipeh“ des chinesischen Autors Fish Wu ist eine sogenannte Graphic Novel, also ein Roman oder eine Geschichte in Form von kommentierten Zeichnungen.
Dies erleichtert den Zugang zum asiatischen Kulturkreis und zur Erzählung enorm.
Das großformatige Buch im Format 30 x 21,5 cm mit einer wunderschön gestalteten kolorierten Zeichnung des Autors auf der Vorderseite und bringt über ein Kilo auf die Waage.
Die Geschichte wird auf 172 Seiten erzählt und ist mit einem Nachwort versehen. Das Buch ist aber doppelt so dick, da die Geschichte im chinesischen Original im gleichen Band eingebunden ist.
Fish Wu erzählt in knapp kommentierten Zeichnungen die Geschichte seiner Familie beginnend mit dem Schicksal des Urgroßvaters, eines Privatlehrers, der im Zuge der Landreform von den Kommunisten enteignet und geschlagen wurde. Seinem Bruder gelang die Flucht nach Taiwan.
Sehr nah und mitreißend wird das Schicksal der Familie, vor allem der Großeltern geschildert.
Die Großmutter kann ihm noch rechtzeitig alles schildern, bevor Alzheimer sich ihrer Erinnerungen bemächtigt.
Das Buch lebt vom zeichnerischen Talent und dem Einfühlungsvermögen von Fish Wu.
Neben den rein erzählenden Zeichnungen werden den Lesenden auch einige Doppelseiten zeichnerischer Illustration geschenkt.
Alle Zeichnungen sind in schwarz-weiß ausgeführt und bis auf das Cover nicht koloriert.
Ich gebe diesem Buch 5 Sterne, denn es ist sowohl eine großartige zeichnerische Leistung, als auch eine spannend und anschaulich erzählte Familiengeschichte mit vielen historischen Informationen aus dem Leben der einfachen Leute.
Ich kann mich kaum mehr erinnern, wann ich zuletzt ein neues Buch in Ganzleinen-Einband in Händen hielt. Das zeugt von hohem Qualitätsbewusstsein. Dass ich mich nicht ...
Das Möbel-Handbuch von Frida Ramstedt
Ich kann mich kaum mehr erinnern, wann ich zuletzt ein neues Buch in Ganzleinen-Einband in Händen hielt. Das zeugt von hohem Qualitätsbewusstsein. Dass ich mich nicht getäuscht habe erkenne ich bereits nach wenigen Seiten.
Aufgrund der Tiefe mit der die Autorin die Thematik Möbel und Einrichtung behandelt dachte ich zunächst dieses Buch richte sich primär an Möbelhersteller und -designer. Doch schnell wurde mir klar, daß dieses Buch nicht auch, sondern geradezu für Jedefrau und Jedermann ist. Wenn man sich ein Wochenende Zeit nimmt, um dieses Buch zu studieren ist dies vermutlich das beste Zeitinvestment, denn mit diesem Wissen wird man sich im Laufe des Lebens Fehlkäufe im fünf- bis sechsstelligen Eurobereich sparen. Ganz zu schweigen von den gesundheitlichen Problemen aufgrund ungeeigneter Möbel, die man sich mit diesem Wissen erst gar nicht einhandelt.
Das Buch beginnt mit der Thematik der Anthropometrie und Ergonomie, die sich aus der Erkenntnis ergibt, daß Maße und Beschaffenheit unseres Körpers primärer Maßstab für Möbeldesign sein müssen.
Nachdem wir so für das Wesentliche sensibilisiert wurden, werden in einzelnen Kapiteln nacheinander systematisch die Sitzmöbel, die Tische, der Stauraum und die Betten in all ihren Aspekten anwendungsbezogen behandelt.
Danach folgt eine ausführliche Materialkunde: Holz, Stein, Verbundstoffe, Leder, Textilien, Metalle und Glas werden sehr tiefgehend in all ihren Arten und Aspekten, Eigenschaften und Verwendbarkeiten und Verwendungen im Möbelbereich beleuchtet.
Eine Zeitleiste beschreibt über mehrere Seiten hinweg den schwedischen Weg und die Entwicklung der Möbel „Von der Armut zur Ästhetik“.
