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Veröffentlicht am 13.07.2019

Die Beobachtung(en) eines Beobachters

Der Postbote von Girifalco oder Eine kurze Geschichte über den Zufall
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Es sind Personen wie der Postbote von Girifalco denen man selten im echten Leben und dafür umso öfter in Romanen begegnet. Charaktere, die von außen nicht auffallen (und vielleicht begegnet man ihnen auch ...

Es sind Personen wie der Postbote von Girifalco denen man selten im echten Leben und dafür umso öfter in Romanen begegnet. Charaktere, die von außen nicht auffallen (und vielleicht begegnet man ihnen auch genau deshalb vor allem in Büchern) und innen so besonders sind, dass man sich wundert, wie sie von außen nicht bemerkt werden können.

Besagter Postbote, Hauptcharakter von Domenico Daras Debütroman, hat eine Schwäche für Zufälle und ihre Relation zueinander - denn selten steht ein Zufall für sich allein. Allerdings ist das Erkennen von Zufällen in Girifalco nicht nur auf das beschränkt, was vor Augen ist! Denn der Postbote kann auch in die Herzen der Menschen sehen - zumindest indirekt, durch die Briefe die sie versenden und empfangen und für deren Lektüre er eine Schwäche hatte. Und so kommt es auch, dass die Figur des Hauptcharakters immer wieder in den Hintergrund rückt und stattdessen die Geschichten der anderen Dorfbewohner im Zentrum stehen - so, wie es dem Postboten vermutlich auch am Liebsten wäre, und doch lernt man ihn selbst immer besser kennen, erfährt Dinge über seine Vergangenheit und erlebt mit, wie er sich, auch durch die Lektüre der fremden Briefe, weiter entwickelt. Am Schluss des Romans mögen sich die Geister scheiden, doch ich persönlich halte es für das bestmögliche Ende. (Wer das Buch bereits gelesen hat kann sich auf Youtube einmal Robert Adams Vortrag zu "The Elegance of the Hedgehog" anschauen - da wird ein ähnlicher Schluss thematisiert und erläutert.)

Vom Spannungsaufbau kommt das Buch eher unauffällig daher und doch passiert eine ganze Menge. Von großem Leid bis zu großer Freude ist alles dabei und doch wird es so sanft erzählt, dass die überwältigende Wut oder der Schmerz beim Leser ausbleibt. (Und da kommt es dann ganz auf den Lesenden an ob er große Emotionen empfinden möchte oder nicht.) Sprachlich ist das Buch (natürlich) wunderbar umgesetzt und nicht umsonst hat Dara dafür zahlreiche Preise gewonnen.

Insgesamt hat mir das Buch sehr gut gefallen, vielleicht auch, weil ich (und sicher auch viele andere) im Postboten zumindest in Teilen eine verwandte Seele entdeckt habe. Wer keine große Freude am Philosophieren und am Beobachten von Kleinigkeiten hat, dem wird dieses Buch wahrscheinlich nicht allzu gut gefallen, jedem anderen sei es jedoch wärmstens ans Herz gelegt!

Veröffentlicht am 13.07.2019

Shall I compare thee to a summer's day?

Bell und Harry
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Thou art more lovely and more temperate! Die Eröffnungszeilen von Shakespeare's 18tem Sonett hätten auch für "Bell und Harry" geschrieben worden sein können. Bereits 1981 unter dem Titel "The Hollow Land" ...

Thou art more lovely and more temperate! Die Eröffnungszeilen von Shakespeare's 18tem Sonett hätten auch für "Bell und Harry" geschrieben worden sein können. Bereits 1981 unter dem Titel "The Hollow Land" erschienen gibt es Jane Gardams Buch nun auch endlich auf Deutsch - und so viel sei vorab gesagt: Der Roman ist absolut lesenswert!

Im Zentrum der Geschichte stehen, wer hätte es gedacht, der Bauernjunge Bell und der Großstädter Harry. Sie lernen sich im Sommer in Bells Heimat Yorkshire kennnen und verbringen diese Ferien und die folgenden damit, dass Land um sie herum zu erkunden und unsicher zu machen. Dabei sind ihre Abenteuer zu einem gewissen Grad zeitlos, wenn auch heutige Generationen vermutlich eher hinter ihren technischen Geräten versumpfen und Eltern ihre Kinder nicht so sorglos durch die Moore stromern lassen würden. Am Ende hält Gardam sogar noch eine Überraschung für ihre Leser bereit - doch was das ist verrate ich an dieser Stelle natürlich nicht.

Was mich an Jane Gardams Romanen immer am meisten begeistert ist ihr Schreibstil. Wie keine andere versteht sie es, sich in ihre Figuren hineinzuversetzen und ihre Geschichten in ihrer Stimme zu erzählen. In "Bell und Harry" wird das besonders deutlich denn die Texte werden hautpsächlich aus Sicht der Kinder erzählt und man meint tatsächlich, dass es der Bericht eines Kindes wäre - auch wenn natürlich ein sprachlich und rhetorischer Unterschied zu Gardams Buch nicht zu verneinen ist.

Insgesamt lässt der Roman den Leser, oder zumindest mich, mit einem warmen Gefühl im Bauch zurück und man möchte eigentlich gar nicht damit aufhören, zu lesen. (Auch lange nachdem das Buch zu Ende ist.)

Wer also auf der Suche nach einem Sommerbuch ist, dass einen zurück in die Kindheit versetzt (wenn auch nicht zwingend die eigene), der ist hier genau richtig! Ich kann das Buch nur von Herzen weiter empfehlen - für Junge wie Alte - und weiß, dass ich das Buch sicher nicht das letzte Mal gelesen habe.

Veröffentlicht am 23.04.2019

Eine wahre Rätsel- und Gaumenfreude!

Jubilate!
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In der Kriminalliteratur ist ziemlich alles schon mal dagewesen: Geistliche als Opfer oder Täter, manchmal auch der Papst selbst – aber als Ermittler gibt es ihn erst durch Johanna Alba und Jan Chorin. ...

In der Kriminalliteratur ist ziemlich alles schon mal dagewesen: Geistliche als Opfer oder Täter, manchmal auch der Papst selbst – aber als Ermittler gibt es ihn erst durch Johanna Alba und Jan Chorin. Nun ist bereits der fünfte Band der Reihe um Papst Petrus erschienen und damit (hoffentlich) noch nicht der Letzte.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Pressesprecherin des Papstes, die Aussicht auf ein gewaltiges Vermögen hat, wenn sie binnen einer Woche heiratet. Doch dann treibt sie auf einmal bewusstlos im Pool und für Petrus ist klar, dass der Täter aus einer ihrer Verwandten sein muss. Abwechslungsreich und unterhaltsam beginnt die Jagd nach dem Täter und ganz nebenbei kommen einige alte Geschichten ans Licht. Mit viel Pasta und Pesto wird jeder unter die Lupe genommen und am Ende kommt es doch wieder ganz anders als gedacht.

„Jubilate!“ als Krimi zu bezeichnen wäre vielleicht etwas weit hergeholt – der Begriff „Krimödie“ trifft es da schon eher. Es gibt viel zu Lachen, wenn Papst Petrus ermittelt und die italienische Landschaft so wie das leckere Essen (bei dessen Erläuterung einem schon das Wasser im Munde zusammen läuft) sorgen für eine absolute Wohlfühlatmosphäre. Durch versteckte Hinweise kann der Leser fleißig mit konspirieren und so ist das Buch auch eine echte Rätselfreude.

Insgesamt bleibt mir an dieser Stelle nicht mehr zu sagen, als dass ich diesen Roman nur wärmstens empfehlen kann!

Veröffentlicht am 23.04.2019

Ein Ausflug in den hohen Norden

Inselluft mit Honigduft
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Imkern und Romane schreiben – das sind nicht unbedingt die typischsten Berufe und dass man diesen dann auch noch ausgerechnet auf Sylt nachgeht ist umso überraschender. Doch das ist der Alltag von Kerin ...

Imkern und Romane schreiben – das sind nicht unbedingt die typischsten Berufe und dass man diesen dann auch noch ausgerechnet auf Sylt nachgeht ist umso überraschender. Doch das ist der Alltag von Kerin Schmidt. Auf der Insel aufgewachsen zog es sie in ihrer Jugend in die Ferne, doch sie hat wieder zurück gefunden in ihre Heimat und daraufhin spontan beschlossen, ihre Erfahrungen auf Sylt in einem Buch niederzuschreiben.

Dabei begleitet der Leser Kerin von klein auf. Für ein Kind kann es keinen schöneren Ort geben, um groß zu werden und so schwingt immer ein wenig Bullerbü-Feeling mit, wenn man ihre Erzählungen liest. Später zieht sie nach Hamburg, erlebt dort spannendes und findet – Spoileralarm – die große Liebe.

Doch es ist, in meinen Augen, nicht die Handlung, die dieses Buch so besonders macht. Vielmehr sticht es sprachlich heraus. Wenn Geschichten von der kleinen Kerin erzählt werden, dann fühlen sie sich auch so an: Ein wenig stockend und sprunghaft, unterhaltsam und voller Energie. Mit dem Alter der „Protagonistin“ wandelt sich auch der Erzählstil und in den letzten Kapitel wird dieser sogar immer poetischer. Da finden dann auch Reime ihren Weg in den Text und neben der „oberflächlichen“ Geschichte kommen auch ernste Untertöne dazu.

Es macht Freude, Kerin beim Aufwachsen „zu zusehen“ und dabei so viel über die sagenumwobene Insel im hohen Norden zu erfahren. Für Leser, die bereits schon einmal auf Sylt waren (und auch für Wiederholungstäter) ist es sicher schön, mit diesem Buch bekannte Orte noch einmal zu besuchen und auch einmal aus einer anderen Perspektive zu erleben. Aber auch für alle Anderen ist das Buch ein Fernwehgarant und Sylt wandert mit ziemlicher hoher Wahrscheinlichkeit auf die Liste der Wunschreiseziele.

Insgesamt ist diese „Autobiographie“, die doch nicht wirklich eine solche ist, eine schöne Erzählung mit vielen lustigen und auch rührenden Momenten. Besonders die sprachlichen Bilder unterscheiden dieses Buch von manch anderen Geschichten und so kann ich es nur absolut weiter empfehlen.

Veröffentlicht am 23.04.2019

Wien wie es leibt und lebt

Heinz und sein Herrl
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Inmitten all der tausenden deutschsprachigen Neuerscheinungen, die jedes Jahr auf den Markt kommen, sind auch nicht wenige österreichische Publikation – doch sie werden meist übersehen. Nicht so „Heinz ...

Inmitten all der tausenden deutschsprachigen Neuerscheinungen, die jedes Jahr auf den Markt kommen, sind auch nicht wenige österreichische Publikation – doch sie werden meist übersehen. Nicht so „Heinz und sein Herrl“ von Eva Woska-Nimmervoll. Und wie könnte man dieses gloriose Trio auch übersehen? Sie stehen im Mittelpunkt einer Geschichte, die sich wie eine Blume entfaltet – harmlos, unscheinbar aber gleichzeitig hocWhinteressant.

In ihrem ersten Roman nimmt Eva Woska-Nimmervoll mit in die Tiefen von Wien – nicht unbedingt die touristischen Höhepunkte, sondern viel mehr das „echte“ Wien, wie es die Leute, die dort leben, erleben. Heinz und sein Herrl gehören dazu. Ihr Leben im Gemeindebau würde sicher von einigen das Prädikat „eintönig“ erhalten, aber das ist es eigentlich gar nicht, denn ihr Alltag ist abwechslungsreich – und dann ist da auch noch die Sache mit dem Nachbarn. Genau wie der Hund des Herrls heißt der nämlich Heinz, kann aber der Hund Heinz überhaupt nicht leiden und eines Tages kommt eins aufs andere und kurz darauf ist der Nachbar tot. Gemeinsam mit seinen Freunden versucht das Herrl herauszufinden, was wirklich passiert ist und gewährt dabei immer wieder Blicke in seine Vergangenheit. Am Ende gibt es kein Fazit, der Leser kann selbst entscheiden, was wirklich los war, aber das ist auch gar nicht wichtig. Denn „Heinz und sein Herrl“ ist keine Mördersuche sondern vielmehr eine Reise des Herrls zu sich selbst.

Dabei überzeugt Woska-Nimmervoll auf voller Linie. Die Sprache ist abwechslungsreich, auch viel Wienerisches ist dabei, doch dem preußischen Leser wird hinten separat das Vokabular erläutert. Die Charaktere haben alle einen gewissen Charme und man kann gar nicht anders, als sie zu mögen. Und dann ist da noch die Handlung – wunderbar verschroben und definitiv nicht langweilig.

Da man alles aus den Augen des Herrls erlebt bleibt viel Raum für Spekulationen und während im Buch die verschiedensten Hypothesen aufgestellt werden fiebert der Leser fleißig mit. Und durch die relativ kurzen Kapitel kann man auch zwischendurch immer wieder rein lesen.

Insgesamt ist das Buch eine absolute Empfehlung für Liebhaber schräger Geschichten.