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Veröffentlicht am 15.09.2016

Schockierende Einblicke in die Abgründe menschlicher Seelen - ein Psychothriller, der unter die Haut geht!

Pretty Baby - Das unbekannte Mädchen
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Wenn ein Buch den Titel Pretty Baby trägt, schreckt mich das zunächst ab, denn das Letzte, was ich hinter einem solchen Buchtitel vermuten würde, wäre ein ernstzunehmender und tiefgründiger Psychothriller. ...

Wenn ein Buch den Titel Pretty Baby trägt, schreckt mich das zunächst ab, denn das Letzte, was ich hinter einem solchen Buchtitel vermuten würde, wäre ein ernstzunehmender und tiefgründiger Psychothriller. Der Untertitel, die Covergestaltung und vor allem der Klappentext waren aber sehr ansprechend, denn sonst wäre ich auf dieses Buch niemals aufmerksam geworden und hätte wirklich etwas verpasst.
Leider war der Einstieg in diesen Thriller ein bisschen zäh, denn auf den ersten 70 Seiten passiert recht wenig. Ich war fast versucht, Pretty Baby abzubrechen, denn Geduld gehört nicht unbedingt zu meinen Kernkompetenzen, und wenn eine Geschichte so lange braucht, um endlich in Fahrt zu kommen, verliere ich recht schnell die Lust. Mein Durchhaltevermögen hat sich aber durchaus gelohnt, denn alles, was nach dem recht langatmigen Kennenlernen von Heidi Wood und dem obdachlosen Mädchen Willow passiert, war überaus spannend und hat mich bis zum Ende gefesselt.
Die Geschichte wird abwechselnd aus der Perspektive von Heidi, ihrem Mann Chris und Willow erzählt. Da alle drei Personen ihre Erlebnisse und Gedanken aus der Ich-Perspektive schildern, kommt der Leser jedem der drei Hauptprotagonisten gleichermaßen nahe. Diese Erzählperspektive ist sehr geschickt gewählt, denn sie erlaubt es dem Leser, dasselbe Szenario und auch die jeweils anderen Personen aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, macht es aber gleichzeitig auch schwer, eine eindeutige Identifikationsfigur auszumachen. Da man abwechselnd die Innenperspektive aller Hauptprotagonisten einnimmt und die Charaktere sehr vielschichtig und vor allem ambivalent angelegt sind, ist es für den Leser nahezu unmöglich, die Protagonisten richtig einzuschätzen oder für einen von ihnen Stellung zu beziehen.
Besonders interessant und auch berührend war für mich Willow, das obdachlose Mädchen, das Heidi Wood auf der Straße aufgabelt und mit nach Hause nimmt. Wenn man diese junge Frau aus Chris‘ Perspektive betrachtet, erscheint sie äußerst mysteriös und wenig vertrauenserweckend. Ich konnte sehr gut nachvollziehen, warum ihm die Anwesenheit dieses rätselhaften Mädchens Angst macht und er sich um die Sicherheit seiner Familie sorgt. Sein Misstrauen rührt nicht von der Tatsache, dass Willow obdachlos und sehr verwahrlost ist, sondern vielmehr von ihrem verstockten, aber gleichzeitig auch aggressiven und rebellischen Verhalten her. Chris spürt, dass mit diesem Mädchen etwas nicht stimmt und stellt Nachforschungen zu ihrer Identität an. Was hinter Willows seltsamen Verhalten steckt, warum sie ihre Herkunft verschweigt und welcher Weg sie in die Obdachlosigkeit führte, erfährt der Leser jedoch nicht durch Chris, sondern aus Willows Perspektive. Nach und nach offenbart sich so das furchtbare Schicksal, das dieses junge Mädchen erleiden musste. Die Rückblenden in ihre Vergangenheit waren sehr erschütternd und stimmten mich überaus nachdenklich und traurig, denn was dieses Mädchen in ihrer Kindheit erfahren musste, ließ mich wirklich erschaudern. Auch wenn sie sich nach außen mitunter aggressiv verhält, verbirgt sich hinter dieser störrischen jungen Frau ein äußerst zerbrechliches und schwerst traumatisiertes Kind.
Das Letzte, was ein Mädchen in ihrer Situation braucht, ist jemand wie Heidi. Zu Beginn des Buches war ich wirklich beeindruckt von dieser engagierten Frau, die sich aufopferungsvoll um andere kümmert und auch gegen den Willen ihres Mannes alles tut, um Willow zu helfen. Aber je weiter ich in die Gedankenwelt von Heidi vordrang, umso mehr ging sie mir auf die Nerven. Allerdings wurde auch sie in der Vergangenheit von einem schweren Schicksalsschlag getroffen, sodass ich hin und wieder geneigt war, ein wenig Mitgefühl zu empfinden. Das Zusammentreffen mit Willow löst in Heidi jedenfalls etwas aus, dem sie sich nicht mehr entziehen kann. Die Veränderung, die nun mit ihr vorgeht und die vollkommen andere Ursachen hat, als man zunächst vermutet, nimmt jedoch irgendwann Formen an, für die ich kaum mehr Verständnis aufbringen konnte.
Und so rast die Begegnung dieser beiden traumatisierten Frauen unaufhaltsam auf einen Abgrund zu, der sich zwar recht früh ankündigt, dessen Ausmaß jedoch nicht abzusehen ist. Leider sieht auch Heidis Ehemann Chris recht spät, wo die eigentlichen Gefahren lauern, scheint sich der Probleme, mit denen seine Frau seit Jahren kämpft, gar nicht bewusst zu sein und zieht deshalb zunächst vollkommen falsche Schlüsse, denen man als Leser zunächst Glauben schenkt, da sich die Wahrheit erst ganz allmählich offenbart.
Durch die gewählte Ich-Perspektive erhält der Leser sehr tiefe und detaillierte Einblicke in die Gedankenwelt jedes einzelnen Protagonisten und damit in die Abgründe menschlicher Seelen, sodass ich Pretty Baby nicht als Thriller, sondern vielmehr als Psychothriller, in weiten Teilen sogar eher als Psychodrama bezeichnen würde. Liebhaber des Thriller-Genres, die einen rasanten Plot erwarten, werden vermutlich enttäuscht sein, denn die Handlung plätschert recht gemächlich vor sich hin. Dennoch hat mich dieses Buch unglaublich gefesselt. Ich mag solche leisen Thriller, bei denen die psychologischen Hintergründe der Protagonisten genauestens beleuchtet werden und die Spannung eher subtil aufgebaut wird. Mary Kubica verzichtet vollkommen auf brutale und blutige Details, aber die Brutalität und Grausamkeit, die bei Willows Rückblicken in ihre Kindheit und Jugend zutage tritt, manchmal sogar nur angedeutet wird, war für mich äußerst schockierend und verstörend und ließ mich, selbst nachdem ich das Buch am Ende zugeklappt hatte, nachdenklich, traurig und betroffen zurück.

