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Veröffentlicht am 19.02.2023

In Krähfeld sagen sich die Füchse gute Nacht - oder vielleicht doch die Wölfe?

Der Wald heult - Ein Fall für Martha & Mischa
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Als Tierschutz-Krimi ist der hier zu besprechende Roman für Kinder apostrophiert, der als Auftakt einer Reihe um die Zwillinge Martha und Mischa gedacht ist, die ganz und gar gegen ihren Willen von den ...

Als Tierschutz-Krimi ist der hier zu besprechende Roman für Kinder apostrophiert, der als Auftakt einer Reihe um die Zwillinge Martha und Mischa gedacht ist, die ganz und gar gegen ihren Willen von den Eltern von Wien aufs Land umgesiedelt werden. Das ist hart, kannten – und liebten – sie doch bisher nur das Großstadtleben. Wien war ihr Lebensmittelpunkt, hier hatten sie ihre Freunde, hier gingen sie zur Schule und zu ihren Freizeitaktivitäten. Klar, sie lebten beengt und mussten sich ein Zimmer teilen, was auch nicht immer eitel Sonnenschein war. Doch hätten sie sich mit Freuden dreingefunden, wenn die Eltern nur nicht über ihre Köpfe hinweg beschlossen hätten, dass mit dem Stadtleben nun Schluss sei. All die verlockenden Beschreibungen des geräumigen Hauses mit großem Garten im ländlichen Krähfeld konnten die beiden Zwillingsgeschwister nicht aus ihrem Schockzustand herausreißen – und als sie dann das alte, abseits gelegene Haus, das von nun an ihre neue Wohnstatt sein würde, mit eigenen Augen sahen, waren ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Sie und Krähfeld, wo sich die Füchse und Hasen gute Nacht sagen, würden nie Freunde werden! Doch erstens kommt es anders, zweitens als man denkt! Eine Erfahrung, die die meisten Menschen, Kinder wie Erwachsene, im Laufe ihres Lebens ein ums andere Mal machen....
Die lebhafte und forsche Martha und ihr zurückhaltender, eher wortkarger Zwillingsbruder sind schließlich mit ihren etwa zehn Jahren noch jung genug, um sich auf etwas komplett Neues einzustellen, auch wenn sie sich zu Beginn weigern, ihre ablehnende Haltung zu ändern und den Eltern gegenüber, die schon ein einigermaßen schlechtes Gewissen haben, weil sie ihre Großstadtpflänzchen so eigenmächtig und ohne sie nach ihrer Meinung zu fragen – die naturgemäß gegen einen so drastischen Umzug ausgefallen wäre – ins vermeintliche Nirgendwo verpflanzt haben, weiterhin auf stur schalten. Klar, das im Vergleich zur Stadtwohnung riesige alte Haus macht ihnen die ersten Tage Angst, und vor allem in den Nächten verkriechen sie sich, wie gehabt, gemeinsam im Zimmer entweder Marthas oder Mischas, zumal etwas richtig Gruseliges ausgeht von dem alten Gemäuer! Mehr noch freilich von dem direkt an ihren Garten angrenzenden Wald, aus dem gar schauerliche Geräusche kommen, die die Kinder gleich als das Heulen eines Wolfes identifizieren. Oder gar eines ganzen Wolfsrudels?
Aber – es ist Sommer, und tagsüber sind die nächtlichen Ängste verschwunden oder verlieren doch wenigstens ihren Schrecken. Sehr bald schon, was zu erwarten war, finden die Zwillinge Anschluss an die übrigen Kinder, die in Krähfeld leben – ihre Anzahl ist überschaubar! -, und gemeinsam beschließen sie, dem nächtlichen Heulen auf die Schliche zu kommen. Und damit, auf den letzten etwa 30 von 157 Seiten, beginnt der sogenannte 'Tierschutzkrimi', der ein bisschen dünn ist, wie ich meine, und von dem sich so mancher junge Leser sicherlich mehr versprochen hätte.
Davon abgesehen aber ist die Geschichte flott und fröhlich – einmal aus Marthas, einmal aus Mischas Perspektive – erzählt. Der Versuchung, die zehnjährigen Kinder wie weise Erwachsene reden zu lassen, haben die beiden Autoren überwiegend widerstanden, wiewohl gerade Martha manchmal sehr altklug und unglaublich schlagfertig für ein Kind, das sie schließlich noch ist, daherkommt. Aber nun, solche Kinder gibt es natürlich auch, in der Regel sind es nicht die allersympathischsten, was bei Martha und ihrem ihr trotz aller Unterschiede eng verbundenen Zwillingsbruder zum Glück nicht der Fall ist. Beide sind nette Kinder, so liebenswert wie gänzlich normal und mit dem Herz auf dem rechten Fleck – Kunststück bei so unkonventionellen und rundum angenehmen Eltern! Junge Leser können sich leicht mit den Zwillingen identifizieren und mit ihnen und den anderen Kindern, ihren neuen Freunden, die sie doch eigentlich gar nicht finden wollten im Dorf Krähfeld, jede Menge Spaß haben. Naja, zugegeben, spannend wird’s dann zum Schluss auch, in Maßen...
Nicht begeistern jedoch konnte mich, abgesehen vom schön gestalteten Cover und den Vorsatzblättern, die zum Glück nur spärlich eingestreuten Illustrationen, die ich als zu kindlich und kärglich stilisiert empfinde. Das hätte Mischa, der nicht nur ein leidenschaftlicher Fußballer sondern auch ein begabter Zeichner ist, vermutlich besser hinbekommen....

