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Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein spannender, wendungsreicher und raffiniert komponierter Krimi, der zum Miträtseln einlädt

Todesgruß
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Bei Todesgruß handelt es sich um den ersten Kriminalroman von Astrid Plötner im Gmeiner-Verlag und um den Auftakt einer neuen Krimireihe um Kommissarin Maike Graf und ihren Kollegen Max Teubner von der ...

Bei Todesgruß handelt es sich um den ersten Kriminalroman von Astrid Plötner im Gmeiner-Verlag und um den Auftakt einer neuen Krimireihe um Kommissarin Maike Graf und ihren Kollegen Max Teubner von der Kriminalpolizei Unna. Ich habe mich sehr gefreut, als mich die Autorin anschrieb und anfragte, ob ich ihren Kriminalroman Todesgruß lesen und rezensieren möchte, denn der Klappentext klang äußerst spannend. Dennoch war ich ein wenig skeptisch, da in manchen Rezensionen von einem „Regionalkrimi“ die Rede ist und der Gmeiner-Verlag für dieses Subgenre des deutschen Kriminalromans auch bekannt ist. Erstaunlicherweise erfreuen sich Regionalkrimis ja großer Beliebtheit, aber für mich gibt es kaum etwas Langweiligeres als Kriminalromane, bei denen man den Eindruck gewinnt, man läse eigentlich einen Reiseführer. Selbst wenn ich die Region kenne, in der der Schauplatz angesiedelt ist, reagiere ich auf Regionalkrimis ein wenig allergisch, weil die örtlichen Eigenheiten häufig viel zu sehr ins Zentrum gerückt werden und die eigentliche Krimihandlung dabei fast in Vergessenheit gerät. Gut recherchierte und authentische Schauplätze sind durchaus wichtig und machen auch Sinn, wenn sie für die erzählte Geschichte notwendig sind oder das Setting eine bestimmte Stimmung erzeugen soll, aber häufig zielt der Lokalkolorit nur darauf ab, dass der Leser – sei er nun Einheimischer oder Tourist – die ihm bekannten Örtlichkeiten wiedererkennt und sich Klischees über die schrulligen Eigenheiten der Bewohner einer bestimmten Region in den Köpfen festfressen. Mir gehen Krimis, in denen die eigentliche Handlung vor den örtlichen Gegebenheiten vollkommen in den Hintergrund rückt allerdings ziemlich auf die Nerven, weshalb ich um Bücher, die als Bodensee-, Eifel- oder Alpenkrimi beworben werden, einen großen Bogen mache. Sie sind schon ermüdend, falls man sich in der Region auskennt, aber wenn man noch nie an diesen Orten war, sind solche Krimis geradezu unlesbar. Da ich noch nie in Unna war, war ich also doch ein bisschen skeptisch. Glücklicherweise waren meine Bedenken bei Astrid Plötners Kriminalroman Todesgruß völlig unberechtigt. Auch wenn Einheimische und Kenner der Stadt Unna die Schauplätze, von denen im Buch die Rede ist, sicherlich wiedererkennen, muss man kein Insider sein, um sich die Örtlichkeiten vorzustellen. Diese liefern auch lediglich die Kulisse für die Romanhandlung. Die Geschichte würde auch in jeder anderen Kleinstadt funktionieren, denn im Zentrum des Romans stehen nicht die regionalen Gegebenheiten oder Eigentümlichkeiten der Stadtbewohner, sondern ein überaus spannender Kriminalfall, der sich überall zugetragen haben könnte.
Schon allein die Idee des Mörders, bei den Leichen einen letzten Gruß in Form eines Lebkuchenherzes zu hinterlassen, ist ja recht skurril und hat mir sehr gut gefallen. Warum tut ein Mörder so etwas? Wohl kaum, um seinen Opfern eine letzte Ehre zu erweisen. Die Lebkuchenherzen tragen die Aufschrift „Ein letzter Gruß, G.“, und so stellt sich natürlich die Frage, ob der Vor- oder Nachname des Täters wirklich mit G beginnt oder ob der Mörder die Ermittler damit auf eine falsche Spur lenken will? Vermutlich wird sich das jeder Leser fragen, weshalb Astrid Plötner eine ganze Reihe ihrer Romanfiguren mit Namen ausgestattet hat, die mit G beginnen – Guido, Gero, Grabowski, Gröning, Gieske… Sobald ein Protagonist mit dem verräterischen Buchstaben im Namen auftauchte, habe ich überlegt, ob er vielleicht für die Morde verantwortlich sein könnte.
Da es in diesem Kriminalroman von unsympathischen Protagonisten, denen man eine solche Tat durchaus zutrauen würde, ohnehin nur so wimmelt, hatte ich im Verlauf der Handlung aber nahezu jeden einmal im Verdacht, hinter den Morden zu stecken, denn auch Charaktere ohne ein verräterisches G im Namen, verhalten sich häufig verdächtig oder hätten ein plausibles Motiv. Somit wurde ich immer wieder auf die falsche Fährte gelockt, rätselte natürlich immer mit und war sehr gefesselt von diesem Buch, da ich ja wissen wollte, ob ich mit einer meiner Theorien vielleicht richtig liege.
Die Autorin hat alle Figuren ihres Romans, auch die Nebenfiguren, sehr präzise, authentisch und glaubwürdig ausgearbeitet. Der Leser begleitet nicht nur Maike Graf und ihre Kollegen bei den Ermittlungen, sondern wird in einem weiteren Handlungsstrang auch mit einem der Hauptverdächtigen, dem äußerst dubiosen Immobilienmakler Gero Krüger konfrontiert. Ich kann nicht behaupten, dass ich diesen Mann mochte, aber er ist zweifellos der interessanteste Charakter dieses Romans. Er ist dem Alkohol sehr zugetan und hoch verschuldet, würde über Leichen gehen, um an Geld zu kommen und greift auch zu ungesetzlichen Methoden und verabscheuungswürdigen Druckmitteln, um seine Immobiliengeschäfte voranzutreiben. Besonders erfolgreich ist er dabei allerdings nicht und im Grunde ein bedauernswerter Versager. Wäre er nicht so skrupellos, könnte man fast ein wenig Mitleid mit dieser in jeder Hinsicht gescheiterten Existenz haben.
Die männlichen Kollegen von Hauptkommissarin Maike Graf, Max Teubner und Sören Reinders, waren mir sehr sympathisch. Ein kleiner Nebenstrang, in dem Kommissar Max Teubner von einem Jugendlichen verfolgt wird, war leider nicht besonders spannend, da mir sehr schnell klar war, warum es der junge Mann auf Teubner abgesehen hat, und ich war doch ein wenig erstaunt, dass er selbst so lange nicht dahinterkam. Nur mit Maike Graf wollte ich nicht so recht warm werden. Es ist zwar ganz erfrischend in einer Krimireihe eine Ermittlerfigur anzutreffen, die nicht latent depressiv, vollkommen verschroben oder schrullig ist, aber mir war sie fast ein wenig zu glatt und leblos. Ich fand es allerdings sehr rührend, wie sie ihre eigenen Bedürfnisse hintenanstellt, um sich um ihre pflegebedürftige Nachbarin zu kümmern, deren Sohn mit der Betreuung seiner Mutter vollkommen überfordert ist. Maike Graf hat im Grunde sehr positive und löbliche Charaktereigenschaften, ist selbstlos, arbeitet professionell, ist klug und besonnen, aber ein paar Ecken und Kanten, etwas mehr Temperament und Emotionalität hätten dieser Figur sicher gutgetan.
Doch auch wenn mir diese Hauptprotagonistin nicht so recht ans Herz wachsen wollte, hat mir Astrid Plötners Kriminalroman überaus gut gefallen. Überzeugt hat mich vor allem ihr Geschick, den Leser immer wieder auf die falsche Fährte zu locken und einen gut durchdachten Plot zu konstruieren. Das Ende hat mich vollkommen überrascht, denn mit dieser Auflösung des Falls hätte ich niemals gerechnet. Sehr schön war, dass das Ende trotz aller Unvorhersehbarkeit, schlüssig, logisch und nicht überkonstruiert war.

