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Veröffentlicht am 11.11.2020

Die allerfeinsten Verästelungen

Mathias
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Kurzmeinung: Tiefgründige Kollektion an Kurzgeschichten, die emotional gefärbt, aber kitschfrei die Conditio Humana hintersinnig-empathisch reflektieren!

Die Kurzgeschichte ist eine hohe Kunst, weil es ...

Kurzmeinung: Tiefgründige Kollektion an Kurzgeschichten, die emotional gefärbt, aber kitschfrei die Conditio Humana hintersinnig-empathisch reflektieren!

Die Kurzgeschichte ist eine hohe Kunst, weil es nicht den Raum gibt, allzu detailliert werden zu können. Flannery O'Connor, Sylvia Plath und Joyce Carol Oates beherrschen diese hohe Disziplin. Bettina Dyes ebenso. 

Unsere Gegenwart erweckt die Impression, immer schnellebiger zu werden. Das Tempo akzeliert - hektisch, nervös, ausgebrannt ... In manchen Büchern scheint es ebenfalls so zu sein, daß die Eile und die Zeitnot Einzug gehalten haben. 

Wie schön, daß es dann noch Bücher wie dieses hier, "Matthias" gibt. Kurzgeschichten scheinen altmodisch und wie aus der Zeit gefallen? Von wegen! Sie sind zeitlos, vor allem, wenn sie universale Leitthemen der Menschheit spiegeln. 

In der Natur der Kurzgeschichte liegt es komprimiert zu sein, aber der Autorin gelingt es hier vorzüglich, trotz der literarischen Restriktionen zu entschleunigen. Sie läßt ihren Worten Raum zum Atmen und Entfalten, jenseits eines einschnürenden Korsetts. 

Autobiographische Erlebnisse bzw. Fragmente, Beobachtungen und Schicksale diverser Individuen sind die Basis der zehn Kurzgeschichten. 

Die beiden Weltkriege werfen ihren langen Schatten bis in die feinsten Verästelungen der Familien, über die Epigenetik sogar bis heute. 

Worte können Waffen sein oder unbedacht gebraucht schlimmen Schaden anrichten. 

Das Leben plätschert nicht nur dahin mit gelegentlichen Tiefpunkten und Highlights. Es gibt Triggerpunkte, die retrospektiv gesehen eminente Wegmarken setzen, weil sie entscheidende Wenden und Veränderungen hervorrufen können, manchmal mit unvorhersehbaren Folgen. Nicht immer nur negativ. Das ist einer der Leitmotive der Autorin. 

Manchmal erkennt man den Triggerpunkt auch sehr klar, wenn er im Begriffe ist sich zu materialisieren. 

Es sind die Geschichten ganz "gewöhnlicher" Menschen ( sowie wunderbarerweise einer Taube, Frau Taube ), die alles andere als gewöhnlich sind. 

Denn die Autorin zeigt tiefgründig und reflektierend diese einzigartigen Individuen. 

Die Probleme, Sorgen, Gedanken, die um und in ihnen kreisen mögen so oder so ähnlich Aberhunderttausende tangieren. 

Jeder jedoch erlebt selbstverständlich dies alles, Trauer, Tod, Trennung, aber ebenso Glück und Freude als einmaliges Original ohne Negativ, nicht reproduzierbar. 

All dieses Einmalige, das jeder parallel erlebt bildet kollektiv ein Konglomerat, was den ganzen emotionalen Komplex universal macht. So kann man, den Spiegelneuronen entsprechend, der Schmerz des "fremden" Menschen nachempfinden, selbst wenn dieser anders gelagert ist. 

Bettina Dyes hat mit großer Herzlichkeit, Empathie und einem tiefen Verständnis der humanen Enigmen diese Geschichten verfasst. 

Sie wühlen auf, gehen einem nahe, aber Optimismus fehlt ebensowenig wie Denkanstöße. Diese magisch - realistischen Satzgebilde sind von einem poetisch warmen Wind durchwirbelt und verankern sich unvergeßlich im Langzeitgedächtnis.




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Veröffentlicht am 11.11.2020

Ach, Die Heraklesaufgaben der Selbstzweifler!

Skurrilchaotische Existenz ohne Effizienz
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Autobiographisch geprägtes "Aufklärungsbuch" über ADHS, mit Selbstironie und seriösem Anspruch. Besser als akademische Lehrbücher!

Warum nur hegen soviele Menschen den Wunsch, den Konventionen der Gesellschaft ...

Autobiographisch geprägtes "Aufklärungsbuch" über ADHS, mit Selbstironie und seriösem Anspruch. Besser als akademische Lehrbücher!

