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Veröffentlicht am 18.01.2019

Der doppelte Wallander

Vor dem Frost
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Henning Mankell deutet in „Vor dem Forst“ den Generationenwechsel an: Linda Wallander steht kurz davor, in den Polizeidienst einzutreten und ihrem Vater nachzufolgen. Doch noch ehe sie den Dienst antritt, ...

Henning Mankell deutet in „Vor dem Forst“ den Generationenwechsel an: Linda Wallander steht kurz davor, in den Polizeidienst einzutreten und ihrem Vater nachzufolgen. Doch noch ehe sie den Dienst antritt, beginnen Linda und Kurt Wallander gemeinsam, getrennt, mit- und gegeneinander am neuesten Fall zu ermitteln. Dass die grausamen Tötungen von Tieren, die Schändungen von Kirchen und das seltsame Verhalten und Verschwinden von Lindas Freundin Anna zusammenhängen, ahnt der Leser sofort. Aber wie die beiden Wallander dem leicht konstruierten Plot auf die Spur kommen, ist toll erzählt. Linda macht mit Neugier und Unerschrockenheit (fast) wett, was Kurt mit Berufserfahrung und Instinkt gelingt.

Die Folie der Handlung bildet religiöser Fanatismus. Schon im Prolog werden die Leser in den Massenmord einer extremistischen Christensekte geworfen. Und Fanatismus zieht sich durch den ganzen Roman. Menschenleben – und erst recht das Leben von Tieren – gilt diesen Verblendeten nichts im Angesicht der eingebildeten Größe ihres „gottgegebenen Auftrags“.

Mankell hat eindrückliche Einfälle: Annas Mutter komponiert aus Lachern und Seufzern Musikstücke. In Flammen gesetzte Schwäne gehen brennend über einem schwedischen See nieder. Ein so qualvolles wie kräftiges Bild.

Dass es Längen gibt, stört nicht übermäßig, und auch die Vorhersehbarkeit des Endes ist nur ein kleiner Abstrich für die Bewertung dieses gelungenen Wallanders!

Veröffentlicht am 19.10.2018

Mehr, als ich lesen wollte

Die Katze und der General
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Das kennt jeder: Man sitzt im Zug, möchte in Ruhe lesen, aber das Gegenüber verwickelt einen in ein Gespräch und erzählt einem die ganze Lebensgeschichte. Ungefragt. Kaum ist der Störenfried ausgestiegen, ...

Das kennt jeder: Man sitzt im Zug, möchte in Ruhe lesen, aber das Gegenüber verwickelt einen in ein Gespräch und erzählt einem die ganze Lebensgeschichte. Ungefragt. Kaum ist der Störenfried ausgestiegen, kommt der nächste und drängt einem erneut seine Lebensgeschichte auf. Es gibt Tage, da ist das in Ordnung; es gibt aber auch welche, da möchte ich am liebsten unhöflich sein: "Interessiert mich nicht."

Mit Hartischwilis Roman ging es mir genauso. Ich mochte die Geschichte, weil sie sich nach einem Racheplot anhörte, der ausgefallen wirkte, zudem vor dem Tschetschenienkrieg, also einem brisanten Thema einschließlich kaukasischem Völkergemisch. Und dann drängt uns die Autorin ständig die Lebensgeschichten ihrer Nebenfiguren auf, verliert sich in der Verzweigungen der Vergangenheit und verlässt immer wieder ihren eigenen Erzählfluss.

Schade. Meines Erachtens nicht preiswürdig.

Veröffentlicht am 19.10.2018

Joe Bucks Irrfahrt nach der Liebe

Midnight Cowboy
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James Leo Herlihy veröffentlichte „Midnight Cowboy“ 1965 und erzählt die Odyssee des jungen texanischen Titelhelden Joe Buck von Albuquerque nach New York, wo er hofft, mit reichen Damen gegen Geld ins ...

James Leo Herlihy veröffentlichte „Midnight Cowboy“ 1965 und erzählt die Odyssee des jungen texanischen Titelhelden Joe Buck von Albuquerque nach New York, wo er hofft, mit reichen Damen gegen Geld ins Bett steigen und sich seinen Unterhalt als Gigolo verdienen zu können. Joe Buck wuchs ziellos und inhaltsleer bei seiner Großmutter Sally auf, deren schnell wechselnde Liaisons mit unterschiedlichen Beaus ein genauso desolates Bild von menschlichen Bindungen vermittelten wie der Lebenswandel der Mutter, die wahrscheinlich mit anderen Prostituierten in einer WG wohnte, in der Joe einen anderen Teil seines Blicks auf zwischenmenschliche Beziehungen erwarb. Das „erste Mal“ erlebte Joe Buck mit einer gleichaltrigen Hobby-Hure – ebenfalls fernab zarter Romantik.