Abgesehen von der bedauerlichen und überflüssigen Durststrecke, die man zu Beginn überwinden muss, ist Pretty Baby von Mary Kubica ein überaus lohnenswerter und fesselnder Psychothriller, der unter die Haut geht und im Gedächtnis bleibt.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein spannender und mitreißender Thriller - nicht nur für Jugendliche

Erebos
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Inhalt:
Nick merkt schon seit geraumer Zeit, dass an seiner Schule etwas Seltsames vorgeht. Sein Freund Colin zieht sich immer mehr von ihm zurück, geht nicht an Telefon, antwortet nicht auf Nachrichten ...

Inhalt:


Nick merkt schon seit geraumer Zeit, dass an seiner Schule etwas Seltsames vorgeht. Sein Freund Colin zieht sich immer mehr von ihm zurück, geht nicht an Telefon, antwortet nicht auf Nachrichten und kommt nicht mehr zum Basketballtraining. Auch Nicks Mitschüler verhalten sich recht eigenartig, tuscheln verschwörerisch in den Pausen, wirken abwesend und übermüdet und fehlen häufig im Unterricht. Offenbar hängen diese Veränderungen mit diesen seltsamen Päckchen zusammen, die seine Schulfreunde heimlich untereinander austauschen. Nick erfährt zwar, dass sich in diesen Päckchen eine DVD befinden soll, aber niemand will ihm sagen, was es damit auf sich hat.
Doch eines Tages bekommt Nick von einer Mitschülerin auch endlich ein solches Päckchen zugesteckt, muss ihr allerdings versprechen, die DVD niemandem zu zeigen und niemandem zu erzählen, wer sie ihm gegeben hat. Nick kann es kaum erwarten, hinter das Geheimnis dieser DVD zu kommen, die lediglich mit dem Wörtchen „Erebos“ beschriftet ist. Zuhause legt er den Datenträger in seinen Computer ein und wird sofort in den Bann gezogen von Erebos, einem Computerspiel, das gänzlich anders ist, als man es sonst von diesen Spielen kennt. Dieses Rollencomputerspiel kann reden, reagieren und gibt dem Spieler auf jede Frage eine sinnvolle Antwort. Es scheint fast so, als ob das Spiel lebt. Doch bevor Nick richtig in diese Spielewelt eintreten kann, wird er gewarnt und zunächst mit den strengen Regeln vertraut gemacht. Er darf das Spiel nur alleine spielen, mit niemandem darüber reden und seinen Spielernamen niemals verraten. Falls er gegen eine Regel verstößt oder eine der Aufgaben, die das Spiel ihm auferlegt, nicht erfüllt, stirbt seine Spielfigur und das Spiel ist endgültig vorbei – eine zweite Chance gibt es nicht. Nick erklärt sich mit den Regeln einverstanden, erstellt seinen Spielecharakter, besteht die ersten Aufgaben und ist geradezu süchtig nach neuen Herausforderungen, die Erebos bereithält und ihn ins nächste Level bringen. Das Unheimliche, aber gleichzeitig auch besonders Faszinierende ist, dass ihm das Spiel hin und wieder auch Aufträge erteilt, die er in der realen Welt ausführen muss. Zunächst sind es nur kleine Aufgaben, die er zu erledigen hat, aber dann erhält Nick von dem Spiel einen ganz besonderen Befehl – er soll einen Menschen töten.