Todesgruß ist ein spannender, intelligenter und wendungsreicher Kriminalroman, der zum Miträtseln einlädt und mich aufgrund seiner glaubwürdigen Figuren und eines raffinierten Plots überzeugen konnte. Ich bin jedenfalls schon sehr gespannt auf den nächsten Fall für Kommissarin Maike Graf und ihren Kollegen Max Teubner.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Eine gelungene Mischung aus Thriller und Familiendrama - spannend und mitreißend erzählt

Die Schwester
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Joy Fielding gehört zu den wohl produktivsten und erfolgreichsten Thrillerautorinnen und gilt als „Meisterin des Psychothrillers“. Ich habe die Autorin vor mehr als zwanzig Jahren für mich entdeckt und ...

Joy Fielding gehört zu den wohl produktivsten und erfolgreichsten Thrillerautorinnen und gilt als „Meisterin des Psychothrillers“. Ich habe die Autorin vor mehr als zwanzig Jahren für mich entdeckt und seitdem viele ihrer Bücher gelesen. Man kann sich recht zuverlässig darauf verlassen, dass jedes Jahr ein neues Buch von ihr erscheint, und auch wenn mich nicht jedes gleichermaßen begeistern konnte, haben sie mir alle gut gefallen. Allerdings brauche ich immer eine Pause zwischen ihren Büchern, denn da alle nach dem ähnlichen Strickmuster gestrickt sind, wird es sonst doch ein wenig ermüdend. Wenn man jedoch eine Zeit verstreichen lässt, dann kann man sich auf jedes neue Buch dieser Autorin freuen und darauf vertrauen, nicht enttäuscht zu werden. Fielding versteht ihr Handwerk, hat gute Geschichten und zweifellos Talent, sie überaus spannend und mitreißend zu erzählen. Ihr Erfolgsrezept hat sich jedenfalls bewährt, weshalb sie sich stets auf ähnliche Zutaten verlässt, um aus ihnen immer wieder ein neues alptraumhaftes Szenarium zu entwerfen, das den Leser, bzw. vor allem die Leserin, in seinen Bann zieht.
Da mein letztes Buch von Joy Fielding nun fast zwei Jahre zurückliegt, habe ich mich sehr auf ihren neusten Roman Die Schwester gefreut.
Offensichtlich wurde sie von dem realen Vermisstenfall der Maddie McCann zu dieser Geschichte inspiriert, denn die Parallelen zu dem damals dreijährigen kleinen Mädchen, das 2007 während eines Ferienaufenthalts in Portugal auf mysteriöse Weise aus der Ferienwohnung ihrer Eltern verschwunden ist und bis heute nicht gefunden werden konnte, sind unübersehbar. Auch die kleine Samantha Shipley in Die Schwester wurde aus einer Hotelsuite entführt, während ihre Eltern mit Freunden im Restaurant der Hotelanlage feierten und obwohl sie abwechselnd alle dreißig Minuten nach ihrer kleinen Tochter sahen. Die Medienhetze, mit der die Eltern nach der Entführung ihres Kindes zu kämpfen hatten und bei der sie sich immer wieder gegen Verleumdungen, Verdächtigungen und Schuldzuweisungen zur Wehr setzen mussten, erinnert ebenfalls an den Vermisstenfall der Madelaine McCann. Doch anders als bei diesem realen Fall, meldet sich in der fiktiven Erzählung von Joy Fielding eines Tages ein junges Mädchen und behauptet, das entführte Kind zu sein.
Man mag sich nicht vorstellen, was eine Mutter, die seit Jahren ihr Kind vermisst, nicht weiß, ob es tot oder vielleicht noch am Leben ist und die ständig hin- und hergerissen ist zwischen Hoffnung und Trauer, in einem solchen Moment empfindet. Joy Fielding ist es sehr gut gelungen, die Emotionen der Mutter, ihre Verzweiflung, die nagende Ungewissheit und die immer wieder aufkeimende Hoffnung sehr authentisch, eindrücklich und nachvollziehbar darzustellen. Natürlich denkt Caroline zunächst, dass sie jemand zum Narren hält, denn im Lauf der Jahre haben sich immer wieder wichtigtuerische Spinner bei ihr gemeldet und behauptet, die kleine Samantha gesehen zu haben oder genau zu wissen, wo sie sich befindet. Trotzdem lässt ihr dieser Anruf nun keine Ruhe, sodass sie beschließt, sich mit der jungen Frau zu treffen und dabei allmählich der schockierenden Wahrheit auf die Spur kommt.
