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Veröffentlicht am 20.05.2019

Zimmerschied auf Abwegen

Tod im Abendrot
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Karl Zimmerschied könnte als LKA Präsident eine ruhige Kugel in der Verwaltung schieben. Aber so ganz möchte er nicht auf die richtige Polizeiarbeit verzichten. Ein perfider Doppelmord an der Isar fordert ...

Karl Zimmerschied könnte als LKA Präsident eine ruhige Kugel in der Verwaltung schieben. Aber so ganz möchte er nicht auf die richtige Polizeiarbeit verzichten. Ein perfider Doppelmord an der Isar fordert ihn heraus. Offensichtlich völlig grundlos wurde ein junges Paar beim Spaziergang erschossen, die Frau konnte kurz vor ihrem Tod noch den Hinweis auf einen Täter ohne Gesicht geben.


Aber es ist nicht nur der Beruf, der ihn herausfordert. Seine Frau Roswitha hat sich während eines Bali Urlaubs entschlossen im Land zu bleiben und einen Neuanfang zu wagen, dazu gehört ihre neue Liebe Hans und eine neu eröffnete Oben-Ohne-Bar. Rose – so will sie jetzt genannt werden – möchte gern Karl zu einer Ménage á trois überreden. Das ist aber für den bodenständigen Bayer, der neben seinem Polizeiberuf noch ernsthaft die ererbte Landwirtschaft weiterführt, eine grauenvolle Vorstellung.


Als dann noch seine alte Schulfreundin, inzwischen Direktorin an einem Gymnasium in einem sehr pikanten privaten Schlamassel um Hilfe bittet, weiß Karl kaum noch an wie vielen Fronten er kämpft

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Der Krimi von Jörg Steinleitner bietet alles, was ich mir für einen humorvollen Krimi wünsche. Der Plot ist durchaus ernsthaft, aber mit so vielen witzigen und ironischen Einfällen aufgelockert, dass ich während des Lesens mehrfach laut auflachen konnte. Im Kreis der Figuren findet man ein breites Charakterspektrum, wie die attraktive Dr. Augustin, die nach einer Entmietung Unterschlupf auf dem Hof von Karl findet, den cholerischen Innenminister mit witzigem fränkischen Dialekt und den IT-Experten Tommy Hensch, der zwar blind ist, aber trotzdem sehr weitsichtig agiert. Der ist auch gleich zu meiner Lieblingsfigur geworden.


Mit den Szenen, in denen sich Zimmerschied zwecks Recherche im Darknet verliert, sind dem Autor ganz besondere Kabinettstückchen gelungen.


Ich habe schon immer ein Faible für bayrisch-humorvolle Krimis, die Krimis von Jörg Steinleitner spielen in einer Extra-Liga, weil sich hier Spannung mit intelligentem Humor und ironischem Wortwitz paaren.

Veröffentlicht am 20.05.2019

Agenten kennen kein Alter

Ein Gentleman in Arles – Gefährliche Geschäfte
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David Gentry und Peter Smith verleben ihren (Un-) Ruhestand in Arles. Beide Freunde waren im Berufsleben Kollegen, sie waren erfolgreiche Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes. Aber auch im Alter können ...

David Gentry und Peter Smith verleben ihren (Un-) Ruhestand in Arles. Beide Freunde waren im Berufsleben Kollegen, sie waren erfolgreiche Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes. Aber auch im Alter können sie es nicht lassen, ab und an ihre Deckung als erfolgreiche pensionierte Geschäftsleute zu verlassen. Als Gentrys einheimischer Damepartner den Verlust seines Enkels beklagt, der angeblich bei einer Übung seiner Polizeitruppe ums Leben gekommen ist, ist Gentrys Misstrauen geweckt. Smith, schon immer der aktivere Part, beginnt zu arbeiten. Sie wollen den Tod des jungen Beamten aufklären.


Erstaunlich, die beiden Rentner verfügen offensichtlich über ein unerschöpfliches Reservoir an Beziehungen und Geld. So können Waffen, abhörsichere Satellitentelefone, gepanzerte Wagen und natürlich kampferprobte Manpower in kürzester Zeit und ausreichender Zahl rekrutiert werden.