Warum nur hegen soviele Menschen den Wunsch, den Konventionen der Gesellschaft entsprechen zu wollen? Um dazuzugehören? Wieso? Warum sollte man sich verbiegen, um Leuten zu gefallen, die man im Grunde gar nicht mag?

Aimo Nyland ( kleiner Scherz: klingt wie ein "alter" Schwede! ) ist auch anders, aber das ist eine Bereicherung, kein Makel.

Chaotisch, hibbelig, planlos ... Er erfährt jedoch erst im späten Erwachsenenalter, daß er ADHS hat. Endlich fallen die letzten kryptischen Puzzleteile an ihren jeweilig richtigen Platz. Er weiß nun, worunter er leidet, aber ebenso bereichert.

Das ist das Besondere an diesem Autoren. Er verschließt nicht die Augen vor den Schattenseiten, verharmlost Negatives nicht, erwähnt all dies. Ebensowenig versinkt er in Selbstmitleid und Jammerei. ( Obwohl, ich habe noch nie ein Ei jammern hören! )

Er zeigt eindrücklich die Tag - und Nachtseiten seiner Diagnose, seines speziellen "Zustands".

Er ist seriös und sprachmächtig, aber ebenso selbstironisch und von einem differenzierten Humor. Er schildert hautnah Episoden aus seinem Leben und gibt dem Leser klasse Impressionen.

Er will aufzeigen, daß Betroffene innerhalb ihres speziellen Feldes genauso normal und / oder gestört wie wir alle sind. Wer oder was ist normal? Wer will im Grunde genommen normal sein? Das hieße ja der Norm entsprechen, was wiederum eklig bürokratisch klingt.

Es gibt ebenso einen Ratgeberteil, der wertvolle Aufklärungsarbeit leistet sowie weitere drei Erzählungen von Betroffenen.

ADHS - Anders Denken Hat Stil, wie der Autor so treffend es benennt. Wenn das Andersdenken ganz allgemein nur endlich weiter verbreitet wäre ...

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Veröffentlicht am 11.11.2020

Hundert Aspekte und Facetten des jungen Luca

Am Ende bin ich
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Changierend zwischen einem Hoch der Liebe und dem Tief der absoluten Leere sowie Desperation. Jedoch hoffnungsvoll und nicht ohne Optimismus

Luca trägt die rosarote Brille und wandelt auf butterweichen ...

Changierend zwischen einem Hoch der Liebe und dem Tief der absoluten Leere sowie Desperation. Jedoch hoffnungsvoll und nicht ohne Optimismus

Luca trägt die rosarote Brille und wandelt auf butterweichen Wolken. Aurora, wie die Morgenröte, verschwindet aus seinem Leben, wieso und weshalb? Lesen!

Sein prompter Sturz ist tief und sehr schmerzlich. Die Trennung setzt ihm zu und Wolken verdunkeln seinen sonnigen Himmel. ⛅🌤🌥🌦🌧

Er stürzt sich in diverse Liebeleien mit Männern und Frauen, aber diese bringen ihm nur kurzfristig Selbstbestätigung und Trost. Ein schaler Nachgeschmack bleibt ihm und die narkotisierende Leere wächst zusehends. Er trauert seiner "Morgenröte" hinterher. Und der Kummer ist noch nicht zu Ende. Aber er könnte sehr wertvolle Erkenntnisse gewinnen, die ihn verändern ...

Changierend zwischen Selbstverachtung und die liebevolle Annahme seiner selbst zeigt das Buch auch die wahren Bedeutungen der Liebe, die zwar, je nach Situation Sex beinhaltet, aber soviel mehr ist.

Die Irrungen und Wirrungen des jungen Luca - dies Buch stellt ein Entwicklungsroman, eine Coming of Age - Geschichte, ein Psychogramm dar. Es ist ebenso eine Reflektion und Meditation über die Tragfähigkeit sowie Stärke von Beziehungen - zu Partnern, Freunden, Familie, Bekannten.

Mit tragischer Note, aber voller Hoffnung und optimistischer Färbung. Eine expressive, lyrische Sprache, die kraftvoll ihre Worte ins Zentrum des Cerebrums flüstert.

Kein lautes, aufdringliches Buch, sondern ein Buch der leisen Zwischentöne, tiefgründig, reflektierend und mit mächtigem Nachhall.

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Veröffentlicht am 11.11.2020

Eine Frau, die unter die schillernden Räuber fällt

Die Gabe der Sattlerin
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Gut zum Abschalten und Entspannen mit einigen Mängeln

Charlotte ist die Tochter eines Sattlers und selbst nicht unbegabt in diesem Metier.

Aber sie soll einen Mann heiraten für den sie keinerlei Zuneigung ...

Gut zum Abschalten und Entspannen mit einigen Mängeln

Charlotte ist die Tochter eines Sattlers und selbst nicht unbegabt in diesem Metier.

Aber sie soll einen Mann heiraten für den sie keinerlei Zuneigung hegt.

Dann wird sie zur Braut die abbaut und fällt unter die Räuber, denen sie mutig Paroli bietet.

Sie soll im Hofgestüt Marbach des württembergischen Herzogs Carl Eugen gewiße Dinge für die Bande auszuspionieren. Da kommt ihr die Gabe der Sattlerin gelegen, um sich so einzuschleichen.

Sie lernt sogar Friedrich Schiller kennen, der von seinem Posten als Regimentsarzt zum Pferdedoktor degradiert wurde. Endlich kann er sich seiner wahren Berufung widmen: der Dichtkunst. Er ist bezüglich Charlottes Vergangenheit argwöhnisch.

Obendrein zeigen Männer Interesse an Charlotte und die Räuber setzen ihr zunehmend im übertragenen Sinne die Pistole auf die Brust. Wie kann sie sich nur aus all diesen Verwicklungen lösen?

Ich gebe dem Buch 3,5 Sterne, weil es leider einige Mängel aufweist. Erst einmal vorneweg, die Handlung ist plastisch, das Buch hervorragend recheriert und die Geschichte streckenweise spannend. Aber ich hatte eigentlich erwartet, daß Charlotte als DIE weibliche Hauptprotagonistin mehr Gewichtung bekäme. Das heißt jedoch nicht, daß der Erzählstrang mit Schiller uninteressant wäre, au contraire! Originelle Dialoge und Wortwitz sind ebenfalls positiv hervorzuheben.

Charlotte ist eine starke Frau. Jedoch wurde dieses Pfunde, mit dem gewuchert hätte werden können, nicht pointierter herausgearbeitet.

Es werden einige Klischees bemüht, vor allem, daß soviele Verehrer eine einzige Blume umflattern. Außerdem ist Charlotte seltsam inkonsequent und das Ende löst sich ein wenig zu sehr sowie etwas überhastet in Wohlgefallen auf. Der Abschluß ist zu rund und glatt.

Zum Entspannen und Abschalten ist das Buch jedoch hervorragend geeignet, denn kurzweilig ist es und als Gesamtwerk bereitet es durchaus Lesefreude.


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Veröffentlicht am 11.11.2020

Die langsame Zerstörung eines Menschen!

Ein wenig Leben
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Erschütternd, deprimierend, zutiefst human mit einem tiefen Verständnis des Zwischenmenschlichen, traurig und poetisch - ein Meisterwerk!

Das Buch macht mich wirklich sprachlos und brachte mich zum Weinen. ...

Erschütternd, deprimierend, zutiefst human mit einem tiefen Verständnis des Zwischenmenschlichen, traurig und poetisch - ein Meisterwerk!

Das Buch macht mich wirklich sprachlos und brachte mich zum Weinen. Es gefällt mir sehr gut, daß die Autorin der Realität verpflichtet ist. Die Ereignisse, die in diesem Buch passieren, sind so oder ähnlich im wahren Leben tragischerweise abgelaufen. 

Kann ein Mensch in der Tat verloren fürs Leben sein? Selbst wenn sich die Umstände zum Guten wenden? 

Jude ist ein sechzehnjähriger Student, der gerade erst das College beginnt. Dort lernt er Willem, JB und Malcolm kennen. Alles Aspiranten auf DIE große Karriere. Jude in Jura, Willem im Schauspiel, JB in der Kunst und Malcolm in der Architektur. 

Sie werden sehr enge Freunde. Jude weiß bald alles über die anderen drei, aber er bleibt mysteriös und sie erfahren kaum etwas von und über ihn.

Es dauert bei dem Quartett zwar unterschiedlich lange, aber alle schaffen sie in ihrem Feld den Durchbruch. Jude ist erfolgreicher Firmenanwalt, Willem Schauspieler der A - Liga, JB hat Kontrakte mit großen Galerien und verkauft seine Gemälde wie warme Semmel. Malcolm macht sich mit seiner Frau als Architekt unabhängig. 

Dies alles ist aber nur die strahlende, polierte Oberfläche. Ökonomische Sicherheit garantiert noch lange nicht das Glück. 