Ein weitere Abschnitt ist vor allem für die planende Raumgestaltung wertvoll:
Themen wie Öffnungsradien, Durchgangsmaße, Bewegungsraum, Möblierbarkeit, Das Näheprinzip, Das ABL-Prinzip, räumliche Organisation, Axialität, Umhülltheit, Lichteinfall und Schatten lassen schon erahnen, was beim Einrichten alles zu beachten ist, daß wir uns in Räumen wohlfüllen und jeder dieser Aspekte wird praxisbezogen und für jeden verständlich erklärt.
Eine dreiseitige Erläuterung der Gütezeichen in der Möbelindustrie leistet hilfreiche Dienste.
Garniert sind alle Kapitel zudem mit guten Tipps und Tricks.
Dieses Buch könnte das moderne Standard- und Nachschlagewerk in Sachen Möbel und Einrichtung werden.
Dieses Buch erhält von mir selbstverständlich 5 von 5 möglichen Sternen.
Zur Autorin (Stand 2024): Frida Ramstedt, 1979 geb., ist eine schwedische, mehrfach ausgezeichnete Innendesignerin (u.a. the Elle Decoration Award für “Best Interior Design Blog”). Sie schreibt Skandinaviens größten Innendesign-Blog "Trendenser.se", den weltweit über 200.000 Follower pro Monat besuchen. Mit 200.000 Followern auf Instagram und über 3 Millionen Klicks pro Monat auf Pinterest gehört Frida zu den populärsten Innendesign-Influencern national wie international: Von Skandinavien über die USA bis nach Südamerika. Deutschland gehört zu den Top 5 Ländern, die Frida auf Pinterest and Facebook folgen.
Bei der „Mitte des Lebens“ geht Barbara Bleisch von einem Zeitraum aus, der sich vom Ende der 30er bis Anfang der 60er Lebensjahre erstreckt, also grob genommen die 40er und 50er Lebensjahre.
Die Autorin ...
Bei der „Mitte des Lebens“ geht Barbara Bleisch von einem Zeitraum aus, der sich vom Ende der 30er bis Anfang der 60er Lebensjahre erstreckt, also grob genommen die 40er und 50er Lebensjahre.
Die Autorin ist Jahrgang 1973 und mit Ihren bei Erscheinen des Buches 50 Lebensjahren so ziemlich genau in der von ihr definierten Mitte des Lebens. Sie wählt für das Leben die schöne Metapher einer Landschaft, durch die man seinen Lebensweg reist, mit all ihren Lieblichkeiten und Gefahren. Nach mehr oder weniger mühsamem Aufstieg stellt die Mitte des Lebens für sie ein Hochplateau dar, von dem aus man zurück und nach vorne blicken kann.
Ich nehme es gleich vorweg, die Mitte des Lebens kann, mit der richtigen Einstellung, eine Zeit der Fülle sein, wenn wir nicht der Versuchung nachgeben, in Anbetracht der entschwundenen Jugend, der „unwiederbringlich abgefahrenen Züge“ unseres Lebens und der Begrenztheit der uns noch verbliebenen Jahre, sowie der beginnenden Unzulänglichkeiten unseres Körpers in Jammern oder Resignation zu verfallen.
Erst in der Mitte des Lebens verfügen wir über „genügend Material des eigenen bereits gelebten Lebens“ um daraus etwas gestalten zu können und verfügen in der Regel über genug Lebenserfahrung, um den Erscheinungsformen des Lebens den ihnen gebührenden Stellenwert zu geben.
Barbara Bleisch ist Philosophin und so ist dieses Buch nicht nur Jedem und Jeder hilfreich , wenn irgendwann die Frage auftaucht „Soll das nun Alles gewesen sein?“, sondern es ist gleichzeitig ein hochphilosophisches Buch, das alle wichtigen Aspekte unseres Lebensweges betrachtet.
Dies macht Barbara Bleisch mit derartigem Einfühlungsvermögen und solcher Achtsamkeit, daß ihre sorgfältige Wortwahl und ihre Formulierungen nicht nur äußerst klug, sondern auch ein wahrer Lesegenuss sind.