Smith, für den Loyalität und Ehre ganz groß geschrieben wird, hat eine desillusionierte Sicht auf seinen ehemaligen Beruf. Was er im Dienste Ihrer Majestät sauber, leise und effizient erledigte, ist nichts anderes als sein Freund Alexej tut, nur dass der damit sein Imperium an Drogen-Waffengeschäften und Prostitution leitet. Als die Nachforschungen ergeben, dass die Beteiligung an dieser schiefgelaufenen Aktion bis in die Spitzen der französischen Politik und des Militär reicht, wird er in seiner Sicht bestätigt. Deshalb nutzt er Gangsterboss Alexejs Ressourcen hemmungslos und Leichen pflastern Smith und Gentrys Suche nach den Schuldigen am Tod des jungen Jean-Claude.


Mich störte an diesem Rentner-Agenten-Märchen die abwechselnd exzessiv geschilderte Gewalt und dazwischen wieder die überhöhten Loyalitäts-und Ehrbegriffe, die für Smith anscheinend jede Aktion legitimieren. Außerdem gab es dann wieder zur Entspannung ausführliche Exkursionen in die Sphären der wahren provenzalischen Küche, einschließlich minutiös geschilderter Zubereitungen und in die Landschaft der Provence und Camargue kommt auch nicht zu kurz. Die ist nun wirklich schön und wird ebenso kenntnisreich wie poetisch beschrieben.


Ach ja, natürlich gehört auch noch eine Liebesgeschichte in einen in Frankreich angesiedelten Krimi und deshalb darf Smith auch noch mit Martine ein spätes, aber zärtliches Glück genießen. Auch dieses Klischee dürfen wir also abhaken.


Das Buch hat seine guten Momente, die Landschaft und der ebenfalls schon ältere Windhund Arthur gehören dazu, aber zu mehr als 2,5 wohlwollenden Sternen kann ich mich nicht durchringen.

Veröffentlicht am 17.05.2019

Einfühlsam und von leiser Melancholie

Die Frau im Musée d'Orsay
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Antoine ist Professor für Kunst an der Hochschule in Lyon. Von einem Tag auf den anderen lässt er sein Leben hinter sich. Er kündigt seine Anstellung, seine Wohnung, lagert seine Besitztümer ein, verabschiedet ...

Antoine ist Professor für Kunst an der Hochschule in Lyon. Von einem Tag auf den anderen lässt er sein Leben hinter sich. Er kündigt seine Anstellung, seine Wohnung, lagert seine Besitztümer ein, verabschiedet sich per Mail von allen Freunden und Verwandten und ist nicht mehr erreichbar. Er arbeitet fortan als Saalaufsicht im Musée d’Orsay. Besonders das Portrait von Jeanne Hébuterne hat es ihm angetan. Ihre zarte Schönheit berührt ihn und scheint seine Trauer zu lindern.
Es dauert nicht lange, da kursiert ein Foto von ihm im Netz. Ehemalige Studenten haben ihn dort zufällig gesehen und wiedererkannt und spotten nun über ihren früheren Lehrer. Doch das alles ficht Antoine nicht an.
Später erfahren wir von der gescheiterten Beziehung zu Louise, die ihn nach sieben gemeinsamen Jahren verlassen hat. Ist das der Grund für seinen Rückzug? Oder doch eher das Schicksal seiner Studentin Camille?
Es ist ein leiser, ein wenig melancholischer Roman des Franzosen David Foenkinos. Hier steht ein Mensch an einem Scheideweg, er trägt eine Last mit sich, die er nicht benennen mag. Er weiß nur, dass sein Leben aus den Fugen geraten ist. Trotzdem finden sich leise humorige Szenen, manchmal in kleinen ironischen Fußnoten, manchmal in Gedanken oder Erinnerungen Antoines. Stück für Stück enthüllt der Autor die Geschichte hinter Antoines Entschluss, sein Leben radikal zu ändern und vergrößert meine Empathie mit der Hauptfigur. Das Ende darf – zumindest für Antoine – hoffnungsvoll sein.
Wieder gelingt es Foenkinos mich mit seiner Sprache, seinen Ideen und seinen Protagonisten in Bann zu ziehen. Er schreibt mit einer Leichtigkeit und einer Eleganz, die oft nur französische Autoren so gut beherrschen. Auch die Übersetzung finde ich ausgezeichnet. Es ist Unterhaltung auf hohem Niveau