In den Fängen des manipulativen Jerry, der mit dem hübschen Cowboy offensichtlich auf die Matratze widerfährt Joe ein gewalttätiges Trauma, nach der ihm Sex gleichgültig ist. Traumatisiert, ahnungs- und bindungslos, in gewisser Hinsicht unschuldig und verletzt strandet Joe in New York und gesellt sich schließlich dem verkrüppelten Ratso Rizzo zur Seite. Beide trudeln an den Grund der Gesellschaft, einander Halt bietend im gemeinsamen Sturz. Das Segnung versprechende Florida wird beiden ein sehnlichstes Ziel.

Herlihys Roman wurde von Daniel Schreiber neu (und gut!) übersetzt und mit einem klugen Nachwort versehen, das den Kontext der nicht ausgelebten Homosexualität des Autors und der Situation Homosexueller in den 1960er Jahren nachliefert. Doch auch ohne das Randgefühl ausgegrenzter Sexualität völlig zu verstehen, ist „Midnight Cowboy“ ein eindringlicher Entwicklungsroman eines einzigartigen Titelhelden, an dem sein gesunder Optimismus zu bewundern ist, der in durch die Einsamkeit und seine Suche nach Liebe führt.

Einsamkeit und Sehnsucht nach Liebe sind anthropologische Konstanten, weshalb Herlihys Roman auch in über 50 Jahren nicht an Farbe verloren hat.

Veröffentlicht am 19.10.2018

Der Gott der Barbaren ist der Gott des Krieges

Gott der Barbaren
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„Gott der Barbaren“ von Stefan Thome wurde im letzten Literarischen Quartett von der Frankfurter Buchmesse besprochen und als schwieriger Text und anspruchsvolle Lektüre vorgestellt. Das hat mich ehrlich ...

„Gott der Barbaren“ von Stefan Thome wurde im letzten Literarischen Quartett von der Frankfurter Buchmesse besprochen und als schwieriger Text und anspruchsvolle Lektüre vorgestellt. Das hat mich ehrlich gewundert, denn ich fand die Lektüre dieses dicken Wälzers ausgesprochen unterhaltsam, geradezu schmökerhaft.

Natürlich steckt viel Anspruch drin: mehr als 700 Seiten, zig chinesische Namen mit X und Y, fingierte historische Quellen zwischen den Kapiteln und nicht zuletzt das Thema, nämlich ein religiös motivierter Bürgerkrieg in China an der Schwelle zur Moderne und der „Clash of Zivilisations“ zwischen dem chinesischen Kaiserreich und den europäischen Mächten unter der Führung des Britischen Königreichs.

Das ist schon ein Berg, aber diesen zu erklimmen war für mich genauso anstrengend und gleichzeitig vergnüglich wie die abenteuerliche Besteigung eines Voralpengipfels: Macht man nicht alle Tage, ist auch schweißtreibend, aber bringt einen nicht an die Grenze zur Überforderung.

Was die Namen betrifft: Die Namensvielfalt schwindet nach den ersten Kapiteln rasch dahin, weil eta die Hälfte der Personen aus dem Namensregister bis dahin das Zeitliche segnet.

Gefallen hat mir der dreifache Blickwinkel: Einmal erlebt der Leser das Geschehen aus der Sicht des britischen Campagnenführers Lord Elgin, zum zweiten aus dem Blickwinkel des kaiserlich-chinesischen Heerführers Zeng Guofan und zum dritten in Gestalt des geflüchteten deutschen Ex-Revolutionärs Philipp Johann Neukamp, der als Missionar kläglich scheitert.

Dass die Kritik den Roman als so überladen, überfrachtet, überambitioniert und dergleichen findet, liegt meines Erachtens darin, dass die Kritiker dem Text mehr Fracht aufladen wollen, als die Geschichte selbst tragen will. Stefan Thome ist Sinologe und erzählt bildreich von einem der schlimmsten Bürgerkriege, den die Welt je gesehen hat, auch um davor zu warnen, wie schnell der Gott des Krieges alle zu Barbaren werden lässt.

Mehr als dies – und dass mir die Lektüre sehr gefallen hat, braucht es nicht für meine 4,5 Sterne.

Veröffentlicht am 26.09.2018

Hurtig in den Drachenrachen

Das Heer des Weißen Drachen
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Clay, Lizanne und Hilmore sind zurück – und jede Menge Drachen. Teil zwei der Draconis Memoria, der Erinnerungen des Drachen, sind erschienen und setzen die Geschichte fort, die mit einer spektakulären ...