Sinnkrisen in der Lebensmitte betreffen sicher nicht alle Schichten der Bevölkerung in gleicher Weise. Der Malocher oder die alleinerziehende Mutter oder Mutter ohne Ausbildung haben ihre Träume meist schon vor Jahrzehnten aufgegeben und sehnen sich nur noch nach dem Zeitpunkt, wo die Schinderei endlich ein Ende hat. Auch die Teile der derzeitigen Jugend für die an oberster Stelle der Ausbildungsberufe eine Ausbildung als Verwaltungsfachangestellte/r oder Bürokaufmann/frau steht und die verständlicher Weise in unruhigen Zeiten, ihren Fokus weniger auf Selbstverwirklichung, als auf Lebenssicherheit auszurichten scheinen, werden vermutlich von den Sinnkrisen der Lebensmitte eher verschont bleiben.
Doch nicht nur Menschen denen Prestige und berufliche und soziale Anerkennung und Aufstieg besonders wichtig sind, sondern auch andere Menschen mit Ambitionen, die aus ihrem Leben etwas machen wollen, die versuchen Träume zu verwirklichen und sich Ziele setzen, werden von der Sinnkrise in der Lebensmitte umso härter getroffen und da ist unbedingt Hilfe nötig. Vor allem, wenn sie zu denen gehören, die es „geschafft“ haben. Die anderen werden meist noch vom anhaltenden Lebenskampf von derartigen Gedanken abgehalten.
Obschon die Autorin betont, daß ihr Buch eben gerade kein Ratgeber sein soll, so ist es dennoch einer in dieser schwierigen Lebensphase, da es den Lesenden hilft, sich der Dinge bewußt zu werden und diese einzuordnen.
Wie nebenbei beschenkt uns die Autorin laufend mit großartigen Metaphern wie dem „zähen Morast des Alltags“ oder dem „braungrauen Gefühl einer existenziellen Einöde“ das uns in der Lebensmitte heimsuchen kann und Zitaten wie „.. das Strickstück des Lebens auftrennen, um aus dem Faden etwas Neues zu machen“.
Dies ist nicht einer der unzähligen Lebensratgeber, der sich beim Lesen so gut anfühlt, aber schnell verpufft ohne uns weitergebracht zu haben. Nein, dieses Buch ist nicht „leicht und bekömmlich“. Es ist anspruchsvolle Kost, ein Konzentrat, das erst durch eigene Reflexion verdünnt werden muß, um bekömmlich zu sein.
Doch da ist noch etwas, das dazu führte, daß ich das Buch nur Stück für Stück lesen konnte, nämlich die Grundstimmung des Buches. Es ist eine gewisse Melancholie, eine sanfte Traurigkeit, die mir einmal mehr zeigt, wie unmöglich es für Autoren ist, ihr Werk beim Schreiben von ihren eigenen Bedingtheiten und ihrem Wesen unberührt sein zu lassen. Doch das soll niemanden davon abhalten, dieses Buch zu lesen, denn es wird auf jeden Fall eine Bereicherung sein.
Wenn uns die Sinnkrise in der Mitte des Lebens befällt, dann stellen wir uns die Frage „Weitermachen wie bisher oder Partner, Beruf oder Wohnort wechseln ?“ Ein solcher Wechsel wäre mit ziemlicher Sicherheit mit seelischen Schmerzen für die Beteiligten, mit finanziellen Belastungen und Risiken und vor allem mit viel viel Mühe verbunden.
Eine einfachere Möglichkeit wäre, die eigene Einstellung zu den Dingen zu ändern, einen anderen Blickwinkel einzunehmen, die Wertmaßstäbe zu überdenken. Und sich bewußt zu machen, daß der Mensch, gerade der ambitionierte Mensch, das Ergebnis einer Zigtausend Jahre dauernden Evolution ist, im Laufe derer nur die Unzufriedensten überlebt und ihre Gene weitergegeben haben und somit die inhärente Unzufriedenheit ein Wesensmerkmal des modernen Menschen und gerade der Erfolgreichen und Ambitionierten ist.
Ich kenne eine erfolgreiche Zahnärztin, die in der Mitte des Lebens mit ihrer glänzend laufenden Praxis keine Erfüllung mehr fand, diese aufgab um ihrem „eigentlichen Interesse“ folgend eine mehrjährige Ausbildung zur Psychotherapeutin an einem der renommiertesten und teuersten Institute zu absolvieren. Als Psychotherapeutin konnte sie danach nie Fuß fassen und mußte mit Nachtwachen Geld verdienen, um über die Runden zu kommen.
