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Eight_butterflies

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Veröffentlicht am 03.10.2023

Einfühlsames Coming of Age

Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne
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Nach der Scheidung ihrer Eltern lebt die 14-jährige Katha mit Mutter und Schwester Nadine allein in einer neuen Stadt. Nadine rebelliert, ist aufmüpfig und zieht die Aufmerksamkeit aller auf sich. Katha ...

Nach der Scheidung ihrer Eltern lebt die 14-jährige Katha mit Mutter und Schwester Nadine allein in einer neuen Stadt. Nadine rebelliert, ist aufmüpfig und zieht die Aufmerksamkeit aller auf sich. Katha selbst hat gelernt, sich selbst zurück zu halten und es lieber allen recht zu machen. Als Katha Angelica, die Mutter einer Freundin, kennenlernt, fühlt sie sich zu ihr hingezogen. Angelica lebt so, wie sie es für richtig hält und wird ein Leitbild für Katha. Als Angelica schwer krank wird, gerät Kathas Welt ins Wanken.

Einfühlsam und wortgewandt stellt Sina Scherzant die Welt der heranwachsenden Katha dar. Behutsam gerate ich als Leserin in die schwierige Zeit des jungen Mädchens und kann auf ganz authentische Weise der Gefühlswelt mit allen Veränderungen folgen. Deutlich wird, was Katha denkt, wenn sie schreibt „ Alle waren überfordert. Überfordert mit mir.“ Katha, als selbst ernannte Lebenshandwerkerin, ist mir durch die glaubhafte Darstellung und den geschickten Wortwitz der Autorin ans Herz gewachsen.

Dieses Buch ist ein Werk für alle, die ein Interesse an Coming-of-Age-Literatur haben und nicht müde werden wollen, junge Menschen beim Heranwachsen verstehen zu lernen.

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Veröffentlicht am 07.09.2023

Moderne Parabel

Hinter der Hecke die Welt
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Ein Dorf hat Angst vor dem Verschwinden und legt sich Strategien zurecht, das Verschwinden aufzuhalten. Das Pflegen der großen Hecke, das Erhalten des Leerstandes, Unkraut in Bann halten, die Gestaltung ...

Ein Dorf hat Angst vor dem Verschwinden und legt sich Strategien zurecht, das Verschwinden aufzuhalten. Das Pflegen der großen Hecke, das Erhalten des Leerstandes, Unkraut in Bann halten, die Gestaltung des Dorfkreisels und immer auf die Dorfkasse achten. Die Kinder des Dorfes, Pina und Lobo, haben aufgehört zu wachsen und werden deshalb regelmäßig von Spezialisten untersucht. Über die Hecke wird erzählt, dass sie das Überbleibsel eines großen Labyrinths war und dass „wer dem nicht entkam“ selbst zur Hecke wurde. Trotz der großen Touristenmagnete Hecke und Dorfmuseum kann das Dorf das Auslöschen seiner selbst nicht aufhalten.

In einem zweiten Erzählstrang wird von Dora berichtet, Pinas Mutter, die auf einem Forschungsschiff in der Arktis ist. Es wird geforscht und erkundet, ermittelt und recherchiert. Mittels Bohrkernen will man die Vergangenheit ausfahnden, während das Eis der Arktis sichtbar schmilzt. In den Weiten des arktischen Meeres sehnt sich Dora nach ihrem Dorf.

Verschwinden wird zum zentralen Gegenstand dieser modernen Parabel. Die Wärme der Menschen verschwindet, Häuser verschwinden, Gäste in der Pension verschwinden. Festhalten am Alten und Wahren des Bewährten im Kleinen führt zu Stillstand und Rückbau, während das große Ganze zerrinnt.

Das Buch liest sich flüssig und schnell, obwohl der Plot schwach ist. Die poetische Sprache sowie die wirklich guten Metaphern ließen mich die Geschichte nicht aus der Hand legen. Die im Kopf entstandenen Bilder bleiben auch nach dem Lesen erhalten und lassen mich nachdenklich und betroffen zurück. Ein sehr kunstvolles Buch.

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Veröffentlicht am 07.08.2023

Märchen von einem Mädchen

Paradise Garden
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Jeder hat seine Geschichte und dies ist die Geschichte von Erzsébet, genannt Billie. Die Erzählung ist nicht selbstverständlich, denn Billie kämpft um ihr Recht an der eigenen Geschichte. Herzergreifend, ...

Jeder hat seine Geschichte und dies ist die Geschichte von Erzsébet, genannt Billie. Die Erzählung ist nicht selbstverständlich, denn Billie kämpft um ihr Recht an der eigenen Geschichte. Herzergreifend, einfühlsam und wendungsreich schreibt Elena Fischer einen Roman jenseits eines Paradise Gardens.

Billie lebt mit ihrer aus Ungarn stammenden Mutter allein. Vater unbekannt. Mutter und Tochter haben Urlaubsträume, die aufgrund des Todes der Mutter nicht eintreffen, aber geträumt werden. Als sperrige Familie bleibt für Billie nur die Oma aus Ungarn. Und dann entschließt sich die Fünfzehnjährige, ihrer eigenen Geschichte auf die Spur zu kommen.

Beim Lesen dieses modernen Märchens bleibt kein Auge trocken. Der Autorin gelingt es, die in Armut lebende Billie schockierend authentisch genauso darzustellen wie die innige Beziehung zwischen Mutter und Tochter. Der Roman ist auch einer über die Trauer einer Jugendlichen sowie die Unberechenbarkeit der Abschied nehmenden Emotionen und wird dabei zu mehr als einem Coming-of-Age-Roman oder einem Roadmovie. In diesem Buch war ich als Leserin mittendrin.

Zeitweise plätschert die Handlung, so dass lange nicht absehbar war, worum es gehen wird und worauf die Handlung hinauslaufen wird. Und gerade das macht dieses Buch spannend. Lesenswert ist es auch aufgrund des Erzählstils und der Sprache, die emotional mitnimmt, Bilder malt und diese flüssig aneinander reiht.

Ein wirklich lesenswertes Buch, ein fulminanter Debütroman, ein bleibender Eindruck.

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Veröffentlicht am 03.08.2023

Ein Vatermal lässt sich nicht wegpusten

Vatermal
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Arda tippt auf das Vatermal in seinem Gesicht, das an seiner Fingerkuppe kleben bleibt und dann pustet er es weg. So einfach wie es geschrieben steht, ist es nicht, denn ein Leben ohne Vater zeichnet fürs ...

Arda tippt auf das Vatermal in seinem Gesicht, das an seiner Fingerkuppe kleben bleibt und dann pustet er es weg. So einfach wie es geschrieben steht, ist es nicht, denn ein Leben ohne Vater zeichnet fürs Leben.

Seinen Vater Metin kennt Arda nicht. Als er mit Organversagen in der Klinik liegt, wendet er sich mit dem Text des vorliegenden Buches an Metin. „Ich habe dich nicht vermisst oder so, aber du warst halt nicht da.“ Ardas Mutter Ümran ist zwar in Ardas Leben, aber sie ist auf ihre Weise abwesend. Und Ardas ältere Schwester Aylin ist auch gegangen.

In berührenden mosaikhaften Sequenzen der Vergangenheit aus dem Leben der Eltern und von Arda und Aylin wird deutlich, wie eine entwurzelte Jugend mit türkischem Kulturhintergrund und schwerfälliger Integration eine Identität gestaltet. Mit hoher emotionaler Tiefe, tragweiten Worten und einer leichten Schwere porträtiert Necati Öziri eine Parallelwelt, die bewegt.

Der Schreibstil ermöglicht flüssiges Lesen, so dass das Buch in einem Ritt gefressen werden kann. Ich musste mein Lesen ab und zu zu Hilfen greifen, weil mir türkische Vokalen wie Anneanne oder Teyze nicht bekannt waren. Wieder was gelernt.

Dieses Buch ist kein leichtes Buch, aber eines das sich wirklich lohnt.

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Veröffentlicht am 25.07.2023

Ein Lebenslied auf die Großeltern

Sylter Welle
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Feinsinnig, empfindsam und mit einer Ehrlichkeit, die ohne Vorsicht und von Herzen menschlich eine glaubwürdige Huldigung der Großeltern zeichnet, so begegnet mir „Sylter Welle“. Der geradsinnige, wortsensible, ...

Feinsinnig, empfindsam und mit einer Ehrlichkeit, die ohne Vorsicht und von Herzen menschlich eine glaubwürdige Huldigung der Großeltern zeichnet, so begegnet mir „Sylter Welle“. Der geradsinnige, wortsensible, autobiographische Roman kommt mit schmalem Plott aus und lebt bei einer Prise Humor von den Emotionen. Zurück bleibt nach dem Lesen eine warme, weiche und zugleich aufwühlende Darstellung der Beziehung zwischen Enkel Max und seinen Großeltern, der Familie von Max insgesamt. Und ich stellte mir wie der Erzähler Max selbst die Frage „ Wen von den ganzen Leuten würdest du eigentlich mögen, wenn es nicht deine Familie wär?“

Die Handlung des Romans ist nur ein Teil des Erfolgs. Max verbringt ein vermutlich letztes Mal mit Oma Lore und Opa Ludwig auf Sylt. Max ist ein Esser in den Augen seiner Oma und Max fühlt sich anders als die anderen. Selbst als die, die auch anders sind. Während sich zu Beginn der drei Tage die Erinnerungen an die Zeiten mit den Großeltern, an Geschichten aus dem Familienalbum und die nur dezente Handlung ineinander verstricken, zeigt sich erst am dritten Tag ein Fokus auf die eigentlich stattfindende Reise, denn mit Opa Ludwig ist etwas anders.

Der Roman lebt von der Zeichnung der Großeltern. Oma Lore ist eine harte Frau mit weichen Wangen. Und weil sie „eine praktische Frau ist, neigt sie auch dazu, unnötige Wörter einfach wegzurationalisieren.“ Sie erschlägt Mäuse mit dem Spaten, zaubert mit Maggie Fondor und „weint leise in den Käsekuchen“. Opa Ludwig ist ein Flüchtlingskind und hat „keinen bösen Knochen am Körper“. Dass mit ihm etwas nicht stimmt, wird deutlich, als er plötzlich nach lebenslangem Tagebuchschreiben auf die letzte Seite schreibt „Es reicht jetzt. Ich habe keine Lust mehr.“ Bei den Großeltern sind Kartoffeln heilig und Brathähnchenknochen werden abgesucht. Und zu einer Reise nach Sylt gehören Apfelringe.

Dieses Buch ist eine herrliche Erzählung voller alltäglicher Absurdität für alle die, die ihre schrulligen Großeltern doch irgendwie in ihr Lebensherz geschlossen haben, die sie manchmal kopfschüttelnd lieben wie sie sind und mit warmem, weichen, erinnernden Herzen auf sie zurückschauen.

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