Meine persönliche Meinung:


Zunächst war ich ja ein wenig skeptisch, denn da Erebos ein Jugendthriller ist und ich der eigentlichen Zielgruppe schon seit ein paar Jahrzehnten entwachsen bin, hatte ich die Befürchtung, dass dieses Buch vielleicht nichts für mich sein könnte. Außerdem geht es um die Faszination von Computerspielen, also um ein Thema, das in meinem Leben eigentlich keine Rolle spielt. Da das Buch aber nicht nur von Jugendlichen, sondern auch von Erwachsenen in den höchsten Tönen gelobt wurde und mir Ursula Poznanskis Thriller Fünf außergewöhnlich gut gefallen hat, war ich doch ein wenig neugierig auf Erebos, zumal ich den Eindruck habe, dass ich so ziemlich der letzte Mensch auf diesem Planeten war, der das Buch noch nicht gelesen hat. Ursula Poznanski wurde für diesen Jugendthriller mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. 2011 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis. Das Buch wird offenbar auch in Schulen gelesen, was mich ein wenig neidisch macht, denn ich kann mich nicht erinnern, dass wir im Schulunterricht jemals ein so spannendes Buch besprochen hätten.
Meine anfänglichen Bedenken, dass ich vielleicht nichts mit diesem Buch anfangen könnte, weil es sich um einen Jugendthriller handelt, haben sich nicht bestätigt, denn ich war von der ersten Seite an vollkommen gefangen von der Geschichte. Auch wenn die Protagonisten fast ausschließlich Jugendliche sind und es nicht nur um die Faszinationskraft dieses Computerspiels, sondern auch um den Schulalltag, Freundschaften und eine zarte Liebesgeschichte geht, war ich von dem Buch ebenso schnell gefesselt wie Nick von diesem Spiel.
Gemeinsam mit Nick bzw. seiner Spielfigur, dem Dunkelelfen Sarius, entdeckt der Leser die virtuelle Spielewelt von Erebos. Zu meinem Erstaunen konnte ich sehr gut nachvollziehen, wie schnell Nick in den Bann des Spiels gerät, denn dieses Rollencomputerspiel besitzt eine ungeheure Sogkraft – nicht nur für den Hauptprotagonisten, sondern auch für den Leser. Furchtbar lästig und fast endlos erschien mir die Zeit, die Nick mit ganz alltäglichen Dingen wie Schule, Hausaufgaben oder mit seinen Eltern verbringen musste. Auch ich konnte es kaum abwarten, an Nicks Seite mit Sarius allerlei spannende Abenteuer zu bestehen und zu erfahren, welche Überraschungen Erebos bereithält, damit Sarius das nächste Level erreicht und vielleicht irgendwann in den Inneren Kreis der fünf besten Spieler aufgenommen wird. Der Alltag verliert allmählich seine Bedeutung, Schule und Freunde werden immer mehr vernachlässigt, denn das Spiel entwickelt ein ungeheures Suchtpotenzial, dem sich Nick nicht mehr entziehen kann.
Ursula Poznanski ist es gelungen, eine sehr phantasievolle, faszinierende und gleichzeitig auch beängstigende Spielewelt zu konzipieren. Das Beeindruckende und gleichzeitig auch sehr Unheimliche an diesem Computerspiel ist, dass es alles über den Spieler weiß und auch seine Wünsche und Gedanken zu kennen scheint. Und so weiß Erebos natürlich auch ganz genau, wo es ansetzen muss, um Nick immer mehr in seinen Bann zu ziehen und zu manipulieren. Als Sarius aufgefordert wird, auch Aufgaben in der realen Welt zu erledigen, verwischen die Grenzen zwischen der virtuellen Spielewelt und der Wirklichkeit immer mehr. Bald kann man zwischen dem Schüler Nick und dem Dunkelelfen Sarius kaum noch unterscheiden, denn der Spielecharakter und die reale Person vermischen sich zunehmend. Anfangs muss Nick in der realen Welt nur kleine, recht harmlose Aufträge erledigen, aber dann wird Erebos immer fordernder und erwartet, dass der Spieler all seine Skrupel über Bord wirft, nur um weiterspielen zu können. Als Leser fragt man sich irgendwann, wie weit Nick noch gehen wird, um nicht von Erebos ausgeschlossen zu werden. Und ich fragte mich auch selbst, wie weit ich in Nicks Alter gegangen wäre, denn ich konnte die verführerische Anziehungskraft dieses Spiels erschreckend gut nachempfinden.
Bis auf ein paar sehr verstörende Passagen, in denen Erebos bzw. der Spieleentwickler selbst zu Wort kommt und die aus der Ich-Perspektive verfasst sind, wird das Buch fast ausschließlich aus der Perspektive des Hauptprotagonisten Nick erzählt. Nick ist ein ganz gewöhnlicher sechzehnjähriger Junge, sehr neugierig, aufgeschlossen und zunächst etwas naiv und arglos. Im Laufe der Erzählung macht er aber eine erstaunliche Entwicklung durch, denn als das Spiel ihm befiehlt, einen Mord zu begehen, ringt er zwar zunächst noch mit sich, aber dann regen sich in ihm doch Skrupel. Er widersteht den Verlockungen und ahnt allmählich, dass er sich auf etwas sehr Gefährliches eingelassen hat. Gemeinsam mit seiner Mitschülerin Emily, in die er heimlich verliebt ist, und ein paar Freunden, die sich dem Spiel verweigert haben, beschließt Nick hinter das Geheimnis von Erebos zu kommen und ihm den Kampf anzusagen.
Nicht nur Nick, sondern auch die Nebencharaktere hat Ursula Poznanski sehr interessant ausgearbeitet. Während Nicks Freund Colin und auch ein paar andere Mitschüler dem Spiel hoffnungslos verfallen sind und ohne zu reflektieren und völlig skrupellos alles tun, was Erebos von ihnen verlangt, widerstehen Emily und Jamie der Versuchung. Und so geht es in Erebos nicht nur um die Faszination von Computerspielen, sondern auch um Freundschaft und Zusammenhalt, denn während im Spiel jeder gegen jeden kämpft, versuchen die Gegner des Spiels gemeinsam gegen Erebos zu kämpfen und ihre Mitschüler vor weiteren Gefahren zu beschützen.
Ich fand das Buch von der ersten Seite an unheimlich spannend und mitreißend. Natürlich merkt man, dass es ein Jugendbuch ist, denn der Schreibstil ist recht einfach gehalten und der Plot ist nicht besonders verzwickt und kompliziert, aber dennoch sehr wendungsreich und nicht vorhersehbar. Das Ende hat mich jedenfalls sehr überrascht und war auch äußerst actiongeladen.
Besonders gut gefallen hat mir, dass Ursula Poznanski in Erebos zwar sehr eindrücklich die verführerische Faszination, die Gefahr und das Suchtpotenzial von Computerspielen und virtuellen Welten zeigt, aber diese Spiele nicht generell verteufelt. Der pädagogisch erhobene Zeigefinger, der mich bei Jugendbüchern meistens ziemlich nervt und bei der Zielgruppe sicherlich auch eher am Ziel vorbeischießt, fehlt jedenfalls glücklicherweise vollkommen.