Veröffentlicht am 17.02.2023

Die Welt am Abgrund

Am seidenen Faden
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Mit „Mit dem Wasser kommt der Tod“, dem ersten Band um die Hydroingenieurin Dr. Cora Remy, die mit Vorliebe in der ganzen Welt herumreist und dabei die haarsträubendsten Abenteuer erlebt, hat Manuel Vermeer ...

Mit „Mit dem Wasser kommt der Tod“, dem ersten Band um die Hydroingenieurin Dr. Cora Remy, die mit Vorliebe in der ganzen Welt herumreist und dabei die haarsträubendsten Abenteuer erlebt, hat Manuel Vermeer den ersten Tibetthriller überhaupt geschrieben. Der Autor kennt, wie er in einem seiner zahlreichen Interviews sagt, die Schauplätze in Asien in ihrer überwiegenden Mehrheit alle persönlich, schließlich bereist er seit mehr als vierzig Jahren China und andere asiatische Länder. Zudem ist er, Sohn eines deutschen Vaters und einer indischen Mutter, nicht nur als Sinologe Dozent am Ostasieninstitut in Ludwigshafen, sondern berät darüber hinaus mit seiner eigenen Firma europäische Unternehmen, die Geschäfte mit Indien und China machen, Länder, über die er in seiner offensichtlich spannenden Karriere auch einige Sachbücher verfasst hat. So ist er, dank seiner umfangreichen Kenntnisse Asiens, geradezu prädestiniert dafür, seine Krimis, oder Thriller, in eben diesem Teil der Welt anzusiedeln.
Im hier zu besprechenden vierten Band der Cora Remy-Reihe vermittelt er, wie Dr. Peter Roell ihm bescheinigt, nicht nur Spannung, sondern gleichzeitig „viel Wissen über die politischen Machtspiele, die gegensätzlichen Sichtweisen und die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Asien und dem Westen“. Obschon er dies in auch für Laien auf diesem komplizierten Gebiet sehr verständlicher Sprache tut, muss man schon sehr genau lesen, konzentriert bei der Sache sein, um nicht den Faden zu verlieren, zumal es recht viele verschiedene Erzählstränge gibt, die zwar miteinander verflochten sind, aber eben auf verschlungene Art und Weise, erst einmal, bis zum Ende hin, nicht wirklich durchschaubar. Es ist dies kein Roman, den man in Etappen und über einen längeren Zeitraum lesen sollte, vielmehr ist es angeraten, sich die Zeit zu nehmen, ihn zügig, doch so fokussiert wie möglich durchzulesen.
Spannend ist der Thriller, dabei erschreckend, gerade weil er realistisch ist, einen Blick gewährt hinter die Kulissen, und weil er dabei die vielen Krisenherde sichtbar macht, die, gemeinsam mit dem äußerst gespannten Verhältnis zwischen den Atommächten China, Indien und Pakistan untereinander und zu den Vereinigten Staaten, in denen sich eine Anti-Chinastimmung immer mehr verfestigt, dafür sorgen, dass der so zerbrechliche Friede, der in Wirklichkeit keiner ist, sondern eher eine angespannte Lauerstellung, buchstäblich am seidenen Faden hängt. Es reicht ein Funke, um Krisenherde in Brand zu setzen – eine mehr als beängstigende Vorstellung! Wenn ein Eskalieren – in Taiwan zum Beispiel oder an der Grenze zwischen China und Indien im Himalaya, in Kashmir und an weiteren Orten im Indischen Ozean – überhaupt verhindert werden kann, und dies wird am Ende des Thrillers sehr klar, nur, indem man aufeinander zugeht, mit kleinen, besonnenen Schritten, indem man versucht, die Positionen und Intentionen des jeweils anderen zu verstehen und immer wieder aufs Neue in Dialog tritt. Einen atomaren Erstschlag – und davor waren in dieser Geschichte die Großmächte nur Millimeter entfernt – kann niemand der beteiligten Parteien wollen, denn, nehmen wir einmal an, dass dies auch den schärfsten Falken klar ist, das wäre der Anfang vom Ende der menschlichen Zivilisation, so wie wir sie kennen!
