Platzhalter für Profilbild

Bookworm_BW

Lesejury Star
offline

Bookworm_BW ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Bookworm_BW über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.05.2021

...nach holperigem Einstieg wird’s immer besser...

Otmars Söhne
0

„Otmars Söhne“ ist der komplexe und spannende Auftakt zu Peter Buwaldas Trilogie.

Dolf kennt seinen leiblichen Vater nicht, weil dieser sich schon vor seiner Geburt aus dem Staub gemacht hat.
Seine Mutter ...

„Otmars Söhne“ ist der komplexe und spannende Auftakt zu Peter Buwaldas Trilogie.

Dolf kennt seinen leiblichen Vater nicht, weil dieser sich schon vor seiner Geburt aus dem Staub gemacht hat.
Seine Mutter Ulrike, eine sympathische und couragierte Frau, hat seit seinem 10. Lebensjahr einen neuen Lebensgefährten und Ehepartner.
Otmar ist ein Witwer, der seine beiden Sprösslinge Dolf und Tosca, zwei musikalisch begabte Wunderkinder, mit in die Patchworkfamilie bringt.
Deren musikalische Förderung, Erziehung an sich, resultierender Leistungsdruck und klassische Musik spielen im Alltagsleben der fünf eine große Rolle.

Aus der Sicht Dolfs, der später Ludwig genannt wird, weil es sonst zu Verwirrungen aufgrund der Namensgleichheit mit seinem Stiefbruder kommen könnte, wird uns eine gleichermaßen alltägliche wie ungewöhnliche Familiengeschichte erzählt.

Wir lernen den mehr oder weniger unspektakulären Alltag der verschiedenen und z. T. etwas sonderbaren Charaktere kennen und bekommen differenzierte und tiefe Einblicke in ihre Innenwelten. Die Protagonisten werden dabei vielschichtig und mit all ihren Ecken und Kanten dargestellt.
Ich beobachtete und begleitete sie gerne.

Der erwachsene Ludwig arbeitet schließlich für eine Erdölfirma und wird von dieser nach Sibirien geschickt, um auf der Insel Sachalin neue Erdölfelder mittels seismischer Erschütterungen aufzuspüren.

Ganz nebenbei spürt er noch „etwas“ ganz anders auf:
Johan Tromp, den er zwar für seinen leiblichen Vater hält, den er aber nicht darauf anspricht.
Außerdem lernt er auch die Journalistin Isabelle kennen. Sie arbeitet investigativ für die Financial Times und ist bestrebt, Johan Tromp, dessen Gespielin sie einst war, zu überführen.

Der Roman behandelt viele interessante Themen.
Neben den bereits oben genannten Themen Probleme einer Patchworkfamilie, klassische Musik, Erziehung und Erwartungsdruck, spielen die Suche nach seiner Geschichte, seinen Wurzeln und seinem Selbst sowie die Suche nach seinem Platz im Leben und natürlich die Suche nach dem leiblichen Vater eine große Rolle.

Peter Buwalda hat mit „Otmars Söhne“ ein außergewöhnliches und eigenwilliges, z. T. etwas langatmiges, überwiegend tiefgründig-packendes Werk erschaffen, das wohl auch besonders denjenigen Lesern zusagt, die klassische Musik mögen.

Der Leser wird sowohl mit skurrilen, abstrusen und witzigen, als auch mit brutalen, heftigen und verstörenden Szenen und Situationen überrascht.

Es erfordert Konzentration und Aufmerksamkeit, um dem Plot zu folgen, da Zeitebenen und Schauplätze oft abrupt wechseln. Das Buch liest sich nicht locker, flockig und flüssig weg, was mir persönlich aber nicht so viel ausmachte, weil ich recht gern fordernde Lektüre lese, auch wenn der Lesefluss nicht so einfach dahinplätschert.

Der Autor erzählt nicht chronologisch, sondern etwas sprunghaft und man muss schon etwas achtgeben, um am Ball zu bleiben.

Nachdem ich in der äußerst facettenreichen Geschichte angekommen bin, was etwas gedauert hat, flog ich neugierig und gespannt durch die Seiten.
Und jetzt, nach der Lektüre, die sowohl Überraschungen bereithält als auch Längen hat, bin ich zwar etwas gespalten in meiner Meinung, freue ich mich aber trotzdem sehr auf die beiden weiteren Bände, um zu erfahren, wie es weitergeht.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 15.05.2021

Ein stilles und poetisches Buch, das Denkanstöße gibt und den Horizont erweitert.