Die Kapitel des Romans wechseln zwischen zwei Zeitsträngen – der Gegenwart und der Zeit vor fünfzehn Jahren, als die kleine Samantha verschwand. Diese beiden Zeitebenen nähern sich im Verlauf der Erzählung dann immer weiter an, sodass sie am Ende verschmelzen und das erschütternde Geheimnis um das rätselhafte Verschwinden des Kindes allmählich zutage tritt.
Die Autorin legt ihr besonderes Augenmerk auf die zwischenmenschlichen Beziehungen und seziert sehr präzise eine ohnehin schwierige und zerstörerische Familienkonstellation, die vollends ins Wanken gerät, nachdem das rätselhafte Mädchen auftaucht und behauptet, die verschwundene Samantha zu sein. Insofern ist dieser Roman vor allem eine Mischung aus Familiendrama und Thriller.
Die Charaktere wirken sehr authentisch, sind aber, abgesehen von Caroline, alle recht unsympathisch. Die Männer kommen, wie so oft bei Joy Fielding, ohnehin sehr schlecht weg. Carolines Bruder Steve ist ein Muttersöhnchen und kompletter Versager, ihr Ehemann Hunter ein feiger und selbstverliebter Egoist. Statt zusammenzuhalten und die Situation gemeinsam zu meistern, zerbricht die Ehe unter dem Verlust des gemeinsamen Kindes, an dem sich Hunter und Caroline gegenseitig die Schuld zuschreiben. Hunter löst das Problem, indem er eine neue Familie gründet und die Vergangenheit weitgehend hinter sich lässt. Er schafft es allerdings, sich in der Öffentlichkeit sehr gut zu präsentieren, während Caroline auch Jahre später noch immer das Image einer Rabenmutter anhaftet. Es war wirklich schockierend, zu lesen, wie sich die Medien auf diesen Vermisstenfall stürzen und jedes kleine Detail aufgreifen, um es gegen Caroline zu verwenden. Dies ist für die ohnehin verzweifelte Mutter nicht nur privat sehr belastend, sondern hat auch negative Konsequenzen für ihre berufliche Karriere als Lehrerin. Hunter dagegen gelingt es, sein Saubermann-Image zu bewahren und seine Karriere als Anwalt sogar noch voranzutreiben.
Sehr verstörend ist auch Carolines Verhältnis zu ihrer Mutter Mary, die ihr wahrlich keine Hilfe ist. Joy Fielding schreibt im Nachwort, dass sie sich bei der Figur von Grandma Mary von ihrer eigenen Großmutter, die sie selbst als „die armseligste Frau, die es je gegeben hat“ bezeichnet, inspirieren ließ. Um diese Großmutter ist die Autorin wahrlich nicht zu beneiden. Die mit Abstand nervtötendste Protagonistin dieses Romans ist aber Carolines älteste Tochter Michelle. Dieses Mädchen ist bereits als Fünfjährige unerträglich, aber selbst fünfzehn Jahre später, in einem Alter, in dem man die Pubertät eigentlich hinter sich gelassen haben müsste, ist sie so rebellisch und anstrengend, dass ich es wirklich bedauert habe, dass nicht sie, sondern ihre jüngere Schwester entführt wurde. An einigen Stellen wirkte sie jedoch etwas zu überzeichnet und das beständige Hervorheben ihrer eigentümlichen Essgewohnheiten ging mir ein wenig auf die Nerven. Trotzdem hat mir sehr gut gefallen, wie präzise die Autorin die Abgründe der zwischenmenschlichen Beziehungen innerhalb dieser Familie auslotet.
Joy Fieldings Erzählstil ist packend und mitreißend. Sie erzählt so routiniert und lebendig, dass man nur so durch die Seiten fliegt. Ich habe das Buch innerhalb eines Tages gelesen und gar nicht gemerkt, wie schnell die Zeit verging, weil dieser Roman an keiner Stelle Längen aufweist und der Plot auch nie ins Stocken gerät. Ohne Action, Gewalt und Brutalität wird die Spannung sehr subtil aufgebaut und die Geschichte logisch und sehr glaubhaft inszeniert.
Dass Joy Fielding etwas von ihrem Handwerk versteht und sich ihr Erfolgsrezept wieder einmal bewährt hat, hat sie jedenfalls auch in Die Schwester wieder eindrucksvoll bewiesen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Großartiges Romandebüt!