Dennoch, und nun komme ich kurz auf den Inhalt des Thrillers zu sprechen, gibt es gewisse – mächtige! - Gruppierungen, die genau dies im Sinn haben: die ohnehin verfeindeten Mächte gegeneinander aufzubringen und damit einen Krieg zu provozieren. Ganz bewusst! Völlig irrational und unverständlich! Was, so fragt man sich bis zum Schluss, verspricht sich eine solche Gruppe davon, wenn Atombomben die Erde in Schutt und Asche gelegt haben? Man kommt zu dem Schluss, dass die Drahtzieher der Attentate, die da in rascher Abfolge in Beijing im Reich der Mitte, in Leh in Indien, in Tibet, in Beirut und Bougainville im Pazifik verübt werden, sich der Konsequenzen ihres Handels nicht bewusst sind oder dass der Hass, der sie zu solchen Aktionen veranlasst, stärker ist als der Verstand. Was für ein überheblicher Trugschluss zu glauben, dass man sich selbst, dank seines vielen Geldes retten könnte, während der weniger privilegierte Rest der Bevölkerung zugrunde geht! Wäre da nicht Cora Remy, die anscheinend immer zur rechten Zeit am rechten Ort ist, oder auch von einer brisanten Situation in die nächste gerät, bei einem der teuflischen Anschläge, für die sich die Großmächte inzwischen entweder gegenseitig beschuldigen oder meinen, in der Al-Quaida den Sündenbock gefunden zu haben, nicht zufällig zugegen gewesen, nachdem sie mit ihrem indischen Freund Ganesh in Myanmar und Tibet Urlaub gemacht hatte, und hätte sie nicht in der Folge die richtigen Schlüsse gezogen, dann wäre der geplante Anschlag auf eine internationale Konferenz hochrangiger Politiker in Indien mit Gewissheit gelungen und eine Eskalation hätte nicht verhindert werden können! Und hätte, so kann man mit den Hypothesen fortfahren, die gut vernetzte Cora nicht genau die richtigen Leute gekannt, die ihrerseits ebenso hochkarätige Verbindungen hatten, dann hätten ihre Beobachtungen niemals Gehör gefunden...
Aber nun, es ging, mit den unvermeidlichen Kollateralschäden freilich, in allerletzter Sekunde noch einmal gut aus! Welch ein Glück also, dass es die nimmermüde Cora gibt, die da durch die Welt saust, in wirklich atemberaubendem Tempo, um sie zu retten! Und genau sie ist es, mit der ich mich – es ist meine erste Begegnung mit ihr – so gar nicht anfreunden konnte. Sie hat mich, wann immer sie auftauchte, geradezu überrannt. Ihre unerschöpfliche Energie war mir unheimlich. Und da waren für meinen Geschmack auch zu viele unwahrscheinliche Zufälle mit im Spiel, die der Roman nicht einmal gebraucht hätte, um spannend, überzeugend und in vielerlei Beziehung informativ und lehrreich zu sein. Neben dieser Haupthandlung gibt es, wie schon zu Anfang erwähnt, so viele Nebenschauplätze, so viele interessante Szenen, die einen sprechenden Einblick vor allem in die chinesische Denkweise geben und die eine oder andere vorgefasste Meinung revidieren lassen, die aber auch erschreckend sind, wenn man zum Beispiel über die komplette Rücksichtslosigkeit liest, mit der unser Planet ausgebeutet, riesige Ökosysteme ohne nachzudenken zerstört, Millionen von Menschen ihr Lebensraum genommen wird, nur um die Wirtschaft voranzutreiben. Immer höher, immer weiter, immer mehr, immer reicher! Das verhängnisvolle Credo nicht erst des 21. Jahrhunderts, das allerdings nicht mehr leise und etwas verschämt, sofern man solche Gefühlsregungen überhaupt noch kennt, sondern längst lautstark jedem verkündet wird, für den Fall, dass er es noch nicht gemerkt hat. Mich schaudert! So gesehen, ist der gute Ausgang eigentlich so gut gar nicht, denn es geht ja weiter mit der Zerstörung unseres geschundenen Planeten. Niemand gebietet dem Einhalt. Nicht im Roman, nicht in der Wirklichkeit. Cora Remy jedoch springt schon ins nächste Flugzeug! Sie will ja schließlich so exzessiv wie möglich leben. Und Fliegen gehört da natürlich unbedingt dazu. Um, das muss betont werden und rechtfertigt einfach alles, die Welt zu retten, nicht wahr?

Veröffentlicht am 02.02.2023

Prinzessin oder Prinzesserich?

Rusalko
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Ein 'alter Märchenstoff in neuem Gewand'? So liest man es in dem Covertext, aber so recht möchte es mir nicht gelingen, Parallelen zu ziehen zu den ursprünglichen Märchen beziehungsweise Mythologien. Da ...

Ein 'alter Märchenstoff in neuem Gewand'? So liest man es in dem Covertext, aber so recht möchte es mir nicht gelingen, Parallelen zu ziehen zu den ursprünglichen Märchen beziehungsweise Mythologien. Da ist zum einen das Märchen 'Die kleine Meerjungfrau' von Hans Christian Andersen, zum anderen die Volkssaga 'Rusalka' aus dem slawischen Sprachraum. Rusalken sind Wasser-, Wald- oder Feldgeister, mal schöne junge Mädchen, mal hässliche alte Frauen, je nach Region. Die Heldin in Kerstin Hensels Unterwassermärchen Rusalko, hat lediglich den Namen gemein mit besagten Sagengestalten, in abgewandelter Form jedoch – aus gutem Grund, wie man sehen wird. Und Andersens 'Kleine Meerjungfrau'? Nun, ihr nachempfunden ist in gewisser Weise Rusalkos treulose Mutter Unda (der lateinische Name von 'Undine', einem Wassergeist, also einer Nixe), die nach der Geburt des Kindleins, das sie mit dem königlichen Nix Rochus von Rochenburg hatte, in eine Sinnkrise geriet und sich selbst und ihre Gestalt – 'obenrum Mensch und untenrum Fisch' – in Frage stellte. Ihr ganzes Leben lang mit einem Fischschwanz und nach Hering stinkend verbringen, nicht wissen, wer sie war? Nein, weibliche Attribute wie hübsche Füße und feines Schuhwerk, dazu noch jemanden, der sie glücklich machte, genau das wollte Unda – und sofort fühlt man sich an Andersens so bezauberndes wie tragisches Märchen erinnert. Denn auch Unda bekam schließlich, was sie nicht wollte und was bei dem dänischen Schriftsteller unumkehrbar war!
Was aber brachte die schöne Unda, heißgeliebt von Nix Rochus, dazu, nach einem anderen Leben zu verlangen? Denn eigentlich ist die Geburt eines Kindes ja wohl ein freudiges Ereignis, nicht wahr? Gibt es Wochenbettdepressionen etwa auch bei den Unterwasserwesen? Kann gut sein, obschon es das Kind selbst war, das Unda aus allen Wassern stürzen ließ! Rusalka, denn diesen wohlklingenden Namen gab man dem Töchterchen ursprünglich, war zwar hübsch anzuschauen, aber war sie denn wirklich ein Mädchen, zart und fein mit lieblicher Stimme, wie es sich nun einmal gehört für ein solches? Kurz und gut, Rusalka schaute spitzbübisch in die Wasserwelt hinaus, sang mit tiefer Stimme und war von kräftiger Gestalt. Alles Attribute, die sich für einen Nix geziemen, nicht aber für eine Nixe!
Nachdem Unda die Unterwasserwelt unklugerweise mit dem Leben an der Seite eines versoffenen Fischers getauscht hatte, war es Rochus überlassen, mit dem fröhlichen 'Tomboy' Rusalka und den Vorurteilen (man sieht, dass sich Menschen- und Nixenwelt nicht wirklich unterscheiden), die seiner geliebten Tochter allenthalben entgegenschlugen, fertigzuwerden. Erstaunlich tolerant suchte er eine Lösung und meinte dann befriedigt, sie auch gefunden zu haben: seine Rusalka sollte von nun an den Namen Meerjungsfrau Prinzesserich Rusalko von Rochenburg tragen, was Rusalka mit Begeisterung erfüllte, klang der neue Name doch sowohl mädchen- als auch jungenhaft! Aber ob eine bloße Namensänderung die Meeresvölker zu einem Umdenken, zu mehr Toleranz und Akzeptanz denjenigen gegenüber, die anders waren, die aus dem Raster des 'Normalen' herausfielen, bewegen konnte, mag man zu Recht stark anzweifeln! Die Empörung allüberall waberte – und wuchs ins Unermessliche, als sich dann auch noch der garstige Wellengott, oberster Herrscher der nassen Gefilde, der bezeichnenderweise nur aus zwei Elementen – Wasser und Wut nämlich – bestand, einmischte, denn er duldete nichts, was anders war. Alles hatte so zu bleiben, wie es schon immer war. Man sieht, langsam fühlt man sich als Leser richtig heimisch da unten bei den Wasserwüterichen...
Zum Glück war der neuernannte Prinzesserich, den sein Vater so gut es ging von dem Zorn des Volkes fernzuhalten versuchte, kein Angsthase und stattdessen mit jeder Menge Courage ausgestattet. Wenn schon die zu ihrem Schutze abgestellten Wächter sich vor Angst zitternd verkrochen und sogar ihr Vater nicht zu gebrauchen war, um dem Wellengott-Choleriker, der inzwischen munter seinem Zorn freien Lauf ließ und Tsunamis und andere Katastrophen über die Ozeane schickte, Paroli zu bieten, musste Nix-Nixe Rusalko persönlich tätig werden. Und da das Glück bekanntlich mit den Tapferen ist, oder 'Fortes fortuna adiuvat', wie es der Lateiner sagt, findet sie in der mächtigen uralten Meeresschildkröte Margot, der man allenthalben mit großem Respekt begegnet, eine Verbündete – denn ohne solche geht es nun mal nicht, weder in der Luft, auf der Erde noch im Wasser! Und dann geht es so richtig zur Sache! Aber wie das im Einzelnen aussieht muss man schon selber herausfinden, doch soviel darf gesagt werden: es wird spannend und dabei außerordentlich amüsant. Und wenn gar am Ende das eigentlich Unumkehrbare nun doch noch umkehrbar ist, kann man sich noch ein zweites Happy End ausmalen....
Summa summarum: Obgleich ich 'Rusalko' keineswegs als Adaption der beiden zu Anfang erwähnten Märchen respektive Sagen betrachte, wie dies irreführenderweise suggeriert wird, sondern als etwas ganz und gar Eigenständiges, finden wir in dem wirklich schön bebilderten Buch natürlich sehr bekannte Elemente. Allerdings gepaart mit einer Thematik, die immer wieder aufs Neue zu heftigen Debatten führt, was im hier zu besprechenden Märchen, so wie ich es gelesen habe, ad absurdum geführt wird. Also weg mit allem Überkommenen, Tradierten? Keineswegs! Was zählt ist offen zu bleiben, tolerant, vermeintlich oder tatsächlich Andersartiges zulassen, als womöglich sogar bereicherndes, auf jeden Fall aber den Alltag farbiger und fröhlicher machendes Element. Wer das nicht versteht, dem ist nicht zu helfen! Kerstin Hensel jedenfalls hat ihr Möglichstes getan mit ihren reizenden Charakteren und nicht zuletzt mit ihrer phantasievollen Erzählsprache, den zahllosen Wortschöpfungen, auch wenn ich manche davon als übertrieben und überzogen ansehe, diese ihre Botschaft in die Hirne der Kleinen (ganz wichtig!) und der Großen (noch wichtiger!) zu hämmern. Ein Bilderbuch, das gewiss seinen Platz in einer sorgfältig zusammengestellten Bilderbuchsammlung bekommen und behalten wird!

Veröffentlicht am 19.01.2023

Es liegt in deiner Hand!

Der Drache von Abelaya
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Frederik ist ein kluger Junge. In der Schule schafft er spielend die besten Noten und obwohl er nicht damit prahlt, sich vielmehr kaum traut, den Mund aufzumachen, hat er keinen leichten Stand unter seinen ...

