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Veröffentlicht am 31.01.2019

Wiedersehen in Holt

Abendrot
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Abendrot – Kent Haruf

"Abendrot" ist der zweite Teil der Trilogie "Plainsong" um die Bewohner von Holt. Das Buch ist aber durchaus auch ohne den Vorgänger lesbar. Und, um es gleich vorab zu sagen, auch ...

Abendrot – Kent Haruf

"Abendrot" ist der zweite Teil der Trilogie "Plainsong" um die Bewohner von Holt. Das Buch ist aber durchaus auch ohne den Vorgänger lesbar. Und, um es gleich vorab zu sagen, auch dieser Roman hat mich wieder begeistert.

Es gibt ein Wiedersehen mit einigen bereits bekannten Darstellern. Die großmütigen Viehzüchter-Brüder McPheron beispielsweise dürfen natürlich nicht fehlen. Gleich zu Beginn müssen sie den Wegzug ihrer Ziehtochter Victoria mit der kleinen Katie verkraften.
Aber auch neue Bewohner Holts dürfen wir kennenlernen. Da ist zum Beispiel die Familie, die in einem Wohnwagen am Existenzminimum die Familie zusammenzuhalten versuchen. Oder der elfjährige Junge, der sich tagaus-tagein um seinen alten Großvater kümmert. So aussichtslos die Lage vieler hier ist, gibt es doch immer wieder jemanden mit einem großen Herz, der helfen will.

Kent Harufs großes Thema ist auch hier wieder die Einsamkeit und Perspektivlosigkeit vieler Menschen in den Great Plains. Das Leben auf dem Land ist hart und Haruf liegen die kleinen Leute am Herzen. Er schreibt absolut authentisch, oft mit wenigen Worten, die aber viel beinhalten. Trotz oft knapper, gar distanziert wirkender Sprache, vermittelt der Autor Mitgefühl für seine Figuren, die es alle nicht leicht haben. Wie überall gibt es solche, die an Schicksalsschlägen wachsen oder sich zumindest wieder aufrappeln, und solche, die daran zerbrechen. Gerade die Belange der Kinder und Heranwachsenden sind Haruf wichtig. Sie sind es, die für ihre Situation am wenigsten können und gleichzeitig am meisten darunter leiden.
Trotz teils ausufernder Beschreibungen liest sich dieser Roman wie ein Krimi, gerade weil man als Leser so großen Anteil an den Geschicken dieser einsamen Menschen nimmt.

Eigentlich bin ich kein Reihen-Leser, auf den letzten Band dieser Trilogie werde ich aber hinfiebern. Ich muss unbedingt wissen, wie es den Bewohnern von Holt weiterhin ergeht.

Veröffentlicht am 31.01.2019

Melancholisch und feinsinnig

Agathe
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Ein kleines, feines Büchlein. Ein vielversprechendes Debüt.

Ein 72-jähriger, ausgebrannter Psychiater und seine allerletzte Patientin, Agathe, die sich einfach nicht abwimmeln lassen will. Agathe scheint ...

Ein kleines, feines Büchlein. Ein vielversprechendes Debüt.

Ein 72-jähriger, ausgebrannter Psychiater und seine allerletzte Patientin, Agathe, die sich einfach nicht abwimmeln lassen will. Agathe scheint erst eine Patientin wie jede andere, doch bald verändert sich etwas in der Beziehung zwischen den beiden.
Im Vordergrund der Geschichte steht in erster Linie jedoch nicht die Patientin, wie es der Titel vermuten lassen würde, sondern der Psychiater selbst, von dem wir keinen Namen erfahren. Dieser ist in höchstem Maße einsam. Hat weder Familie noch Freunde, eigentlich überhaupt keinen Kontakt zu Menschen außerhalb seiner Praxis, zumindest erfahren wir nichts desto gleich. Und auch bei seiner Arbeit ist er zunehmend überfordert und geradezu genervt von den Problemen seiner Patienten. So zählt er beständig die noch verbleibenden Termine bis zum baldigen Ruhestand. Doch was kommt eigentlich danach?

Die Geschichte spielt in einem Pariser Vorort, 1948. Etwas seltsam mutet es daher an, dass der Krieg und seine Auswirkungen mit keinem Wort erwähnt werden und scheinbar überhaupt keine Rolle spielen. Die Autorin konzentriert sich offensichtlich voll und ganz auf das Seelenleben ihrer Protagonisten. Die Handlung wirkt somit zeitlos und würde in jedem beliebigem Rahmen gleich verlaufen. Vollkommen losgelöst von allen möglichen äußeren Umständen. Auch viele wichtige Hintergrundinformationen, zum Leben des Psychiaters etwa, fehlen komplett.

Sprachlich hat mir das Büchlein hervorragend gefallen. Locker zu lesen, dabei aber verspielt und tiefsinniger als auf den ersten Blick vermutet, trifft die Autorin Lebensweisheiten auf den Punkt. Mit wenigen Worten vermag sie viel zu sagen. Eine nachdenkliche, melancholische Grundstimmung bleibt zurück.

Insgesamt ungewöhnlich, aber durchaus empfehlenswert!


  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Figuren
  • Geschichte
  • Gefühl
  • Atmosphäre
Veröffentlicht am 23.01.2019

Ein bewegtes Leben

Olga
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Olga – Bernhard Schlink

Soweit ich mich erinnere, konnte mich schon das bekannte Werk Schlinks "Der Vorleser" zu Schulzeiten nicht so wirklich begeistern. Viele Jahre habe ich die Finger von dem Autor ...

Olga – Bernhard Schlink

Soweit ich mich erinnere, konnte mich schon das bekannte Werk Schlinks "Der Vorleser" zu Schulzeiten nicht so wirklich begeistern. Viele Jahre habe ich die Finger von dem Autor gelassen, nun wagte ich mich an seinen neuesten Roman "Olga".

Erzählt wird die Geschichte einer Frau, Olga. Beginnend in ihrer Kindheit und Jugend, gelangt der Leser in rasender Geschwindigkeit in das Leben Olgas als alter Dame. Jahrzehnte eines Lebens werden innerhalb weniger Seiten abgehandelt. Irgendwo dazwischen befindet sich ihre Liebe zu Herbert, eine Beziehung, die ich insgesamt nur schwer nachvollziehen kann. Die beiden passen von Anfang an nicht zusammen, führen niemals ein gemeinsames Leben. Nach wenigen, auch diese Zeit von längeren Auslandsaufenthalten unterbrochenen, Jahren, verschwindet er schließlich ganz und Olga trauert ihm bis zum Ende 50 Jahre lang nach.
Hm, nunja, mit Olga konnte ich mit so gar nicht identifizieren. Sie führt ein trauriges, unausgefülltes Leben, allerdings zum großen Teil aus eigener Schuld. Diese Schicksalsergebenheit und Untätigkeit, warten bis ihr irgendetwas in den Schoß fällt, hat mich wahnsinnig gemacht! Aber vermutlich tue ich ihr damit Unrecht, schließlich ist es eine andere Zeit, geprägt vom Krieg. Auch hat sie sich bereits durchgesetzt, indem sie Lehrerin wurde. Eine tolle Leistung. Nur im Privaten fehlt ihr dieses Durchsetzungsvermögen dann so ganz…

Obwohl ich Schlinks Sprache als sehr angenehm und schön empfinde, bleiben die Figuren seltsam fremd. Die Geschichte an sich konnte mich nicht überzeugen. Gerade weil ich Olga als Hauptfigur als nerv tötend empfand und die riesigen Zeitsprünge als mühsam. Insbesondere im Mittelteil des Romans empfand ich trotz des großen Erzähltempos etliche Passagen als richtiggehend langweilig. Durch die vielen Sprünge hatte ich einfach auch den Draht zur Geschichte verloren.
Zum Ende stellt sich die Frage, ob und was uns der Autor mit der Geschichte sagen will? Etwas in der Richtung, jeder ist seines Glückes Schmied? Ich bin mir nicht sicher...
Talent hat Schlink. Gerade im letzten Teil, der aus Briefen besteht, kommt dies wieder klar zum Vorschein. Umso enttäuschender, dass dies nicht immer zum Ausdruck kommt.

Veröffentlicht am 11.01.2019

Mäßig spannender Thriller mit interessanten Schauplätzen

Vier Tage in Kabul
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Vier Tage in Kabul – Anna Tell

Mäßig spannender Thriller mit interessanten Einblicken einer Unterhändlerin. Kein Muss.

Dieser Thriller hat gleich zwei Schauplätze. Amanda Lund, die erfolgreiche Unterhändlerin ...

Vier Tage in Kabul – Anna Tell

Mäßig spannender Thriller mit interessanten Einblicken einer Unterhändlerin. Kein Muss.

