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Veröffentlicht am 23.04.2019

Ein Sittengemälde

Die Farben des Feuers
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Die Farben des Feuers - Pierre Lemaitre

Der Rundumschlag einer leidgeprüften Frau. Ein etwas zähes Stück Literatur.

Vor dem Hintergrund des nahenden Zweiten Weltkrieges in Paris, geht die unerfahrene, ...

Die Farben des Feuers - Pierre Lemaitre

Der Rundumschlag einer leidgeprüften Frau. Ein etwas zähes Stück Literatur.

Vor dem Hintergrund des nahenden Zweiten Weltkrieges in Paris, geht die unerfahrene, frisch gebackene Alleinerbin Madeleine Pericourt kurz nach dem Tod ihres Vaters einem Komplott auf den Leim. Das Bankimperium der Familie ist dem Untergang geweiht. Doch Madeleine ist eine Kämpferin, vor allem kämpft sie für ihren querschnittsgelähmten Sohn Paul, für seine Zukunft. Sie kommt wieder auf die Beine, um dieses Mal ihren ganz persönlichen Rachefeldzug zu planen.

Dieser Roman ist durchaus anspruchsvoll, was die Verflechtung des umfangreichen Personals betrifft. Etliche Finanz- und steuerrechtliche Fragen, die für die Handlung von Bedeutung sind, werden dagegen oft nur sehr oberflächlich angerissen und kaum erklärt. Insgesamt wirkte das ein oder andere Detail im Handlungsverlauf für mich dann doch sehr konstruiert. Emotional fühlte ich mich leider nicht mitgenommen.

Die teils antiquiert wirkende Sprache und die ungewöhnliche Art, den Leser mehr oder weniger direkt anzusprechen sind anfangs recht gewöhnungsbedürftig. Später sorgen die vielen französischen Namen für mehr Verwirrung. Leider fehlt hier ein entsprechendes Namensverzeichnis.
Außerdem sind mir sehr viele Klischees aufgefallen, die zwar der Zeit entsprechen, irgendwie aber doch unpassend wirken und mich störten.

Sämtliche Charaktere bleiben insgesamt distanziert, zum Großteil unsympathisch und nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Einzig Paul ist für ein Kind geradezu unglaubwürdig vernünftig und geduldig. Die größte Entwicklung macht zweifellos Madeleine durch, zumindest beginnt sie, selbst die Strippen zu ziehen.

Insgesamt konnte mich dieser Roman leider nicht wirklich begeistern. Zu zäh, vieles blieb mir fremd. Nichtsdestotrotz bietet er ein gutes Sittengemälde des Paris vor dem Zweiten Weltkrieg und viele gute Ansätze.

Veröffentlicht am 08.04.2019

Traurig und schön

Der Postbote von Girifalco oder Eine kurze Geschichte über den Zufall
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Der Postbote von Girifalco - Domenico Dara

Kalabrien, in den 70er Jahren. Unser Postbote, wenigstens einen Vornamen erfahren wir erst auf der allerletzten Seite, besitzt eine besondere Gabe. Er kann Handschriften ...

Der Postbote von Girifalco - Domenico Dara

Kalabrien, in den 70er Jahren. Unser Postbote, wenigstens einen Vornamen erfahren wir erst auf der allerletzten Seite, besitzt eine besondere Gabe. Er kann Handschriften perfekt imitieren. Er lebt sehr zurückgezogen und hat damit einen Weg aus der Einsamkeit gefunden. Anfangs öffnet und liest er die Briefe, die er zustellt. Bald schreibt er viele davon ab und archiviert sie. Schließlich greift er ab und an auch ins Geschehen ein und spielt Schicksal. Wobei er es immer nur gut meint.

Besonders beeindruckend ist die Stimmung des Romans. Innerhalb kürzester Zeit fühlt man sich zurückversetzt in ein Italien vor fünfzig Jahren, mit Wäscheleinen auf Balkonen und vielen interessanten, oft schrulligen Charakteren. Das Cover ist toll!
Gerade am Anfang fällt aber der Einstieg aufgrund der vielen italienischen Namen und des etwas sprunghaften Erzählstils nicht leicht.
Die einzelnen Geschichten der Dorfbewohner lassen zuerst kaum Verbindungen erkennen. Vielmehr scheint sich alles nur um den augenscheinlich doch recht passiven Postboten im Mittelpunkt zu drehen. Tatsächlich hat dieser kaum ein eigenes Privatleben, vielmehr versucht er heimlich an den Leben der Anderen teilzunehmen. Er nimmt eindeutig eine Beobachterrolle ein.
Zufall spielt ebenso, wie es der Titel bereits erkennen lässt, eine wichtige Rolle. Der Postbote ist ein sehr nachdenklicher Typ, der viel Zeit hat und über alles Mögliche Listen führt. So auch über diverse Zufälle, die ihm begegnen, bzw. die er miteinander in Verbindung bringt.

Es dominiert eine tief melancholische, wehmütige Grundstimmung. Im Hintergrund lauern nämlich die Schatten zweierlei tieftrauriger Liebesgeschichten. Atmosphäre sehr gut getroffen, poetisch, tiefsinnig und literarisch großartig. All das hat mir sehr gut gefallen.

Dennoch habe ich auch Kritikpunkte. So habe ich wirklich sehr lange gebraucht, bis ich mich mit dem umfangreichen Personal einigermaßen zurechtgefunden habe (das Personenverzeichnis am Buchende ist mir erst nach der Lektüre aufgefallen).
Der sehr ruhige Plot beinhaltet doch etliche Längen.

Eine hervorragende Idee, interessant umgesetzt, jedoch fehlt dem Ganzen der Pep.

Veröffentlicht am 01.04.2019

Ein Schwesternroman über drei kämpferische Frauen

Eine eigene Zukunft
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Eine eigene Zukunft - Maria Duenas

1936 holt der Vater, der sich bis dahin nur sporadisch bei seiner Familie blicken ließ, diese aus der andalusischen Provinz nach New York, wo sie sich gemeinsam ein ...

Eine eigene Zukunft - Maria Duenas

1936 holt der Vater, der sich bis dahin nur sporadisch bei seiner Familie blicken ließ, diese aus der andalusischen Provinz nach New York, wo sie sich gemeinsam ein Restaurant aufbauen. Doch nach nur wenigen Monaten in der neuen Heimat hat das Familienoberhaupt einen tödlichen Unfall. Das Geld reicht hinten und vorne nicht, das Restaurant hat nicht den gewünschten Erfolg, die Mutter und die drei Töchter haben in der fremden Metropole noch nicht Fuß gefasst. Nun sind sie plötzlich auf sich selbst gestellt.
Hals über Kopf stürzen sich die Frauen in die Renovierung und den Umbau des Restaurants in einen Nachtclub. Trotz aller Widrigkeiten, die ihnen in den Weg gelegt werden, dürfen sie doch feststellen, wie viele Menschen aus der spanischen Gemeinde ihnen zu Hilfe kommen und zu Freunden werden. Der Zusammenhalt der Spanier in der Fremde ist groß. Und die Liebe kommt natürlich nicht zu kurz.

Dies ist die Geschichte von vier Immigrantinnen wider Willen in die USA. Stehen die Mädchen dem Umzug anfangs mehr als skeptisch gegenüber, so sind sie durch die Ereignisse bald gezwungen, das Beste aus der Situation zu machen. Einerseits sind sie so eng miteinander verbunden, allein in der Fremde haben sie sich nur gegenseitig. Dennoch entwickeln sich die Geschicke der drei Mädchen in unterschiedliche Richtungen.

Welche weitreichende Folgen Entscheidungen haben können. So heißt es zu Beginn des Romans, nach dem plötzlichen Tod des Vaters, zu entscheiden, bleiben oder gehen.
Während sich die Mädchen mit der Zeit arrangieren und die Ärmel hochkrempelnd in die Zukunft blicken, hält die Mutter sehr lange an Werten und Traditionen der Heimat fest, im Hinblick auf eine möglichst schnelle Heimkehr. Der natürliche Abnabelungsprozess junger Menschen von ihren Eltern, der Wunsch auf eigenen Beinen zu stehen, ist durch die Umstände stark erschwert.

Die vier Frauenfiguren fand ich insgesamt sehr schön gezeichnet. Die traditionsbewusste, unselbstständige Mutter. Im Gegensatz dazu die Töchter mit Feuer und Temperament. Gerne hätte ich die kämpferischen jungen Frauen noch weiter auf dem Weg in ihr eigenes Leben begleitet.

Veröffentlicht am 26.03.2019

Über die Wichtigkeit von Menschlichkeit in unserer globalisierten Welt

Der Wal und das Ende der Welt
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Der Wal und das Ende der Welt – John Ironmonger

Eine Geschichte, die fast so in der Bibel stehen könnte…
Die Wichtigkeit der Menschlichkeit gerade in der heutigen globalisierten Welt

Dieser Roman spielt ...

Der Wal und das Ende der Welt – John Ironmonger

Eine Geschichte, die fast so in der Bibel stehen könnte…
Die Wichtigkeit der Menschlichkeit gerade in der heutigen globalisierten Welt

Dieser Roman spielt zum allergrößten Teil in St. Piran, einem idyllischen Fischerdorf in Cornwall, beinahe abgeschnitten vom Rest der Welt. Ausgerechnet hier überschlagen sich eines Tages die Ereignisse. Ein junger Mann wird angeschwemmt und von den Bewohnern des Dorfes geborgen. Beinahe zeitgleich strandet ein riesiger Wal an der Küste. Mit vereinten Kräften wird er wieder zurück ins Meer befördert. Dennoch spielt dieser Wal eine große Rolle in der Geschichte. Er steht sowohl für das Ende der Welt als auch für das Gute im Menschen.
Der junge Mann heißt Joe und ist aus London geflohen, wo er als Börsenhändler einen Dominoeffekt in Gang gesetzt hat. Steht nun der Kollaps der gesamten Zivilisation bevor? Und was genau hat der Wal damit zu tun?

Es sind liebenswerte, skurrile Menschen, die Bewohner von St. Piran, die Joe so gastfreundlich aufnehmen. Auf jeden Fall sind sie sehr authentisch und passen perfekt in ihr Fischerdorf, wo die neue, hektische Zeit noch nicht angekommen ist. Die moderne Finanzwelt, aus der Joe kommt, wirkt dagegen wie ein anderes Universum. Dennoch könnten gerade diese „rückständigen“ Menschen, die Rettung der Welt bedeuten, die Politiker und Trader vor die Wand gefahren haben. An sehr vielen Stellen (nicht nur die Sache mit dem Wal) fühlte ich mich an verschiedene Bibelgeschichten erinnert.

Trotz des apokalyptischen Szenarios ist dies ein Wohlfühlroman, der Mut macht und an die Menschlichkeit appelliert. Ob das ein realistisches Szenario ist, nun ja, darüber könnte man diskutieren. Es werden viele grundsätzliche Fragen aufgeworfen. Wie wird sich der Mensch in der Not verhalten, was passiert dann mit der Gesellschaft? Auch die komplexen (finanz-) politischen und Handelsbeziehungen unserer heutigen globalisierten Welt werden sehr gut dargestellt.

Ironmonger ließ sich laut Klappentext von der Bibel, sowie zwei Sachbuchautoren inspirieren. Jared Diamonds „Kollaps“ habe ich selbst gelesen und sehr gemocht. So hat mich die Ausgangsituation sehr interessiert und der Roman las sich süffig. Allerdings bin ich nach wie vor unschlüssig, ob mir die Auflösung dieses Dilemmas in dieser Geschichte nun gefällt oder nicht.

Eine klare Leseempfehlung für eine ganz besondere Geschichte!

Veröffentlicht am 25.03.2019

Auf der Suche nach der Wahrheit

Das Echo der Wahrheit
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Das Echo der Wahrheit- Eugene Chirovici

"Irgendwo in einer großen Stadt, die funkelt wie ein Diamant, hatten sich drei Schicksale für immer miteinander verwoben. Ob in Liebe oder Leid, war nicht mehr ...

Das Echo der Wahrheit- Eugene Chirovici

"Irgendwo in einer großen Stadt, die funkelt wie ein Diamant, hatten sich drei Schicksale für immer miteinander verwoben. Ob in Liebe oder Leid, war nicht mehr wichtig. Allzu häufig bedeuten die beiden ein und dasselbe." (Zitat)

Laut Verlag handelt es sich hierbei um einen psychologischen Spannungsroman. Tatsächlich würde ich das Werk als eine Mischung aus anspruchsvollem Krimi und spannendem Roman einordnen.

Der Multimillionär Joshua Fleischer konsultiert den berühmten Psychiater Dr. James Cobb. Er will endlich wissen, was in jener verhängnisvollen Nacht in den siebziger Jahren tatsächlich passiert ist. Wer war schuld an der Tragödie, die sein Leben für immer verändert hat und ihn nun seit Jahrzehnten nicht mehr loslässt. Er ist todkrank und will nicht sterben ohne zu wissen, was sich hinter seinen bruchstückhaften Erinnerungen verbirgt. Ist er am Ende selbst ein Mörder?
Cobb betritt ein Labyrinth aus Erinnerung und Täuschung. Wessen Erinnerung ist die richtige? Eine einzige Nacht, die das Leben mehrerer Personen für immer verändert hat. Nur was ist eigentlich passiert? Denn jeder der Beteiligten erinnert sich an etwas anderes.

Reizvoll und anspruchsvoll finde ich die Kombination aus verschiedenen, sich im Laufe der Zeit verändernden Erinnerungen und der offensichtlichen Geisteskrankheit eines der Protagonisten. Ist nicht ein schizophrener Beteiligter automatisch verdächtig?
Chirovici schreibt fesselnd und klug, in schöner Sprache, der man dennoch sehr gut folgen kann. Gerade die psychologischen Aspekte machen seine Geschichten so interessant.

Wie schon im "Buch der Spiegel" konstruiert der Autor kompliziert verschlungene Handlungsstränge, ein regelrechtes Labyrinth. Am Ende ist nichts so wie es scheint, man wird immer wieder überrascht.
Tatsächlich hat mir „Das Echo der Wahrheit“ noch besser gefallen. Ich fand es spannender, wenn es natürlich auch gewisse Parallelen in der Erzählweise gibt.
Einzig Cobbs Geschichte fand ich sehr dünn und konstruiert als Grund für die anhaltenden Nachforschungen.

Klare Leseempfehlung für alle, die das Besondere mögen und sich gerne auf psychologische Gedankenspiele einlassen!