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Veröffentlicht am 08.09.2020

Der Libanon in seiner Zerissenheit

Ein Lied für die Vermissten
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Während Amin 2011, während des Arabischen Frühlings, seine Erinnerungen niederschreibt, begleiten wir ihn in das Beirut seiner Kindheit und tauchen ein in seine Familiengeschichte. Sein Leben mit der Großmutter, ...

Während Amin 2011, während des Arabischen Frühlings, seine Erinnerungen niederschreibt, begleiten wir ihn in das Beirut seiner Kindheit und tauchen ein in seine Familiengeschichte. Sein Leben mit der Großmutter, nach dem Tod seiner Eltern. Seine Freundschaft mit dem unergründlichen Jafar. Amins Versuche, zu verstehen, was damals, vor seiner Geburt und im libanesischen Bürgerkrieg, als er selbst in Deutschland lebte, passiert ist. Was es für ihn und die Menschen um ihn herum bedeutet. Er versucht zu verstehen, doch er muss auch feststellen, dass es manchmal keine Gewissheiten im Leben gibt ...

‚Ein Lied für die Vermissten’ ist ein wahnsinnig eindringliches Buch, so voller ruhiger Intensität und Sprachgewalt.
Jeder Satz ist wichtig. Jeder Satz will gehört werden. In fast jedem davon, so scheint es mir, befindet sich eine Weisheit, die mir die Augen öffnet für das Wesentliche; und für ein mir fremdes Land und eine mir fremde Zeit. Das Buch hilft, zu verstehen, wobei die Worte keine Allgemeingültigkeit für das ganze Land beanspruchen; Amins Geschichte ist ein Ausschnitt, aber ein wichtiger, der hilft, das Leben und die Situation im Libanon besser zu begreifen. Durch das Buch erwachen das Land und die Leute zum Leben und ich, als leider zuvor völlig Unwissende, habe das Gefühl, dass mir ein Stück klarer wird, was die Menschen dort bewegt.

Der Schreibstil ist sehr intensiv, voller Details; Erinnerungen, die ein Stimmungsbild abgeben, Momente einfangen, einzelne Geschichten herausstellen – wie einzelne Puzzleteile, die am Ende zusammengesetzt werden und so ein Ganzes ergeben. Pierre Jarawan hat es unglaublich beeindruckend geschafft, alles zusammenzuweben. Aber das Buch ist weder vom Thema noch vom Schreibstil etwas für zwischendurch. Es ist sehr anspruchsvoll und komplex geschrieben, man muss jeden Satz deutlich lesen. Wer sich aber auf die Sprache einlässt, wird belohnt.

Einzig hat mich die Schreibweise manchmal etwas verwirrt, wenn es darum ging, Erlebnisse irgendwo einzuordnen. Dadurch, dass sich das Buch aus Erinnerungen zusammensetzt und bruchstückhaft erzählt wird, hatte ich manchmal Probleme, mit den Sprüngen mitzukommen, oder in meinem Kopf eine verständliche Chronologie aufzubauen. Das hat mich manchmal kurz rausgebracht und es fiel mir teils schwer, mich zu orientieren. Aber dem Leseerlebnis an sich hat es keinen Abbruch getan, weil jeder Abschnitt auch für sich stehen konnte. Und im Nachhinein kann ich es mir eigentlich auch nicht mehr vorstellen, dass das Buch irgendwie anders geschrieben würde. Im Vordergrund steht die Atmosphäre und die einzelnen Eindrücke, und die treffen ins Schwarze.

Ein eindrückliches Thema, ein intensiver Schreibstil. Lest es. Nehmt euch Zeit für dieses Buch. Es lohnt sich. 4,5/5

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Veröffentlicht am 02.09.2020

Gefühlvoll und nervenaufreibend

It was always you
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Vor vier Jahren fiel Ivy Welt auseinander. Erst verunglückte zuvor ihre Mutter, dann schob ihr Stiefvater sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ins Internat ab. Mit ihrem Stiefbruder Asher hatte sie sich ...

Vor vier Jahren fiel Ivy Welt auseinander. Erst verunglückte zuvor ihre Mutter, dann schob ihr Stiefvater sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ins Internat ab. Mit ihrem Stiefbruder Asher hatte sie sich sowieso nur gestritten. Aber jetzt soll sie plötzlich dringend zurückkommen. Wieder ohne Erklärung. Ivy schwankt zwischen dem Wunsch, wieder eine Familie zu haben und dem, sie gänzlich hinter sich zu lassen. Wenn da nicht diese Spannung zwischen ihr und Asher wäre, die nicht sein darf ... und dann eröffnet ihr Stiefvater, wieso er sie zurückgeholt hat ...



Erstmal muss ich die Gestaltung ansprechen, denn die muss bei so einem schönen Buch gewürdigt werden. Das Cover ist wirklich toll, mit Prägung und Glitzer, und die Handletterings innendrin runden das superschön ab.

Bei Liebesgeschichten zwischen Stiefgeschwistern bin ich immer ein bisschen verhalten, aber ich konnte mich nach und nach doch darauf einlassen, weil in diesem Fall die beiden lediglich wenige Jahre zusammengelebt und nicht ihre Kindheit etc. zusammen verbracht haben. Und für ihre Gefühle können sie eben auch nichts. (In puncto Altersunterschied war ich zunächst sehr verstört, aber ich wurde hinterher doch so einigermaßen beruhigt)

Ich war von Anfang an gut drin in dem Buch, wirklich ein angenehmer Schreibstil und das angedeutete Familiendrama, die Geheimnisse, wurden perfekt eingestreut, um die Spannung zu halten. Man war direkt drin im Dilemma und ich war wirklich neugierig, was sich da noch alles auftut. Für mich ein guter Einstieg. Zwischendurch ging es dann aber etwas zögerlich voran und mich störte es etwas, dass da einfach niemand mal miteinander geredet hat. Ich kann mich gar nicht entscheiden wer schlimmer war; Ivy, Asher oder der Vater? Niemand hat es mal geschafft, den Mund aufzumachen und zu sagen, was man wirklich denkt und was eigentlich Sache ist. Aaargh!

Aber gerade die zweite Hälfte hat mich dann überzeugt und zwar mit Nachdruck. Als langsam mehr und mehr aufgedeckt wurde, als die Zuneigung zwischen Asher und Ivy voranschritt, als sie endlich redeten, da hatte mich das Buch absolut gepackt. Und es war soooo schön und so romantisch. Es gab einige Schmacht-Momente und tolle Nachrichten oder Sätze, die ich mir direkt ‚abgespeichert’ hab. Das Ende war wirklich klasse. Bei den letzten ca. 100 Seiten konnte ich einfach nicht mehr unterbrechen.

Alles in allem eine definitive Leseempfehlung von mir. Aber weil ich so ein paar Kritikpunkte doch hatte, sinds von mir 4,5/5 Sterne.

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Veröffentlicht am 28.06.2020

Über die Liebe - zu Büchern, zu Menschen, zum Leben

Das Antiquariat der Träume
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Johan hat seine große Liebe Lina bei einem Schiffsunglück verloren – oder doch nicht? Seit damals erscheinen ihm die Figuren aus großen literarischen Werken, die Johan in seinem Leben begleitet haben. ...

Johan hat seine große Liebe Lina bei einem Schiffsunglück verloren – oder doch nicht? Seit damals erscheinen ihm die Figuren aus großen literarischen Werken, die Johan in seinem Leben begleitet haben. Die Figuren sprechen mit ihm über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und versuchen, Johan auf seinen Weg zu bringen. Doch bedeutet das, Lina zu vergessen oder sie zu suchen?

„Das Antiquariat der Träume“ ist ein wirklich schönes und zauberhaftes Buch, das wegen der Literatur-Thematik eigentlich jedemr Buchliebhaberin gefallen dürfte (Johan war nämlich mal Verlagsleiter, jetzt ist er Antiquar!). Die Handlung ist ziemlich ruhig, aber nicht langweilig. Sehr angenehm zu lesen. Der Schreibstil hat mir gut gefallen, der Autor kann sich gut ausdrücken, sodass es literarisch klingt aber trotzdem leicht und flüssig zu lesen ist. Er schafft es gekonnt, eine Mischung aus traurigen Szenen und humorvollen Dialogen, aus magischer Atmosphäre und realitätsnahem Alltag zu kreieren. Und die vielen Buch- und Literatur-Anspielungen waren wunderbar.
Die Charaktere sind alle sehr liebenswürdig, aber eine so richtig emotionale Bindung konnte ich zu ihnen (zumindest am Anfang) nicht entwickeln, auch wenn ich nicht genau den Finger darauf legen kann, woran das lag. So habe ich interessiert und neugierig ihre Geschichte verfolgt, aber war nie so richtig ergriffen.
Trotzdem kann ich das Buch auf jeden Fall weiterempfehlen, allein schon wegen der tollen Ausdrucksweise – und der außergewöhnlichen, magischen Handlung, bei der ich nicht wusste, wo sie mich hinführen wird.
4,5/5 Sterne!

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Veröffentlicht am 15.06.2020

Authentischer, ergreifender Prozess der Trauerbewältigung. Klappentext völlig daneben!

Zwei in einem Herzen
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„Es ging nie darum, über Freddie Hunter hinwegzukommen. Vielmehr muss man herausfinden, wie man weiterlebt, ohne das Gefühl zu haben, alles, was danach kommt, sei nur zweite Wahl.“



Lydia hat ihre große ...

„Es ging nie darum, über Freddie Hunter hinwegzukommen. Vielmehr muss man herausfinden, wie man weiterlebt, ohne das Gefühl zu haben, alles, was danach kommt, sei nur zweite Wahl.“



Lydia hat ihre große Liebe und Verlobten Freddie durch einen Autounfall verloren. Für sie bricht eine Welt zusammen und sie weiß nicht, wie sie ohne ihn weitermachen soll. Nur in ihren Träumen kann sie Freddie wieder nahe sein – noch nicht bereit, ihn gehen zu lassen. Doch sie kann nicht für immer zwischen ihren beiden Welten leben, denn das echte Leben wartet auf sie und mit ihm ganz besondere Menschen, die sie lieben. Ein langer Weg beginnt für Lydia ...



„Zwei in einem Herzen“ ist ein ruhiges, sehr emotionales und ergreifendes, aber nicht melodramatisches Buch. Es passiert handlungs-technisch nicht unbedingt viel, aber im Vordergrund steht auch der Prozess der Trauerbewältigung und da hat die Autorin wirklich ein Händchen für. Ich bin unglaublich begeistert, wie berührend, authentisch, nachvollziehbar sie die Trauerphasen und den Schmerz beschreibt und wie wir sie mit Lydia durchleben. Zu keiner Zeit hatte ich das Gefühl es wirkt aufgesetzt oder zieht sich unnötig. Das gelingt die Autorin richtig gut und auch die Entwicklung der Charaktere, vor allem Lydia, ist toll mitzuerleben. Der langsame Weg zurück ins Leben, mit vielen Hürden und Rückschlägen, aber auch Schritten nach vorne. Sehr sehr realistisch, auch was das Tempo angeht, denn sowas braucht nun mal seine Zeit. Ich hab mit Lydia gelitten, ich hab geweint, und mich gefreut, wenn’s bergauf ging.

Es ist aber auch nicht durchgehend deprimierend, ich musste oft lächeln und es sind wirklich schöne Szenen bei, die mehr Fröhlichkeit versprühten. Aber niemals unpassend, sondern genau richtig.

Die Träume von Lydia sind ungewöhnlich, zunächst vielleicht gewöhnungsbedürftig, aber ich finde sie eine originelle Idee, um ihre Beziehung zu Freddie auszuleuchten und sie geben dem Buch eine gewisse Dynamik, weil parallel erzählt wird.

Insgesamt ein toller, gut lesbarer Schreibstil und sogar kleine, wichtige Details arbeitet die Autorin mit ein, die das Ganze zu einer runden Geschichte machen. Kleine Macken von Charakteren, Angewohnheiten in den Beziehungen zueinander etc. Sowieso sind mir eigentlich alle Charaktere sympathisch! Sie sind alle sehr liebenswürdig und es gibt niemanden, der mich gestört hat.

Am Ende gibt es zwei Kleinigkeiten, mit denen ich nicht ganz so glücklich bin, die ich aber leider nicht anreißen kann, ohne zu spoilern. Deswegen vergebe ich 4,5 Sterne.

Von mir eine klare Leseempfehlung ABER: Der Klappentext ist völlig irreführend und beschreibt nicht, was in dem Buch passiert! Man geht mit falschen Erwartungen dran – zum Glück hat mir das Buch besser gefallen, als das, was der Klappentext verspricht.

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Veröffentlicht am 13.07.2024

Unterhaltsam und kurzweilig

Red Umbrella Society – Der Kuss des Schmetterlings
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Eigentlich versuchen Skadi und ihr Bruder nur, ihre eigene Haut zu retten, indem sie riskante Jobs für einen skrupellosen Untergrundboss erledigen. Doch als sie bei einem weiteren Auftrag über eine weitere ...

Eigentlich versuchen Skadi und ihr Bruder nur, ihre eigene Haut zu retten, indem sie riskante Jobs für einen skrupellosen Untergrundboss erledigen. Doch als sie bei einem weiteren Auftrag über eine weitere Leiche stolpern - und das Opfer ausgerechnet zur geheimnisvollen Red Umbrella Society gehört - stecken sie plötzlich richtig tief in Schwierigkeiten. Der junge und attraktive Ermittler David Bell will Skadi als Täterin überführen. Doch jemand anderes tut alles, um sie davor zu schützen. Jemand, in dessen Schuld Skadi unglücklicherweise steht ...

Für mich war Red Umbrella Society richtiges Lesevergnügen. Ich hab das Buch aufgeschlagen und wusste schon auf Seite 1, das wird gut. Der Schreibstil ist locker, humorvoll und unterhaltsam. Es wirkt direkt zu Beginn total kurzweilig und der Humor kommt richtig gut durch. Skadi als schnippische, liebenswerte und chaotische Protagonistin mochte ich sofort, und ihren Blick auf die Welt, ihre Gedanken und ihre Schlagabtäusche mit dem Ermittler waren unfassbar amüsant. Ich bin durch die Seiten geflogen, hab verfolgt wie Skadi von einer brenzligen Situation in die nächste schlittert, und trotzdem ihren fatalistischen Optimismus beibehält. Das war purer Spaß.

Trotzdem kommt natürlich auch der Ernst der Story durch, es ist nicht alles nur lustig und Sonnenschein. Ihr Bruder ist in Gefahr, sie selbst hat schon viel Mist durchmachen müssen, und es sieht häufig nicht gut aus. Dabei verbirgt auch Skadi selbst lange in diesem Band ein Geheimnis, das echt spannend immer wieder angedeutet und mit kleinen Hinweisen eingestreut wird. Und das ist definitiv mal etwas, das ich so noch nicht gelesen habe. Generell ist die Story sehr originell wie ich finde! Es ist ein bisschen Urban Fantasy, aber nicht mit richtig ausgetüfteltem Magie-System, sondern eher einzelnen Elementen, die sich zum Teil auf die ominlöse Society beziehen. Und diese Elemente fand ich echt spannend.

In der zweiten Hälfte hat das Buch ein wenig nachgelassen, der humorvolle Spaß kam nicht mehr ganz so durch, mir fehlten die Schlagabtäusche und die Handlung zog sich hier und da etwas mehr. Die Liebesgeschichte hätte das Buch für mich gar nicht unbedingt gebraucht und sie war auch sehr plötzlich und nicht so richtig nachvollziehbar. Am Ende gabs nochmal einen Knall, der mich sehr neugierig auf die Fortsetzung macht.


Auch wenn für mich die erste Hälfte des Buches stärker war, kann ich es im gesamten sehr empfehlen. Red Umbrella Society ist kurzweilig, humorvoll und originell. Von mir gibt es gute 4 - 4,5 Sterne.

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