Jude hat eine sehr finstere Vergangenheit. Als Kind wurde ihm das Schlimmste angetan, was einem Kind angetan werden kann, durch Männer. Überhaupt wurde er bereits als Baby ausgesetzt und weiß gar nicht, wer seine Eltern sind. Sein Alptraum beginnt er bereits, als er in einer Mönchsabtei "erzogen" wird und das ist erst der düstere Anfang seiner Kindheit, die keine sein wird ...

Als Erwachsener verfolgen ihn seine Traumata kontinuierlich weiter. Er verletzt sich massiv selbst mit Rasierklingen und überhaupt ist er gehbehindert sowie leidet unter massiven Nervenschmerzen, - Schäden infolge eines "Unfalls", den er als 15jähriger erlitt. Er bekommt immer wieder unerträgliche Anfälle der Pein.

Und auch in anderen Bereichen seines Lebens werden die Nachtschatten seiner Kindheit und Jugend unberechenbare Folgen zeitigen. 

Malcolm sieht sich immerzu im Schatten der omnipotenten Schwester und Eltern. Willem leidet unter dem frühen Tod seines behinderten Bruders. JB verfällt Crystal Math, weil er trotz seiner großspurigen Fassade von tiefen Minderwertigkeitsgefühlen geplagt wird.

So werden sie von ihrem eigenen Ballast zerdrückt und bemerken dadurch nicht die gesamte Tragweite der Tragödie, die sich um Jude zu entwickeln droht. Sie lieben ihn alle sehr, sind echte Freunde, aber kann diese Liebe reichen, um ihn zu retten, während er zwar in Zeitlupe ertrinkt, aber dabei verzweifelt winkt? 

Das Buch hat 720 Seiten. Davon sollte man sich aber nicht abschrecken lassen. Denn die Autorin besitzt das richtige Timing und das Fingerspitzengefühl, ihren Protagonisten Raum zum Entwickeln zu geben. Es treten keine Längen auf oder unnötige Lückenfüller, nur um mehr Seiten vollzubekommen. 

Es ist im Gegenteil eher so, daß man am Ende angekommen, sagt, daß man gerne noch zweihundert Seiten mehr gelesen hätte. 

Es sind ihr äußerst tiefgründige, plastische Charaktere gelungen, die sehr authentisch sind. Sympathisch und liebenswert. Vor allem Jude schließt man sehr schnell ins Herz. Sein Schicksal geht einem sehr nahe. Wie auch das gesamte Geflecht der Beziehungen der Figuren zu - und untereinander. 

Die grauenvolle Vergangenheit Judes wird stückchenweise enthüllt. Es bleiben also zum Ende hin keine Fragen ungeklärt. Und wenn sich dem Leser erst einmal dieses ganze Panorama der Traumata aufgeschlossen hat, ist man schier fassungslos über solche Niedertracht. 

Vor allem besteht ein Aspekt der Meisterschaft der Autorin darin, daß sie es nicht nötig hat Horror bis ins allerkleinste Detail auszuführen. Sie reißt es an, skizziert es "nur", aber das reicht ja schon. Der Leser hat bekanntlich Phantasie und die Imaginationskraft ist erschreckend beim Visualieren. Während des Lesens empfindet man Zorn, Rachegelüste, Traurigkeit, aber auch Glück und Zuneigung. 

Das Buch ist ein emotionaler Hammer im besten Sinne. Es haut einen um u d betäubt einen zum Teil, aber der größere Anteil wird sehr aufgewühlt. Kitschfrei wird man von dieser Wucht mitgenommen, ganz "normaler" Menschen, die allesamt außergewöhnlich sind. Melancholie, Poesie, Trauer, um das, was hätte sein können ... Ihre Sprache verfügt über einen reellen, sehr hypnotischen Sog, der die Sinne schärft. Es spricht Herz, Seele, Psyche und Intellekt an, bietet keine märchenhafte Verlogenheit an ( die es oft genug nicht gibt! ), aber eine zarte Hoffnung bleibt, wie ein fragiler Regenbogen nach dem Wolkenbruch.

Außerdem ist noch ein absoluter Pluspunkt: die Autorin hat Protagonisten verschiedener Ethnien und variabler sexueller Identitäten. Sie schreckt nicht davor zurück, heiße Eisen anzupacken, ohne daß das Buch bleischwer und problembeladen ist. Nein, es hält ein tolles Equilibrium aus Leichtigkeit und Schwere, wie unser aller Leben. Hanya Yanagihara hätte den Man Booker Prize 2015 erhalten sollen! Ein exzeptionelles Meisterwerk!



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