Mit „Mit dem Wasser kommt der Tod“, dem ersten Band um die Hydroingenieurin Dr. Cora Remy, die mit Vorliebe in der ganzen Welt herumreist und dabei die haarsträubendsten Abenteuer erlebt, hat Manuel Vermeer den ersten Tibetthriller überhaupt geschrieben. Der Autor kennt, wie er in einem seiner zahlreichen Interviews sagt, die Schauplätze in Asien in ihrer überwiegenden Mehrheit alle persönlich, schließlich bereist er seit mehr als vierzig Jahren China und andere asiatische Länder. Zudem ist er, Sohn eines deutschen Vaters und einer indischen Mutter, nicht nur als Sinologe Dozent am Ostasieninstitut in Ludwigshafen, sondern berät darüber hinaus mit seiner eigenen Firma europäische Unternehmen, die Geschäfte mit Indien und China machen, Länder, über die er in seiner offensichtlich spannenden Karriere auch einige Sachbücher verfasst hat. So ist er, dank seiner umfangreichen Kenntnisse Asiens, geradezu prädestiniert dafür, seine Krimis, oder Thriller, in eben diesem Teil der Welt anzusiedeln.
Im hier zu besprechenden vierten Band der Cora Remy-Reihe vermittelt er, wie Dr. Peter Roell ihm bescheinigt, nicht nur Spannung, sondern gleichzeitig „viel Wissen über die politischen Machtspiele, die gegensätzlichen Sichtweisen und die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Asien und dem Westen“. Obschon er dies in auch für Laien auf diesem komplizierten Gebiet sehr verständlicher Sprache tut, muss man schon sehr genau lesen, konzentriert bei der Sache sein, um nicht den Faden zu verlieren, zumal es recht viele verschiedene Erzählstränge gibt, die zwar miteinander verflochten sind, aber eben auf verschlungene Art und Weise, erst einmal, bis zum Ende hin, nicht wirklich durchschaubar. Es ist dies kein Roman, den man in Etappen und über einen längeren Zeitraum lesen sollte, vielmehr ist es angeraten, sich die Zeit zu nehmen, ihn zügig, doch so fokussiert wie möglich durchzulesen.
Spannend ist der Thriller, dabei erschreckend, gerade weil er realistisch ist, einen Blick gewährt hinter die Kulissen, und weil er dabei die vielen Krisenherde sichtbar macht, die, gemeinsam mit dem äußerst gespannten Verhältnis zwischen den Atommächten China, Indien und Pakistan untereinander und zu den Vereinigten Staaten, in denen sich eine Anti-Chinastimmung immer mehr verfestigt, dafür sorgen, dass der so zerbrechliche Friede, der in Wirklichkeit keiner ist, sondern eher eine angespannte Lauerstellung, buchstäblich am seidenen Faden hängt. Es reicht ein Funke, um Krisenherde in Brand zu setzen – eine mehr als beängstigende Vorstellung! Wenn ein Eskalieren – in Taiwan zum Beispiel oder an der Grenze zwischen China und Indien im Himalaya, in Kashmir und an weiteren Orten im Indischen Ozean – überhaupt verhindert werden kann, und dies wird am Ende des Thrillers sehr klar, nur, indem man aufeinander zugeht, mit kleinen, besonnenen Schritten, indem man versucht, die Positionen und Intentionen des jeweils anderen zu verstehen und immer wieder aufs Neue in Dialog tritt. Einen atomaren Erstschlag – und davor waren in dieser Geschichte die Großmächte nur Millimeter entfernt – kann niemand der beteiligten Parteien wollen, denn, nehmen wir einmal an, dass dies auch den schärfsten Falken klar ist, das wäre der Anfang vom Ende der menschlichen Zivilisation, so wie wir sie kennen!
