Profilbild von DerMedienblogger

DerMedienblogger

aktives Lesejury-Mitglied
offline

DerMedienblogger ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit DerMedienblogger über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.05.2022

Plädoyer für intersektionalen feministischen Blick

Against White Feminism
0

Wie kann ein Feminismus sich für die Geschlechtergerechtigkeit aller weiblich gelesenen Personen einsetzen? Welche internalisierten Rassismen und blinde Intersektionalitätsignoranz schränken diese Gleichberechtigung ...

Wie kann ein Feminismus sich für die Geschlechtergerechtigkeit aller weiblich gelesenen Personen einsetzen? Welche internalisierten Rassismen und blinde Intersektionalitätsignoranz schränken diese Gleichberechtigung ein? – Das versucht Autorin und Aktivistin Rafia Zakaria in ihrem Werk AGAINST WHITE FEMINISM. WIE WEISSER FEMINISMUS GLEICHBERECHTIGUNG VERHINDERT aufzudecken.

Intensives Sachbuch regt zur Reflexion eigener Privilegien an
Das Sachbuch ist nur knapp 250 Seiten lang und liegt leicht in der Hand: Die vielen zwischen Buchdeckel und -rücken verborgenen Informationen sind hingegen derart intensiv, dass sie meine Perspektive auf feministische Strukturen grundlegend veränderten. Dieses Buch regt ab der ersten Seite zur Reflexion eigener Privilegien und Wahrnehmungen an.

"Der Wandel, den wir brauchen, den der Feminismus braucht, ist ein Wandel im Wandel. Die Analyse, wo und wie dieser Wandel zu vollziehen ist, muss intersektional sein, sie muss race, Klasse und Gender berücksichtigen, und das Resultat muss sowohl umverteilend als auch anerkennend sein."
(Zakaria, Rafia: Against White Feminism. Wie weißer Feminismus Gleichberechtigung verhindert. München: hanserblau Verlag 2022, S. 222.)

Intersektionaler Blick ist für den Feminismus essenziell
Zakaria bietet durch die Einordnung des Feminismus in seinen historischen Kontext einen tiefen Einblick in die Entstehung weißer Vorherrschaft in revolutionären Bewegungen – Bewegungen, die ihre intersektionale Perspektive verlieren, indem sie „bloß“ einzelne Marginalisierungen unterdrücken wollen.

Sämtliche Ismen und internalisierte strukturelle Probleme sind miteinander verbunden. Dabei sei es – trotz der verlockenden Überwältigung durch Zusammenhalt – wichtig, Feminismus nicht als gemeinschaftliche Masse zu betrachten, die in ihren Erfahrungswerten übereinstimmt. Der Fokus sei in der Bewusstmachung von Unterschieden und Spaltungen zu suchen.

Ist ein gemeinsamer Kampf gegen das Patriarchat möglich?
Ist daher weibliche Solidarität – und somit ein gebündelter Kampf gegen das Patriarchat – möglich? Dieser berechtigten Frage widmet sich die Autorin in einer aufwühlenden und zugleich beruhigenden Intensität: Es gehe nicht darum, (weiße) Frauen aus der Bewegung herauszudrängen, sondern alle an den Tisch (zurück) zu holen. Und all diejenigen Strukturen zu zerschlagen, die das in den letzten Jahrhunderten verhindert haben.

"Es geht nicht darum, weiße Frauen aus dem Feminismus zu verdrängen; es geht darum, das «Weißsein» aus dem Feminismus zu verdrängen, in dem Sinne, dass Weißsein gleichbedeutend mit Herrschaft und Ausbeutung ist. Und dieses Ziel kann niemals ohne die Unterstützung weißer Frauen erreicht werden."
(Zakaria, Rafia: Against White Feminism. Wie weißer Feminismus Gleichberechtigung verhindert. München: hanserblau Verlag 2022, S. 209.)

Wütender Schreibstil, jedoch Eröffnung des Dialogs
Sie echauffiert sich überzeugend über die Aufdringlichkeit, mit der westliche Feministinnen dem Globalen Süden ihre (angeblich überlegenden) Werte überstülpten – und sie damit ihrer Entscheidungsfreiheit zu berauben, diese abzulehnen. Sie nimmt die Hypersexualisierung und Kapitalisierung des weiblichen Körpers auseinander. Sie erzürnt sich über fehlendes Problembewusstsein und fordert von ihren Leser*innen die Reflexion der eigenen Privilegien.

