Clay, Lizanne und Hilmore sind zurück – und jede Menge Drachen. Teil zwei der Draconis Memoria, der Erinnerungen des Drachen, sind erschienen und setzen die Geschichte fort, die mit einer spektakulären Drachenrevolte auf dem Kontinent Arradsia begonnen hatte. Zur Vorgeschichte knapp gesagt: Die Welt teilt sich auf in zwei unsympathische Reiche, nämlich das Corvantinische Kaiserreich, das eine faschistoid-feudale Überwachungsdiktatur ist, und Mandinorien, das vom menschenverachtenden Turbokapitalismus der Syndikate regiert wird. Alles in allem also hat die Welt die Wahl zwischen Pest oder Cholera, zumal beide Reiche im Krieg miteinander liegen.
Der Krieg dreht sich - wie alle Kriege - vor allem um Rohstoffe, und der wertvollste Rohstoff ist: Drachenblut. Mit Drachenblut können auserwählte "Blutgesegnete" magische Effekte vollbringen, mit der die Steampunktechnik der Welt noch verbessert werden kann. Schnelle Stahlkampfschiffe beispielsweise können als "Blutbrenner" noch ein paar Kohlen … äh ... Drachenblut drauflegen, wenn sie einen Blutgesegneten an Bord haben, der das Blut auch umwandeln kann. Die Farbe der Drachen ist hierbei auch noch von Bedeutung. Am bedeutsamsten aber ist, dass plötzlich ein weißer Drache aufgetaucht ist, der eine Rebellion der Drachen anzuführen scheint. Die ausgebeutete Natur (= ausgeblutete Drachen) steht gegen die profitgierigen Umweltzerstörer auf. Clay, Lizanne und Hilmore, die Point-of-View-Charaktere des ersten Bandes, haben die blutige Hetzjagd des ersten Bandes gerade so bis zur letzten Seite überlebt.
Da hiervon im zweiten Band nichts erklärt wird, ist es wirklich sehr zu empfehlen, Band 1 vorher zu lesen. Selbst wenn man ihn kennt, verwirren die vielen Namen, Orte und Zusammenhänge, wenn die Lektüre zu weit zurückliegt (wie etwa bei mir). Es gibt keine Wiederholungen zum Wiederreinkommen, keine kleinen Erklärungen zum Gedächtnisauffrischen, nichts, was sonst in Folgebänden gerne mal nervt, mir hier aber echt gefehlt hat. Deshalb mein zweiter Tipp: Alle Bände direkt hintereinander am Stück lesen. So sind sie gedacht und geschrieben, so sollten sie auch gelesen werden.
Und wie ist Band 2 so?
Wie zweite Teile häufig sind: Die Handlung flacht ab, beschleunigt sich dabei aber; es gibt ein paar Wendungen, auch wenn sie hier nicht überraschen; ein paar alte Geheimnisse werden aufgedeckt. Und ansonsten strebt alles mit großer Rasanz dem dritten Band, der Handlungskrise und dem Finale zu.
Wer Anthony Ryan kennt, fürchtet, dass er alles, was er zu Anfang minutiös aufgebaut hat, am Ende der Story zugunsten eines Blockbustertempos mit tonnenweise Drachenblut wieder kaputtmachen wird. Ich kann niemandem diese Furcht nehmen, denn mich hat sie auch befallen: Wie vorherzusehen, bringt der Weiße Drache seine Kohorten an Drachen und „Verderbten“ in Stellung, um seinen Krieg über die Grenzen des unwirtlichen Drachenkontinentes hinaus auf die anderen Kontinente zu tragen.
Die vier Helden der Geschichte – mit Sirus ist noch ein Point-of-View-Charakter im Heer der Verderbten hinzugekommen – müssen also in Band 3 wahrscheinlich nichts weniger als die Welt retten. Von dieser bleibt schon in Band 2 nur die Hälfte stehen, denn das Kaiserreich versinkt im Chaos, woran unsere Meisterspionin Lizanne nicht ganz unschuldig ist. Sie ist in die tödliche Umgebung der Gefängnisstadt Scorazin gestiegen, um dort nach dem Tüftler zu suchen. Nach dem, der alle Geheimnisse kennt. Wie man hofft. Derweil haben der blutgesegnete Dieb Clay und der Seeoffizier Hilmore zueinander gefunden und begeben sich in die nicht minder tödliche Umgebung der polaren Eiswüste, um dort ebenfalls nach der Lösung der Geheimnisse zu forschen.
Ryan schreibt schnell, flüssig und gut. Das „Heer des Weißen Drachen“ liest sich trotz einiger Längen mit großer Spannung. Trotzdem wage ich noch keinen Jubel, solange ich nicht das Ende kenne. Die Ryan'sche Trilogie „Das Lied des Blutes“ verklang erbärmlich, und die Anzeichen bei den Drachen geben noch keine Entwarnung, dass nicht doch alles in einem monströsen Blutbad endet …
3,5 von 5 scharfen Drachenzähnen