In anmutiger Sprache erzählte erschütternde Geschichte
Eine ganze WeltSuri Eckstein ist 57, sie hat 10 Kinder, 32 Enkelkinder und lebt in einer chassidischen Gemeinde in Brooklyn. Ihr Mann Yidel, ein angesehener Kalligraph und Rabbi, steht kurz vor seiner Rente.
Das Leben ...
Suri Eckstein ist 57, sie hat 10 Kinder, 32 Enkelkinder und lebt in einer chassidischen Gemeinde in Brooklyn. Ihr Mann Yidel, ein angesehener Kalligraph und Rabbi, steht kurz vor seiner Rente.
Das Leben in der weitgehend von der Außenwelt abgeschotteten Kommune ist streng reglementiert. Wer gegen die Regeln verstößt, wird mit Ehrverlust bestraft.
Mit 16 werden die Mädchen üblicherweise verheiratet; oft mit einem ihnen unbekannten Mann. Nach der Hochzeit rasieren sie ihre Haare ab und tragen fortan Kunststoffperücken unter ihren Kopftüchern. Ihre Lebensaufgabe besteht darin, so viele Kinder wie möglich zu bekommen, den Haushalt zu führen und die Alten zu pflegen. Sie dürfen keine Ausbildung absolvieren, keine Bücher außer der Tora lesen, es gibt kein Fernsehen und keine Computer. Viele sprechen nur jiddisch und können sich außerhalb ihrer Kommune nicht verständigen. Wenn die Frauen nicht mehr fruchtbar sind, wird Sex zwischen den Ehepartnern zum Tabu, weil er nur der Fortpflanzung dienen soll und nicht der persönlichen Befriedigung.
Die Ecksteins hatten Glück bei ihrer Zwangsverheiratung: sie führen auch nach 40 Jahren noch eine innige Ehe. Doch dann erfährt Suri, dass sie mit Zwillingen schwanger ist. Sie ist bestürzt. Sie schämt sich. Sie fürchtet um ihren Status im Schtetl. Und sie kann mit niemandem – nicht einmal mit Yidel - darüber sprechen. Da Suri gut englisch spricht, überredet ihre Hebamme Val sie dazu, bei der Betreuung „sprachloser“ schwangerer Chassidinnen zu helfen. Dabei erwacht in ihr ein neues Lebensgefühl, und sie beginnt, die ihr aufgezwungene Rolle in Familie und Gemeinde zu hinterfragen.
Diese Geschichte spielt im Jahr 2007. Sie gewährt einen verstörenden Einblick in den Alltag einer ultraorthodoxen jüdischen Familie. Die Autorin Goldie Goldbloom lebt als geschiedene Chassidin mit ihren acht Kindern in Chicago; der Roman hat also sehr wahrscheinlich autobiografische Züge.
Goldbloom schildert die Bräuche und Gewohnheiten in der Gemeinde so anschaulich, dass ich die jeweilige Atmosphäre regelrecht fühlen, die Düfte riechen und die Klänge hören konnte. Die rigiden Vorschriften mit ihren - vor allem für Frauen und Kinder – verheerenden Folgen wirft sie in die eine Seite der Waagschale, in die andere legt sie die tiefe Verbundenheit und Fürsorge innerhalb der Familien.
Für die Hauptfigur Suri empfindet die Erzählerin spürbare Sympathie; ihre widersprüchlichen Gefühle und Gedanken beschreibt sie voller Anteilnahme. Auch mit den anderen Personen der Handlung geht sie besonnen um; so legt sie fast immer die Gründe dar, die zu einem bestimmten Verhalten geführt haben und macht es dadurch nachvollziehbarer.
Mich hat dieser in anmutiger Sprache verfasste Roman überrascht und erschüttert. Er wirkt lange nach. Das liegt nicht zuletzt an der außerordentlich guten Übersetzung ins Deutsche durch Anette Grube.