Dark Memories - Nichts ist je vergessen
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Obwohl ich eigentlich kein Werbungsopfer bin, muss ich zugeben, dass mich die breit angelegte Werbekampagne des Verlags auf Dark Memories. Nichts ist je vergessen sehr neugierig machte. Gegen Werbeslogans ...

Obwohl ich eigentlich kein Werbungsopfer bin, muss ich zugeben, dass mich die breit angelegte Werbekampagne des Verlags auf Dark Memories. Nichts ist je vergessen sehr neugierig machte. Gegen Werbeslogans wie „Thriller des Jahres“ bin auch ich nicht immun, sodass ich es kaum erwarten konnte, Wendy Walkers Debütroman endlich in Händen zu halten und lesen zu dürfen. Wenn man allerdings die Rezensionen liest, könnte man doch ein wenig skeptisch werden, denn das Buch wird häufig recht heftig kritisiert. Von negativen Rezensionen lasse ich mich jedoch nicht beirren, denn ich bilde mir lieber meine eigene Meinung. Inzwischen kann ich mir die kritischen Stimmen auch erklären, denn besagter Werbeslogan schürt eine gewisse Erwartungshaltung, die dieses Buch eben nicht erfüllt. Auch ich hatte etwas gänzlich anderes erwartet, war allerdings nicht enttäuscht, sondern vielmehr überaus positiv überrascht. Dark Memories ist gewiss nicht der „Thriller des Jahres“, aber zweifellos trotzdem eines der besten Bücher, die ich in diesem Jahr gelesen habe. Auf dem Cover wird dieses Buch als „Roman“ bezeichnet, und ein Roman ist es eben auch – ein ganz grandioser sogar. Thriller-Elemente konnte ich hingegen nahezu keine entdecken, habe sie allerdings auch nicht vermisst, denn Dark Memories hat alles, was ein guter Roman braucht – gut ausgearbeitete und vielschichtige Charaktere, einen außergewöhnlichen Erzählstil und eine äußerst interessante Thematik, über die es sich nachzudenken lohnt und zu der die Autorin offensichtlich sehr akribisch recherchiert hat.

Viele Menschen, die Opfer von Gewalt wurden, die Schrecken eines Krieges erfahren haben, schwere Unfälle erlitten oder andere schmerzvolle Erfahrungen machen mussten, leiden an posttraumatischen Belastungsstörungen, die sie häufig ein ganzes Leben lang begleiten. Erinnerungen an diese Erlebnisse sind belastend, verursachen Albträume, Depressionen, führen zu Beziehungsproblemen und können zur lebenslangen Qual werden. Man wünscht sich, das Erlebte wäre nie passiert oder man könnte es wenigstens vergessen, um unbeschwert weiterleben zu können. Die Gedächtnisforschung arbeitet seit geraumer Zeit an medikamentösen Verfahren bei der Traumabewältigung, und die im Roman von Wendy Walker beschriebenen Behandlungsmethoden, mithilfe eines Medikaments gezielt eine retrograde Amnesie hervorzurufen, entspringen nicht etwa der blühenden Phantasie der Autorin, sondern sind durchaus möglich, auch wenn sie bislang nicht in vollem Umfang zur Anwendung kommen und äußerst umstritten sind. Ursprüngliches Ziel solcher medikamentösen Therapien ist es, die emotionalen Spätfolgen und traumatisierenden Erinnerungen von Soldaten nach dem Kriegseinsatz abzuschwächen. Die Frage ist allerdings, ob es ethisch überhaupt vertretbar ist, das Gedächtnis gezielt zu manipulieren und faktische sowie emotionale Erinnerungen zu verändern oder gar auszulöschen.
Erinnerungen, so schmerzhaft sie auch sein mögen, erfüllen nämlich durchaus ihren Zweck. Jede Erfahrung, die wir machen, macht uns zu dem, was wir sind, ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Persönlichkeit und verleiht uns unsere eigene Identität und Individualität. Würde unser Gedächtnis diese Erfahrungen nicht speichern, hätten wir keine Geschichte und könnten uns nicht bewusstwerden, wer wir eigentlich sind. Außerdem sind Erinnerungen wichtig für Lernprozesse, dienen der Abschreckung und sind notwendig, um ähnlichen Situationen und Gefahren künftig aus dem Weg gehen zu können. Hätten wir keine schmerzhaften Erinnerungen an bestimmte Erlebnisse, würden wir dieselben Fehler immer wieder machen, uns z. Bsp. immer wieder an einer heißen Herdplatte verbrennen oder uns an scharfen Klingen schneiden, um nur harmlose Beispiele zu nennen. Erinnerungen sind aber nicht nur für jedes Individuum selbst, sondern auch für die gesamte Gesellschaft von großer Bedeutung. Könnten sich Opfer oder Zeugen eines Gewaltverbrechens an nichts mehr erinnern, könnten die Täter nie gefasst und weitere Gewalttaten somit auch nicht verhindert werden. Das Bewahren und vor allem das Weitergeben von Erinnerungen an die nächsten Generationen erfüllen auch sehr wichtige gesellschaftliche Aufgaben, damit sich Greueltaten wie der Holocaust nicht wiederholen und Kriegserlebnisse nicht in Vergessenheit geraten, denn nur was nicht vergessen wird, kann auch verhindert werden. Nicht auszudenken wären außerdem die Folgen, wenn solche Medikamente in die falschen Hände geraten. Fraglich ist auch nach wie vor, wie gezielt diese Medikamente eingesetzt werden können und ob nicht auch positive Erinnerungen verloren gehen. Sinnvoller und zielführender sind sicherlich Therapiemethoden, bei denen traumatisierte Patienten sich ihren Erfahrungen stellen und ihre Erinnerungen verarbeiten.

Und genau hier setzt Wendy Walkers Roman an, denn Jenny wurde ein Medikament verabreicht, das ihre faktischen Erinnerungen an die grausame Vergewaltigung ausgelöscht hat. Dennoch leben die Schrecken an dieses traumatische Erlebnis in ihrem Körper und auch ihrer Seele weiter und lassen sie nicht zur Ruhe kommen, weil sie keine Bilder dafür hat. Sie beschließt, die Erinnerungen in ihr Gedächtnis zurückzuholen und sie zu verarbeiten, denn sie ist sicher, dass sie nur so endlich Ruhe finden kann. Unterstützt wird sie dabei von ihrem Psychiater Alan Forrester, der die medikamentösen Methoden aufs Schärfste kritisiert, sich auf Traumapatienten, die auf diese Weise behandelt wurden, spezialisiert hat und ihnen ihre Erinnerungen zurückgeben möchte. Er plädiert für eine Traumatherapie ohne Pillen, bei der die Erinnerungen an schmerzhafte Erlebnisse immer wieder reaktiviert, aber dabei gewissermaßen neu im Gedächtnis gespeichert werden und somit nicht mehr mit negativen Gefühlen einhergehen. Dieser Vorgang nennt sich Rekonsolidierung. Erinnerungen werden dabei immer wieder abgerufen und so manipuliert und verändert, dass sie weniger schmerzhaft sind. Diese Behandlungsmethode möchte Alan Forrester nun auch bei Jenny zum Einsatz bringen und ihr helfen, das Erlebte endlich zu verarbeiten.
Anders als der Klappentext vermuten lässt, ist nicht Jenny, sondern vielmehr ihr Psychiater der Hauptprotagonist von Dark Memories. Das ganze Buch wird ausschließlich aus seiner Perspektive erzählt. Alle anderen Protagonisten lernt man nur aus Alans Sicht kennen, in dessen Erzählung jedoch immer wieder kursiv gedruckte Passagen aus den Therapiegesprächen mit Jenny, ihren Eltern und anderen Traumapatienten eingefügt sind. Ich fand diesen außergewöhnlichen Erzählstil und die gewählte Perspektive äußerst interessant. Der Leser erhält somit nämlich sehr tiefe Einblicke in die Arbeit eines Psychiaters und in die Behandlungsmethoden bei der Traumatherapie. Bisweilen gleichen manche Textpassagen zwar nüchternen wissenschaftlichen Abhandlungen, aber sie sind dennoch überaus spannend, wenn man sich für diese Thematik interessiert. Ich war jedenfalls sehr beeindruckt, wie gründlich sich Wendy Walker in ihrem Roman mit Gedächtnisforschung und den verschiedenen Therapiemethoden bei posttraumatischen Belastungsstörungen auseinandersetzt und wie sorgfältig sie offenbar recherchiert hat.
Außerdem hat sie mit Alan Forrester einen sehr vielschichtigen, ambivalenten und außergewöhnlichen Protagonisten geschaffen. Man lernt ihn nicht nur als Psychiater, sondern auch als Ehemann und Familienvater kennen. Ich kann nicht behaupten, dass ich diesen Mann besonders mochte und war ständig hin- und hergerissen zwischen Sympathie und Abscheu. Ich war einerseits beeindruckt von seiner Kompetenz und seinem Fachwissen, hin und wieder angetan, weil er doch recht verständnisvoll erscheint, andererseits aber auch häufig angewidert von seiner Arroganz und Eitelkeit. Dieser Mann ist vollkommen undurchschaubar, aber gerade das macht ihn zu einem äußerst interessanten Charakter und trägt auch enorm zur Spannung dieses Romans bei. Im Verlauf der Erzählung zeigt sich, dass auch der stets souverän wirkende Psychiater seine Schwächen und Ängste hat und während Jennys Therapie in einen inneren Konflikt gerät, der verheerende Konsequenzen hat.
Alle anderen Protagonisten lernt man aus Alans Perspektive kennen, bzw. kommen sie in den kursiv gedruckten Therapiegesprächen zu Wort, die in wörtlicher Rede widergegeben werden. Jenny Kramers Schicksal und ihr Umgang mit der brutalen Vergewaltigung war sehr berührend und erschütternd, steht aber, anders als der Klappentext vermuten lässt, nicht im Zentrum der Handlung. Es geht vielmehr um die Abgründe die sich hinter der Fassade der scheinbar intakten Familienidylle der Kramers auftun. Die Ehe von Jennys Eltern droht aufgrund der Belastung und dem unterschiedlichen Umgang mit dem traumatischen Erlebnis ihrer Tochter zu zerbrechen. Jennys Vater will unbedingt, dass sich seine Tochter wieder an die Details der Vergewaltigung erinnert, damit der Täter gefasst werden kann. Ihm geht es dabei in erster Linie um Rache und Gerechtigkeit, während ihre Mutter Bedenken hat, dass die reaktivierten Erinnerungen, Jenny nur noch mehr schaden könnten. Sie wünscht sich nur, dass ihre Tochter endlich wieder ein normales Leben führen kann. Während den Einzelsitzungen mit Jennys Eltern stellt Allan jedoch fest, dass die Wurzeln ihrer Eheprobleme weit in der Vergangenheit liegen und das vermeintliche Familienglück von dunklen Geheimnissen überschattet wird. Der Leser erhält sehr tiefe Einblicke in die Psyche von Jenny, den Menschen in ihrem Umfeld und auch dem behandelnden Psychiater. Dabei tritt die Tätersuche, die die eigentliche Thrillerhandlung ausmacht, immer mehr in den Hintergrund. Mich hat dies nicht gestört, denn die Blicke in die Abgründe menschlicher Seelen und die Therapiemethoden des Psychiaters fand ich überaus spannend. Erst gegen Ende des Romans gewinnt die Suche nach dem Täter wieder an Bedeutung. Hierbei kommt es zu einigen überraschenden Wendungen und die Auflösung des Falls war schockierend und für mich vollkommen unvorhersehbar.
Mich konnte Dark Memories. Nichts ist je vergessen in jeder Hinsicht überzeugen, und obwohl es meiner Meinung nach kein Thriller ist, hat mich dieses Buch von der ersten Seite an gefesselt und bis zum Schluss nicht mehr losgelassen. Besonders fasziniert hat mich, wie gekonnt die Autorin fachliches Wissen in eine spannende Handlung einbettet und wie fundiert und gleichzeitig eindrücklich sie sich mit einer Thematik beschäftigt, über die es sich nachzudenken lohnt und die bereits heftig diskutiert wird. Ich kann dieses Buch nur jedem empfehlen, der Interesse an der Psyche des Menschen hat. Ein großartiges Debüt einer Autorin, von der man hoffentlich bald noch mehr lesen darf!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Beklemmender Psychothriller!

