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Veröffentlicht am 18.06.2021

Eine kulinarische Bereicherung!

Fiesta – Das Mexiko-Kochbuch
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Dieses Kochbuch ist eine Augenweide.
Bereits das Cover mit seinen bunten Blumen macht gute Laune.
Beim ersten Durchblättern kommen dann noch Appetit, Neugierde und Lust aufs Nachkochen dazu.

Von den ...

Dieses Kochbuch ist eine Augenweide.
Bereits das Cover mit seinen bunten Blumen macht gute Laune.
Beim ersten Durchblättern kommen dann noch Appetit, Neugierde und Lust aufs Nachkochen dazu.

Von den Fotos, auf denen nicht nur die reizvollen Gerichte abgebildet sind, strahlt uns Lebensfreude entgegen.
Egal, ob lachende Menschen, der Blick auf einen Umzug, eine bunte Häuserfassade, einen Marktstand oder in eine Einkaufsstraße … dieses Buch versetzt einen in unbeschwerte, ausgelassene und sehnsüchtige Urlaubsstimmung.

Nach der Inhaltsangabe, die das Buch in „Getränke und Snacks“, „Vorspeisen, Suppen und Salate“, „Tortillas, Tacos, Tostadas und Mehr“, „Fleisch- und Fischgerichte“, „Gemüse, Mais und Bohnen“, sowie „Süßes und Gebäck“ gliedert, erfahren wir etwas über die Entstehungsgeschichte des Buches, über Fiestas, in denen lustvoll über die Stränge geschlagen wird und über die mexikanische Küche, die bunt, üppig, aroma- und zutatenreich ist.

Es machte Spaß, etwas über Kultur und Geschichte des Landes, das sechsmal so groß wie Deutschland ist, zu erfahren.

Nach dieser Einstimmung geht es dann los mit den Rezepten.

Ich habe inzwischen einige ausprobiert und möchte hier nur eine kleine Auswahl unserer bisherigen Favoriten nennen:

Der Sangria war süffig und hatte es in sich. Er mundete prima zu den selbst gebackenen Tortillas mit Salsa Roja (rote Tomatensalsa) und Guacamole (Avocadosalsa).
Die dünnen Fladen aus Maismehl selbst zu backen ist gar nicht so aufwändig und wenn man mal keine Zeit hat, sie aus Mehl, Wasser und Salz zu fabrizieren, dann kann man sich auch mit abgepackten Tortillas aus dem Supermarkt behelfen

Sehr lecker sind auch die sogenannten Sopes. Ich habe noch nie von ihnen gehört, bevor ich in diesem Kochbuch darauf gestoßen bin. Sopes sind eine Art Canapées, Crostini oder dicke Tortillas mit Rand. Ein bisschen erinnern sie auch an Pizza, weil man sie mit den unterschiedlichsten Zutaten belegt. Uns haben die Sopes mit Bohnenmus, Salat und Hähnchenfleisch äußerst lecker geschmeckt.

Mit Abstand das Genialste, das ich seit Langem genossen habe, waren die „Tacos Carnitas“ mit zartem Schweinefleisch, Knoblauch, Zwiebel, Oregano, Kreuzkümmel, Chili und Koriandergrün. Es ist ein unfassbar aromatisches, wohlschmeckendes und buntes Gericht, das wir nach einem Tipp von Tanja Dusy noch mit Feta- und Avocadowürfeln garniert haben.

Um nicht auszuufern, beschränke ich mich jetzt darauf, nur noch eine Süßspeise zu nennen.
Denn auch da gab es eine, die uns besonders gut geschmeckt hat: Flan de Naranja. Dieses köstliche Dessert aus Sahne, Orangen, Orangenlikör usw. ist wahrlich ein krönender Abschluss.

Ich empfehle dieses farbenfroh und originell gestaltete Kochbuch mit seinen leckeren Rezepten und interessanten Hintergrundinformationen, sowie mit seinen appetitanregenden Fotos, auf denen die Speisen und Gerichte gleichermaßen kunstvoll wie natürlich arrangiert sind, sehr gerne weiter.