Dieser Thriller hat gleich zwei Schauplätze. Amanda Lund, die erfolgreiche Unterhändlerin versucht in Afghanistan zwei vermutlich entführte schwedische Diplomaten zu finden und zu befreien. Zeitgleich wird in Stockholm ein Regierungsmitarbeiter ermordet aufgefunden. Die Hinweise verdichten sich, dass die beiden Fälle zusammenhängen. Die Spuren führen in höchste Regierungskreise.

Das Interessante an diesem Buch ist das Hintergrundwissen der Autorin. Anna Tell ist Kriminalkommissarin und Unterhändlerin. Sie verfügt über Polizei- und Militärerfahrung und liefert Einblicke, die dieses Buch spürbar aufwerten.
Den Fall fand ich durchaus interessant und locker nebenbei zu lesen. Gerade gegen Ende hin, lässt die Spannung allerdings stark nach. Die Auflösung wird unnötig in die Länge gezogen und hat mich dann irgendwann gar nicht mehr wirklich interessiert. Das allermeiste konnte man sowieso schon längst erahnen. Somit hat mir der Überraschungseffekt gefehlt.

Die Pluspunkte liegen für mich im Background der Autorin, sowie im sehr aktuellen Setting (entführte Diplomaten in Kabul). Handwerklich gibt es meiner Meinung nach aber noch Luft nach oben.

Veröffentlicht am 11.01.2019

Eine Geschichte der Sklaverei

Underground Railroad
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Underground Railroad – Colson Whitehead

Colson Whitehead arbeitet in diesem Roman die große Tragödie der Sklaverei auf. Über dieses Thema habe ich bisher kaum etwas gelesen, schon gar nicht auf so eindringliche ...

Underground Railroad – Colson Whitehead

Colson Whitehead arbeitet in diesem Roman die große Tragödie der Sklaverei auf. Über dieses Thema habe ich bisher kaum etwas gelesen, schon gar nicht auf so eindringliche und realistische Weise. Wobei man erwähnen muss, dass der Autor sich die ein oder andere dichterische Freiheit erlaubt. So ist die Underground Railroad bei ihm tatsächlich eine richtige Eisenbahn, mit Schienen und Stationen. In der Realität handelte es sich dabei vielmehr um ein Netzwerk aus freiwilligen Helfern, die sich selbst in Lebensgefahr brachten, um entlaufene Sklaven auf ihrem Weg in den Norden, wo sie auf ein Leben in Freiheit hoffen durften, zu unterstützen.

Cora ist ein Sklavenmädchen, das auf der Randall-Farm in Georgia geboren wurde und unter brutalsten Bedingungen lebt und wohl auch dort sterben wird. Bis Caesar, ein Leidensgenosse, ihr die Idee einer Flucht in den Kopf setzt. Er kann lesen und hat Verbindungen zu einem Helfer der Underground Railroad. Ihre Flucht beginnt dramatisch und führt sie kreuz und quer durch die Staaten. Jeder dieser Staaten hat eigene Gesetze und Regeln, entlaufene Sklaven sind jedoch nirgendwo gerne gesehen und werden überall schlimmer als Tiere behandelt.
Ergreifend und beinahe unerträglich detailliert beschreibt der Autor das Leben dieses Sklavenmädchens und ihrer Wegbegleiter. Ein Leben unter absolut unwürdigen Bedingungen, die sich auch während der Flucht nicht nachhaltig verbessern. Ein Leben ohne Wurzeln und ohne irgendeine Perspektive. Bezeichnend, dass Coras Reise mit dem Ende des Romans kein Ende findet. Viele Male verliert sie ihre Begleiter, bewundernswert ihr Durchhaltevermögen und Lebenswille.

Der Autor versteht es, dem Leser ein Stück Geschichte näherzubringen, das zwar jedem bekannt ist, über das sich aber die wenigsten wohl so intensiv Gedanken gemacht haben. Er setzt sogar noch früher an, nämlich bei der ersten großen Sünde der Weißen Invasoren: der Vertreibung der Indianer. Whitehead gibt der Geschichte Namen und Gesichter. Dabei denkt er aber nicht nur Schwarz-Weiß, es gibt weiße Helfer, und schwarze Verräter. Auch Konflikte zwischen Sklaven untereinander werden thematisiert.

Ein wirklich sehr gut geschriebenes und thematisch wichtiges Buch, doch oft schwer zu ertragen und beileibe nicht als Stimmungsaufheller geeignet. Dabei aber absolut fesselnd, so dass ich es innerhalb weniger Tage zu Ende gelesen habe.
Ein tolles Buch!