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Veröffentlicht am 03.07.2021

Ein - beinahe - unbeschwertes Sommerferienabenteuer

Kalle Blomquist 1. Meisterdetektiv
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Sind die drei Kalle Blomquist Romane der schwedischen Schriftstellerin Astrid Lindgren, in den 40er und frühen 50er Jahren erschienen, überhaupt noch zeitgemäß, habe ich mich gefragt, als mir der hier ...

Sind die drei Kalle Blomquist Romane der schwedischen Schriftstellerin Astrid Lindgren, in den 40er und frühen 50er Jahren erschienen, überhaupt noch zeitgemäß, habe ich mich gefragt, als mir der hier zu besprechende Band aus den Tiefen eines übervollen Regals buchstäblich in die Hände purzelte? Eine unnütze Frage, wie ich mir hätte denken können, gibt es doch einige wenige Autoren, deren Werke, und zwar jedes einzelne davon, die Zeiten überdauern, die so frisch und unverbraucht erscheinen wie damals, als sie geschrieben und erstveröffentlicht wurden. Astrid Lindgren zählt natürlich zu besagten Autoren, denn alles, was sie je zu Papier gebracht hat, ist und bleibt des Lesens wert, kommt bei den Enkeln ebenso gut an wie einstmals bei ihren Großeltern.
„DIE ZEIT“ hat den Nagel auf den Kopf getroffen, wenn sie die berühmte, 2002 verstorbene, Schwedin mit dem besonderen psychologischen Einfühlungsvermögen in die Welt eines Kindes, als die „wunderbarste Kinderbuchautorin aller Zeiten“ bezeichnet! So eine wie sie gibt es nicht wieder!
Für die drei Blomquist Detektivgeschichten ließ sie sich, so sagt man, durch ihre Tätigkeit als Stenographin für den Stockholmer Professor für Kriminalistik Harry Södermann, der auch unter dem Namen „Revolver-Harry“ bekannt war, inspirieren – und herausgekommen sind so idyllische wie amüsante und gleichzeitig spannende Romane, bei denen es mitunter auch recht grausam zugehen konnte.
Die heile Welt ist Hintergrund aller Geschichten der Autorin, die Welt ihrer eigenen, sehr glücklichen Kindheit auf dem Hof ihrer Eltern nahe der südschwedischen Stadt Vimmerby. Gleichzeitig aber lauern immer kleinere oder größere Gefahren im Hintergrund, ist das Unheil nie fern, das unvermittelt in die scheinbare Idylle einbrechen kann und das man dann so gut wie möglich und mit so viel Mut, wie man aufbringen kann, zu bewältigen versuchen muss. Das Unheil stört und bringt Unordnung und Angst, aber es zerstört niemals die Welt, in der die Autorin ihre tapferen Protagonisten agieren lässt. Der Faktor Hoffnung ist immer gegenwärtig!
Ihr unvergesslicher Kalle Blomquist, unser Protagonist, ist ein verträumter, phantasiebegabter Junge aus dem fiktiven Städtchen Kleinköping, in dem er mit seinen beiden besten Freunden Anders und Eva-Lotte die wundervollsten Sommerferien verbringt, die sich Kinder nur wünschen können. Die Zeit ist ausgefüllt mit Zirkusspielen, dem hingebungsvollen Verzehr von köstlichem Gebäck von Eva-Lottes Vater, dem Bäckermeister Lisander, und freundschaftlichen Kämpfen gegen drei weitere Freunde, Sixtus, Benka und Jonte, ihrerseits die Angehörigen der Bande der „Roten Rose“, während Kalle und seine Freunde die „Weiße Rose“ darstellen. Herrlich frei ist dieses Leben – zumal die Erwachsenen angenehm zurückhaltend sind, ihre Kinder gewähren und weitgehend in Ruhe lassen. Gelegentlich aber schleicht sich Kalle zu seinem Rückzugsort unter dem Birnbaum im Blomquistschen Garten und träumt davon, ein weltberühmter Detektiv zu sein, einer, der mit Hercule Poirot, Lord Peter Wimsey und Sherlock Holmes auf Augenhöhe steht. Und während er sich die kniffligsten Fälle ausmalt, die er natürlich mit Bravour löst, bedauert er gleichzeitig, dass er nicht das Glück hat, in einer der Metropolen des Verbrechens wie London oder Chicago zu leben, sondern stattdessen in dem verschlafenen, in der Sommerhitze flirrenden Kleinköping ausharren muss.
Doch unverhofft werden seine detektivischen Fähigkeiten, von seinen Freunden liebevoll belächelt, auf die Probe gestellt, als ein gewisser Onkel Einar, der Cousin von Eva-Lottes Mutter, in der kleinen Stadt, in der doch sonst nie etwas geschieht, auftaucht. Und dieser Einar ist Kalle und seinen Freunden nicht nur von Beginn an herzlich unsympathisch, sondern er benimmt sich zudem äußerst seltsam. Kalles Neugierde ist geweckt! Nun endlich kann er seine über die Jahre erworbenen detektivischen Kenntnisse in der Praxis unter Beweis stellen! Dass er gemeinsam mit Anders und Eva-Lotte mit seinen Ermittlungen in ein Wespennest stechen würde, hat er nicht bedacht, vielleicht nicht einmal geahnt. Und als die drei Kinder unversehens in große Gefahr geraten, erkennt unser Meisterdetektiv, dass ein reales Verbrechen eben doch etwas anderes ist als eines, das nur in seiner Phantasie existiert – und dass er, Kalle Blomquist, vielleicht besser unter dem Birnbaum liegengeblieben wäre! Oder etwa doch nicht? Denn wie war das bei Astrid Lindgren? Schwierigkeiten muss man mutig entgegentreten, auch wenn es schwer ist und man sich überwinden muss, und wenn einem vor Angst das Herz in die Hosen rutscht.
Ob und wie Kalle diesen, seinen ersten echten, Fall löst, soll hier nicht vorweggenommen werden, es lohnt sich, es selber herauszufinden; und wenn man Glück hat, erwischt man noch eine ganz alte, den Lesegenuss um ein Vielfaches steigernde Ausgabe im Original oder der Originalübersetzung, die vielleicht bei den Großeltern in einer vergessenen Ecke des Bücherschrankes wohnt und die so voller herrlich altmodischer Wörter und Ausdrücke ist, die unbedingt aus der Vergessenheit geholt werden und bewahrt werden sollten!