Beinahe Alaska
0

Eine Kreuzfahrt fast nach Alaska, Alltag auf dem Schiff und Eindrücke von den Tagesausflügen.

Die Ich-Erzählerin, eine Mittvierzigerin und Fotografin aus Berlin, begibt sich auf den Weg nach Alaska.
Sie ...

Eine Kreuzfahrt fast nach Alaska, Alltag auf dem Schiff und Eindrücke von den Tagesausflügen.

Die Ich-Erzählerin, eine Mittvierzigerin und Fotografin aus Berlin, begibt sich auf den Weg nach Alaska.
Sie soll für einen Verlag Bilder von der Arktis machen und darauf die dortige Atmosphäre einfangen.

Sie sitzt zunächst im Flugzeug über den Gletschern Grönlands und denkt an ihre Verluste, die sie in ihrem bisherigen Leben verkraften musste.
Nach der Landung in „Nasser Sack“, einem kleinen Ort an der Südspitze Grönlands, geht sie über die Gangway an Bord des Passagierschiffes MS Svalbard, das sie und die anderen Kreuzfahrtteilnehmer in zweieinhalb Wochen nach Alaska bringen soll.

Sie beobachtet die anderen Passagiere und lernt den ein oder anderen, darunter auch nervtötenden, Gesprächspartner kennen.
„Sie drücken einen mit ihren luftdichten Wörtern und nahtlos aneinandergefügten Sätzen förmlich zu Boden, man kam nicht hoch, man konnte sich nicht rühren, keine Chance. Kein aber, kein ach, man hätte husten, röcheln, an Atemnot verenden können, sie hätten zumindest den Satz noch zu Ende geredet und einen dann vorwurfsvoll angesehen.“ (S. 52)

Der ca. 70-jährige akkurate Herr Mücke war vor seiner Pensionierung Uhrmacher und Lehrer und ist seit dem Tod seiner Frau fast ständig auf Reisen.

Lewis hat Krebs und wird bald sterben.

George hatte schon drei Schlaganfälle und seine Frau Agnes legt Wert auf Butterkuchen um vier. Die Kreuzfahrt bekamen sie von ihren Kindern zum Hochzeitstag geschenkt.
Kinder seien wirklich alles, betont George... und da war es wieder: das Kinderthema.

Die Ich-Erzählerin wünscht sich, dass der eiskalte Wind an Deck ihren Schmerz und die quälenden Erinnerungen davonbläst.

Schon bald steht der erste von vielen Landausflügen an.
Mit einem Tenderboot geht’s, begleitet von Expeditionsleitern, zu mehr oder weniger bekannten, geschichtsträchtigen oder verlassenen, kargen, freundlichen oder unwirtlichen Orten.

Zwischendurch geht’s mit dem Schiff immer weiter Richtung Alaska.
Wir lernen weitere Kreuzfahrttouristen kennen, erleben Ausschnitte von Vorträgen über die Arktis oder die Inuit mit und lauschen Gesprächen zwischen Expeditionsteilnehmern.
Wir haben Teil an den Gedanken und Beobachtungen der Ich-Erzählerin, entdecken Krabbentaucher, Schneegänse und Eissturmvögel und nähern uns so der Arktis.

Es gibt auch viel Interessantes zu erfahren, wie zum Beispiel: „Perlerorneq - so nennen die Inuit die Winterdepression. Das Wort bedeutet: vom Gewicht des Lebens erdrückt werden.“ (S. 77)

Und immer wieder begleiten wir die Ich-Erzählerin auf Exkursionen.
Mit dem Boot vom Schiff aus durchs Meer zu beeindruckenden archaischen Orten wie Dundas Harbour oder Beechey Island, die ich natürlich googeln „musste“, weil Arezu Weitholz mich so neugierig gemacht hat.

Und dann wurde das Eis zu dick, um weiter zu fahren…

Arezu Weiholz formuliert in „Beinahe Alaska“ äußerst interessante Gedanken.
Sie hinterfragt z. B. gängige Bezeichnungen: „Wieso überhaupt alleinstehend? Wieso nicht alleingehend oder alleinliegend oder alleinlaufend? Als stünde man die ganze Zeit herum, so alleine. Zu einem Paar würde ja auch keiner sagen: „Ach, Sie sind wohl zusammenstehend.“...“ (S. 16)

Immer wieder stößt man auf wunderschöne, bildhafte und poetische Formulierungen:
„Leise zog das Schiff durch den Fjord, wie ein Messer durch weiche Butter.“ (S.18)

„Da war ein Glitzern und Funkeln, das die Sonne auf das Blau warf, Abertausend Diamanten, die das Meer in einen gigantischen Lurexteppich verwandelten.“ (S. 30)

„An Deck klatschte mir eiskalter Wind wie ein feuchter Lappen ins Gesicht.“ (S. 38)

Mir gefiel die eindrückliche Sprache der Autorin und ich staunte immer wieder über die schönen Bilder:

„Es war unmöglich, über ein Manuskript zu reden. Wenn man darüber sprach, fiel es in sich zusammen wie ein Soufflé, das man zu früh aus dem Ofen genommen hatte. Ideen waren besonders zarte und zerbrechliche Geschöpfe.“ (S. 59)

„Beinahe Alaska“ ist ein nur 186-seitiges ruhiges und tiefgründiges Werk, das weder mit Ernsthaftigkeit noch mit leisem Humor geizt und zum Mit- und Nachdenken anregt.

Arezu Weitholz ist eine präzise Beobachterin und talentierte Erzählerin.

Aufgrund der detaillierten und eindrücklichen Naturbeschreibungen sieht man die Landschaft vor sich und spürt die Kälte.
Das leuchtende Weiß, die gefleckten und marmorierten Felswände, beeindruckende Wasserfälle, grellgrün leuchtendes Moos, Eisberge mit türkisen Streifen...

Darüber hinaus war „Beinahe Alaska“ für mich eine lehrreiche Lektüre, denn ich konnte es nicht lassen, immer wieder parallel dazu zu googeln.

Ich empfehle diese „Reisebeschreibung“, in der es nicht in erster Linie um das Außen, sondern um das Innen geht, sehr gerne weiter.
Es macht Freude, den Gedanken der Ich-Erzählerin zu dem, was sie auf der Expeditionskreuzfahrt sieht und erlebt, zu lauschen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 09.05.2021

Ein absolut lesenswerter Klassiker!

Die Beichte einer Nacht
0

Der Roman „Die Beichte einer Nacht“ von der 1886 in Amsterdam geborenen Marianne Philips ist ein Klassiker.
Ein Klassiker, der erstmals 1930 erschien, bedauerlicherweise in Vergessenheit geriet und glücklicherweise ...

Der Roman „Die Beichte einer Nacht“ von der 1886 in Amsterdam geborenen Marianne Philips ist ein Klassiker.
Ein Klassiker, der erstmals 1930 erschien, bedauerlicherweise in Vergessenheit geriet und glücklicherweise im April 2021 von Diogenes wieder neuveröffentlicht wurde.

Wir lernen Heleen kennen, die sich in einer psychiatrischen Klinik befindet.
Eines Nachts, als sie mal wieder nicht schlafen kann weil sie sich von den Anderen im Gemeinschaftsschlafsaal gestört fühlt, wendet sie sich an die Nachtschwester.
Zuerst jammert und beklagt sich Heleen nur, aber nach und nach öffnen sich die Schleusen. Sie erzählt und die Nachtschwester hört zu.
Auf diese Weise erfahren wir vom Leben einer bewundernswerten und mutigen Frau, die keine Chancen hatte und doch ihren Weg ging.

Schon früh musste sie als Älteste für ihre vielen Geschwister Verantwortung übernehmen. Ihr bösartiger Vater und ihre überforderte und gleichgültige Mutter machten ihr das Leben nicht leichter.
Es war vor allem ihre Schönheit, die ihr aus dem ärmlichen Milieu und dem Elend ihrer Herkunft heraushalf.
Dann das Scheitern einer Ehe und der finanzielle Ruin - das brachte neue Schwierigkeiten und neues Unglück.
Und dann doch noch die große Liebe. Zu einem Sportlehrer.
Aber nun ist sie in einer psychiatrischen Klinik...
Was ist da passiert?

„Die Beichte einer Nacht“ ist eine fesselnde und tiefgründige Lektüre in eloquenter und poetischer Sprache.
Keine leichte Kost, aber absolut lesenswert!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 07.05.2021

Eine ganz besondere Kurzgeschichtensammlung!

Das Geisterschiff (Steidl Nocturnes)
0

Ein Piratenschiff voller fluchender und trinkender Geister.
Es ankert nach einem Wirbelsturm plötzlich auf einem Rübenacker des idyllischen Dörfchens Fairfield, einem Ort zwischen London und der Südküste.
Piraten, ...

Ein Piratenschiff voller fluchender und trinkender Geister.
Es ankert nach einem Wirbelsturm plötzlich auf einem Rübenacker des idyllischen Dörfchens Fairfield, einem Ort zwischen London und der Südküste.
Piraten, Rum und Gespenster.
Der Dorfpfarrer ist jetzt gefragt. Er sollte nach dem Rechten schauen.

„Das Geisterschiff“, die titelgebende Erzählung, ist Middletons bekannteste Kurzgeschichte, aber auch die anderen 12 Erzählungen, die dadurch entstehen, dass die Geister des Schiffes mit den Geistern des Ortes in Kontakt kommen, sind es wert, gelesen und bekannt zu werden!

Es geht in diesem diesem nur 128 Seiten langen und wunderschön gestalteten Kurzgeschichtenband, einer deutschen Erstausgabe, letztlich um Außenseiter bzw. besondere oder außergewöhnliche Figuren.
Wir lernen z. B. einen Jugendlichen aus der englischen Provinz kennen, der in ein fernes Internat kommt. Entgegen vieler seiner Mitschüler hinterfragt er vieles. Er lehnt bequeme und unreflektierte Anpassung sowie verdummenden Drill ab und zieht Individualität der Konformität vor... wie es ihm mit dieser Haltung wohl ergehen wird?
Außerdem begegnen wir einem Polizisten, einem Landstreicher, einem Sargverkäufer und einem Adeligen... und vielen weiteren interessanten Persönlichkeiten.

Der 1882 geborene Richard Barham Middleton war wahrlich ein Meister der kurzen Form. Er war ein präziser Beobachter und talentierter Erzähler.
In aller Kürze brachte er tiefgründige, raffiniert komponierte und packende Geschichten zu Papier, die allesamt einen eigenen Ton haben: Mal gruselig-schaurig, mal melancholisch, mal traurig, mal düster, mal humorvoll.

Ich fühlte mich von der Lektüre sehr gut unterhalten und empfehle sie äußerst gerne weiter!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.05.2021

Die überwältigende Schönheit der Natur...

Der Schneeleopard
0

„Der Schneeleopard“ ist ein wunderbares, gleichermaßen sprach- und bildgewaltiges wie zartes und eindrucksvolles Buch, das uns lehrt, wie wichtig und bereichernd es ist, die Natur zu schätzen und sie zu ...

„Der Schneeleopard“ ist ein wunderbares, gleichermaßen sprach- und bildgewaltiges wie zartes und eindrucksvolles Buch, das uns lehrt, wie wichtig und bereichernd es ist, die Natur zu schätzen und sie zu schützen.

Wir begleiten eine Vierergruppe auf ihrer Suche nach den letzten, seltenen und majestätischen Schneeleoparden in die tibetischen Hochebenen.
Der Tierfotograf Vincent Munier führt die Gruppe an, zu der auch seine Freundin, die Filmerin Marie, sowie der „Philosoph Leo“ und der Autor des Buches gehört.
Er beschreibt hier seine Eindrücke, Gedanken und Gefühle, während sich die Gruppe durch die Bergwelten kämpft, stundenlang geduldig ausharrt, auf den Schneeleoparden wartet und dabei die Natur beobachtet.

Der 1972 in Paris geborene Sylvain Tesson hat mit „Der Schneeleopard“ eine feinsinnige, ruhige und poetische Abenteuergeschichte geschrieben, in der man mit philosophischen Fragestellungen und wunderbaren Beschreibungen der Innen- und Außenwelten überrascht wird.

Ich empfehle dieses außergewöhnliche, ruhige und absolut lesenswerte Buch, das eine Hommage an die Natur ist, sehr gerne weiter.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere