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Veröffentlicht am 31.10.2019

Wir sind und bleiben eine Familie.

Ein Leben für die Kinder Tibets
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Tibet gehört zu den armen Regionen dieser Welt, was aber in den Medien weniger präsent ist. In der 288-seitigen und im Oktober 2019 bei Wörterseh erschienenen Biographie „Ein Leben für die Kinder Tibets. ...

Tibet gehört zu den armen Regionen dieser Welt, was aber in den Medien weniger präsent ist. In der 288-seitigen und im Oktober 2019 bei Wörterseh erschienenen Biographie „Ein Leben für die Kinder Tibets. Die unglaubliche Geschichte der Tendol Gyalzur“ berichtet Tanja Polli über den beherzten Einsatz einer aus Tibet stammenden Schweizerin für die Kinder ihrer Heimat – jenseits aller ethnischen, religiösen und politischen Grenzen.
Tendol ist noch ein Kind, als sie Ende der Fünfzigerjahre aus Tibet flieht. Über Indien und Deutschland, wo sie als eine der ersten Tibeterinnen eine Ausbildung zur Krankenschwester absolviert, kommt sie schließlich in die Schweiz, wo sie heiratet und eine Familie gründet. 1993 fliegt sie erstmals zurück nach Tibet und ist von der dort allgegenwärtigen Armut zutiefst betroffen. Auch wenn sie anfangs bei ihrer Familie auf Unverständnis stößt, kratzt sie ihre letzten Ersparnisse zusammen, um ein Waisenhaus zu gründen. Kurze Zeit später erfolgt die Gründung des Vereins „Kinderhilfswerk Tendol Gyalzur in Tibet“, der später in eine Stiftung umgewandelt werden soll. Fortan setzt sie ihre gesamten Kräfte ein, um den Kindern Tibets eine Zukunft zu bieten – schließlich unterstützt von ihrer Familie und europäischen Förderern.
Im Zentrum des ersten Buchteils stehen Tendols Flucht aus Tibet sowie ihr Einleben in Europa. Als sie nach Tibet zurückkehrt und ihre Hilfsorganisation gründet, stehen die Armut und die sozialen Bedingungen in dieser Himalaya-Region im Mittelpunkt. Der letzte Teil des Buches schließlich widmet sich vor allem bürokratischen und politischen Hürden, die nach und nach in einer Verstaatlichung der Waisenhäuser durch die chinesische Regierung münden, sowie dem Versuch der Familie Gyalzur, in Tibet wieder Fuß zu fassen.
Das Buch beleuchtete einige Episoden in Tendol Gyalzurs Leben detailliert, während andere eher im Nebenbei erwähnt werden. Dabei ist die Sprache flüssig zu lesen und – trotz des an sich bedrückenden Inhalts – eher sachlich. Als Leser/in erhält man einen guten Einblick ins Leben und Wirken dieser Tibeterin, ohne jedoch emotional zu ergriffen zu sein. Und das ist das, was ich von einem Sachbuch bzw. einer Biographie erwarte. Dennoch merkt man auf Schritt und Tritt, dass die Arbeit in Tibet für sie eine Herzensangelegenheit ist: Es ist eindrucksvoll zu lesen, mit welcher Kraft die Familie Gyalzur sich für „ihre“ Kinder einsetzt – egal ob sich Widrigkeiten kultureller oder politischer Natur auftun.
Durch die Probleme, auf die Tendol während ihres Einsatzes stößt, erfahren Leserinnen und Leser zudem Wissenswertes über die tibetische Kultur und Religion, die oft im drastischen Gegensatz zu mitteleuropäischen Empfindungen stehen: „Als (…) Tibeter unterstützt man Klöster und Lamas (…), die Idee der guten Tat aus Barmherzigkeit“ ist eine christliche Idee (S. 91). Auch der Aberglaube und die Angst vor bösen Geistern, wenn z.B. jemand an einer Depression erkrankt ist, erschweren das Helfen. Andererseits war es für mich interessant zu lesen, dass die Familie Gyalzur trotz ihrer Etablierung in Europa doch noch an tibetischen Traditionen hängt, so gibt der jüngere Sohn z.B. an, dass er nie eine Schweizerin ohne den Segen seiner Eltern geheiratet hätte – auch wenn dieser Segen Letzteren schwerfiel.
Bildtafeln im Inneren des Buches illustrieren und verdeutlichen das Gelesene, darüber hinaus bieten sie schöne Einblicke in die tibetische Landschaft.
Vor- und Nachwort der Gyalzur-Söhne lassen das Buch neben einem informativen zu einem sehr persönlichen werden: Hier wird den Leser/innen klar, was Tendols Einsatz auch der Familie, insbesondere den Söhnen, abverlangte; umso erfreulicher, dass die Gyalzurs und die Waisenkinder sich letztlich als eine große Familie verstehen und an einem Strang ziehen.
Leserinnen und Lesern, die einmal über den eigenen Tellerrand hinausschauen möchten und sich nicht nur für die exotischen Schönheiten fremder Länder interessieren, sondern auch gerade vor den Problemen ihre Augen nicht verschließen möchten, kann ich dieses Buch nur wärmstens empfehlen.

Veröffentlicht am 30.10.2019

Die Geschichte einer Obsession

Der Revolver
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Bei „Der Revolver“ handelt es sich um das Debüt des japanischen Schriftstellers Fuminori Nakamura. In Japan bereits erstmals im Jahre 2003 erschienen, brachte der Diogenes-Verlag dieses knapp 200-seitige ...

Bei „Der Revolver“ handelt es sich um das Debüt des japanischen Schriftstellers Fuminori Nakamura. In Japan bereits erstmals im Jahre 2003 erschienen, brachte der Diogenes-Verlag dieses knapp 200-seitige Werk im September 2019 heraus.
Als der Student Nishikawa an einem regnerischen Abend niedergeschlagen und lustlos durch die dunklen Gassen Tokios spaziert, macht er einen zufälligen Fund: Neben einer männlichen Leiche entdeckt er einen Revolver. Von der Schönheit dieser Waffe fasziniert, nimmt er sie an sich. Schon bald kreisen seine Gedanken einzig um dieses Objekt, und es reicht ihm nicht mehr nur, die Waffe in seinem Besitz zu wissen: Nein, er hat das Gefühl, sie auch gebrauchen zu müssen.
Mit „Der Revolver“ ist Nakamura ein über weite Strecken spannendes und düsteres Erstlingswerk gelungen. Von Anfang an sind Leserinnen und Leser in einer melancholischen Stimmung gefangen, der Spannungsbogen steigt von Seite zu Seite, um dann in einem aufwühlenden Finale zu enden. Außerdem stellt sich die Frage: Wie wird es mit diesem jungen Studenten, dem die Welt durchaus offenstand, weitergehen? Wird er auch noch seinem letzten Begehren folgen?
In diesem Roman stehen der Revolver und die Macht, die er auf entsprechend disponierte Menschen ausüben kann, im Mittelpunkt. Dennoch ist diese Waffe m.E. lediglich ein aus dramaturgischer Sicht geschickt gewähltes Symbol: Nach und nach entwickelt der ursprünglich einsame Student, dem jeder Sinn im Leben abhandengekommen ist, eine wahre Obsession für die Waffe. Gibt es nicht im Leben eines jeden Menschen Objekte der Begierde, die über Durststrecken hinwegtrösten sollen und sich ins Zentrum der Gedanken stellen? Meiner Meinung nach ja. Geschickt gewählt ist der Revolver dennoch, da er als Tötungswerkzeug eine für alle ersichtliche Katastrophe förmlich heraufbeschwört.
Nishikawa ist ein junger Mensch, der sich selbst noch nicht so richtig gefunden hat, der sich eher treiben lässt, durch sexuelle Eskapaden, die teils auszuarten drohen, versucht, seinem ansonsten eintönigen und sinnlosen Leben etwas Glanz zu verleihen. Glücklich wird er dadurch nicht. Im Alter von sechs Jahren adoptiert, verlief sein Leben trotz schwieriger Voraussetzungen in durchaus geordneten Bahnen. Und dennoch scheint ihm etwas zu fehlen: Immer wieder wird deutlich, wie gleichgültig ihm alles ist – bis eben der Revolver in sein Leben tritt. Zum einen kann man beim Lesen durchaus Mitleid empfinden, zum anderen präsentiert sich der junge Mann jedoch auch passiv und antriebslos, was ihn mir gerade im Zusammenhang mit seiner Fähigkeit zur Selbstreflexion eher unsympathisch macht. Auch fiel es mir an manchen Stellen, z.B. als er die Waffe erstmals auf einen Menschen richtet, schwer, seinen Gedanken zu folgen. Jedenfalls ist es gerade diese Sinnlosigkeit gepaart mit fehlender Initiative, die diesen jungen Mann ins Verderben führen könnte.
Der Roman ist aus der Ich-Perspektive geschildert, was den Leser/innen hilft, sich in den Protagonisten hineinzuversetzen, und Betroffenheit hervorruft. Die Sätze sind prägnant und zum größten Teil recht kurz, was die Konzentration auf das Wesentliche, nämlich die innere Entwicklung des Protagonisten, lenkt. An einigen Stellen wird jedoch die düstere, ergreifende Stimmung unterbrochen, was mir persönlich ein wenig von der Intensität des Lesens nahm.
Insgesamt ist „Der Revolver“ ein verstörendes Debüt, das die Verlorenheit eines jungen Menschen treffend darstellt und die Lesenden in seinen Bann zieht. Mich selbst hat das Buch neugierig gemacht auf weitere Werke dieses Autors, und ich empfehle es gerne zur Lektüre weiter.

Veröffentlicht am 06.10.2019

Eine Geschichte wie Porzellan – fein und herb.

Ein neues Blau
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Bei „Ein neues Blau“ handelt es sich um Tom Sallers zweiten Roman, der wiederum ein Stück deutscher Zeitgeschichte behandelt. Erschienen ist dieses 416-seitige Buch im August 2019 bei List.
Berlin 1985: ...

Bei „Ein neues Blau“ handelt es sich um Tom Sallers zweiten Roman, der wiederum ein Stück deutscher Zeitgeschichte behandelt. Erschienen ist dieses 416-seitige Buch im August 2019 bei List.
Berlin 1985: Die mit sich selbst im Unreinen und widerspenstige Schülerin Anja wird von ihrem Lehrer animiert, sich nachmittags um die alte, einsame Lili Kuhn zu kümmern. Nach und nach kommen die beiden Frauen einander näher, es entwickelt sich zwischen ihnen eine Art Freundschaft, von der beide profitieren.
Berlin in den 1920-er und 30-er Jahren: Hier wächst die junge Lili Kuhn als Halbwaise gemeinsam mit ihrem Vater und dem Japaner Takeshi in wechselhaften Zeiten heran. Als sie Günther von Pechmann, den Direktor der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Berlin (KPM), kennenlernt, scheint sie ihre Berufung gefunden zu haben – bis mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten ein neuer, schärferer Wind weht.
Der Roman handelt von zwei Frauen, die auf den ersten Blick ungleicher kaum sein könnten. Dennoch zeigen sie frappierende Ähnlichkeit: Beide haben vermeintlich Schuld auf sich geladen, beide haben jüdische Wurzeln … und beide sind fasziniert vom weißen Gold, auch wenn Anja erst des Anstoßes durch Lili bedarf, um dessen Faszination und „Coolness“ zu begreifen.
Entsprechend den Protagonistinnen, wird der Roman auf zwei Ebenen erzählt: zum einen das Jahr 1985. Anja avanciert zu Lilis Gesellschafterin und erfährt von ihr, das gilt auch für die Leser/innen, durch gemeinsame Gespräche viel über das Schicksal derselben. Doch nicht nur Lili selbst, auch der Psychotherapeut, den Anja aufgrund selbstverletzenden Verhaltens zwangsweise aufsucht, hilft dem Mädchen, zu sich selbst und zu seinen Wurzeln zu finden. Passend ist dieser Romanteil in der Ich-Perspektive und in moderner, teilweise fast schon schnoddriger Sprache verfasst. Unterbrochen wird die Handlung in der Gegenwart durch die Darstellung von Lilis Lebensweg in den Jahren 1919, als sie nach Berlin kommt, bis zum Jahr 1935, als Lili als Halbjüdin gezwungen ist, ihre Heimat zu verlassen. Hier dominiert eine fast schon poetisch anmutende, auf jeden Fall aber bildliche Erzählweise, die Stadt und Lilis Umfeld lebendig werden lässt. Geschickt lässt Tom Saller fiktive Gestalten mit historischen interagieren, genannt seien hier Marguerite Friedlaender und der oben schon erwähnte Günther von Pechmann. Künstlerische Freiheit, die sich der Autor genommen hat und ohne die ein solcher Roman nicht auskommt, wird in den Anmerkungen und den Quellenangaben knapp erläutert.
Im Gegensatz zu vielen Romanen, die das Schicksal der deutschen Juden und anderer als minderwertig bewerteten Gesellschaftsschichten (in diesem Roman vor allem moderne Künstler/innen und Kommunist/innen) in der Zeit des Nationalsozialismus thematisieren, kommt dieses Buch eher ruhig und auf den ersten Blick unspektakulär daher. Im Zentrum dieses Werkes stehen eindeutig das individuelle Schicksal und die persönliche Entwicklung der Protagonistinnen.
Neben den im Roman geschilderten Schicksalen erfahren Leserinnen und Leser viel Wissenswertes über Porzellankunst und –herstellung, japanische Teekultur, die jüdische Religion und dem Umgang mit entarteter Kunst unter den Nazischärgen.
Während ich den Roman über weite Strecken sehr interessiert gelesen habe, konnte dessen Ende mich nicht überzeugen. Hier verlaufen die Lösung der Schuldfrage und die Rückkehr Anjas zu ihren eigenen Wurzeln m.E. zu glatt, zu leicht. Doch dieses mag dem Wunsch der breiten Leserschaft nach einem harmonischen Ende geschuldet zu sein. Mir jedoch hat es einiges von der Faszination dieser Lektüre genommen.
Insgesamt ist „Ein neues Blau“ dennoch ein Roman, der über ein Stück deutscher Zeitgeschichte hinaus viel Lesens- und Wissenswertes zu bieten hat und den ich daher gerne weiterempfehle.

Veröffentlicht am 06.10.2019

Die etwas andere Art, sich eines Problems zu entledigen.

Schräge Vögel singen nicht
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Mit „Schräge Vögel singen nicht“ legt Lars Lenth einen Roman vor, bei dem der Titel Programm ist, präsentiert er sich doch in vielerlei Hinsicht „schräg“. Erschienen ist dieser 288-seitige Roman im September ...

Mit „Schräge Vögel singen nicht“ legt Lars Lenth einen Roman vor, bei dem der Titel Programm ist, präsentiert er sich doch in vielerlei Hinsicht „schräg“. Erschienen ist dieser 288-seitige Roman im September 2019 bei Limes. Laut Verlag handelt es sich hierbei um den zweiten Fall für den eher erfolglosen, nichtsdestotrotz sympathischen Rechtsreferendar Leo Vangen, in Norwegen jedoch erschien dieser vor dem schon im vorangegangenen Jahr in Deutschland herausgebrachten Roman „Der Lärm der Fische beim Fliegen“.
Leo Vangen lebt als langjähriger Rechtsreferendar, der es nicht schafft, seine Anwaltszulassung zu erlangen, ein ruhiges und halbwegs zufriedenes Leben im Haus seiner Eltern auf Bærum, der Insel der Schönen und Reichen vor Oslo. Als der seit Langem krankgeschriebene Markisenhändler Trond Bast beim Angeln jedoch statt eines Fisches ein Ohr am Haken hat, ist es mit der Beschaulichkeit vorbei. Später soll sich herausstellen, dass es sich bei dem Ohr um das Körperteil eines polnischen Bauarbeiters handelt. Gemeinsam mit seiner ehemaligen „Flamme“ Mariken macht Leo sich daran, dem Verbrechen auf die Spur zu kommen – und stößt dabei auf an Netz von Korruption, Geldgier und Brutalität.
Er ist hart umkämpft, der Grundstücks- und Immobilienmarkt vor den Toren von Norwegens Hauptstadt Oslo – das bekommen die Charaktere in diesem Roman zu spüren. Und es wird mit harten Bandagen gekämpft: Menschenrechte, Arbeitnehmerrechte, Naturschutz – all dies spielt für die Spekulanten keine Rolle. Vor nichts schrecken sie zurück, wenn es darum geht, eigene Interessen durchzusetzen, seien es Fäkalien in Briefkästen, Entführung oder gar zerstückelte Leichen, die später als Vogelfutter dienen.
Dafür, dass dieses Schreckensszenario jedoch den Leserinnen und Lesern nicht allzu sehr an die Nieren geht, sorgt die Skurrilität der Charaktere. Alle in diesem Roman, mit Ausnahme von Mariken vielleicht, sind irgendwie kurios. Da ist zum einen Leo, der es trotz guter Voraussetzungen nicht schafft, etwas aus seinem Leben zu machen, und erst einen Mord braucht, um aus seiner Lethargie herauszukommen - dann aber zeigt er ungebremsten Einsatz und setzt sich, gleich einem Robin Hood, für die Rechte der zu kurz Gekommenen ein. In Rino und Nils begegnen uns zwei Möchtegern-Gangster, deren Einsatz stets in einem Desaster endet, bis - ja bis Nils wirklich Blut leckt. Am besten gefallen hat mir jedoch die Darstellung des Immobilienhais Terje Klavenes, den Lenth sehr pointiert als Neureichen par excellence charakterisiert, und der gegen Ende des Romans auch feststellt, dass das Töten „die effektivste Art und Weise, ein Problem zu lösen“, (S. 208) ist.
Neben den schon oben erwähnten Immobilienspekulationen und der Ausbeuterei sind – damit zusammenhängend – Natur- bzw. Umweltschutz sowie die westliche Arroganz gegenüber dem vermeintlich zurückgebliebenen Osteuropa Themen dieses Romans. Dass man aber trotz aller Widrigkeiten nicht die Hoffnung aufzugeben braucht, beweisen Leos uneigennütziger Einsatz sowie Rinos und Basts Entwicklung. Ebenfalls der lockere Erzählton Lenths sowie die teils sehr rasante Handlung tragen dazu bei, das ernste Grundthema und die Brutalität mit einem Augenzwinkern zu betrachten.
Ein wenig negativ aufgestoßen ist mir beim Lesen, dass Humor und „Geschlechtsteile“ für viele heutzutage zusammenzugehören scheinen. Hier wäre weniger mehr gewesen.
Mir hat die Lektüre dieses Romans insgesamt viel Spaß bereitet, allerdings sollte man, wenn man zu diesem Buch greift, offen sein für schwarzen, derben Humor und nicht alles für bare Münze nehmen. Dann aber kann ich dieses Buch nur wärmstens empfehlen.

Veröffentlicht am 05.10.2019

Ein Rätsel, über das lange Zeit Gras gewachsen ist.

Der Verein der Linkshänder
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Kommissar Van Veeteren und Inspektor Barbarotti sind die in Deutschland wohl bekanntes Ermittler aus der Feder von Håkan Nesser. In dem 608-seitigen Krimi „Der Verein der Linkshänder“, im September 2019 ...

Kommissar Van Veeteren und Inspektor Barbarotti sind die in Deutschland wohl bekanntes Ermittler aus der Feder von Håkan Nesser. In dem 608-seitigen Krimi „Der Verein der Linkshänder“, im September 2019 bei btb erschienen, ermitteln sie gemeinsam.
Der inzwischen pensionierte, fast 75-jährige Van Veeteren wird von seinem ehemaligen Kollegen auf einen seit Jahren als gelöst geltenden Fall aufmerksam gemacht, der erneut an Aktualität gewinnt: 1991 waren in Oosterby vier Mitglieder des „Vereins der Linkshänder“ ums Leben gekommen. Ein fünftes Mitglied galt seitdem als verschwunden und wurde entsprechend als Täter identifiziert. Nun ist dessen Leichnam aufgetaucht – offensichtlich zur gleichen Zeit ermordet wie die anderen. Gemeinsam mit seiner Frau, Ulrike, macht sich Van Veeteren an die Recherchen. Kurze Zeit später wird Inspektor Barbarotti in Schweden zu einer Männerleiche gerufen. Als Zusammenhänge zwischen beiden Fällen ersichtlich werden, werden die Ermittlungen zusammengeführt.
Der Roman insgesamt ist recht komplex aufgebaut und wird auf verschiedenen Ebenen erzählt, die alles verbindende Größe sind Van Veeterens Ermittlungen am Cold Case: Im ersten Teil des Romans gibt es immer wieder Rückblenden in die späten Fünfziger- bis Sechzigerjahre, als Jugendliche den „Verein der Linkshänder“ gründen und durch die unruhigen Jugendjahre führen, sowie das Jahr des Mordes in Oosterby. Der zweite Romanteil wirft einen Blick nach Schweden, wo Barbarotti ermittelt. Im dritten Teil treten Tagebucheinträge hinzu, die den Leserinnen und Lesern Einblicke in das Leben eines überlebenden Mitglieds des „Vereins der Linkshänder“ gewähren. Außerdem ermitteln die Teams aus Maardam und Kymlinge hier gemeinsam. Dieser eher vielschichtige Aufbau lässt die Lesenden über weite Strecken dem Wissen der Ermittler/innen voraus sein, legt mögliche Zusammenhänge offen und führt somit zu Spuren, von denen die Romancharaktere selbst noch keine Ahnung haben. Auf der anderen Seite führt dieses aber auch dazu, dass man als Leser/in das Offensichtliche aus den Augen verliert, sodass mich das Ende überraschen konnte.
Der Roman selbst ist eher ein ruhiger Vertreter seiner Art, der frühere Zeiten und die Probleme sowie das Dasein der damals lebenden Jugendlichen wieder aufleben lässt, der vielmehr durch subtile Spannung denn durch Action fasziniert. Gerade diese Ruhe passt vorzüglich zu Van Veeterens gesetzterem Alter und macht dieses glaubwürdig.
Van Veeteren, der in früheren Romanen eher ruppig daherkam, hat viel an Ruhe gewonnen, er ist und bleibt ein Philosoph, wie man seinen Gedanken entnehmen kann, und gerade die Gespräche mit Ulrike sorgen auch immer wieder für einen feinen Humor, der den Leser/innen das ein oder andere Schmunzeln herauskitzeln sollte. Auch die übrigen Charaktere sind menschlich gezeichnet: Sie haben zwar ihre großen und kleinen Probleme, alles in allem erscheinen sie jedoch lebensnah, überlegt und sympathisch.
Obwohl es sich hierbei um den elften Fall für Van Veeteren und den sechsten für Barbarotti handelt, kann man diesen Band problemlos ohne Vorkenntnisse lesen, denn die Protagonisten agieren weitgehend unabhängig von ihrer Vorgeschichte.
Nessers Sprache ist flüssig und schnörkellos zu lesen, sodass man – gemeinsam mit den Spannungselementen – die etwas über 600 Seiten leicht lesen kann, ohne dass jemals ein Gefühl der Langeweile aufkommt.
Für mich war diese Lektüre ein willkommenes Wiedertreffen mit Van Veeteren und Barbarotti sowie ein kurzweiliges, aber dennoch nicht anspruchsloses Leseerlebnis, und sie hat meine Erwartungen voll und ganz erfüllt. Ein Roman, den ich allen Krimiliebhaber/innen ans Herz legen möchte.