Und so war Erebos für mich ein überaus fesselnder Jugendthriller, der mich teilweise auch sehr nachdenklich stimmte und meiner Meinung nach für Leser jeden Alters sehr spannende und unterhaltsame Lesestunden bietet.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Sehr einfühlsam und psychologisch ausgefeilt, aber leider etwas vorhersehbar und langatmig

In guten wie in bösen Tagen
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Es fällt mir nicht leicht, In guten wie in bösen Tagen von Jamie Mason zu rezensieren und diesem Buch mit wenigen pauschalisierenden Worten gerecht zu werden, denn es war gänzlich anders als ich es mir ...

Es fällt mir nicht leicht, In guten wie in bösen Tagen von Jamie Mason zu rezensieren und diesem Buch mit wenigen pauschalisierenden Worten gerecht zu werden, denn es war gänzlich anders als ich es mir anhand des Klappentextes vorgestellt hatte. Teilweise war ich enttäuscht, weil meine Erwartungen nicht erfüllt wurden, aber manche Aspekte haben mich auch sehr positiv überrascht. Erwartet hatte ich einen fesselnden Psychothriller, der mich in die Abgründe menschlicher Seelen führen würde und bekommen habe ich das erschütternde Psychogramm einer Ehe und die Verarbeitung einer problematischen Kindheit.
Das ganze Buch wird aus der Ich-Perspektive der Hauptprotagonistin Dee erzählt. Somit erhält der Leser natürlich sehr tiefe Einblicke in Dees Gedanken- und Gefühlwelt. Der Autorin ist es sehr gut gelungen, eine äußerst vielschichtige und dreidimensionale Protagonistin zu gestalten, in die ich mich sehr gut einfühlen konnte. Der Leser begleitet Dee während der Autofahrt zu einem Ort, an dem sie sich erhofft, endlich herauszufinden, warum und von wem sie seit Monaten verfolgt wird und weshalb ihr Leben vollkommen aus den Fugen zu geraten scheint. Während der Fahrt führt sie eine Art inneren Dialog mit ihrer verstorbenen Mutter, reflektiert über die Ereignisse der letzten Monate, ihre Vergangenheit und lässt ihr ganzes bisheriges Leben noch einmal Revue passieren. Sie erinnert sich an ihre unkonventionelle Kindheit, ihren Wunsch, dieses gefahrenvolle Leben an der Seite ihrer Mutter endlich hinter sich zu lassen und ihre Hoffnung, in Patrick einen soliden Mann gefunden zu haben, mit dem sie ein ruhiges Leben führen kann, ohne ständig mit dem Schlimmsten rechnen zu müssen. Doch als sie über die Geschehnisse der jüngsten Vergangenheit nachdenkt, erkennt sie, dass sich ihre Hoffnungen nicht erfüllt haben und erlangt auch die Gewissheit, dass sie es den ungewöhnlichen Erziehungsmaßnahmen ihrer Mutter und ihrer Kindheit in ständiger Alarmbereitschaft zu verdanken hat, dass sie Warnsignale und Gefahren frühzeitig erkennen kann. Dabei kommt sie auch zu der sehr schmerzhaften Überzeugung, dass ihr Ehemann Patrick nicht der ist, der er vorgab zu sein und gelangt auch zu der ernüchternden Erkenntnis, dass ihre Ehe ganz grundsätzlich auf falschen und vollkommen unterschiedlichen Erwartungen beruhte.

" Ich hatte Patrick ausgewählt, weil er für etwas stand, nicht wegen dem, der er war."