Veröffentlicht am 02.07.2021

Erla folgt ihrer Bestimmung

Nordstern - Die Nacht der freien Pferde
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Am Ende des ersten Bandes der „Nordstern“-Trilogie haben Erla und ihre Schimmelstute Drifa den Angriff des gefährlichen Zwischenwesens, das unbeabsichtigt aus den Tiefen der Erde und der Zeit befreit worden ...

Am Ende des ersten Bandes der „Nordstern“-Trilogie haben Erla und ihre Schimmelstute Drifa den Angriff des gefährlichen Zwischenwesens, das unbeabsichtigt aus den Tiefen der Erde und der Zeit befreit worden war, nur um Haaresbreite überlebt. Aber das Mädchen musste dafür eine folgenschwere Entscheidung treffen, über die wir im zweiten Band Aufklärung bekommen – jedoch, wie schon im Vorgängerband, immer nur so viel, dass die mysteriösen Geschehnisse noch nachvollziehbar bleiben. Einigermaßen, denn der Schleier des großen Geheimnisses wurde nur leicht gelüftet und Jorunn, die weise alte Heilerin, der die Unsichtbaren mit Ehrfurcht, Scheu, aber auch einer Spur von Abwehr begegnen und die alleine um die Hintergründe dessen weiß, das durch Erlas Ankunft auf Island in Gang gesetzt wurde, hüllt sich in Schweigen. Alles kommt, wie es kommen muss, wie es die Götter vor Urzeiten bestimmt haben, so ihr Credo.
Im Laufe der Lektüre wird immer klarer, dass dunkle Zeiten auf Erla zukommen, dass sie allen Mut braucht, den sie aufbringen kann, um die Rolle, die ihr bestimmt ist, anzunehmen und auszufüllen. Mit unbestimmtem Ausgang, denn das, was Erla am Ende der vorliegenden Geschichte zu tun bereit ist, um das irgendwann in der Welt der Elfen, der Feen und der Unsichtbaren aus dem Ruder Gelaufene wieder geradezubiegen, zurechtzurücken und heil zu machen, wird, so Jorunns Warnung, Opfer fordern. Welch eine Verantwortung lastet da auf dem knapp 15jährigen Mädchen, das erst ein halbes Jahr zuvor mit seiner Mutter auf der Insel aus Feuer und Eis einen Neubeginn machen wollte! Weg aus Nachkriegsdeutschland wollten sie, die Vergangenheit hinter sich lassen und von vorne beginnen, ihr Glück finden. Nie hätte sich Erla träumen lassen, dass sie nicht nur gleich nach der Ankunft von ihrer Mutter getrennt werden, sondern auch in eine Welt geraten würde, die für die meisten Menschen eine unsichtbare ist, die Welt der Huldu nämlich, Hüter des Lebens und Bewahrer der Natur der Insel, an die so viele Isländer fest glauben, voller Respekt, ohne sie jemals zu Gesicht bekommen zu haben.
Erla aber kann sie sehen, dank einer besonderen, von der Mutter so ängstlich wie ungehalten versteckt gehaltenen Gabe, die ausgerechnet ihr aus noch unbekannten Gründen oder vielleicht rein zufällig in die Wiege gelegt wurde. Und - gleich zu Beginn dieses zweiten Bandes erfahren wir, dass sie nun selber eine Huldu ist! Um gerettet zu werden nach dem Angriff des uralten Wesens, das nicht da sein darf, und, von immenser Bedeutung für sie, um ihr geliebtes Pferd nicht zu verlieren, musste sie sich für die Unsichtbaren entscheiden. Was das bedeutet, wird ihr im Laufe des langsam voranschreitenden Genesungsprozesses schmerzlich klar: zu der neuen Familie, die ihre Mutter auf Island gegründet hat, kann sie nun nicht mehr gehören!
Wie sie allmählich in ihrer neuen Welt heimisch wird und in die Rolle hineinwächst, die ihr zugefallen ist, davon erzählt dieser zweite „Nordstern“-Band. Und er erzählt ihre Entwicklung sehr glaubwürdig, lässt all ihre Ängste, ihre Verzagtheit, ihre innere Zerrissenheit, die jäh aufflammenden Hoffnungen, ihre Hilflosigkeit abwechselnd mit wilder Entschlossenheit transparent werden, bis sie schließlich so weit ist, ihre Bestimmung anzunehmen, die der Leser nunmehr klarer sehen kann, anstatt nur dunkel zu ahnen, wie am Ende des Vorgängerbandes. Doch auch jetzt wieder lässt die Autorin Erlas weiteres Schicksal vollkommen offen, bleiben die Rätsel ungelöst, die Fragen unbeantwortet, die sich weiterhin im Laufe der Geschichte auftun. Der Leser ist so klug, oder besser, so unwissend, wie die Protagonistin selbst, um die zu bangen er jeden Grund hat.