Veränderungen in der Mitte des Lebens sollten also wohl überlegt sein und man sollte in sich gehen, bevor man seine Altersvorsorge riskiert. Vor allem sollten die Überlegungen frei von jedem Prestigedenken und Geltungsdrang sein und sich nur auf die vermutete innere Bestimmung konzentrieren.
Ein Beispiel hierfür ist der renommierte Zürcher Herzchirurg Dr. Markus Studer, der mit 57 Jahren seine medizinische Tätigkeit aufgab und einen Kindheitstraum zu seinem neuen Beruf machte. Als selbständiger Spediteur mit einem eigenen LKW bereiste er mit einer schönen Altersabsicherung und Rente im Hintergrund, also ohne Existenz- und Zeitdruck ganz Europa. Ob wir zufrieden sind oder nicht hängt also nicht nur mit dem Beruf zusammen, den wir ausüben, sondern vor allem auch damit, wie wir ihn ausüben.
Das 241 Seiten umfassende Hauptwerk ihres Buches ergänzt die Autorin durch einen 27 seitigen Anhang mit Quellenangaben und interessanten Anmerkungen und Barbara Bleisch hat es in folgende Kapitel unterteilt:
1 In der Lebensmitte
2 Ende in Sicht
3 Reue, Bedauern und Ambivalenz
4 In den besten Jahren
5 Alles erreicht
6 War es das schon ?
7 Inmitten des Lebens
Diese Kapitelüberschriften geben schon Hinweis auf die wichtigsten Themen und Fragen die sich in der „Mitte des Lebens“ stellen und die im Buch beleuchtet werden.
Dieses Buch ist gehalt- und wertvoll. Es ist auch Lesenden zu empfehlen, die sich aufgrund ihres Alters noch nicht für die „Mitte des Lebens“ interessieren oder diejenigen, die sich schon jenseits der „Mitte des Lebens“ befinden. Es sollte ein lebenslanger Begleiter sein, den man immer wieder zur Hand nimmt um die eigene Positionierung zu überprüfen.
Ich schreibe mir beim Lesen immer die merkenswerten Sätze auf. Erstaunlicherweise wirft auch das dümmste und nichtssagendste Druckwerk meist 2-3 dieser Sätze ab. Bei guten Romanen sind es, wenn man Glück hat, 10-20 und bei Jahrhundertwerken wie dem Zauberberg und manch philosophischen Büchern oft weit mehr. Würde ich mich der aus Bibliophilen-Sicht grausamen Unsitte des Anstreichens mit dem Leuchtstift bedienen, so könnte ich mir beim Buch „Mitte des Lebens“ sehr viel Mühe sparen, wenn ich das Buch in einen Eimer der leuchtend grünen Tinte tauchen würde.
Mein ganz persönlicher Aha-Satz in diesem Buch ist folgendes Zitat:
„ Lebendig sein ist wichtig. Alles andere ist Zeitverschwendung“
Das Buch erhält von mir 5 Sterne (ich hätte auch mehr vergeben, wenn dies möglich wäre) und ist meine absolute Leseempfehlung. Für mich das bisherige literarische Highlight im Jahre 2024.
Ich hoffe, daß Barbara Bleisch uns künftig noch mit weiteren derart klugen und feinsinnigen Büchern beschenkt.
In seinem zweiten Roman beschreibt der gebürtige Iraner Behzad Karim Khani, der mit seinen Eltern im Alter von zehn Jahren aus dem Iran nach Deutschland ...
"Als wir Schwäne waren" von Behzad Karim Khani
In seinem zweiten Roman beschreibt der gebürtige Iraner Behzad Karim Khani, der mit seinen Eltern im Alter von zehn Jahren aus dem Iran nach Deutschland fliehen mußte, sein Aufwachsen in einem von Gewalt geprägten Problemviertel im Ruhrgebiet.
Dieses vergleicht er mit einem sich selbst überlassenen Aquarium aus dem es nur die Wenigsten heraus schaffen. Obwohl er dieses Aquarium der Gewalt, Lieblosigkeit und Hoffnungslosigkeit verlassen will, möchte er auch nicht Teil der Welt außerhalb des Aquariums sein, da er sich auch der Sphäre der „normalen“ deutschen Gesellschaft nicht zugehörig fühlt.