Ja, Rafia Zakaria ist deutlich frustriert – und dennoch schafft sie es jederzeit, den Dialog zu eröffnen und polarisierte Parteien zusammenzuführen. Ihr Schreibstil ist bissig, trifft punktgenau. Strukturelle (und somit oft schwammig formulierte) Probleme verdeutlicht sie anhand überzeugender und gut recherchierter Beispiele. Ein Buch, das mir so schnell nicht aus dem Gedächtnis verschwindet.

Fazit
AGAINST WHITE FEMINISM. WIE WEISSER FEMINISMUS GLEICHBERECHTIGUNG VERHINDERT ist ein überzeugendes Plädoyer für einen antirassistischen und intersektionalen Blick innerhalb des Feminismus.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
Veröffentlicht am 22.04.2022

Düstere Erzählung ohne jede Überraschung.

Nightmare Alley
0

Er hat sich durch seine fabelhaft-düstere Bildsprache einen Namen gemacht: Guillermo del Toro inszenierte preisgekrönte Streifen wie das verwunschene PANS LABYRINTH (2006) oder das märchenhafte SHAPE OF ...

Er hat sich durch seine fabelhaft-düstere Bildsprache einen Namen gemacht: Guillermo del Toro inszenierte preisgekrönte Streifen wie das verwunschene PANS LABYRINTH (2006) oder das märchenhafte SHAPE OF WATER (2017). Nun verfilmt der mexikanische Regisseur den düsteren Roman NIGHTMARE ALLEY (1946) von William Lindsay Gresham, der sich mit den Schattenseiten der Unterhaltungsbranche beschäftigt – und das Publikum auf immer düstere Pfade aus Zaubereien und Täuschungen führt…

Starres Handlungskorsett durch das Aufstieg-Fall-Kontinuum

Jedes der 22 Kapitel wird durch die Erläuterung einer Tarot-Karte eingeleitet, die allegorisch für den Handlungsverlauf steht. Stanton Carlisle gerät durch Umwege in das Jahrmarktgeschäft und entdeckt dort sein Talent, die Besucherinnen durch geschickt inszenierte Programme auszutricksen. Ihm bereitet die Macht des Erstaunens durch immer waghalsigere Aktionen Freude, bis er sich schließlich eigenständig macht und durch das Land tourt.

Dass diese Gier in Selbstüberschätzung – und letztendlich bitterem Niedergang – mündet, macht bereits der Klappentext klar. Dass der Plot diesen strikten Spannungsbogen konsequent verfolgt, macht jede Hoffnung auf Überraschungen obsolet. Der Autor klebt so sehr an dem Narrativ des Aufstieg-Fall-Kontinuums, dass beinahe jede Wendung vorhersehbar wirkt und bei mir als Leser schnell Ermüdungserscheinungen auftraten.

Jahrmarkt und magische Tricks als spannender erzählerischer Ausgangspunkt

Dabei bietet der Jahrmarkt mit seinen unterschiedlichen Attraktionen und Darsteller
innen viele Möglichkeiten, interessante Einzelschicksale und Performances auszuleuchten und für Abwechslung zu sorgen. So fesselte der Text besonders zu Beginn, wenn Gresham sich die Zeit nimmt, das Wechselspiel und die Hierarchie im Zirkusensemble abzubilden. Welche Hintergründe führten die Charaktere zu der Entscheidung, sich auf dem erbarmungslos harten Schauplatz niederzulassen?

Die Schilderung der magischen Tricks funktioniert besonders gut, wenn der Autor die Zusammenhänge zwischen dem Geschehen auf der Bühne und der Wirkung für das anwesende Klientel im Unklaren lässt. So sind die Leserinnen angehalten, sich mit der Funktionsweise der scheinbaren Magie auseinanderzusetzen und die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Imagination zu hinterfragen.


Durchgehender Pessimismus sorgt für düstere Atmosphäre in NIGHTMARE ALLEY

Der klare Handlungsverlauf erstickt die Möglichkeit eines gewissen Grusels im Keim – es ist und bleibt eindeutig, dass Stanton geradewegs in den Ruin steuert. Dennoch schafft Gresham, der Kurzkritik der Palm Beach Post auf dem Buchdeckel gerecht zu werden, indem er „kein Lichtstrahl“ in den Roman eindringen lässt. Durch seinen konsequenten Pessimismus und dem Glauben an das habsüchtige und betrügerische Sein der Menschheit schafft er eine düstere Atmosphäre, die zumindest ein kurzweiliges Leseerlebnis ermöglichen.

