Eine Familie als Spiegel der Gesellschaft in dunklen Zeiten
Eine Familie in DeutschlandBei Peter Pranges „Eine Familie in Deutschland. Zeit zu hoffen, Zeit zu leben“ handelt es sich um den ersten Band einer Familiensaga rund um die Familie Ising zur Zeit des Dritten Reiches. Er ist im Oktober ...
Bei Peter Pranges „Eine Familie in Deutschland. Zeit zu hoffen, Zeit zu leben“ handelt es sich um den ersten Band einer Familiensaga rund um die Familie Ising zur Zeit des Dritten Reiches. Er ist im Oktober 2018 bei FISCHER Scherz erschienen und umfasst 669 Seiten.
Seit Generationen lebt die angesehene Familie Ising im Wolfsburger Land und betreibt dort eine Zuckerfabrik. Doch mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft ändert sich ihr beschauliches Dasein: Nicht nur, dass in ihrer angestammten Heimat mit „Volkswagen“ das modernste Autowerk Europas entstehen soll, auch privat wird die gesamte Familie vor große Probleme und Umwälzungen gestellt. Da bleibt nur die Frage: Wie gehe ich mit der neuen (politischen) Situation um?
Pranges Darstellung seiner Familiengeschichte behandelt die Jahre 1933, also den Beginn der nationalsozialistischen Ära, bis 1939, den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, in chronologischer Reihenfolge. Anhand der einzelnen Familienmitglieder können die Leser/innen sehr gut nachvollziehen, wie sich die politische Lage nach und nach verschärfte und dieses auch nicht ohne Einfluss auf die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft, hier der Familie Ising, blieb.
Dabei ist die Familie genauso bunt und detailliert gezeichnet, wie die Gesellschaft an sich: Vom überzeugten Nazi reicht das Spektrum über einen angeheirateten Juden und ein Kind, auf das der Begriff „unwertes Leben“ zutrifft, vom anfänglichen Anhänger, der sich nach und nach von der NSDAP distanziert, über denjenigen, der versucht, die Balance zwischen Nazi-Treue und Familiensinn zu halten, bis hin zum Kommunisten und Homosexuellen. Sprich: Prange ist es gelungen, alle Facetten in einer einzigen Familie zu vereinen. Dabei gibt es bei ihm keine Schwarzweißmalerei: So glaubt der jüdische Schwiegersohn anfänglich noch an einen vorübergehenden Spuk, und auch der an sich nazitreue und eher unsympathische Horst hat durchaus seine milden Seiten. Dieses animiert die Lesenden, sich immer wieder mit den Protagonisten zu identifizieren und zu fragen: Wo finde ich mich in dieser Geschichte wieder? Wie hätte ich in der und der Zeit auf das und das Ereignis reagiert?
Über die Familiengeschichte hinaus erfahren die Leser/innen viel Wissenswertes über die Geschichte des Deutschlands der Dreißigerjahre sowie seine historischen Strippenzieher (besonders interessant fand ich persönlich, dass Hitler nicht nur Vegetarier war, sondern aus „naturliebenden“ Gründen sogar Schnittblumen verabscheut hat; auch die Irrfahrt der St. Louis noch einmal mitzuerleben, hat mich sehr mitgenommen). Gekonnt lässt der Autor dabei historische und fiktive Personen miteinander interagieren, wenn z.B. Edda ein Verhältnis mit Leni Riefenstahl eingeht oder Georg stolz ist, Hitler die Hand schütteln zu dürfen. Darüber hinaus lässt er die historischen Ereignisse geschickt das Leben der Familie Ising und seines Freundeskreis beeinflussen, sodass das Lernen im Nebenbei geschieht.
Pranges Sprache ist schnörkellos und leicht zu lesen, seine oft detaillierten Beschreibungen lassen die Lesenden tief in das Geschehen eintauchen und dasselbe miterleben. Kurze, sich rasch abwechselnde Kapitel, die stets an dramatischen Stellen abgebrochen werden, lassen den Roman so spannend und atemberaubend wie einen Krimi werden.
Ich selber lese eher selten Familien- oder historische Romane. Dennoch hat mich dieses Buch von der ersten Seite an gefesselt, sodass ich es während des Lesens kaum aus der Hand legen mochte. Auch nach Abschluss dieser Lektüre gehen mir das Buch und das Schicksal dieser Familie noch immer nicht aus dem Kopf, und ich warte schon gespannt auf die Fortsetzung. Von mir gibt es eine eindeutige, uneingeschränkte Leseempfehlung.