Was für ein Buch, ich bin hellauf begeistert!
Jetzt ist alles, was wir habenAls mir das Buch das erste Mal in der Verlagsvorschau begegnete, wusste ich auf den ersten Blick, dass ich es unbedingt lesen muss. Das Cover finde ich richtig schön, meine Neugier konnte es sofort wecken. ...
Als mir das Buch das erste Mal in der Verlagsvorschau begegnete, wusste ich auf den ersten Blick, dass ich es unbedingt lesen muss. Das Cover finde ich richtig schön, meine Neugier konnte es sofort wecken. Der Klappentext überzeugte mich ebenfalls auf Anhieb. Dieses Buch wird keine leichte Kost sein, da wir ich mir sicher. Mit dieser Vermutung sollte ich auch absolut richtig liegen.
Hadley ist in allem die Beste. Sie ist eine perfekte Schülerin mit Spitzennoten, sie ist eine exzellente Sportlerin mit Top-Leistungen, sie ist eine perfekte Tochter, die stets die Regeln ihrer Eltern befolgt. All das muss auch sein, denn nur so kann Hadley in ihrer Familie überleben. Nach außen mögen die McCauleys wie die Bilderbuchfamilie wirken, hinter der Fassade jedoch sieht es ganz anders aus. Wäre ihre kleine Schwester Lila nicht, hätte Hadley vermutlich schon längst etwas unternommen. Zu groß aber ist die Angst vor der Gewalt und der Unberechenbarkeit des Vaters. Für ihre kleine Schwester würde Hadley wirklich alles tun, sie schweigt daher. Doch dann lernt sie den Jungen Charlie kennen und zwischen den beiden entwickelt sich eine ganz besonders schöne und innige Beziehung. Aber selbst ihm kann sie sich nicht komplett anvertrauen. Als die Situation zu Hause schließlich eskaliert, setzt Hadley weiter alles daran, das schreckliche Familiengeheimnis zu wahren.
Puh, okay. Dieses Buch ist echt krass, sorry für die Ausdrucksweise. Das dies keine locker-leichte Lektüre sein würde, war mir, wie oben bereits erwähnt, schon vorher klar gewesen, allerdings hat sich das Buch für mich dann als deutlich härter herausgestellt als erwartet. Ich hatte hier stellenweise sogar mit den Tränen zu kämpfen, allerdings weniger aus Trauer, sondern mehr aus Wut. Ich möchte hier ja nun nicht allzu viel von der Handlung verraten, da ich auf keinen Fall spoilern möchte, aber ich kann euch versichern, dass der Vater der Protagonistin Hadley ein schrecklicher Mensch ist, auf den ich beim Lesen einen solchen Hass entwickelt habe! Dieser schwillt auch jetzt noch in mir, während ich dies schreibe.
Auf wen ich aber auch eine ungeheure Wut empfunden habe, sind all die Personen in dem Buch, die zu wissen glauben, was bei Hadley zu Hause abgeht und dennoch nichts unternehmen und den Mund halten. Wenn man keine Beweise hat, ist es einfach besser zu schweigen, oder? Nein, das ist so was von falsch! Leider spiegelt „Jetzt ist alles, was wir haben“ die traurige Realität wider.
Die Autorin greift in ihrem Roman ein sehr wichtiges und ernstes Thema auf und das auf eine so authentische, realistische und ehrliche Weise, dass einem die Handlung wirklich unter die Hand geht und an den Nerven zerrt.
Mich konnte das Buch von den ersten Seiten in seinen Bann ziehen, sodass ich die gut 400 Seiten quasi inhaliert habe.
Erfahren tun wir alles aus der Sicht der 17-jährigen Hadley in der Ich-Perspektive. Im Wechsel wird im „Hier“ und „Jetzt“ erzählt, sodass man als Leser häppchenweise mit Details gefüttert wird und man sich immer mehr fragt, was sich in der Vergangenheit nur Schreckliches zugetragen hat, dass zu der Situation in der Gegenwart geführt hat.
Mir hat dieser Aufbau der Handlung richtig gut gefallen. Er verstärkt diese Sogwirkung nur noch, die das Buch dank der fesselnden Story eh schon auf einen ausübt. Neben den „Damals“ und „Jetzt“ Kapiteln gibt es auch immer wieder kleine Passagen, in denen ein Ermittler Befragungen durchführt, was das Ganze nur noch spannender macht. Ich bin wirklich begeistert von dieser Erzählweise! Ebenfalls klasse fand ich die vielen Textnachrichten, die sich Hadley mit ihren Freunden schreibt. So etwas liebe ich in Büchern, ich finde, dass sich solche Gespräche immer ganz besonders flüssig und angenehm lesen lassen.
Hadley hat mir unheimlich gut gefallen. Sie ist eine wundervolle Protagonistin, die man für ihre große Stärke nur bewundern kann. Ganz ehrlich, ich wäre sehr schnell innerlich an dem zerbrochen, was Hadley durchmachen und erleiden muss. Vonseiten ihrer Eltern lastet ein ungeheurer Druck auf ihr, in erster Linie vom Vater. Hadley muss in allem die Beste sein, schon für eine zwei minus in einer Schularbeit muss sie mit einer Strafe rechnen. Ihr Vater zwingt sie zu extremen Sportleistungen, er kontrolliert sie, schreibt ihr vor, was sie essen soll und auf welches College sie gehen hat, er ist unberechenbar, aufbrausend, gewalttätig. Was Hadley seit ihrer Kindheit alles durchmachen musste, ist so furchtbar, mir tat sie so leid.
Richtig schlimm fand ich ihre Ängste und Sorgen um ihre kleine Schwester Lila. Diese konnte ich absolut nachvollziehen. Hadley ist eine tolle große Schwester. Sie stellt Lilas Wohlergehen stets vor das ihre und setzt alles daran, dass ihre kleine 10-jährige Schwester in Sicherheit vor ihrem Vater ist.
Neben all dem Schmerz und dem Leid gibt es für Hadley aber zum Glück auch immer wieder kleine Lichtblicke, die ihr Halt geben. Zum einen natürlich Lila, aber dann ist da auch noch der Junge Charlie, den Hadley im "Damals" kennenlernt. Zwischen den beiden soll sehr schnell eine wunderschöne Liebesgeschichte entwickeln. Charlie ist ebenfalls ein toller Charakter, ihn habe ich sofort in mein Herz geschlossen. Wie Hadley, so hat auch er es nicht leicht im Leben. Anders als sie, die in sehr gehobenen Verhältnissen aufgewachsen ist (Hadleys Familie ist ziemlich reich), kommt Charlie aus einer ganz anderen Schicht. Er hat also auch sein Päckchen zu tragen, allerdings wiegt dieses nicht so schwer, wie das von Hadley.
Ich habe hier beim Lesen eine gewaltige Achterbahnfahrt der Gefühle erlebt. Wut, Trauer, Hass, Hilflosigkeit, Mitgefühl, Freude – mich hat das Buch emotional wirklich sehr mitgenommen und das Gelesene wird mich auch lange noch nicht loslassen. Was aber auch gut so ist. Dieser Roman soll einen aufrütteln, nachdenklich stimmen und deutlich machen, wie falsch es ist, zu schweigen.
Sehr gut fand ich auch das Nachwort der Autorin, in welchem sie nochmals dazu aufruft, sich Hilfe zu holen, wenn man selbst betroffen ist oder aktiv zu werden, wenn man etwas weiß und bisher darüber geschwiegen hat.
Auch wenn die Handlung echt keine leichte Kost ist, hat sie mir ein perfektes Leseerlebnis beschert. „Jetzt ist alles, was wir haben“ ist wahrlich nichts für schwache Nerven, es ist aber absolut lesenswert und sollte bei jedem, der es sich zutraut, auf die Leseliste wandern.
Fazit: Ein Buch, das eher ruhig ist, das aber dank der schockierenden und wichtigen Thematik genauso spannend und fesselnd ist wie ein Actionroman. Ich habe „Jetzt ist alles, was wir haben“ quasi inhaliert. Ich konnte das Buch stellenweise einfach nicht mehr aus der Hand legen, da ich so mit der Protagonistin mitgefühlt habe und unbedingt wissen musste, wie es mit ihr weitergehen wird. Amy Giles behandelt in ihrem Jugendroman das ernste Thema häusliche Gewalt und das auf eine so schonungslos ehrliche, authentische und bewegende Weise, dass einem das Gelesene richtig unter die Haut geht. Ich bin hellauf begeistert von dem Buch und kann es jedem, der sich stark genug dafür fühlt, wirklich nur ans Herz legen. Von mir gibt es volle 5 von 5 Sternen!