Aber schon bald wirkt es so, als würde sich Gresham seiner offenkundigen Frustration gegenüber der Umwelt allzu sehr hingeben – das wirkt sich sichtlich auf die erzählerische Raffinesse seiner Erzählung aus. Die Ausarbeitung der Charaktere bleibt oft nebensächlich; es geht einzig und allein um den Großen Stanton, der sich als erfolgreicher weißer Mann selbstvergöttert und die Nebenfiguren konsequent aufgrund ihrer – angeblichen – Dummheit, ihrer Weiblichkeit, der Hautfarbe oder ihres Gewichts abwertet.


Literaturklassiker: Marginalisierende Sprache beibehalten oder nicht?

Diese marginalisierende Sprache störte meinen Lesefluss stark – und konfrontierte mich einmal mehr mit der Diskussionsfrage, inwiefern Neuauflagen von literarischen Klassikern den Anspruch an sich selbst haben sollten, problematische Wortlaute aus dem originalen Duktus der Autor
innen zu streichen. Ist das Ausdruck eines Zeitgeistes, der nicht angerührt werden sollte? Oder dürfen Rassismus, Misogynität und Queerfeindlichkeit aus heutiger Perspektive als das bezeichnet werden, was sie sind?

Ich persönlich hätte mir wenigstens eine Anmerkung des Verlags gewünscht, dass sie sich von diesen Begriffen distanzieren. Etwa in Form von Fußnoten, da so die Bedeutung des Werks nicht verändert werden muss – und dennoch klare Stellung bezogen werden kann.


Verfilmung NIGHTMARE ALLEY (2021) als audiovisuelles Erlebnis

In der gleichnamigen Verfilmung NIGHTMARE ALLEY (Guillermo del Toro, USA 2021) schart der Regisseur eine Starbesetzung um sich. Bradley Cooper mimt den unnahbaren, aber charismatischen Stanton und trägt die Handlung des 150-minütigen Streifens auf beiden Schultern. Cate Blanchett begeistert in ihrer Rolle als eisige, unnachgiebige Therapeutin Lilith Ritter, in deren starre Mimik sich nur selten ein echtes Lächeln verirrt. Auch Toni Collette, Willem Dafoe und Richard Jenkins beweisen sich in diesem Psychothriller als gewohnt gute Charakterdarsteller*innen, die mit dem richtigen Verhältnis an Verzweiflung, Egoismus und Wahnsinn agieren.

Es sind aber vor allem die Schauwerte, die den Film zu einem audiovisuellen Erlebnis machen: Die Jahrmärkte – die als Entstehungshintergrund für die ersten Filme gelten – machen mit ihrem liebevollen Szenenbild und Kostümdesign die Leidenschaft für die Welt der Unterhaltung deutlich. Die ruhige Kameraführung von Dan Laustsen hält in angenehm weichen Bewegungen die warmen, gemütlichen Farben des Showbusiness‘ fest – scheut sich aber auch nicht davor, auf zunehmend blutige und gewaltvolle Sequenzen draufzuhalten.


Im abschließenden Vergleich von literarischer Grundlage und ihrer filmischen Umsetzung lässt sich meine Präferenz für die Adaption festhalten: Guillermo del Toro hat ein Gespür dafür, erzählerische Schlenker des Buches zu umgehen und sich auf die handlungsrelevanten Ereignisse zu beschränken. Trotz des allzu linearen Verlaufs zaubert er ein ästhetisches Seherlebnis, das atmosphärisch unterhält und eine Liebe für das Handwerk offenbart.


Fazit

NIGHTMARE ALLEY ist eine düstere Geschichte über das Unterhaltungsgeschäft, das sich zu sehr an das Narrativ des Aufstieg-Fall-Kontinuums klammert und damit jedwede Hoffnung auf Überraschung zerstört. Die filmische Umsetzung kann viele erzählerische Mängel durch ihre ansehnlichen Schauwerte wettmachen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 22.03.2022

Irre schön ist teils wirklich irre schön!

Irre schön!
0

Mehr als ein Viertel der deutschen Gesamtbevölkerung leidet unter depressiven Symptomen (Statista berichtete). Betroffene von psychischen Störungen haben nicht nur unter erheblichem Verlust an Lebensqualität ...