Frederik ist ein kluger Junge. In der Schule schafft er spielend die besten Noten und obwohl er nicht damit prahlt, sich vielmehr kaum traut, den Mund aufzumachen, hat er keinen leichten Stand unter seinen Klassenkameraden. Lediglich Max, fußballbegeistert, sportlich und als Klassenwiederholer älter als der 14jährige 'Freddie', wie er seinen Freund nennt, hält treu zu ihm – und wie treu er ist, wird sich im Laufe der phantasievollen Geschichte, die in 'Der Drache von Abelaya' erzählt wird, noch beweisen! Nun, Frederik, der von der Mutter noch immer wie ein Kleinkind behandelt wird und der nichts so sehr liebt, wie sich in seine geliebten Bücher, bevorzugt dem Fantasy-Genre angehörend, zu vertiefen und gar die darin geschilderten Abenteuer nicht nur gedanklich nachzuspielen, ist eben auch nicht so wie andere Jungen seines Alters. Denn bitte – welcher 14jährige malt seiner Oma schon ein farbenfrohes Bild, wenn er sie besuchen geht? Liebenswert ist das, gewiss, aber sicherlich nicht dazu angetan, ihm bei seinen Klassenkameraden – außer dem gutmütigen Max natürlich – Respekt zu verschaffen, von ihnen ernstgenommen zu werden. Wie gerne wäre er mutiger, der mit geringem Selbstbewusstsein ausgestattete Freddie! Wie gerne würde er sich selbst und allen anderen beweisen, dass mehr in ihm steckt als nur ein kluges Köpfchen!
Nun, die Gelegenheit kommt bald und gänzlich unverhofft. Beim Ausführen des Dackels seiner betagten Nachbarin findet Freddie ein verschmutztes, zunächst undefinierbares Etwas, das sich bei näherem Hinsehen als ein altes Lesezeichen aus Leder entpuppt, auf dem etwas in griechischer Sprache geschrieben steht, das Oma Elisabeth, eine ehemalige Bibliothekarin und somit mit allem rund um Bücher vertraut, bei dem bereits erwähnten Besuch gar entziffern kann! 'Es liegt in deiner Hand' übersetzt sie, und legt gleich mit einer kleinen Erzählung nach, in der ein Lesezeichen dieser Art das Tor öffnen konnte zu all den Geschichten, die zwischen den Buchrücken verborgen sind. Und – welche Leseratte hätte sich nicht schon einmal gewünscht, hineinschlüpfen zu können in ein Lieblingsbuch, die Abenteuer der fiktiven Helden an Ort und Stelle mitzuerleben? Freddie jedenfalls lässt die Erzählung seiner Großmutter nicht mehr los. Bei der erstbesten Gelegenheit schnappt er sich sein neues Drachenbuch, nämlich eben jenes, das sich um den 'Drachen von Abelaya' dreht, und von dem er bislang nur wenig mehr als den Anfang gelesen hat – was sich alsbald als Verhängnis herausstellt! - und gelangt nach einigen zaghaften Versuchen wahr und wahrhaftig hinein in das Buch! In Unkenntnis der tatsächlichen Geschichte verrät er dem Drachenjäger Zortran, der ihn bei der Ankunft auf der Insel Abelaya davor rettet, von einem schweren Ast erschlagen zu werden, den Aufenthaltsort des vermeintlich gar garstigen Drachen. Es bleibt zu mutmaßen, dass das lesewütige Kind bis dato nur Bücher gelesen hat, in denen das 'Böser Drache' – Klischee bedient wird und dass ihm noch nicht das Drachenbuch aller Drachenbücher untergekommen ist, das da Cornelia Funkes 'Drachenreiter' ist! Denn dann hätte er den Drachen der Abelayaner, ihren verehrten Beschützer, niemals den blutrünstigen und ganz und gar bösartigen Drachenjägern der Geschichte, in die er mittels des ledernen Lesezeichens eingedrungen ist, ans Messer geliefert. Und selbstverständlich hätte er sich sowieso besser ein Buch ausgesucht, das er auch zu Ende gelesen hat....