Veröffentlicht am 17.05.2019

Whisky, Rock und alte Schmuggler

Whisky für den Mörder
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Vor einem halben Jahr erbte Abigail Logan eine Whiskybrennerei in Balfour. Die Erbschaft war mit vielen Schwierigkeiten, auch einem Mordfall verbunden, bei dessen Lösung sie in Lebensgefahr kam.
Jetzt ...

Vor einem halben Jahr erbte Abigail Logan eine Whiskybrennerei in Balfour. Die Erbschaft war mit vielen Schwierigkeiten, auch einem Mordfall verbunden, bei dessen Lösung sie in Lebensgefahr kam.
Jetzt kehrt sie nach einem Auslandseinsatz wieder in die Highlands zurück und stolpert gleich am ersten Tag wieder über eine Leiche. Aber schnell ist klar, das ist ein historischer Knochenfund und Abi kann sich ganz ihrem neuen Heim widmen. Die Geschäfte laufen gut, dafür sorgt schon ihr äußerst attraktiver Geschäftspartner Grant, dessen leuchtend grüne Augen für einiges Herzklopfen bei ihr sorgen.


Doch der Aufenthalt wird wieder ein Abenteuer. Vor kurzem hat der berühmte Rockmusiker Rory in Balfour niedergelassen. Rory, der Frontmann der legendären „Rebels“ war der Schwarm ihrer Teeniejahre und nicht nur ein exzellenter Gitarrist, auch als Womanizer brach er Rekorde. Nun sind kürzlich sein Keyboarder und sein Drummer Opfer von Anschlägen geworden und Rory fürchtet ebenfalls um sein Leben und das seiner Tochter. Als Kriegsfotografin hat sich Abi auch in gefährlichen Situationen bewährt und Rory bittet sie, bei einem geplanten Open Air Konzert eine Fotodokumentation zu machen und auch für die Sicherheit von ihm und seiner Tochter zu sorgen.


Es schien mir etwas weit hergeholt, dass Rory – umgeben von Securityleuten – eine Fotografin zu seinem Schutz anheuert, ohne sie zu schon vorher zu kennen. Die Ausflüge in die Welt der Rockmusik, großes Geschäft auf der einen Seite und umgeben von einem besonderen Nimbus auf der anderen Seite, haben mir gut gefallen. Besonders die Rückblicke in die wilde Zeit der Rockmusik, als niemand an die Zukunft dachte, alle nur für den Augenblick lebten mit Drogen, Alkoholexzessen und Sex, erinnerte mich an Versatzstücke aus den Biografien der realen legendären Bands und Gitarristen.


Dazwischen findet Abi wieder einige Spuren der alten historischen Whiskyschmuggler und Schwarzbrenner aus dem 18. Jahrhundert. Balfour ist ein sehr geschichtsträchtiger Ort und auch ihr eigenes Haus hat eine bewegte Vergangenheit. Diese Spuren und alte Dokumente ergeben einen zweiten Handlungsstrang, der sehr im Kontrast zu den Ereignissen aus der Gegenwart stehen, aber ideenreich damit verbunden ist.


Den zweiten Band nach einem Debut Krimi zu lesen, finde ich besonders interessant. Man merkt, wie sich eine Figur entwickelt und vielleicht offene Fäden aus dem ersten Band abgeschlossen werden. Allerdings habe ich von diesem Buch mehr versprochen. Man trifft auch hier auf originelle, kauzige Figuren, Hunter ist einer davon. Er werkelt bei Abi in Haus und Garten und sorgt dafür, dass sie langsam als echte Einheimische anerkannt wird. Dann natürlich Grant, bei dem ich mich wundere, wieso ein solches Prachtexemplar von Mann, dazu noch ein adliger Gutsbesitzer, noch zu haben ist. Zwar funkt es gewaltig zwischen ihm und Abi, aber so ganz mag sie ihren Beruf nicht aufgeben.