Clay, Lizanne und Hilmore sind zurück – und jede Menge Drachen. Teil zwei der Draconis Memoria, der Erinnerungen des Drachen, sind erschienen und setzen die Geschichte fort, die mit einer spektakulären Drachenrevolte auf dem Kontinent Arradsia begonnen hatte. Zur Vorgeschichte knapp gesagt: Die Welt teilt sich auf in zwei unsympathische Reiche, nämlich das Corvantinische Kaiserreich, das eine faschistoid-feudale Überwachungsdiktatur ist, und Mandinorien, das vom menschenverachtenden Turbokapitalismus der Syndikate regiert wird. Alles in allem also hat die Welt die Wahl zwischen Pest oder Cholera, zumal beide Reiche im Krieg miteinander liegen.
Der Krieg dreht sich - wie alle Kriege - vor allem um Rohstoffe, und der wertvollste Rohstoff ist: Drachenblut. Mit Drachenblut können auserwählte "Blutgesegnete" magische Effekte vollbringen, mit der die Steampunktechnik der Welt noch verbessert werden kann. Schnelle Stahlkampfschiffe beispielsweise können als "Blutbrenner" noch ein paar Kohlen … äh ... Drachenblut drauflegen, wenn sie einen Blutgesegneten an Bord haben, der das Blut auch umwandeln kann. Die Farbe der Drachen ist hierbei auch noch von Bedeutung. Am bedeutsamsten aber ist, dass plötzlich ein weißer Drache aufgetaucht ist, der eine Rebellion der Drachen anzuführen scheint. Die ausgebeutete Natur (= ausgeblutete Drachen) steht gegen die profitgierigen Umweltzerstörer auf. Clay, Lizanne und Hilmore, die Point-of-View-Charaktere des ersten Bandes, haben die blutige Hetzjagd des ersten Bandes gerade so bis zur letzten Seite überlebt.
Da hiervon im zweiten Band nichts erklärt wird, ist es wirklich sehr zu empfehlen, Band 1 vorher zu lesen. Selbst wenn man ihn kennt, verwirren die vielen Namen, Orte und Zusammenhänge, wenn die Lektüre zu weit zurückliegt (wie etwa bei mir). Es gibt keine Wiederholungen zum Wiederreinkommen, keine kleinen Erklärungen zum Gedächtnisauffrischen, nichts, was sonst in Folgebänden gerne mal nervt, mir hier aber echt gefehlt hat. Deshalb mein zweiter Tipp: Alle Bände direkt hintereinander am Stück lesen. So sind sie gedacht und geschrieben, so sollten sie auch gelesen werden.
Und wie ist Band 2 so?
Wie zweite Teile häufig sind: Die Handlung flacht ab, beschleunigt sich dabei aber; es gibt ein paar Wendungen, auch wenn sie hier nicht überraschen; ein paar alte Geheimnisse werden aufgedeckt. Und ansonsten strebt alles mit großer Rasanz dem dritten Band, der Handlungskrise und dem Finale zu.
Wer Anthony Ryan kennt, fürchtet, dass er alles, was er zu Anfang minutiös aufgebaut hat, am Ende der Story zugunsten eines Blockbustertempos mit tonnenweise Drachenblut wieder kaputtmachen wird. Ich kann niemandem diese Furcht nehmen, denn mich hat sie auch befallen: Wie vorherzusehen, bringt der Weiße Drache seine Kohorten an Drachen und „Verderbten“ in Stellung, um seinen Krieg über die Grenzen des unwirtlichen Drachenkontinentes hinaus auf die anderen Kontinente zu tragen.
Die vier Helden der Geschichte – mit Sirus ist noch ein Point-of-View-Charakter im Heer der Verderbten hinzugekommen – müssen also in Band 3 wahrscheinlich nichts weniger als die Welt retten. Von dieser bleibt schon in Band 2 nur die Hälfte stehen, denn das Kaiserreich versinkt im Chaos, woran unsere Meisterspionin Lizanne nicht ganz unschuldig ist. Sie ist in die tödliche Umgebung der Gefängnisstadt Scorazin gestiegen, um dort nach dem Tüftler zu suchen. Nach dem, der alle Geheimnisse kennt. Wie man hofft. Derweil haben der blutgesegnete Dieb Clay und der Seeoffizier Hilmore zueinander gefunden und begeben sich in die nicht minder tödliche Umgebung der polaren Eiswüste, um dort ebenfalls nach der Lösung der Geheimnisse zu forschen.
Ryan schreibt schnell, flüssig und gut. Das „Heer des Weißen Drachen“ liest sich trotz einiger Längen mit großer Spannung. Trotzdem wage ich noch keinen Jubel, solange ich nicht das Ende kenne. Die Ryan'sche Trilogie „Das Lied des Blutes“ verklang erbärmlich, und die Anzeichen bei den Drachen geben noch keine Entwarnung, dass nicht doch alles in einem monströsen Blutbad endet …
3,5 von 5 scharfen Drachenzähnen