Mehr als ein Viertel der deutschen Gesamtbevölkerung leidet unter depressiven Symptomen (Statista berichtete). Betroffene von psychischen Störungen haben nicht nur unter erheblichem Verlust an Lebensqualität zu leiden, nein: Auch das Umfeld leidet stark darunter und ist teils in weit verbreiteten Stigmata gefangen. Empathie für die Perspektiven zu schaffen, das haben sich Stef und Bonny Lycen in ihrer Anthologie «Irre schön» zur Aufgabe gemacht.

Konglomerat unterschiedlicher Textformen
Das vorliegende Werk ist in acht verschiedene Themenfelder gegliedert. Unter diesen finden sich ein Konglomerat unterschiedlichster Textformen: von Poetry Slams, Prosa und Gedichten über Auszüge aus Theaterstücken und stream-of-consciousness-ähnlichen Ergüssen, für jeden Geschmack ist etwas dabei.

Psychoedukation als Anspruch von «Irre schön»
Durchsetzt werden diese textlichen Beiträge durch aufklärende inhaltliche Inputs, die mit fundierten Fakten mit öffentlichen Vorurteilen aufräumen und ein Bewusstsein für das Problem schaffen wollen: „Psychoedukation“, so nennt sich die erfolgreiche Aufklärung über psychische Störungen.

Aufbrechen von Vorurteilen: Psychische Störungen sind Krankheiten
In diesen Einschüben definieren Stef und Bonny Lycen griffig verschiedene Ausprägungen mentaler Krankheiten und gehen deren Ursachen weiter auf die Spur. Zudem geben sie sowohl den Betroffenen als auch ihrem Umfeld Perspektiven und Ansprechpartnerinnen. Dass es sich etwa bei einer Depression um eine Krankheit und nicht etwa eine emotionale Laune handelt, und dass es okay (und keineswegs ein Zeichen von Schwäche ist!), sich Hilfe zu holen: mit diesen und weiteren Vorurteilen gehen sie hart ins Gericht.

Diese Sachinformationen sind zwar interessant und einfach formuliert, haben jedoch einen stark belehrenden Charakter: Dadurch, dass sie direkt nach den Texten platziert sind, in denen eine psychische Störung porträtiert wird, sprechen sie teils mit erhobenem moralischem Zeigefinger.

Qualitativer Unterschied der einzelnen Texte
Qualitativ schwanken die einzelnen Texte sehr, was ich vollkommen verzeihen kann: Während ich über die gewöhnungsbedürftige Affektivität eines Beitrags wie «Wenn deine Seele schon hängt, lass sie doch einfach … baumeln» die Stirn runzelte, konnten mich andere mit ihrer Ehrlichkeit, Authentizität und poetischen Schönheit begeistern und berühren. Teils greifen die Autor
innen jedoch auf eine derart explizite Formulierung zurück, sodass ich mir eine Triggerwarnung dringend gewünscht hätte.

Hier eine kurze Übersicht über die Texte, die mir am besten gefallen haben:
- «Der Tag, an dem die Angst das Fürchten lernte» (Helene Seidenfeder)
- «Dementor oder Depression» (Laander Karuso)
- «Mein grauer Planet» (Veronika Rieger)
- «Angst I-V» (Maria Victoria Odoevskaya)
- «Apfel oder Schokolade» (Katharina Wenty)
- «Du bist der Wald und ich bin das Meer» (Stef)
- «Creep» (Florian Hacke)
- «Philipp» (Aron Boks)
- «Dr. Zargota: Erste Sitzung» (Jan Lindner)
- «Das Geschenk» (Tina Nadler)
- «Toutes directions» (Christine Teichmann)
- «Wenn der Frühling kommt» (Felicitas Friedrich)
- «Wut gemacht» (Annette Flemig)
- «Schalt mal um» (Stef)
- «Das Wohl des sicheren Genicks» (Henrik Szanto)

Fazit
Eine berührende Anthologie, die Stigmatisierungen aufbricht und Betroffenen psychischer Krankheiten eine helfende Hand reicht: «Irre schön» ist streckenweise wirklich irre schön.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
Veröffentlicht am 21.03.2022

Wut als cis-männliche Emotion

Wut und Böse
0

Ein rot angelaufenes Gesicht, Schweiß in den fest zusammengekniffenen Fäusten, gefletschte Zähne: Der Begriff der ‚Wut‘ ist im allgemeinen Sprachgebrauch negativ konnotiert. Wütende Menschen seien anstrengend, ...