So bleibt noch reichlich Stoff für einen weiteren Band und weitere ungezählte Gläser besten Whiskys, über den man nebenbei auch noch einiges lernt.

Veröffentlicht am 14.05.2019

Ein deutsches Schicksal

Über alle Grenzen
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Es ist ein verlockendes Angebot für den Tropenmediziner und Tierarzt Werner Alexander. Ende der 50iger Jahre wird ein Direktor für den Erfurter Zoo gesucht. Die ganze Familie übersiedelt von Bayern in ...

Es ist ein verlockendes Angebot für den Tropenmediziner und Tierarzt Werner Alexander. Ende der 50iger Jahre wird ein Direktor für den Erfurter Zoo gesucht. Die ganze Familie übersiedelt von Bayern in den Osten. Da konnte noch niemand ahnen, dass nur wenige Jahre später diese Entscheidung in eine Katastrophe führte. Inzwischen wurde die Mauer gebaut und die Familie Alexander fühlt sich im Osten gefangen, die Direktorenstelle wurde längst mit einem linientreuen Parteigänger ersetzt. Später führt dann noch die versuchte Republikflucht des Sohnes Bruno zu ständigen Repressalien und Bruno ins Gefängnis.


Die zweite Zeitebene des Romans spielt in der Gegenwart. Lotte hat nach vielen Jahren ihren verschollenen Bruno ausfindig gemacht. Nach den vielen Gefängnisjahren hat er keinen Platz in der Gesellschaft mehr gefunden, seine Familie zerbrach an seinem Alkoholmissbrauch und seinen Gewaltausbrüchen. Er vegetiert inzwischen krank und verwirrt in einem Pflegeheim vor sich hin. Lotte setzt alles daran, dem Bruder die letzte Lebenszeit besser zu machen und auch seine Kinder zu finden um sie zur Aussöhnung zu bewegen.


Es sind also gleich zwei große Themenkreise, die Hera Lind in ihrem Buch zusammenfasst. Wobei wir im Nachwort von Protagonistinnen hören, auf deren Erlebnissen und Aufzeichnungen die Rahmenhandlung des Buches beruht. Lebendige, erlebte Geschichte – das hat mich neugierig gemacht und interessiert.


Sehr anschaulich finde ich das eingeschränkte Leben in der DDR geschildert. Die Bespitzlungen und Eintragungen der Stasi sind für die Familie einschneidend, die Kinder bekommen keine Zeugnisse mehr, eine weiterführende Schule ist unmöglich, all das weiß man aus vielen Berichten. Fast unfreiwillig komisch präsentiert sich die Stasi, wenn später in den Überwachungsprotokollen eine nasebohrenden Tochter aufgeführt wird, die von der Schwester ein Taschentuch gereicht bekommt. Schikane und genaues deutsches Beamtentum ergeben zuweilen eine absurde Mischung.
Allerdings hatte ich das Gefühl, dass Hera Lind sich nicht ganz exakt in den Sprachgebrauch der damaligen DDR einfühlen konnte. Zu viele Anglizismen und aktuellere Redewendungen sind ihr da in den Text gerutscht.


Der zweite Themenkreis – das Wiederfinden des Bruders in einer Pflegeeinrichtung – zeigt das ganze Elend des Pflegenotstandes. Bruno, der kaum noch artikulieren kann und Sozialhilfeempfänger ist, wird eigentlich nur noch verwahrt. Lotte kämpft ganz entschieden gegen diese Missstände an und führt geradezu einen Kreuzzug gegen Heimleitung, überarbeitete Pfleger und Gleichgültigkeit.


Ich kannte Hera Lind bisher nur von ihrem Erstlingswerk „Ein Mann für jede Tonart“ und auch ihren weiteren beruflichen Werdegang hatte ich nicht verfolgt, so dass dieses Buch tatsächlich eine positive Überraschung für mich war. Ich fand es emotional erzählt und auch durch die authentischen Bezüge besonders interessant.