Trigger
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Ich habe bereits vor ein paar Jahren Dunkler Wahn und Kalte Stille von Wulf Dorn gelesen, fand beide Thriller wirklich herausragend und wollte nun auch endlich seinen Debütroman Trigger lesen, mit dem ...

Ich habe bereits vor ein paar Jahren Dunkler Wahn und Kalte Stille von Wulf Dorn gelesen, fand beide Thriller wirklich herausragend und wollte nun auch endlich seinen Debütroman Trigger lesen, mit dem sich der Autor in die Liga der besten deutschen Thriller-Autoren geschrieben hat.
Wenn der Schauplatz eines Psychothrillers in einer Psychiatrie angesiedelt ist, finde ich das ohnehin besonders interessant – wenn das Buch dann noch gut recherchiert und raffiniert gestrickt ist, kann eigentlich fast nichts mehr schiefgehen. In Wulf Dorns Trigger ist jedenfalls nichts schiefgegangen, denn dieser Thriller hat mir wieder sehr gut gefallen.
Man merkt, dass der Autor selbst viele Jahre in einer Psychiatrie tätig war, seine Erfahrungen in seine Bücher einfließen lässt und ein Gespür für Schicksale, Ängste und die Abgründe menschlicher Seelen hat.
Zu Beginn des Buches erfährt man zunächst einiges über den Klinikalltag und die Arbeit der Psychiaterin Ellen Roth. Es dauert ein Weilchen, bis die eigentliche Thrillerhandlung wirklich in Gang kommt, aber ich fand die Schilderung des Alltags in einer Psychiatrie äußerst interessant und sie ist meiner Meinung nach auch wichtig und notwendig, um die Hauptprotagonistin Ellen besser kennenzulernen. Man kann nicht behaupten, dass mir diese Frau besonders sympathisch war, aber darum geht es ja auch nicht. Wichtiger für die Geschichte und den Plot ist vielmehr ihre Glaubwürdigkeit und die Zuverlässigkeit ihrer Beobachtungen und Einschätzungen. Wulf Dorn hat sich sehr viel Mühe gegeben, diese Protagonistin sehr präzise und facettenreich auszuarbeiten. Hierfür ist eine sorgfältige Einführung dieser Figur zu Beginn dieses Thrillers unabdingbar, denn der Leser lernt Ellen zunächst als äußerst gewissenhafte und kompetente Psychiaterin kennen, die sich um jeden Patienten bemüht, aber häufig auch an die Grenzen ihrer Belastbarkeit stößt. Als die mysteriöse Patientin, die niemand außer Ellen jemals zu Gesicht bekam, plötzlich verschwindet, der „Schwarze Mann“, von dem die Frau sprach, auch Kontakt zu Ellen aufnimmt und sie sich ständig verfolgt und beobachtet fühlt, will ihr aber niemand Glauben schenken, denn außer ihr nimmt niemand diese Bedrohung wahr. Ich war häufig hin- und hergerissen, denn einerseits war ich mir sicher, dass Ellens Ängste berechtigt sind, wütend, weil niemand sie ernstzunehmen schien, dann allerdings auch ein wenig skeptisch, ob sie sich vielleicht nicht doch alles nur einbildet. Alle anderen Figuren dieses Thrillers bleiben recht flach und konturlos, aber das macht auch durchaus Sinn, denn im Verlauf der Handlung habe ich nahezu jeden in Ellens Umfeld verdächtigt. Die Figuren sind so angelegt, dass der Leser im Grunde nur Ellen wirklich nahekommt, mit ihr mitfiebert und an ihrer Seite diese Ängste, Bedrohung und Beklemmung durchlebt. Alle anderen Protagonisten bleiben fremd, sind nur schwer einzuschätzen und somit irgendwann verdächtig. Doch sobald ich mir sicher war, nun genau zu wissen, wer der Täter ist, wurde der Verdacht wieder auf eine andere Person gelenkt. Hin und wieder zweifelte ich aber auch an Ellen und hatte den Verdacht, dass ihr Verstand ihr wirklich lediglich einen Streich spielt. Die Verwirrtheit der Hauptprotagonistin und die vage Figurengestaltung der anderen Charaktere tragen jedenfalls enorm zum Spannungsbogen dieses fesselnden Thrillers bei.
Wulf Dorn legt immer wieder neue Fährten und führt den Leser stets aufs Neue in die Irre. Hinzu kommt, dass die Schauplätze sehr gut ausgewählt sind und für eine beklemmende Atmosphäre sorgen.
Dorns Schreibstil ist sehr flüssig und die Geschichte so raffiniert komponiert und wendungsreich, dass ich das Buch kaum zur Seite legen konnte, sondern es nahezu an einem Stück durchgelesen habe, weil ich einfach wissen musste, wie es weitergeht. Der Plot ist äußerst verzwickt und war für mich, selbst wenn ich häufig dachte, nun zu wissen, wie alles enden wird, vollkommen unvorhersehbar. Am Ende dieses packenden Thrillers war ich überrascht und erschüttert zugleich.
Wulf Dorn versteht es hervorragend mit den Ängsten des Lesers zu spielen, denn die permanente Bedrohung, die Ellen fast um den Verstand bringt, war auch für mich spürbar. Das Buch ließ mich häufig den Atem anhalten, obwohl der Autor vollkommen auf die Schilderung von Brutalität oder blutigen Details verzichtet. Ich empfand diesen psychologischen Thriller auf eine sehr leise, subtile, aber eindrückliche Weise sehr beklemmend und verstörend. Und das macht einen fesselnden Thriller für mich auch aus – der Blick in die Abgründe menschlicher Seelen und atemlose Spannung ohne Effekthascherei.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein spannender und mitreißender Thriller - nicht nur für Jugendliche

Erebos
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Inhalt:
Nick merkt schon seit geraumer Zeit, dass an seiner Schule etwas Seltsames vorgeht. Sein Freund Colin zieht sich immer mehr von ihm zurück, geht nicht an Telefon, antwortet nicht auf Nachrichten ...

Inhalt:


Nick merkt schon seit geraumer Zeit, dass an seiner Schule etwas Seltsames vorgeht. Sein Freund Colin zieht sich immer mehr von ihm zurück, geht nicht an Telefon, antwortet nicht auf Nachrichten und kommt nicht mehr zum Basketballtraining. Auch Nicks Mitschüler verhalten sich recht eigenartig, tuscheln verschwörerisch in den Pausen, wirken abwesend und übermüdet und fehlen häufig im Unterricht. Offenbar hängen diese Veränderungen mit diesen seltsamen Päckchen zusammen, die seine Schulfreunde heimlich untereinander austauschen. Nick erfährt zwar, dass sich in diesen Päckchen eine DVD befinden soll, aber niemand will ihm sagen, was es damit auf sich hat.
Doch eines Tages bekommt Nick von einer Mitschülerin auch endlich ein solches Päckchen zugesteckt, muss ihr allerdings versprechen, die DVD niemandem zu zeigen und niemandem zu erzählen, wer sie ihm gegeben hat. Nick kann es kaum erwarten, hinter das Geheimnis dieser DVD zu kommen, die lediglich mit dem Wörtchen „Erebos“ beschriftet ist. Zuhause legt er den Datenträger in seinen Computer ein und wird sofort in den Bann gezogen von Erebos, einem Computerspiel, das gänzlich anders ist, als man es sonst von diesen Spielen kennt. Dieses Rollencomputerspiel kann reden, reagieren und gibt dem Spieler auf jede Frage eine sinnvolle Antwort. Es scheint fast so, als ob das Spiel lebt. Doch bevor Nick richtig in diese Spielewelt eintreten kann, wird er gewarnt und zunächst mit den strengen Regeln vertraut gemacht. Er darf das Spiel nur alleine spielen, mit niemandem darüber reden und seinen Spielernamen niemals verraten. Falls er gegen eine Regel verstößt oder eine der Aufgaben, die das Spiel ihm auferlegt, nicht erfüllt, stirbt seine Spielfigur und das Spiel ist endgültig vorbei – eine zweite Chance gibt es nicht. Nick erklärt sich mit den Regeln einverstanden, erstellt seinen Spielecharakter, besteht die ersten Aufgaben und ist geradezu süchtig nach neuen Herausforderungen, die Erebos bereithält und ihn ins nächste Level bringen. Das Unheimliche, aber gleichzeitig auch besonders Faszinierende ist, dass ihm das Spiel hin und wieder auch Aufträge erteilt, die er in der realen Welt ausführen muss. Zunächst sind es nur kleine Aufgaben, die er zu erledigen hat, aber dann erhält Nick von dem Spiel einen ganz besonderen Befehl – er soll einen Menschen töten.

Meine persönliche Meinung:


Zunächst war ich ja ein wenig skeptisch, denn da Erebos ein Jugendthriller ist und ich der eigentlichen Zielgruppe schon seit ein paar Jahrzehnten entwachsen bin, hatte ich die Befürchtung, dass dieses Buch vielleicht nichts für mich sein könnte. Außerdem geht es um die Faszination von Computerspielen, also um ein Thema, das in meinem Leben eigentlich keine Rolle spielt. Da das Buch aber nicht nur von Jugendlichen, sondern auch von Erwachsenen in den höchsten Tönen gelobt wurde und mir Ursula Poznanskis Thriller Fünf außergewöhnlich gut gefallen hat, war ich doch ein wenig neugierig auf Erebos, zumal ich den Eindruck habe, dass ich so ziemlich der letzte Mensch auf diesem Planeten war, der das Buch noch nicht gelesen hat. Ursula Poznanski wurde für diesen Jugendthriller mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. 2011 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis. Das Buch wird offenbar auch in Schulen gelesen, was mich ein wenig neidisch macht, denn ich kann mich nicht erinnern, dass wir im Schulunterricht jemals ein so spannendes Buch besprochen hätten.
Meine anfänglichen Bedenken, dass ich vielleicht nichts mit diesem Buch anfangen könnte, weil es sich um einen Jugendthriller handelt, haben sich nicht bestätigt, denn ich war von der ersten Seite an vollkommen gefangen von der Geschichte. Auch wenn die Protagonisten fast ausschließlich Jugendliche sind und es nicht nur um die Faszinationskraft dieses Computerspiels, sondern auch um den Schulalltag, Freundschaften und eine zarte Liebesgeschichte geht, war ich von dem Buch ebenso schnell gefesselt wie Nick von diesem Spiel.
Gemeinsam mit Nick bzw. seiner Spielfigur, dem Dunkelelfen Sarius, entdeckt der Leser die virtuelle Spielewelt von Erebos. Zu meinem Erstaunen konnte ich sehr gut nachvollziehen, wie schnell Nick in den Bann des Spiels gerät, denn dieses Rollencomputerspiel besitzt eine ungeheure Sogkraft – nicht nur für den Hauptprotagonisten, sondern auch für den Leser. Furchtbar lästig und fast endlos erschien mir die Zeit, die Nick mit ganz alltäglichen Dingen wie Schule, Hausaufgaben oder mit seinen Eltern verbringen musste. Auch ich konnte es kaum abwarten, an Nicks Seite mit Sarius allerlei spannende Abenteuer zu bestehen und zu erfahren, welche Überraschungen Erebos bereithält, damit Sarius das nächste Level erreicht und vielleicht irgendwann in den Inneren Kreis der fünf besten Spieler aufgenommen wird. Der Alltag verliert allmählich seine Bedeutung, Schule und Freunde werden immer mehr vernachlässigt, denn das Spiel entwickelt ein ungeheures Suchtpotenzial, dem sich Nick nicht mehr entziehen kann.
Ursula Poznanski ist es gelungen, eine sehr phantasievolle, faszinierende und gleichzeitig auch beängstigende Spielewelt zu konzipieren. Das Beeindruckende und gleichzeitig auch sehr Unheimliche an diesem Computerspiel ist, dass es alles über den Spieler weiß und auch seine Wünsche und Gedanken zu kennen scheint. Und so weiß Erebos natürlich auch ganz genau, wo es ansetzen muss, um Nick immer mehr in seinen Bann zu ziehen und zu manipulieren. Als Sarius aufgefordert wird, auch Aufgaben in der realen Welt zu erledigen, verwischen die Grenzen zwischen der virtuellen Spielewelt und der Wirklichkeit immer mehr. Bald kann man zwischen dem Schüler Nick und dem Dunkelelfen Sarius kaum noch unterscheiden, denn der Spielecharakter und die reale Person vermischen sich zunehmend. Anfangs muss Nick in der realen Welt nur kleine, recht harmlose Aufträge erledigen, aber dann wird Erebos immer fordernder und erwartet, dass der Spieler all seine Skrupel über Bord wirft, nur um weiterspielen zu können. Als Leser fragt man sich irgendwann, wie weit Nick noch gehen wird, um nicht von Erebos ausgeschlossen zu werden. Und ich fragte mich auch selbst, wie weit ich in Nicks Alter gegangen wäre, denn ich konnte die verführerische Anziehungskraft dieses Spiels erschreckend gut nachempfinden.
Bis auf ein paar sehr verstörende Passagen, in denen Erebos bzw. der Spieleentwickler selbst zu Wort kommt und die aus der Ich-Perspektive verfasst sind, wird das Buch fast ausschließlich aus der Perspektive des Hauptprotagonisten Nick erzählt. Nick ist ein ganz gewöhnlicher sechzehnjähriger Junge, sehr neugierig, aufgeschlossen und zunächst etwas naiv und arglos. Im Laufe der Erzählung macht er aber eine erstaunliche Entwicklung durch, denn als das Spiel ihm befiehlt, einen Mord zu begehen, ringt er zwar zunächst noch mit sich, aber dann regen sich in ihm doch Skrupel. Er widersteht den Verlockungen und ahnt allmählich, dass er sich auf etwas sehr Gefährliches eingelassen hat. Gemeinsam mit seiner Mitschülerin Emily, in die er heimlich verliebt ist, und ein paar Freunden, die sich dem Spiel verweigert haben, beschließt Nick hinter das Geheimnis von Erebos zu kommen und ihm den Kampf anzusagen.
Nicht nur Nick, sondern auch die Nebencharaktere hat Ursula Poznanski sehr interessant ausgearbeitet. Während Nicks Freund Colin und auch ein paar andere Mitschüler dem Spiel hoffnungslos verfallen sind und ohne zu reflektieren und völlig skrupellos alles tun, was Erebos von ihnen verlangt, widerstehen Emily und Jamie der Versuchung. Und so geht es in Erebos nicht nur um die Faszination von Computerspielen, sondern auch um Freundschaft und Zusammenhalt, denn während im Spiel jeder gegen jeden kämpft, versuchen die Gegner des Spiels gemeinsam gegen Erebos zu kämpfen und ihre Mitschüler vor weiteren Gefahren zu beschützen.
Ich fand das Buch von der ersten Seite an unheimlich spannend und mitreißend. Natürlich merkt man, dass es ein Jugendbuch ist, denn der Schreibstil ist recht einfach gehalten und der Plot ist nicht besonders verzwickt und kompliziert, aber dennoch sehr wendungsreich und nicht vorhersehbar. Das Ende hat mich jedenfalls sehr überrascht und war auch äußerst actiongeladen.
Besonders gut gefallen hat mir, dass Ursula Poznanski in Erebos zwar sehr eindrücklich die verführerische Faszination, die Gefahr und das Suchtpotenzial von Computerspielen und virtuellen Welten zeigt, aber diese Spiele nicht generell verteufelt. Der pädagogisch erhobene Zeigefinger, der mich bei Jugendbüchern meistens ziemlich nervt und bei der Zielgruppe sicherlich auch eher am Ziel vorbeischießt, fehlt jedenfalls glücklicherweise vollkommen.

Und so war Erebos für mich ein überaus fesselnder Jugendthriller, der mich teilweise auch sehr nachdenklich stimmte und meiner Meinung nach für Leser jeden Alters sehr spannende und unterhaltsame Lesestunden bietet.