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Veröffentlicht am 18.06.2021

Leise, zart und berührend…

Nelkenblatt
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Die betagte Elsa, eine ehemalige Lehrerin, kann sich nach der Entlassung aus einer Klinik nicht mehr selbst versorgen.
Sie hatte eine Herzoperation und es ist unklar, wie lange die alte Dame noch zu leben ...

Die betagte Elsa, eine ehemalige Lehrerin, kann sich nach der Entlassung aus einer Klinik nicht mehr selbst versorgen.
Sie hatte eine Herzoperation und es ist unklar, wie lange die alte Dame noch zu leben hat.
Um das Pflegeheim zu umgehen, hat sich ihre Tochter Luzia um eine 24-Stunden- Betreuung gekümmert.
…und jetzt ist die Migrantin Pina da. Pina, die ihr Studium pausieren muss, um Geld zu verdienen.

Die drei Frauen sitzen am Esstisch in Elsas Wohnung und Pina hat gerade die „Aufnahmeprüfung“ bei der eleganten, willensstarken und kritischen, aber freundlichen Elsa bestanden.

Elsa interessiert sich für Pina und die beiden kommen ins Gespräch. Sie lernen sich kennen.
Es entspinnt sich in den folgenden Wochen eine zarte und leise Verbindung, von der der Autor ganz unaufgeregt und ruhig erzählt.

Pina wuchs in dem kleinen, vermutlich kurdischen, Dorf Samhirada, das fast 4000 km entfernt ist, auf.
Aus politischen Gründen musste sie aus ihrer Heimat fliehen.

Elsa war Lehrerin. Sie zog ihre beiden Kinder nahezu alleine auf, weil ihr Mann berufsbedingt so gut wie nie zuhause war.

Es macht Spaß, zu verfolgen, wie die betagte Elsa und die junge Pina sich einander annähern und es ist interessant, in ihre Lebensgeschichten einzutauchen.

Yusuf Yesilöz greift in seiner Geschichte fast nebenbei und unaufdringlich, aber trotzdem unmissverständlich auf, wie bedeutsam es ist, den pflege- und hilfsbedürftigen Senioren die höchstmögliche Selbstbestimmung zuzugestehen, nachsichtig, interessiert und zugewandt zu sein… auch wenn der oder die zu Pflegende bisweilen eigenwillige und gebieterische Seiten zeigt

Dass die Angehörigen der Senioren für die Pflegekraft dabei manchmal eine ganz besondere Herausforderung darstellen, wird genauso deutlich, wie die emotionale Belastung, der die Pflegekraft ausgesetzt ist.

„Nelkenblatt“ ist ein berührendes, zartes und leises Buch über die letzte Phase des Lebens. Gleichzeitig entführt es uns in die sehr unterschiedlichen Biografien zweier Frauen aus verschiedenen Welten.

Der Autor streift viele Themen, ohne sie gänzlich auszubuchstabieren. Er liefert Denkanstöße, statt detailliert in die Tiefe zu gehen.
Mich störte das nicht besonders, obwohl es sicher interessant gewesen wäre und es mir gefallen hätte, mehr über die Gepflogenheiten in Pinas Heimat zu erfahren.

Mir gefiel die z. T. poetische Sprache und immer wieder stolperte ich über schöne und bildhafte Formulierungen, wie z. B. „Genießen Sie Ihre Jugend und Gesundheit, solange die noch da sind. Sie rutschen einem irgendwann aus der Hand wie eine nasse Seife.“ (S. 27)

„Nelkenblatt“ ist ein lesenswerter Roman, der ganz nebenbei Lust auf Reis mit Mandeln, Pinien und Rosinen sowie Joghurtsuppe mit Minze macht




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  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 13.06.2021

Ein Highlight! Beeindruckendes Psychogramm und aufwühlendes Thema…

Siegerin
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Der Roman „Siegerin“ von Yishai Sarid spielt in Israel.