Nun, jetzt ist Schadensbegrenzung oder besser Wiedergutmachung angesagt. Durch seine zwar wohlgemeinte, aber unüberlegte Tat hat Freddie unwissenderweise auch dafür gesorgt, dass die Abelayaner von Zortran und seinen Mannen, die sich zu den neuen Herrschern der Insel aufgeschwungen haben, unterjocht und terrorisiert werden! Mit dem getreuen Max im Schlepptau, der ohne mit der Wimper zu zucken allzeit bereit ist, sein Leben für das des Freundes zu opfern, das ihm soviel wertvoller als sein eigenes erscheint, macht sich Freddie nun auf zum Abenteuer seines Lebens. Alles liegt jetzt buchstäblich in seiner Hand, denn mit allem, was er tut, so hat er zu seinem nicht geringen Schrecken festgestellt, verändert er auch den Lauf der Geschichte, in der er steckt – und alle seine Entscheidungen sind gültig, nichts kann wieder zurückgenommen werden! Eine Aufgabe, vor der er zuerst zurückschreckt, wie das wohl die meisten von uns tun würden. Viel zu groß ist die Verantwortung, viel zu viele Menschenleben hängen davon ab. Doch der Junge, der sich selbst für einen Schwächling und Angsthasen hält, merkt bald, dass da noch mehr in ihm steckt – wie das ja oft in Notsituationen geschieht! - und Seite an Seite mit Max gelingt ihm das scheinbar Unmögliche. Doch wie genau das vonstatten geht soll hier natürlich nicht vorweggenommen werden....
Wenn man erwartet hat, eine friedlich-freundliche Drachengeschichte zu lesen (die Verfasserin dieser Zeilen wenigstens hatte diese Vorstellungen, ist sie denn geprägt von dem bereits erwähnten 'Drachenreiter', in dem es zwar auch nicht gerade friedlich zugeht, aber freundlich ist die Trilogie allemal...), dann wird man nach einem recht harmlosen Beginn sehr bald eines Besseren belehrt! In Abelaya geht es nämlich schaurig-blutig-brutal zur Sache. Ein wenig zu arg für meinen Geschmack.... Dass der Drache nicht der Bösewicht ist, erfährt man freilich schnell und bangt von nun an um die beeindruckende Symbolfigur, deren Zauber der Autor dem Leser überzeugend zu vermitteln vermag. Und ja, ich als erwachsene Leserin war schnell gefangen von der Geschichte, die allerdings Stoff bietet für einen mindestens dreimal so umfangreichen Roman. Immer wieder erschien sie mir fragmentarisch, so als wäre sie eine Vorübung, fast ein Entwurf für eben jenen 'echten' Fantasyroman, der vielleicht ja noch kommen mag. Alles war, obwohl immer spannend, zu kurz, zu knapp, zu schnell abgehakt, was womöglich zu dem überstürzten Happy-End mit vorherigem, so schnell gekommenen wie gegangenen Knalleffekt, der eigentlich in eine andere, eine zweite Geschichte gehört, geführt hat, das mich übrigens nicht überzeugt hat. Es müssen nicht am Ende eines Romans alle 'glücklich und in Freuden' weiterleben. Ein paar Fragezeichen dürfen bleiben, genauso wie ein paar Ecken und Kanten.
Davon abgesehen aber habe ich wenig zu kritisieren, sondern im Gegenteil das eine oder andere lobend zu erwähnen! Da ist zum einen die Sprache, die Art des Ausdrucks, die der Autor seinen Abelayanern gegeben hat. Altmodisch, gleichzeitig angenehm und von großer Höflichkeit. Ein schöner Gegensatz zu dem 'Deutsch', das einem heutzutage oft entgegengeplärrt wird und das genauso oft so rüde und arm an Wörtern erscheint. Eine nette Idee, die Personen eines Fantasyromans dieses liebenswürdige alte Deutsch sprechen zu lassen.
Und schließlich komme ich nochmals auf die kurz angerissenen Szenen zurück, die durchaus einen positiven Effekt haben! Beim Lesen habe ich mich einige Male dabei ertappt, die Geschichte weiterzudenken, auszumalen – und das habe ich dann keineswegs als nachteilig empfunden! Im Gegenteil! Ich mag es, wenn ein Autor Raum lässt für die Phantasie seiner Leser und nicht zu deutlich, zu explizit wird, damit alles bereits vorwegnimmt. Sowieso – und bei Fantasygeschichten erst recht!