So wie Dee ihren Mann beschreibt, würde ich ihn als furchtbaren Langweiler bezeichnen, aber Dee sehnte sich geradezu nach etwas Langeweile oder zumindest nach Beständigkeit, Sicherheit, Ruhe und vorhersehbaren und zuverlässigen Strukturen, denn all das kannte sie vor ihrer Begegnung mit Patrick nicht. Während dieser Autofahrt erkennt sie, dass die Wahl ihres Ehemannes im Grunde eine Art Rebellion gegen ihre Mutter war, muss aber auch zugeben, dass ihre Mutter ihr sehr wertvolle Ratschläge auf den Weg gab und die erlernten Fähigkeiten ihr nun geholfen haben, herauszufinden, was ihr Mann im Schilde führt. Und so verarbeitet sie bei dieser Fahrt auch ihre mitunter schwierige Kindheit, schließt Frieden mit ihrer verstorbenen Mutter und nimmt innerlich Abschied. Mich haben Dees Gedanken tief berührt, denn auch wenn ihre Kindheit nicht einfach war und die Geheimnisse, die ihre Mutter umgaben, Dee sehr belastet haben, klagt sie ihre Mutter nicht an, sondern ist erfüllt von Dankbarkeit und auch sehr schönen und liebevollen Kindheitserinnerungen.
Ich muss zugeben, dass es mir nicht leichtfiel, mich in dieses Buch einzufinden, denn es dauert recht lange, bis die Geschichte in Gang kommt. Allerdings hat mich das hohe sprachliche Niveau schon auf den ersten Seiten sehr beeindruckt. Der Schreibstil der Autorin ist für dieses Genre sehr außergewöhnlich, denn er ist teilweise fast poetisch. Allerdings hat mir die Spannung fast vollständig gefehlt. Der Leser begleitet Dee während dieser Autofahrt, erfährt, wie sich ihr Leben in den letzten Wochen verändert hat und wirft einen Blick zurück in ihre Vergangenheit, aber es passiert eben leider nichts. Ich würde dieses Buch keineswegs als Psychothriller, sondern einfach als Roman bezeichnen, denn er weist nahezu keine Thrillerelemente auf. Erst ganz am Ende des Buches, als Dee das Ziel ihrer Fahrt erreicht, kommt es zu einem überraschend actionreichen Showdown, aber ansonsten war dieses Buch leider sehr vorhersehbar und auch ziemlich langweilig.
Für mich war In guten wie in bösen Tagen ein überaus einfühlsames, psychologisch ausgefeiltes Buch, das mich zwar emotional sehr tief berührte, aber leider nicht fesseln konnte.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein solider, beklemmender und spannender Thriller mit ein paar kleinen Schwächen

Night Falls. Du kannst dich nicht verstecken
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Inhalt:
Sandy Tremont ist überglücklich, denn sie hat alles, was sie sich jemals erträumt hatte. Gemeinsam mit ihrem Mann Ben, den sie über alles liebt, ihrer fünfzehnjährigen Tochter Ivy und Familienhund ...

Inhalt:


Sandy Tremont ist überglücklich, denn sie hat alles, was sie sich jemals erträumt hatte. Gemeinsam mit ihrem Mann Ben, den sie über alles liebt, ihrer fünfzehnjährigen Tochter Ivy und Familienhund McLean lebt sie in einem abgelegenen Traumhaus inmitten der Natur und führt ein sorgenfreies und zufriedenes Leben. Doch dieses Glück wird jäh zerstört, als zwei entflohene Häftlinge in ihr Haus eindringen, ihren Mann brutal niederschlagen und sie und ihre Tochter Ivy als Geisel nehmen. Die idyllische Abgeschiedenheit wird der Familie nun zum Verhängnis, zumal draußen ein Schneesturm tobt und das Haus vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten ist. Die kleine Familie ist den beiden Männern, die offenbar vor nichts zurückschrecken, hilflos ausgeliefert. Sandy versucht alles, um ihren Mann und ihre Tochter vor dem Schlimmsten zu bewahren, denn sie kennt einen der Männer und hat schon erfahren, wozu er fähig ist. Sie hatte sich jahrelang der Illusion hingegeben, dass etwas, an das man lange nicht denkt, einfach verschwindet oder von der Zeit überlagert wird, muss nun aber erkennen, dass sich ihre düstere Vergangenheit nicht abstreifen und auch nicht länger verschweigen lässt.

Meine persönliche Meinung:


Nachdem ich den Klappentext und die Leseprobe gelesen hatte, war ich sehr neugierig auf Night Falls. Du kannst dich nicht verstecken von Jenny Milchman, denn ich versprach mir von diesem Buch ein packendes und fesselndes Leseerlebnis. Und das bekam ich auch – allerdings mit ein paar Abstrichen.
Ein abgelegenes Haus in den Bergen, das während eines Schneesturms vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten wird, bietet natürlich den perfekten Schauplatz für einen beklemmenden Thriller. In diesem entlegenen Winkel der Erde von zwei entflohenen Häftlingen heimgesucht zu werden, die nicht davor zurückschrecken, ihren Willen auch mit brutalster Gewalt durchzusetzen, nicht fliehen, aber auch nicht auf Hilfe hoffen zu können, gleicht einem Alptraum. Jenny Milchman ist es ausgesprochen gut gelungen, diese klaustrophobische Stimmung perfekt einzufangen.
Die Geschichte wird aus unterschiedlichen Perspektiven und auf zwei verschiedenen Zeitebenen erzählt. Der Leser begleitet nicht nur Sandy und ihre Familie, während sie sich in der Gewalt der beiden Kriminellen befinden, sondern wirft auch einen Blick in die Vergangenheit der Familie Muncey. Wie diese beiden Handlungsstränge zusammenhängen und in welcher Verbindung Barbara Muncey mit Sandy steht, war mir allerdings sehr schnell klar. Trotzdem verlor die Geschichte dadurch nicht an Spannung.
Die Charaktere sind sehr präzise ausgearbeitet, und durch den ständigen Perspektivwechsel erhält man tiefe Einblicke in die Gedankenwelt der verschiedenen Protagonisten. Leider sind diese mitunter etwas zu klischeebeladen und auch nicht immer besonders sympathisch. Sandy ging mir ungeheuer auf die Nerven mit ihrer Geheimniskrämerei, ihren Lügen und ihrer Unfähigkeit, sich endlich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. Wie man auf einem solchen Lügengerüst eine vernünftige und vertrauensvolle Ehe aufbauen kann, ist mir jedenfalls ein Rätsel. Selbst als sie erkennt, dass die beiden kriminellen Gewaltverbrecher sie und ihre Familie nicht zufällig aufgesucht haben, ist sie nicht in der Lage, ihrer Tochter und ihrem Mann endlich reinen Wein einzuschenken. Mit ihrer Weigerung, sich der Vergangenheit zu stellen, zieht sie nicht nur die Wut und Enttäuschung ihrer Tochter Ivy auf sich, sondern bringt sich und ihre Familie nur noch mehr in Gefahr. Es fiel mir schwer, mich auf Sandys Seite zu schlagen oder gar Empathie für sie zu empfinden. Mein Mitgefühl galt vielmehr ihrem Mann Ben und ihrer Tochter Ivy. Besonders Ben tat mir leid, denn er ist nicht gerade zum Helden geboren, versucht zwar, seine Familie zu beschützen und sich zu wehren, stellt sich aber ziemlich ungeschickt an und scheitert leider kläglich. Die Einzige, die dieser schier ausweglosen und gefährlichen Situation gewachsen zu sein scheint, ist Ivy. Auch wenn sie ein wenig rebellisch und ungestüm ist und es nicht gerade besonders schlau ist, ausgerechnet in diesem Moment an ihren durchaus lobenswerten Grundprinzipien festzuhalten und sich mit ihrer Mutter zu überwerfen, ist sie für ein fünfzehnjähriges Mädchen äußerst mutig und raffiniert. Besonders gut gefallen hat mir, wie sie versucht, die beiden Verbrecher gegeneinander auszuspielen und sich deren Unkenntnis der technischen Neuerungen der letzten Jahrzehnte zu Nutzen zu machen. Auch die beiden entflohenen Häftlinge hat die Autorin sehr interessant und facettenreich ausgearbeitet. Mit Harlan, dessen gewaltige Körpergröße zwar äußerst bedrohlich ist, der seine physische Kraft auch einsetzt, wenn Nick, sein ehemaliger Zellengenosse, es ihm befiehlt, in dessen Brust aber durchaus ein empfindsames Herz zu schlagen scheint, hatte ich sogar häufig Mitleid. Er ist nicht besonders schlau, geistig etwas zurückgeblieben, lässt sich sehr leicht manipulieren und wird von Nick für seine Zwecke missbraucht. Nick dagegen ist ein skrupelloser und gewalttätiger Psychopath, der vor nichts zurückschreckt und mit grausamer Brutalität vorgeht, um seinen Willen durchzusetzen. Wie er überhaupt zu einem solch gewissenlosen Monster mutieren konnte, erfährt man in den Rückblenden in die Vergangenheit. Dabei fiel mir besonders positiv auf, dass die Autorin Nicks Entwicklung zum Gewalttäter zwar mit seiner Kindheit und Erziehung zu erklären versucht, aber keineswegs entschuldigt. Die Passagen, die in der Vergangenheit spielen, bis ins Jahr 1975 zurückreichen und aus der Perspektive von Barbara Muncey geschildert werden, haben mir besonders gut gefallen. Allerdings hat mich Barbara wirklich zur Weißglut getrieben. Übermütter bringen mich generell etwas in Rage, aber wenn überschwängliche Mutterliebe das Gehirn und den Verstand einer Frau derartig vernebelt, dass sie jeden Fauxpas ihres Sprösslings gelassen hinnimmt, könnte ich platzen vor Wut. Dennoch oder gerade deshalb fand ich diese Textstellen aber am eindrücklichsten und interessantesten.
Etwas lächerlich waren jedoch die Kapitel, die aus der Sicht des Hundes geschildert wurden. Auch wenn dieser Hund zweifellos der liebenswürdigste und besonnenste Protagonist des ganzen Buches war, ich inständig hoffte, dass wenigstens für ihn alles ein gutes Ende nehmen wird und ich davon überzeugt bin, dass Tiere durchaus ein Bewusstsein und kluge Gedanken haben können, fand ich die Gedankengänge, die die Autorin McLean zuschreibt, für einen Hund reichlich absurd.
In weiten Teilen war die Geschichte leider auch sehr vorhersehbar. Woher sich Sandy und Nick kennen, konnte ich jedenfalls schon recht früh erahnen. Von einem raffinierten, gut komponierten und verzwickten Plot kann bei diesem Thriller wahrlich nicht die Rede sein. Obwohl die Charaktere sehr gut ausgearbeitet waren und Vergangenheitsbewältigung durchaus eine Thematik wäre, die Potential hätte, fehlte es diesem Buch leider auch an psychologischem Tiefgang. Dennoch konnte ich es kaum aus der Hand legen, weil es trotz so mancher Schwächen einfach durchgehend spannend war. Diese Spannung beruht jedoch lediglich darauf, dass man einfach wissen will, ob es Sandy und ihrer Familie gelingt, zu überleben und sich aus der Gewalt von Nick und Harlan zu befreien. Immer wieder versuchen Sandy, Ivy und Ben, ihren Peinigern zu entkommen, überlegen sich stets neue Strategien, um sie zu überwältigen, verwerfen diese wieder oder scheitern, sodass der Leser immer mitfiebert und zwischen Hoffnung, Angst, Verzweiflung und Resignation ständig hin- und hergerissen wird.
Der Schreibstil der Autorin ist sehr flüssig und die angenehm kurze Kapitellänge lässt den Lesefluss nicht abreißen. Obwohl Nick und Harlan mit ihren Geiseln nicht gerade zimperlich umgehen, verzichtet Jenny Milchman darauf, unappetitliche und brutale Details genaustens zu beschreiben, sodass dieses Buch auch für zartbesaitete Gemüter mit sensiblem Magen durchaus geeignet ist.
Night Falls. Du kannst dich nicht verstecken von Jenny Milchman ist ein solider, beklemmender und durchgehend spannender Thriller, der mir trotz einiger Schwächen gut gefallen hat.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein spannungsgeladener und bizarrer Psychothriller!

Die Flut
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Inhalt:
Julia freut sich sehr auf den bevorstehenden Urlaub mit ihrem Freund Michael. Das Paar möchte sich eine kleine Auszeit gönnen und gemeinsam mit Michaels Kollegen Andreas und dessen Ehefrau Martina ...

Inhalt:


Julia freut sich sehr auf den bevorstehenden Urlaub mit ihrem Freund Michael. Das Paar möchte sich eine kleine Auszeit gönnen und gemeinsam mit Michaels Kollegen Andreas und dessen Ehefrau Martina ein paar Wochen auf der Nordseeinsel Amrum verbringen. Mit Julias anfänglicher Vorfreude ist es jedoch schnell vorbei, denn Andreas‘ anzügliche Blicke sowie Martinas ständiges Genörgel und ihre Sticheleien lassen den Urlaub zu einer nervlichen Zerreißprobe werden. Als dann schon kurz nach ihrer Ankunft ein grausamer Mord geschieht, ist das Urlaubsidyll vollends zerstört. Ganz in der Nähe ihres Feriendomizils wurde bei Ebbe eine Frau am Strand bis zum Hals im Sand eingegraben, und während die Flut unaufhaltsam stieg, musste ihr Mann, der unmittelbar daneben an einem Pfahl festgebunden wurde, hilflos mitansehen, wie seine Frau vor seinen Augen langsam und qualvoll ertrank.
Obwohl Julia, nachdem sie im Dorf von dem Mord erfährt, ein wenig mulmig zumute ist und sie die Insel am liebsten sofort wieder verlassen würde, beschließt sie, gemeinsam mit Michael, Andreas und Martina auf Amrum zu bleiben. Doch schon bald wird sich zeigen, dass es klüger gewesen wäre, den Urlaub sofort abzubrechen.
Es bleibt nämlich nicht bei diesem einen Mord, denn der hochintelligente Täter will seine Genialität beweisen, indem er auf der bislang friedlichen, beschaulichen Nordseeinsel eine perfekte Mordserie begeht, von der die ganze Welt erfahren soll. Als Beamte der Kripo Flensburg zu dem Fall hinzugezogen werden und auf der Insel ankommen, gewinnt der Mörder erst richtig Spaß an seinem perfiden Spiel. Er möchte den ermittelnden Beamten zeigen, dass er viel zu intelligent ist, um jemals gefasst zu werden und unbehelligt weitermorden kann, während sie im Dunkeln tappen. Das nächste Liebespaar hat er bereits im Visier und hofft, dass er dieses Mal nicht wieder enttäuscht wird.

Meine persönliche Meinung:


Obwohl ich auf die Thriller von Arno Strobel schon lange neugierig bin, habe ich bislang noch kein Buch dieses Autors gelesen. Dem wollte ich nun dringend Abhilfe schaffen, denn ich mag deutsche Thriller sehr und finde es auch äußerst sympathisch, dass alle bisher erschienenen Bücher von Arno Strobel Einzelbände sind und man nicht gezwungen ist, sie in einer bestimmten Reihenfolge zu lesen. Der Klappentext seines aktuellsten Psychothrillers Die Flut klang besonders spannend, denn ein Mörder, der Liebespaare entführt, die Frau am Strand bis zum Hals im Sand eingräbt und ihren Mann daneben an einen Pfahl bindet, sodass er hilflos mitansehen muss, wie seine Frau, sobald die Flut einsetzt, langsam ertrinkt, ist selbst wenn man schon viele Thriller gelesen hat und einiges gewohnt ist, ein außergewöhnlich grausames Szenario .
Bereits das Setting hat mir sehr gut gefallen, denn auch ohne jemals auf Amrum gewesen zu sein, stelle ich mir diese Insel im Spätherbst, also der Jahreszeit, in der dieser Thriller spielt, ziemlich unheimlich und gruselig vor. Ich finde kleine Inseln, die nicht auf dem Landweg zu erreichen sind, generell etwas beklemmend, da äußerlich begrenzte Orte, die man nicht jederzeit verlassen kann, sondern dabei auf Fähren oder Schiffe angewiesen ist, mir ziemliches Unbehagen bereiten. Wenn auf einer solchen Insel dann auch noch ein grausamer Mörder sein Unwesen treibt, man sie nicht verlassen darf, solange die Polizei den Fall nicht aufgeklärt hat, man also weiß, dass der Täter noch ganz in der Nähe ist und sich unter einem recht kleinen und überschaubaren Personenkreis befindet, wäre meine persönliche Grenze dessen, was ich gelassen ertragen kann, definitiv überschritten. Auch wenn einige der Protagonisten in Die Flut diese Tatsache erstaunlich entspannt hinnehmen, ist es Arno Strobel sehr gut gelungen, diese klaustrophobische, düstere und beängstigende Stimmung auf der Insel einzufangen. Mit der Wahl dieses Schauplatzes gibt der Autor dem Mörder außerdem ein äußerst bizarres Tatwerkzeug an die Hand – die Flut, denn sie lässt den Opfern nicht nur einen überaus qualvollen Tod zuteilwerden, sondern erschwert auch die Aufklärung der Morde, da sich der Tatort quasi von selbst reinigt und die Tat nahezu keine Spuren hinterlässt.
Die angenehm kurzen Kapitel, die nicht nur aus der Perspektive von Julia und eines der ermittelnden Kriminalbeamten, sondern auch aus der des Täters geschildert werden, lassen die Spannung dieses Psychothrillers nie abreißen. Die Passagen, in denen der Mörder selbst zu Wort kommt, fand ich dabei besonders beeindruckend und verstörend. Vor allem sein Motiv hat mein Interesse geweckt, denn er wählt seine Opfer ganz gezielt aus und ist nur auf der Suche nach Paaren, die er zuvor beobachtet und dabei den Eindruck gewonnen hat, dass sie sich besonders lieben. Indem er die Frauen vor den Augen ihrer Männer ertrinken lässt, möchte er sehen, was Liebende empfinden, wenn das Leben des geliebten Partners langsam entweicht. Somit gleichen die Morde psychologischen Versuchsreihen, mit denen er das Wesen der Liebe zu ergründen versucht, das ihm selbst gänzlich fremd und unbekannt zu sein scheint. Außerdem möchte er mit seinen Taten berühmt werden und entscheidet sich ganz bewusst für die kleine beschauliche Nordseeinsel Amrum, weil sich dort bislang noch nie solche brutalen Gewalttaten zugetragen haben und er sicher sein kann, mit seinen Morden für Schlagzeilen zu sorgen. Die tiefen Einsichten in die Psyche dieses psychopathischen, aber überaus intelligenten Mörders haben mir ausgesprochen gut gefallen, während mich die Passagen, die aus der Perspektive des Ermittlers geschildert werden, manchmal etwas geärgert haben. Das lag vor allem an den Ermittlerfiguren, denn diese haben mich leider etwas enttäuscht. Abgesehen von der Tatsache, dass sie alle recht unsympathisch waren, leisteten sie eben auch nahezu keine Ermittlungsarbeit. Kriminalhauptkommissar Harmsen ist ein so widerwärtiger Kotzbrocken und als solcher so maßlos überzeichnet, dass dieser Charakter für mich leider vollkommen unglaubwürdig und geradezu lächerlich war. Er besitzt nicht nur keinerlei Umgangsformen, sondern hat offenbar auch keine Ahnung, wie man Verhöre führt oder in einem Mordfall ermittelt. Für ihn steht ohnehin sofort fest, wer der Täter ist, sodass sämtliche Ermittlungsmaßnahmen vollkommen überflüssig sind. Sein Kollege Jochen Diedrichsen ging mir allerdings fast noch mehr auf die Nerven, denn es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis er sich traut, sich seinem ruppigen Vorgesetzten zu widersetzen. Er ist eigentlich ausschließlich damit beschäftigt, größeres Unheil zu verhindern, sich permanent für seinen Kollegen Harmsen zu entschuldigen und nach den Ursachen für dessen Charakterdefizite zu suchen, statt in diesen Mordfällen zu ermitteln. Auch wenn dadurch eine Erklärung für Harmens soziale Inkompetenz geliefert wird, man dann zumindest ansatzweise nachempfinden kann, warum er so ein Ekelpaket geworden ist, war dieser Charakter viel zu überzeichnet, um noch authentisch zu sein.
Es wimmelt ohnehin nicht gerade von Sympathieträgern in Die Flut, aber alle anderen Protagonisten sind zumindest glaubwürdig angelegt. Zweifellos muss es die Höchststrafe sein, mit einer Nervensäge wie Martina, der Ehefrau von Michaels Kollegen Andreas, seinen Urlaub verbringen zu müssen. Dennoch musste ich über ihre zynischen, spöttischen und fiesen Bemerkungen mitunter auch lachen. Auch mit Julia konnte ich nicht so recht warmwerden, obwohl sie die einzige Figur ist, die positive Charakterzüge aufweist und die einem, wenn sie nicht häufig so grenzenlos naiv wäre, wirklich leidtun könnte.
Diese Masse an nicht gerade liebenswürdigen Protagonisten trägt allerdings enorm zur Spannung bei, denn im Verlauf der Geschichte, habe ich eigentlich nahezu jeden des Mordes verdächtigt. Dass es sich bei dem Täter nur um einen Mann handeln kann, weiß man bereits, wenn man den Prolog gelesen hat, aber fast jeder männliche Protagonist verhält sich eigenartig und käme für die Morde in Frage – selbst die Ermittler. Ständig wird der Leser auf die falsche Fährte gelockt und muss seine Theorie immer wieder neu überdenken. Der Plot dieses Thrillers ist jedenfalls überaus raffiniert gestrickt, und das Ende war für mich sehr überraschend.
Auch wenn ich mir etwas vielschichtigere und lebendigere Charaktere gewünscht hätte und die Ermittlerfiguren enttäuschend waren, hat mich Arno Strobels Psychothriller Die Flut absolut überzeugt. Der Schreibstil des Autors ist flüssig, prägnant und mitreißend. Das Buch hatte an keiner Stelle irgendwelche Längen oder Passagen, die mich gelangweilt hätten. Immer wieder wurde ich geschickt in die Irre geführt, und das bizarre Szenario sorgte für beklemmende Momente, die für mich bei einem Buch dieses Genres unverzichtbar sind.
Die Flut ist ein wirklich äußerst gelungener, wendungsreicher und spannungsgeladener Psychothriller, und ich freue mich nun darauf, nach und nach alle Bücher von Arno Strobel zu lesen.