Ein rot angelaufenes Gesicht, Schweiß in den fest zusammengekniffenen Fäusten, gefletschte Zähne: Der Begriff der ‚Wut‘ ist im allgemeinen Sprachgebrauch negativ konnotiert. Wütende Menschen seien anstrengend, laut, heißt es oft, und sie versuchten aufdringlich, ihrer Meinung Gehör zu verschaffen.

Unsere Gesellschaft braucht Wut
Dieses Denken möchte die deutsche Autorin und Journalistin Ciani-Sophia Hoeder in ihrem Plädoyer „Wut und Böse“ aufbrechen. Es ist ein kurzweiliges Buch, das in fünf übersichtlichen Themenschwerpunkten der Verdrängung des Zorns in der Gesellschaft auf den Grund geht und handfeste Argumente dafür liefert, wieso wir diese Emotion brauchen. Und dass sie mehr beinhaltet als die weit verbreitete Vorstellung des ‚überkochenden Topfes‘.

Paradox: Den Unterdrückenden steht am meisten Wut zu
Es ist ein Paradoxon, schreibt sie: Es seien vor allem privilegierte Menschen, die die Herrschaft über die Wut besitzen. Im Klartext bedeutet dies: überwiegend weiße, cis-heterosexuelle, nicht-behinderte Männer. Menschen, die marginalisiert werden, weil sie etwa eine der aufgelisteten Eigenschaften nicht erfüllen, stehe weniger Zorn zu. Weil sie etwa in der unterlegenen Position des Machtverhältnisses zu den Unterdrückenden stehen; weil schon in der Sozialisation Mädchen tendenziell Wut abgesprochen wird; und weil Wut mit Scham besetzt und von den Folgen des Patriarchats durchtränkt ist.

Ciani-Sophia Hoeder trifft dabei den richtigen Ton: sie formuliert knapp und bündig, was ihre Forderungen sind. Dabei greift sie zur Verdeutlichung auf konkrete Beispiele aus ihrem Alltag und dem ihrer Freundinnen. Zudem liefert das Quellenverzeichnis zahlreiche Recherchemöglichkeiten. Sie schildert nüchtern, wie viel Benachteiligung ihr als Schwarze Frau entgegen geweht ist – und wieso sie es als richtig empfindet, die aufkeimende Wut zuzulassen. Und sich gegen Sexismus, Rassismus, Queer- und Transfeindlichkeit aufzustemmen.

Wut zeigt uns, dass wir ungerecht behandelt werden
„Wut als Katalysator für Veränderung“, so betitelt sie treffend eines ihrer Kapitel. Einer ihrer Schwerpunkte ist die Konstruktivität persönlichen und gesellschaftlichen Zornes: Sie zeigt uns, dass wir ungerecht behandelt werden. Haders ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir dieses Empfinden in konkrete Verbesserungen stecken können: 2019 gründete sie das Onlinemagazin „RosaMag“ für Schwarze Frauen in Deutschland und bietet diskriminierten Menschen eine Plattform.

Trotz der knapp zweihundert Seiten Buchlänge fielen mir beim Lesen einige retardierende Argumente auf. Dadurch litt die Lesekonzentration zwischen den (ansonsten) klar formulierten Kritikpunkten. Die Beispiele hätten teils etwas griffiger sein können, als sich zum wiederholten Male auf anonyme Freund*innen zu beziehen.

Selbstreflexion der eigenen Kommunikation
Nichtsdestotrotz: Das Buch regt zur starken Selbstreflexion der eigenen Kommunikation an. Wann beharre ich auf meinem Recht, zu mir selbst zu stehen? Wann steht mir dieser Platz überhaupt zu, wann höre ich „nur“ zu? Woher kommt das Denken, Frauen stehe weniger Raum für Zorn zu?


Ein kurzweiliges und informatives Plädoyer für weibliche Wut: Wieso Wut als weiße heterosexuelle männliche Emotion gilt, wieso es förderlich ist, die eigene Wut zu zeigen, wie wir diese Emotion nutzen können, um gegen Marginalisierungen anzukämpfen!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
Veröffentlicht am 22.01.2022

Interessanter Blickwinkel; allerdings geht schnell die Puste aus!