Die Ich-Erzählerin Abigail ist Mitte 40 und Oberstleutnant der Reserve.
Sie war lange Zeit als Militärpsychologin tätig, beriet Kommandeure und ...

Der Roman „Siegerin“ von Yishai Sarid spielt in Israel.

Die Ich-Erzählerin Abigail ist Mitte 40 und Oberstleutnant der Reserve.
Sie war lange Zeit als Militärpsychologin tätig, beriet Kommandeure und hatte ein offenes Ohr für Soldaten.

Nach diversen Fortbildungen war sie letztlich dafür zuständig, „die Soldaten in bessere Kämpfer zu verwandeln.“ (S. 35)
Eisern und knallhart entwickelte sie sadistische Auswahlspiele für Rekruten und unmenschliche Trainingseinheiten für Soldaten, die später im Nahkampf töten sollten.

Obwohl sie inzwischen im zivilen Leben mit Erfolg Kriegstraumatisierte in ihrer eigenen Praxis therapiert, steht sie dem Militär noch zur Verfügung.
Sie berät die israelische Armee nach wie vor als Traumatherapeutin, hält zwischendurch Vorträge für Offiziere und leistet ab und zu Reservedienst für Sonderaufgaben.

Eines Tages besucht sie den Generalstabschef Rosolio.
Er hat sie in sein Büro eingeladen und schnell ist klar, warum:
Er braucht Abigail dringend als Expertin für die Psychologie des Tötens.
Sie soll die Soldaten - wieder einmal - für anstehende Bodengefechte abhärten und nahkampftauglich machen.
Sie soll sie im Handwerk und in der Technik des Tötens fit machen.

Rosolio war vor 25 Jahren Bataillonsführer und Abigails Vorgesetzter in der Fallschirmjägerbrigade.

Sie verführte den Familienvater eines Tages und wurde schwanger. Das war ihr Plan.
Der gemeinsame Sohn Schauli kennt seinen Vater nicht.
Er soll ihn nicht kennen.
Das ist die Abmachung.

Schauli weiß, wie gesagt, nichts über seinen Vater Rosolio und ahnt nicht, dass dieser bald sein Vorgesetzter sein wird, denn Schauli hat sich freiwillig zu den Fallschirmjähern gemeldet.
Die Grundausbildung in der Kampfeinheit wird in wenigen Tagen beginnen.

Nachdem Abigail ihren Sohn in den Militärdienst verabschiedet hat, gesteht sie ihrem Freund Mendi, einem kriegstraumatisierten Bildhauer, der einst ihr Patient war, dass sie Schauli vermisst und sich um ihn sorgt.
Dieses Eingeständnis zu lesen war wohltuend, denn endlich zeigten sich menschliche und warme Züge an dieser Frau, die bisher so kühl, abgeklärt und ich-bezogen gewirkt und ihrem Sohn bereits mit 3 Jahren beigebracht hat, „dem aggressiven Jungen nächstes Mal die Fresse zu polieren.“ (S. 27)

Aber dieses Aufkeimen von Weichheit wird schnell wieder gedimmt, denn gleichzeitig ist sie mächtig stolz, dass er zum Militär geht und ein mutiger und harter Mann wird. (S. 15f.)

Wir erfahren im Verlauf, dass Abigails Mutter bereits verstorben ist und dass ihr 84-jähriger Vater, der an Leukämie leidet, immer noch als Psychoanalytiker tätig ist.
Er ist ein klassisch ausgebildeter und denkender Freudianer, der mit der Haltung seiner Tochter hadert und ihre Arbeit beim Militär ablehnt. Er war entsetzt, als er davon hörte, dass sie Schauli ihre Zustimmung gab, seinen 3-Jahres-Dienst in der Armee freiwillig bei in einer Kampfeinheit abzuleisten.
Abigails Vater ist klug, scharfsichtig, wortgewandt und menschenfreundlich.
Er kann und will nicht verstehen, dass seine Tochter ihr psychologisches Wissen und Talent beim Militär verschwendet.
Letztlich wirft er ihr vor, die Psychologie zu missbrauchen. Anstatt mit Hilfe ihrer Methoden die Seelen der einzelnen Menschen zu heilen, wolle sie damit abgeklärte und effiziente Tötungsmaschinen kreieren.

Mit Voranschreiten der Geschichte lernen wir Noga kennen, die ebenfalls eine ehemalige Patientin von Abigail und als Pilotin in der Kampfhubschrauberstaffel tätig ist. Die beiden Frauen haben inzwischen eine vertrauensvolle Beziehung.

Es fällt auf und ist unprofessionell, dass Abigails Freunde, Vertraute, Sexualpartner allesamt aus dem Militär und/oder ehemalige Patienten von dort sind. Nur dort scheint sie die Menschen zu finden, die sie anziehen.

Immer wieder werden die Geschehnisse in der Gegenwart durch Rückblenden unterbrochen, so dass wir einen wunderbaren Einblick in das private und berufliche Leben, Denken und Fühlen der Protagonistin bekommen.

Anekdoten aus dem Alltag beim Militär ließen mich ungläubig staunen oder erschüttert den Atem anhalten.
Fallgeschichten ihrer traumatisierten Patienten waren in ihrer Unverblümtheit und Detailliertheit aufwühlend und ließen mich beklommen den Kopf schütteln.

Das Bild von Abigail wurde dabei von Seite zu Seite klarer.
Sie ist eine unsympathische Frau, die etwas Einschüchterndes und Erschreckendes hat, mich schaudern ließ und abstieß.

Sie ist hochintelligent und hat ein präzises psychologisches Gespür, das sie leider zum Erreichen des falschen Ziels einsetzt.
Nicht um Heilung, sondern um Kämpfen, Töten und Siegen geht es ihr.
Sie ist nüchtern, verachtet Schwäche und Mittelmäßigkeit und ist es gewohnt, ihren Willen durchzusetzen und ihre Ziele zu erreichen.

Abigail ist eine radikale, kompromiss- gnaden- und skrupellose, selbstdizplinierte und harte Frau mit unbändigem Siegeswillen.
Sie ist regelrecht besessen davon, stark und mächtig zu sein, arbeitet effizient, ist pragmatisch und will maximale Kontrolle.

Als Militärpsychologin brauchte sie den Kick der Gefahr und ging im Streben nach Stärke, Macht und Sieg sogar so weit, den ausgezeichnet starken und mächtigen Familienvater Rosolio zu verführen, um seine Gene zu erhalten und ein Kind mit genau diesen Eigenschaften zu bekommen. Zu erschaffen.

Spätestens nach 60 Seiten Lektüre sind ihre narzisstische Struktur und ihre damit verbundenen Größenphantasien sowie sadistische und perverse Züge zu erkennen!
Man spürt, wie gefesselt und fasziniert sie von Gewalt, töten, kämpfen und siegen ist.

Abigail reflektiert zwar, ist letztlich aber nicht wirklich selbstkritisch. Sie zweifelt nicht, ist selbstsicher und stellt sich nicht in Frage.
Einzig in der Frage „eigene Familie“ scheint sie ansatzweise Bedauern zu empfinden.

Zivilisten haben im Gegensatz zu Soldaten nur kleine Probleme (S. 10).

Sämtliche Skrupel des Generalstabschefs wischt sie weg (S. 10)

Bravourös konstruiert finde ich, dass durch die Figur ihres Vaters eine dezidiert kritische Sichtweise Einzug hält. Das ist m. E. ein gelungener Kunstgriff.

Abigail hatte ihn schon als Mädchen zum Vorbild, wollte ihn erreichen und übertreffen, rivalisierte mit ihm und empfindet ihn nach wie vor als Respekt einflößend und mächtig.
Sie hat es nie wirklich geschafft, ihn innerlich zu entmachten und emotional unabhängig von ihm zu werden. Sie fühlte sich immer kleiner und schwächer.
Deshalb will sie jetzt Macht und Stärke auf einer anderen Ebene beweisen.
Sie will nun andere Mächte besiegen, die stellvertretend für ihren Vater stehen. „Nie und nimmer wirst du den Mut dazu aufbringen, gestand ich mir ein.“ (S. 24)

Äußerlich macht sie sich vor, über ihm zu stehen, indem sie ihn belächelt und abwertet.
„Er SPIELTE für die Patienten den Fels in der Brandung.“...
Ich denke, er WAR es! (S. 24)

Abigail hat einen ausgeprägten inneren Konflikt mit ihrem Vater, den sie gleichzeitig „so liebte und so sehr fürchtete“ (S. 83) aber anstatt diesen inneren Konflikt mit Hilfe einer tiefgründigen Therapie zu lösen und ihren „inneren Vater zu töten“, flüchtet sie in die Welt des Militärs und arbeitet sich am konkreten Ziel zu kämpfen und zu töten ab.

Vielleicht nur zwei Zitate, um einen Teil von Abigails Wesens zu veranschaulichen:
„Ich erforsche die Psyche von Kämpfern schon über 20 Jahren. Ich weiß, was zu tun ist, um Soldaten tödlicher, disziplinierter und auch resistenter gegen Traumata zu machen.“ (S. 66)

„„Los, ich will in euren Augen Mordlust flackern sehen.“ Zuerst grinsten sie verlegen, aber im nächsten Moment begannen sie doch den mörderischen Messertanz, den ich verlangt hatte, ihre Gesichter verzerrten sich vor Hass, die Gebärden wurden scharf und tödlich. Das war schon wesentlich besser als vorher. „Ausgezeichnet“, lobte ich und klatsche in die Hände, „so muss man losstürmen, nicht wie Roboter, denen man Beruhigungsmittel verabreicht hat.“ (S. 124)

Natürlich sickerten Ihre Haltung und ihre Werte in ihren Sohn Schauli.
Kein Wunder, dass er sich freiwillig zu den Fallschirmjägern meldete.
Er will seiner Mutter, die sich von Schwäche angewidert abwendet, gefallen und ihr imponieren.

Yishai Sarid seziert und beschreibt den Charakter dieser im Grunde unempathischen Frau aufs Feinste. Er erfasst sie in ihrer ganzen Komplexität und Vielschichtigkeit.

„Siegerin“ ist das tiefgründige und gelungene Psychogramm einer persönlichkeitsakzentuierten Frau.
Es ist ein schonungsloses und aufwühlendes Buch mit einer hochinteressanten Thematik und befremdlichen, irritierenden und verstörenden Passagen.

Diese tragische, aber niemals melodramatische Geschichte, wird unsentimental, ruhig und glaubwürdig erzählt.
Sie hat eine archaische Wucht: Töten oder getötet werden!

Das Begriffspaar Tod oder Leben wird auch aufgegriffen, indem immer wieder Erotik und Sexualität neben Krieg und Vernichtung eine Rolle spielen.

„Siegerin“ geht nahe, wühlt auf und hallt nach. Und das alles, ohne dass der Autor jemals wertet oder urteilt. Der Leser kann sich sein eigenes Bild machen und Schlüsse ziehen, die in die eine oder andere Richtung gehen können.
Ich werde Abigail, ihren betagten Vater und ihren Sohn Schauli sicher nicht so schnell vergessen.

Für mich als Psychoanalytikerin war dieses Werk ein Highlight.

An dieser Stelle möchte ich noch kurz auf den Autor eingehen, weil er mich derart beeindruckt hat.

Der israelische Autor Yishai Sarid, wurde 1965 in Tel Aviv geboren. Er war sechs Jahre lang Soldat, dem Geheimdienst zugeteilt und als Nachrichtenoffizier in der israelischen Armee tätig, bevor er Jura studierte, als Staatsanwalt und später als Rechtsanwalt arbeitete.

Wie ich leider erst nach der Lektüre herausgefunden habe, knüpft sein neuer Roman "Siegerin" wohl unmittelbar an den erfolgreichen Vorgängerroman "Monster" an.
Tja, ich werde sicher nicht umhinkommen, auch dieses Werk zu lesen


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Veröffentlicht am 04.06.2021

Originell, kurzweilig und interessant, aber Tiefe fehlt...

Der Algorithmus der Menschlichkeit
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Der Roman „Runa“ von Vera Buck hat mir bereits äußerst gut gefallen und da ich mich sehr für künstliche Intelligenz und ihre Auswirkungen auf den Einzelnen, seine zwischenmenschlichen Beziehungen und die ...

Der Roman „Runa“ von Vera Buck hat mir bereits äußerst gut gefallen und da ich mich sehr für künstliche Intelligenz und ihre Auswirkungen auf den Einzelnen, seine zwischenmenschlichen Beziehungen und die Gesellschaft interessiere, war es für mich keine Frage, ob ich dieses Werk lesen möchte.

Science Fiction, Dystopie oder Utopie?

Sobald wir das Buch aufschlagen, sind wir im Besucherraum einer Haftanstalt und beobachten, wie Dr. Gottsein hereinkommt und sich gegenüber von Mari an einen Tisch setzt.
Mari ist diejenige, die Dr. Gottsein erst unabsichtlich umgebracht und dann wiederbelebt hat.
Jetzt, hier im Besucherraum der Haftanstalt sprudelt er wie ein Wasserfall.
Er spricht von seiner zweiten Chance durch die Auferstehung von den Toten, erzählt von vergangenen Jahren, seinem neu erwachten Interesse für Religionen und seiner Idee, nach Nigeria zu reisen, um sich dort mit dem Glauben afrikanischer Naturreligionen zu befassen.

Gottsein wurde von seiner Frau, einer Psychologin, und den Kindern verlassen. Er hat jetzt nur noch seinen Therapeuten und seinen Hund Ödipus.
Mari wird sich, das hat sie gerade versprochen, um Ödipus kümmern, solange Dr. Gottsein in Nigeria sein wird.
Der Gefängniswärter macht ihr allerdings einen Strich durch die Rechnung und Ödipus landet bei der tausendfach gepiercten Frieda, die Mari täglich im Gefängnis besucht und sie mit Hilfe eines Computerexperten aus der Untersuchungshaft holen möchte.
Ein Computerexperte? Jawohl, denn Mari ist eine Maschine, ein Roboter, ein Fembot.
Sie ist eine „beinahe echte Frau“, die keinen Stromanschluss, aber Zuckerlösung, Cola oder Gatorade braucht, Sommersprossen hat, dunkelbraunes Echthaar trägt, sich leise und fließend bewegt, sprechen und lernen kann, einen hohen IQ und Einfühlungsvermögen hat und auch sonst ziemlich menschlich ist.


Der Roman, in dem es um künstliche Intelligenz geht, beginnt, gelinde gesagt, skurril und ich war erstmal mächtig verwirrt.
Aber es dauerte nicht lange und ich war mittendrin.
Geholfen hat mir dabei Mari, die, nachdem sie selbst durch eine gründliche Untersuchung des Computerexperten völlig verwirrt war, begonnen hat, die Ereignisse gründlich zu sortieren.
Die Sortierung beginnt dabei mit Maris Geburt bzw. Ankunft im Pygmalion, dem legendären und umstrittensten Tanzclub in Berlin, der Greta Schnabel gehört. „Schnabel‘s Sexroboterclub“, so wird das Pygmalion von der Presse genannt.

Recht bald lernt Mari den einsamen Programmierer Kai, einen „totalen Nerd“, kennen, der im Rollstuhl sitzt und einfach nur Schach spielen oder reden möchte. Sie führen interessante Gespräche, in denen auch mal nachdenkenswerte Sätze fallen wie „… dabei ist Scheitern doch wie Stolpern… Das geht nur vorwärts.“ (S. 40)

Auch die bereits oben genannte Frieda, genauer gesagt, die rebellische und kluge Kellnerin Störenfrieda, hat Mari im Pygmalion kennengelernt.

Und dann bekommen Mari und die anderen Fembots eine neue Kollegin, die auch als Liebesroboter im Club von Greta Schnabel tätig sein soll.
Mim heißt die Neue.
Mim ist noch ein Kind.
Mari ist entrüstet!
Die Schläge, die Mari dem ersten Freier, der sich für Mim interessiert, verpasst, haben Folgen...

Mehr verrate ich zum Inhalt nicht.

Nach einem etwas schwierigen Ankommen im Buch wurde ich schnell und für lange Zeit vom überraschenden und originellen Inhalt gepackt. Ich fand so Einiges an Denkanstößen und fühlte mich prima unterhalten.

Zur Veranschaulichung des Stils möchte ich einen kurzen amüsanten und treffenden Auszug eines Gesprächs zwischen Mim und Marie zitieren:
„„Greta hat da ganz viele knöcherne Hügel“, sagte Mim „ihre Wirbel sind Berge und Täler, eine richtige Landschaft. Bei dir, Mari, ist hier alles ganz glatt.“
„Das ist, weil Greta ein Mensch ist und ich bin ein Fembot“ sagte Mari. „Die Hersteller haben mir kein Rückgrat gegeben.“
„Viele Menschen haben kein Rückgrat“, wusste Mim. „Aber Wirbel haben sie trotzdem.““

... und noch ein paar andere interessante oder denkwürdige Sätze:
„Die menschliche Normalität war nach wie vor eine schwer zu begreifende Angelegenheit. Sie ergab sich immer nur daraus, was die Mehrheit der Menschen tat, und hatte in der Folge wenig mit Logik zu tun.“ (S. 97)

„Es ist, wie es ist, aber nur, bis man es ändert.“ (S. 120)

„Trotz all des Faszinierenden, das es in der Welt zu entdecken gab, interessierten sich die Menschen doch am meisten für nackte Hintern und Biotonnen, erkannte Mari. Der Verschwendung menschlicher Lebenszeit waren wirklich keine Grenzen gesetzt. (S. 190)

Einfach nur klasse: „Nebenbei bemerkt, ein interessantes Wort, diese Ausnahmeregel“ sagte Mari. „Das drückt schon in sich die ganze Paradoxie der Sache aus! Ebenso wie Trauerfeier. Oder Gefrierbrand. Oder Frauenmannschaft.“ (S. 226)

„Linus gesteht Marie: „Ich war… Ich weiß auch nicht. Einigermaßen überfordert mit den Dingen und mit mir selbst. Als wäre mein Kopf ein Internetbrowser, in dem zu viele Fenster geöffnet waren.“
Marie wollte ihm sagen,… dass es wegen der Sache mit dem Internetbrowser sinnvoll war, die Dinge regelmäßig zu ordnen, zu sortieren und zu gewichten. Dass man ganz gut über die Runden kam, wenn man nur lernte, die unwichtigen Fenster zuschließen.“ (S. 246)
Guter Tipp, oder?

Mit Voranschreiten der Lektüre ließ meine Faszination nach.
Einiges wurde mir dann doch zu abgedreht, zu utopisch und zu flach.
Es war nach wie vor unterhaltsam, Mari, Frieda und all den anderen zu folgen, aber eben nicht mehr im gleichen Ausmaß wie vorher.
Manchmal hatte ich das Gefühl von einem erhobenen Zeigefinger im Hintergrund oder auch von allzu offensichtlichen Weisheiten.
Die Botschaft am Ende war mir zu augenscheinlich, sachlich und plump, auch wenn ich ihren Inhalt teile. Da war wenig Poetisches, wenig Verschlüsseltes... aber es war eben auch eine Botschaft von Mari und Mari ist nunmal eine Maschine und kein Mensch und darf man da Poesie erwarten?


„Der Algorithmus der Menschlichkeit“ greift das brisante Thema der künstlichen Intelligenz auf, gibt Denkanstöße, hält einem das ein oder andere Mal den Spiegel vor und ist unterhaltsam, kurzweilig und oft auch witzig, ironisch oder sarkastisch.
Trotzdem hat der Roman nicht so ganz meinen Erwartungen entsprochen.
Die sich aufdrängenden Themen und Fragen wurden überwiegend zu oberflächlich oder zu offensichtlich behandelt.
Dass ich das so empfinde hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, dass ich schon Einiges zum Thema gelesen habe.
Für „Frischlinge“ fühlt sich das wahrscheinlich anders an.

Ich empfehle den Roman als kurzweilige und originelle Unterhaltungslektüre und um in Berührung mit der hochinteressanten und brisanten Thematik „künstliche Intelligenz“ zu kommen.

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Veröffentlicht am 31.05.2021

Auswanderer-, Abenteuer- und Liebesgeschichte...

Seeland Schneeland
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Der Roman spielt vor einhundert Jahren, im Februar 1921, im kleinen Ort Newport an der walisischen Küste und auf einem Auswandererschiff.

Wir lernen zunächst den 24-jährigen Merce Blackboro kennen, der ...

Der Roman spielt vor einhundert Jahren, im Februar 1921, im kleinen Ort Newport an der walisischen Küste und auf einem Auswandererschiff.

Wir lernen zunächst den 24-jährigen Merce Blackboro kennen, der trotz seines jungen Alters bereits auf Shackletons Endurance-Expedition dabei war...einer gescheiterten Südpol-Expedition, durch die Merce dem ersten Weltkrieg entkommen konnte.

Bevor er auf dieser Expedition einprägsame Erfahrungen gemacht hat, war Merce ein vitaler junger Mann, der mit Frohsinn, Wissensdurst und Lebenshunger gesegnet war. Jetzt, nach seiner Rückkehr ist er verändert. Eine gewisse Antriebs- und Interesselosigkeit haben sich breit gemacht.
Ein Interesse lebt aber nach wie vor in ihm: sein Interesse an Ennid Muldoon, die im selben Ort wohnt. Leider werden dieses Interesse bzw. diese Leidenschaft und diese Liebe nicht von der lebensfrohen und freigeistigen Ennid erwidert.
Eines Tages beschließt sie, ihr Glück in Amerika zu suchen. Der kleine walisische Ort, der wirtschaftlich unter den Nachwehen des ersten Weltkriegs zu leiden hat, ist ihr zu eng und zu viele traurige Erinnerungen hängen an ihm.
Auf dem Überseedampfer „Orion“, der sie in ihre neue Heimat bringen soll, lernt sie den reichen und gelangweilten Diver Robey kennen, der trotz Langeweile einen Traum hat, der ihn antreibt: eine Flugverbindung zwischen Amerika und Europa.

Die Überfahrt wird alles andere als behaglich, unbeschwert oder erholsam.
Kälte, eisige Winde und Stürme, ständiger Schneefall.
Die wilde See.
Alles ist grau und trüb.
Eine dramatische Situation resultiert.

Merce, Ennid und Diver Robey sind präzise und prägnant ausgearbeitete Charaktere. Sie werden in all ihrer Vielschichtigkeit und Individualität gezeichnet und es macht Spaß, sich mit ihnen zu beschäftigen.

Der 1965 geborene Mirko Bonné hat mit „Seeland Schneeland“ eine unterhaltsame, gefühlvolle und atmosphärische Auswanderer-, Abenteuer- und Liebesgeschichte mit fesselndem und stimmigem Plot geschrieben.

Erst jetzt, nach der Lektüre, erfuhr ich, dass es eine Art Vorgängerroman gibt: „Der eiskalte Himmel“ von 2006.
Dort ging es wohl um die Trans-Antarktik-Expedition des Briten Sir Ernest Shackleton von 1914 bis 1916. Bereits damals spielte Merce Blackboro wohl eine bedeutende Rolle, weil er sich als 17-jähriger blinder Passagier an Bord geschlichen hatte.
Dass ich dieses Buch auch lesen muss, steht fest, denn mir hat „Seeland, Schneeland“ prima gefallen.

Es ist eine absolute Leseempfehlung für alle, die abenteuerliche, poetische und intensive Romane mögen, in denen Liebe, Träume und Sehnsüchte eine große Rolle spielen.

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