Dennoch, und nun komme ich kurz auf den Inhalt des Thrillers zu sprechen, gibt es gewisse – mächtige! - Gruppierungen, die genau dies im Sinn haben: die ohnehin verfeindeten Mächte gegeneinander aufzubringen und damit einen Krieg zu provozieren. Ganz bewusst! Völlig irrational und unverständlich! Was, so fragt man sich bis zum Schluss, verspricht sich eine solche Gruppe davon, wenn Atombomben die Erde in Schutt und Asche gelegt haben? Man kommt zu dem Schluss, dass die Drahtzieher der Attentate, die da in rascher Abfolge in Beijing im Reich der Mitte, in Leh in Indien, in Tibet, in Beirut und Bougainville im Pazifik verübt werden, sich der Konsequenzen ihres Handels nicht bewusst sind oder dass der Hass, der sie zu solchen Aktionen veranlasst, stärker ist als der Verstand. Was für ein überheblicher Trugschluss zu glauben, dass man sich selbst, dank seines vielen Geldes retten könnte, während der weniger privilegierte Rest der Bevölkerung zugrunde geht! Wäre da nicht Cora Remy, die anscheinend immer zur rechten Zeit am rechten Ort ist, oder auch von einer brisanten Situation in die nächste gerät, bei einem der teuflischen Anschläge, für die sich die Großmächte inzwischen entweder gegenseitig beschuldigen oder meinen, in der Al-Quaida den Sündenbock gefunden zu haben, nicht zufällig zugegen gewesen, nachdem sie mit ihrem indischen Freund Ganesh in Myanmar und Tibet Urlaub gemacht hatte, und hätte sie nicht in der Folge die richtigen Schlüsse gezogen, dann wäre der geplante Anschlag auf eine internationale Konferenz hochrangiger Politiker in Indien mit Gewissheit gelungen und eine Eskalation hätte nicht verhindert werden können! Und hätte, so kann man mit den Hypothesen fortfahren, die gut vernetzte Cora nicht genau die richtigen Leute gekannt, die ihrerseits ebenso hochkarätige Verbindungen hatten, dann hätten ihre Beobachtungen niemals Gehör gefunden...
Aber nun, es ging, mit den unvermeidlichen Kollateralschäden freilich, in allerletzter Sekunde noch einmal gut aus! Welch ein Glück also, dass es die nimmermüde Cora gibt, die da durch die Welt saust, in wirklich atemberaubendem Tempo, um sie zu retten! Und genau sie ist es, mit der ich mich – es ist meine erste Begegnung mit ihr – so gar nicht anfreunden konnte. Sie hat mich, wann immer sie auftauchte, geradezu überrannt. Ihre unerschöpfliche Energie war mir unheimlich. Und da waren für meinen Geschmack auch zu viele unwahrscheinliche Zufälle mit im Spiel, die der Roman nicht einmal gebraucht hätte, um spannend, überzeugend und in vielerlei Beziehung informativ und lehrreich zu sein. Neben dieser Haupthandlung gibt es, wie schon zu Anfang erwähnt, so viele Nebenschauplätze, so viele interessante Szenen, die einen sprechenden Einblick vor allem in die chinesische Denkweise geben und die eine oder andere vorgefasste Meinung revidieren lassen, die aber auch erschreckend sind, wenn man zum Beispiel über die komplette Rücksichtslosigkeit liest, mit der unser Planet ausgebeutet, riesige Ökosysteme ohne nachzudenken zerstört, Millionen von Menschen ihr Lebensraum genommen wird, nur um die Wirtschaft voranzutreiben. Immer höher, immer weiter, immer mehr, immer reicher! Das verhängnisvolle Credo nicht erst des 21. Jahrhunderts, das allerdings nicht mehr leise und etwas verschämt, sofern man solche Gefühlsregungen überhaupt noch kennt, sondern längst lautstark jedem verkündet wird, für den Fall, dass er es noch nicht gemerkt hat. Mich schaudert! So gesehen, ist der gute Ausgang eigentlich so gut gar nicht, denn es geht ja weiter mit der Zerstörung unseres geschundenen Planeten. Niemand gebietet dem Einhalt. Nicht im Roman, nicht in der Wirklichkeit. Cora Remy jedoch springt schon ins nächste Flugzeug! Sie will ja schließlich so exzessiv wie möglich leben. Und Fliegen gehört da natürlich unbedingt dazu. Um, das muss betont werden und rechtfertigt einfach alles, die Welt zu retten, nicht wahr?