Es kann nur eine geben
0

Zu viel Konkurrenzkampf, zu wenig Solidarität: Mit dieser These beschreibt Star-Comedian Carolin Kebekus den heutigen Zusammenhalt unter Frauen. In ihrem Werk «Es kann nur eine geben» versucht sie, Wogen ...

Zu viel Konkurrenzkampf, zu wenig Solidarität: Mit dieser These beschreibt Star-Comedian Carolin Kebekus den heutigen Zusammenhalt unter Frauen. In ihrem Werk «Es kann nur eine geben» versucht sie, Wogen zu glätten – und den Weg zu ebnen für eine gemeinsame Bekämpfung des Patriarchats.

Es gibt sie aber, diese raren Momente, in denen ich mal nicht daran denke, dass ich eine Frau bin. In denen mein Geschlecht keine Rolle spielt und ich einfach nur Menschen zum Lachen bringe. (…) Aber dann spüre wieder diese Leere zwischen meinen Beinen und lande auf dem Boden der Tatsachen.

Kebekus äußert diese Kritik vor allem durch die subjektiven Erfahrungen, die ihr Leben als als aufsteigende Comedienne, aber auch als Privatperson geprägt haben: So setzt sie sich in gebündelten Themenblöcken etwa mit der frauenverachtenden Politik der katholischen Kirche auseinander, die sie letztendlich zum Austritt bewogen hat. Oder aber sie bemängelt das Defizit an weiblichen Repräsentationsmöglichkeiten in Film und Fernsehen.

Dabei besticht «Es kann nur eine geben» durch den außergewöhnlichen Blickwinkel, den die „DCKS“-Moderatorin einnimmt: Ihre autobiografischen Berichte verleihen dem Buch hohen Authentizitätsgrad und geben einen Blick hinter die Kulissen ihrer oft sexistisch geprägten Karriere. Leider unterläuft ihr dabei teils ein naheliegender Fehler: sie bezieht ihre eigenen Eindrücke auf die Allgemeinheit und generalisiert dadurch grob.

Als hätte sie das selbst bemerkt, betont sie, dass sie nicht den Anspruch an sich selbst habe, für alle Frauen und weiblich gelesene Personen zu sprechen. Erfrischend sind daher die Passagen, an denen sie den Redeball abgibt und Frauen zu Wort kommen lässt, die größere Fachkompetenz zu bestimmten Thematiken besitzen.

Durch den angenehmen Schreibstil bietet Carolin Kebekus einen leicht verständlichen Einstieg in feministisch-theoretische Literatur, ohne sich dabei in Fachformulierungen zu verklausulieren. Einige amüsante Illustrationen verbildlichen das Gesagte auf niedliche Art und Weise; das ausführliche Glossar gibt einige interessante Recherchetipps und -möglichkeiten mit auf den Weg.

Sie legt einen sarkastischen, nicht ganz ernst zu nehmenden Tonfall an den Tag, der stark an ihre Bühnenauftritte erinnert. Tatsächlich werden in «Es kann nur eine geben» ganze Pointen und satirische Darstellungen ihres Programms wiederverwertet. Das Problem: In schriftlicher Form funktionieren einige Gags nicht. Für Kebekus-Fans bietet das Buch nur wenig Neues.

Wenn du von einem bestimmten Mechanismus in der Gesellschaft profitierst, dann bist du Teil des Systems. Wir leben nun mal in bestimmten über Jahrhunderte gewachsenen Strukturen, und manche von uns profitieren davon, ohne dass uns das bewusst ist.

Auch sorgt ihre “stream of consciousness“-artige Formulierungsweise für einige Dopplungen innerhalb des eigenen Werks. Statt ihre (durch und durch angemessenen) Kritikpunkte mit Zahlen und Fakten zu füttern, verirrt sie sich in nur wenig Neues bietenden Passagen. Die konkreten Handlungsvorschläge, die Kebekus am Ende anführt, hätten eine prominentere Stellung im Buch verdient. Es fehlt teils der Mut, das Patriarchat und konkret verantwortliche Subjekte zur Rechenschaft zu ziehen.

«Es kann nur eine geben» betont die Gemeinsamkeit im Kampf gegen das Patriarchat. Carolin Kebekus geht trotz ihren locker-lustigen Schreibstil teils die Puste aus.

3/5 Sterne

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung