Die Beobachtung(en) eines Beobachters
Es sind Personen wie der Postbote von Girifalco denen man selten im echten Leben und dafür umso öfter in Romanen begegnet. Charaktere, die von außen nicht auffallen (und vielleicht begegnet man ihnen auch ...
Es sind Personen wie der Postbote von Girifalco denen man selten im echten Leben und dafür umso öfter in Romanen begegnet. Charaktere, die von außen nicht auffallen (und vielleicht begegnet man ihnen auch genau deshalb vor allem in Büchern) und innen so besonders sind, dass man sich wundert, wie sie von außen nicht bemerkt werden können.
Besagter Postbote, Hauptcharakter von Domenico Daras Debütroman, hat eine Schwäche für Zufälle und ihre Relation zueinander - denn selten steht ein Zufall für sich allein. Allerdings ist das Erkennen von Zufällen in Girifalco nicht nur auf das beschränkt, was vor Augen ist! Denn der Postbote kann auch in die Herzen der Menschen sehen - zumindest indirekt, durch die Briefe die sie versenden und empfangen und für deren Lektüre er eine Schwäche hatte. Und so kommt es auch, dass die Figur des Hauptcharakters immer wieder in den Hintergrund rückt und stattdessen die Geschichten der anderen Dorfbewohner im Zentrum stehen - so, wie es dem Postboten vermutlich auch am Liebsten wäre, und doch lernt man ihn selbst immer besser kennen, erfährt Dinge über seine Vergangenheit und erlebt mit, wie er sich, auch durch die Lektüre der fremden Briefe, weiter entwickelt. Am Schluss des Romans mögen sich die Geister scheiden, doch ich persönlich halte es für das bestmögliche Ende. (Wer das Buch bereits gelesen hat kann sich auf Youtube einmal Robert Adams Vortrag zu "The Elegance of the Hedgehog" anschauen - da wird ein ähnlicher Schluss thematisiert und erläutert.)
Vom Spannungsaufbau kommt das Buch eher unauffällig daher und doch passiert eine ganze Menge. Von großem Leid bis zu großer Freude ist alles dabei und doch wird es so sanft erzählt, dass die überwältigende Wut oder der Schmerz beim Leser ausbleibt. (Und da kommt es dann ganz auf den Lesenden an ob er große Emotionen empfinden möchte oder nicht.) Sprachlich ist das Buch (natürlich) wunderbar umgesetzt und nicht umsonst hat Dara dafür zahlreiche Preise gewonnen.
Insgesamt hat mir das Buch sehr gut gefallen, vielleicht auch, weil ich (und sicher auch viele andere) im Postboten zumindest in Teilen eine verwandte Seele entdeckt habe. Wer keine große Freude am Philosophieren und am Beobachten von Kleinigkeiten hat, dem wird dieses Buch wahrscheinlich nicht allzu gut gefallen, jedem anderen sei es jedoch wärmstens ans Herz gelegt!