Veröffentlicht am 02.01.2023

Ein ganz besonderes Geschenk

Peng! Ein Weihnachtspinguin für Paul
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'Magie' nennt Paul seine, wie man bald feststellen wird, ungewöhnliche Tante Maggie. Ein bloßer Schreibfehler, denkt man zuerst, doch je weiter die hier zu besprechende Weihnachtsgeschichte voranschreitet, ...

'Magie' nennt Paul seine, wie man bald feststellen wird, ungewöhnliche Tante Maggie. Ein bloßer Schreibfehler, denkt man zuerst, doch je weiter die hier zu besprechende Weihnachtsgeschichte voranschreitet, umso doppel- oder vielmehr eindeutiger wird der Name. Mit einer magischen Erzählung nämlich haben wir es zu tun – und das alles wegen der Weihnachtsgeschenke der Tante, die in der Tat Magie wirken kann! Ob es nun der obligatorische Kalender mit seinem schokoladigen Inhalt ist, ein selbstgeschnitzter Weihnachtsstern oder eine Weihnachtsglocke – immer haftet ihren Geschenken etwas Zauberhaftes an und immer auch haben sie dem kleinen Paul, dessen Alter zwischen 8 und 10 Jahren liegen dürfte, auf jeden Fall ist er ein Grundschüler, die Adventszeit erhellt und mit leuchtenden Farben geschmückt.
In diesem Jahr hat sich Tante 'Magie' ein ganz besonderes Weihnachtsgeschenk ausgedacht, das Paul, der seine Tante liebt, ein wenig über ihr Fernbleiben vom Familienweihnachtsfest hinwegtrösten soll, das Paul aber zunächst ein wenig verblüfft, denn was sollte an dem geschnitzten Pinguin schon besonders sein? Ein Räuchermännchen eben, in Pinguingestalt. Und nicht wirklich weihnachtlich, oder etwa doch? Aber natürlich! Paul hätte es wissen müssen, denn Tante Magie schenkt nichts Alltägliches! Zu seiner Freude stellt Paul nach einigen Missgeschicken und nachdem der Pinguin zu Boden gefallen war und dabei ein wenig lädiert wurde, fest, dass Peng, denn so nennt er sich, zum Leben erwacht, sobald er mit ihm spricht, und zum flauschigen Etwas mit roter Mütze und roten Flügeln wird. Unglücklich ist er, der kleine Pinguin, geradezu untröstlich, denn die Tante hatte in Wirklichkeit einen Weihnachtsmann schnitzen wollen, das Holz aber sperrte sich dagegen und heraus kam – Peng! Paul ist jedoch hell begeistert, denn er weiß, dass ihn zusammen mit dem allerliebsten kleinen Vogel eine spannende und abwechslungsreiche Adventszeit erwartet. Wie aufregend sie aber werden würde, kann er zu diesem Zeitpunkt, am 1. Dezember also, noch nicht ahnen, zumal Peng genauso wie seine Erschafferin magische Kräfte hat und unbeabsichtigt einige Verwirrung stiftet...
Allerhand Magisches haben sich die beiden Autorinnen für ihr vergnügliches Weihnachtsbuch mit durchaus auch ernsteren Momenten – dann nämlich, wenn das wahre Leben zwischendurch an die Tür klopft! - einfallen lassen. Die bunten Zeichnungen, die die Geschichte begleiten, tun ihr Übriges, sind eine schöne Ergänzung und, so möchte ich meinen, ohne sie wäre die Erzählung nur halb so nett. An 24 kleinen Geschichten, die zusammenhängen und von denen jede eine neue Überraschung birgt, denn sie haben allesamt etwas zu tun mit dem Inhalt des Schoko-Adventskalenders, kann man sich erfreuen, mit ihnen kann man dem etwas schüchternen Paul, dessen Eltern mit ihrem Spielzeugladen gerade in der Vorweihnachtszeit alle Hände voll zu tun haben und der deswegen sehr oft sehr alleine ist und auch keine Freunde zu haben scheint, durch die Adventszeit folgen. Und als er dann Lea kennenlernt, deren Eltern einen Lebkuchenstand auf dem Weihnachtsmarkt betreiben, ist seine Einsamkeit zur Befriedigung der kleinen und großen Leser (ja, auch die haben ihren Spaß mit Paul, Peng, Lea und all den anderen, zuallermeist liebenswerten Charakteren), wie weggeblasen! Mit der furchtlosen Lea mit dem Herzen auf dem rechten Fleck macht die Adventszeit nicht nur doppelt so viel Spaß, sondern ihre Freundschaft ermutigt Paul auch, über seinen eigenen Schatten zu springen und den Hänseleien einiger seiner Mitschüler – tja, es ist hier wie überall: die Schwachen bieten sich den unvermeidlichen Bullys immer als willfährige Opfer dar! - mutig entgegenzutreten. Ja, das Mädchen hat eben seine eigene Magie, die Magie der Freundschaft und des Vertrauens nämlich! Obwohl sie auch Probleme hat, die für Kinder haushoch erscheinen, von den Erwachsenen aber nicht ernst genommen werden.... Doch – jede Adventszeit geht einmal zu Ende – und mit ihr....? Das aber sollten die zukünftigen Leser, denen ich das Buch gerne ans Herz lege, selber herausfinden!