Und so möchte sich Reza, sein Alter Ego im Roman, in der Trennscheibe dieser beiden Welten einrichten und diese soll so dick wie möglich sein.
Genau genommen ist dieses Buch eine chronologische Aneinanderreihung von kleinen, oft nur wenige Seiten umfassenden Essays die schlaglichtartig das Leben von Reza und seine kriminelle Entwicklung beleuchten, bis er es mit zwanzig Jahren schafft, sich diesem Leben zu entwinden und nach drei Jahren harter Arbeit, seine neue Heimat in Berlin findet.
Die knappen Kapitel machen das Lesen kurzweilig und abwechslungsreich, wenngleich auch bisweilen tagebuchartig. Doch zeigt es mir, daß der Autor ein Gunstvoller ist, denn er schenkt uns Lesenden Beobachtungen, Erkenntnisse und Weisheiten in konzentrierter Form, manch anderer Autor hätte diesen Stoff auf 500 Seiten aufgebläht.
Wie mit einer Armbrust aus kurzer Distanz abgefeuerte Pfeile schlagen hier manche Worte und Sätze beim Leser ein. Als wolle uns der Autor mit Gewalt aus dem Sessel kippen, in dem wir es uns nur allzu bequem gemacht haben. So lesen wir teilweise mit offenem Mund voller Entsetzen ob der Gefühls- und Lieblosigkeit, ob der Gewalt einer Parallelgesellschaft. Und dennoch kann ich manche Zwangsläufigkeit wie, daß z.B. der Mangel an Markenklamotten und -schuhen direkt in die Prostitution führt, nicht als Automatismus anerkennen. Den Großteil der Gewalt, die in diesem Viertel quasi als Lebenseinstellung zelebriert wird, haben die dort Lebenden durch das Erlebte mitgebracht, sie ist nur teilweise auf das Verhalten der Gesellschaft außerhalb des Aquariums zurückzuführen.
Als Leser komme ich mir fast vor wie ein Boxer. Manche Sätze sind wie ein Schlag gegen die Brust, der mir den Atem nimmt, in den Magen und mich fast zusammenbrechen läßt oder voll auf die Zwölf.
Doch nicht alle Schläge treffen, manche Metaphern, Vergleiche, Wortschöpfungen sind nur angetäuscht, begeistern beim erstmaligen lesen, aber verpuffen, laufen ins Leere und sind bei näherer Betrachtung nicht zu Ende gedacht.
Doch schon lange habe ich mir nicht mehr so viele großartige Sätze, Wortschöpfungen und Metaphern aus einem Buch aufgeschrieben, um ihrer nicht verlustig zu gehen.
Die Eltern haben studiert, doch wird nur das Abitur der Mutter in Deutschland anerkannt und der Vater, Soziologe, muß den Lebensunterhalt nachts mit Taxifahren und tagsüber als Kioskverkäufer verdienen, kreist in sich selbst in der Beschäftigung mit gesellschaftlichen Fragen wie dem Nationalsozialismus. Doch ein Dialog zwischen Vater und Sohn findet nicht statt.
Seltsam fremd untereinander kommt mir die Familie vor. Was sie im Heimatland erlebt haben, und woher die Gewaltbereitschaft des Sohnes kommt, bleibt im Dunkeln. Vieles bleibt im Dunkeln.
Doch auch Reza treibt die Frage um, in welchem Land er denn da nun gelandet ist und da möchte ich einen Satz zitieren, den er über Deutschland schreibt:
„Dieses Monster, das mal alles um sich herum zu töten versucht hat und jetzt in der Ecke sitzt und sich ritzt in der verlogenen, giftigen Hoffnung, dass ihn die anderen wieder zu sich rufen“
und noch einen Satz, der zeigt, wie er sich in diesem Land fühlt und sieht:
„ Wir sind Stacheln im Fleisch. Eindringlinge. Wo immer wir sind bildet der Körper Eiter um uns. Wir stecken im Körper und berühren ihn doch nicht „
Trotz seiner nur 192 Seiten ist dieses Buch wesentlich gehaltvoller als viele 600 Seiten umfassenden Romane, es wirkt stellenweise wie ein Konzentrat.
Dieser Roman ist ein ganz außergewöhnliches Stück Literatur und ich würde am liebsten 5 Sterne vergeben. Doch da kommt bei mir der Pädagoge durch, der nicht will, daß sich dieser großartige Autor auf fünf Sternen ausruht und der ihm zuruft „Du kannst noch viel, viel mehr. Du hast uns hier viel, aber nur einen Teil deines literarischen Talentes offenbart ! In Dir schlummert ein literarischer Vulkan auf dessen Ausbruch wir einen Anspruch haben !“
Der Roman „Aus dem Haus“ ist wie ein zielsicherer Schuss aus 1000 Meter Entfernung genau ins Schwarze. Und dieses Schwarze kann man nur als „Das Deutsche“ ...
Von klugscheisser
Aus dem Haus von Miriam Böttger
Der Roman „Aus dem Haus“ ist wie ein zielsicherer Schuss aus 1000 Meter Entfernung genau ins Schwarze. Und dieses Schwarze kann man nur als „Das Deutsche“ bezeichnen.
Mit kluger Ironie und einem gehörigen Schuß Sarkasmus beschreibt die ZDF-Journalistin Miriam Böttger in ihrem Debütroman ihre Eltern und analysiert und zerlegt dabei auch noch gleich die restliche Familie.
Dreh- und Angelpunkt ist das HAUS oder das Scheißhaus, wie es von der Familie bezeichnet wird. Dieses scheint ein Eigenleben zu führen und ist Sinnbild für das gefühlte Unglück der Familie.
Doch nicht das HAUS ist das eigentliche Problem, sondern dessen Bewohner, also die Eltern der Autorin, die mit ihrem urdeutschen Hang zur Morbidität und zum Jammern ihr objektiv im Wohlstand verbrachtes Leben schwarzreden und sich einem vermeintlichen Schicksal ergeben, dessen Ursache ausschließlich sie selbst sind.
Genuß, Freude, Liebe, wunderbar, herrlich, schön, gerne, ja, hell, friedlich, Danke, Segen, all das sind Wörter, die im Wortschatz dieser Familie nicht vorkommen. Deren jeweiliges Gegenteil jedoch in mannigfaltiger Ausprägung.
Doch kaum ist das Verhaßte verloren oder preisgegeben, wird es über den grünen Klee gelobt und schmerzlich vermißt und nun ob dieses Verlustes gejammert. In der Gegenwart aber hat sich alles immer gegen einen verschworen und man ist permanent unglücklich und den Gezeiten des Lebens hilflos ausgeliefert. Mit „Man hätte eben … „ beginnt jeder zweite Satz der Eltern.
Ich habe mich in meinen verschiedenen Lebensphasen sowohl in der Tochter, als auch teilweise in den Eltern wiedererkannt und denke, daß es vielen Lesern so gehen wird.
Mit langen Sätzen, die sich teilweise über eine halbe Seite erstrecken, hat mir die Autorin ein besonderes Lesevergnügen geschenkt, denn ich liebe derartige literarische Satz-Konstrukte. Vor allem, wenn diese so stilsichere und kluge Wort- und Satzschöpfungen sind, wie in diesem Buch. Diese hier sind der reine Genuß, wie eine wunderbare Melodie in Variationen.
Schade, daß es nur 220 Seiten hat, ich hätte noch ewig weiterlesen können. Beim Lesen so herzhaft gelacht habe ich schon lange nicht mehr. Ihr Sinn für Ironie und Sarkasmus ist einfach großartig und der Kontrast zwischen dem Thema und dem frischen Schwung mit dem sie schreibt äußerst reizvoll.
Ich habe dieses Buch mit einem lachenden und einem weinenden Auge gelesen, also mit der einzigen Haltung die uns eigentlich gegenüber dem Leben bleibt. Diesem lächerlichen Trauerspiel der menschlichen Existenz mit einiger Distanz die lustige Seite abzugewinnen, lehrt uns dieses Buch auf äußerst amüsante Weise. Und ich denke, auch Loriot würde dieses Buch lieben.
Ich hoffe, daß nun bald weitere Werke von Miriam Böttger erscheinen, fast wünsche ich mir, daß sie Ihren Job beim ZDF an den Nagel hängt.
Dieses großartige Debüt erhält von mir satte Fünf von Fünf Sternen. Es ist meine ausgesprochene Kaufempfehlung. Es ist auch ein ideales Geschenkbuch.