Und nicht nur um sie, denn da gibt es auch noch Erlas Freund Floki, den Jungen mit der mächtigsten Gabe von allen, der nun ebenfalls im Zentrum des Romans steht und aus dessen Blickwinkel ein großer Teil der Geschichte, die dann oft nur aus beunruhigenden Traumbildern besteht, erzählt wird. Jorunn hat ihn gemahnt, seine Gabe wohlüberlegt zu nutzen, sonst könne Schlimmes geschehen. Er hält sich nicht daran – und dem Leser schwant Unheil, eingedenk Jorunns Worten, dass Elas Entscheidung Opfer verlangt. Nun, der – noch nicht erschienene – Abschlussband wird, so bleibt zu hoffen, alle losen Fäden, von denen es nicht wenige gibt, zusammenfügen, alle Rätsel auflösen um Erla, die Weltenwanderin...
Um ein Fazit zu ziehen – auch der zweite Band der Trilogie, den man wohlweislich erst nach dem ersten lesen sollte, ist ein Buch, das man, ist man einmal drin in der Geschichte, kaum aus der Hand legen kann. Wobei ich mich nicht so recht anfreunden kann mit dem erneut offenen Ende. Doch wie schon zu Band Eins angemerkt, ist das Geschmackssache. Für die einen steigert ein Ende dieser Art, das im Grunde nur ein Cliffhanger ist, die Spannung, für die anderen ist es frustrierend, denn man kann ja nicht nahtlos weitermachen mit dem alles auflösenden letzten Band.
Aber wie dem auch sein mag, wir haben hier eine klug ausgedachte Fantasygeschichte (das Fantasy-Element ist so stark ausgeprägt in diesem Folgeband, dass sie genau das für mich ist), in der die für Uneingeweihte recht komplizierte isländische Sagenwelt sehr lebendig wird. Nicht leicht zu lesen ist sie, denn man muss sich schon sehr konzentrieren, damit einem keine der geheimnisvollen Andeutungen und nicht zu Ende gesprochenen Sätze entgehen. Aber für geübte Fantasyleser, die nicht ständig nach dem Warum und Weshalb fragen, sondern sich einfach fallen lassen in die Geschichte – was mir im Übrigen im Nachhinein als die beste Art des Lesens erscheint - , sollte das kein Problem sein. Und dann auch ist meines Erachtens das empfohlene Mindestalter von 12 Jahren gerechtfertigt, obgleich ich es höher ansetzen würde.
Den besonderen Reiz der „Nordstern“-Reihe macht für mich, die ich keine geübte Fantasyleserin bin, der Schauplatz aus, Island, die lebensfeindliche Insel im Nordatlantik mit der atemberaubenden Landschaft, die die Autorin in den schönsten und schillerndsten Farben gezeichnet hat, mal verlockend, einladend, voller Zauber und großer Schönheit, dann wieder gefährlich, bedrohlich und abweisend. Wunderbar anschaulich und stellenweise poetisch ist das beschrieben – die perfekte Kulisse – nicht nur – für einen Fantasyroman, in dem, nebenbei gesagt, jetzt endlich die Pferde im Titel, die zähen, freundlichen, widerstandsfähigen Islandponys, die bislang eine untergeordnete Rolle gespielt haben, allmählich in den Mittelpunkt des Geschehens zu rücken scheinen. Aber darüber wird man dann wohl im Abschlussband lesen können!

Veröffentlicht am 02.07.2021

Papa ist weg!

Wenn man so will, waren es die Aliens
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Als „ungewöhnliche Jungenfigur“ wird Josh, der Protagonist des vorliegenden Romans aus dem Magellan Verlag – in gewohnt schöner, wie sorgfältiger Aufmachung -, in einer Kritik bezeichnet. Und genau das ...


Als „ungewöhnliche Jungenfigur“ wird Josh, der Protagonist des vorliegenden Romans aus dem Magellan Verlag – in gewohnt schöner, wie sorgfältiger Aufmachung -, in einer Kritik bezeichnet. Und genau das ist er – erfreulicherweise! Denn wie viele 17jährige gibt es, die klaglos und aus eigener Entscheidung die Schule ein Jahr vor dem Abschluss abbrechen, um ihrem Vater im Familienhotel zur Hand zu gehen? Josh tut das, weil er über ein beträchtliches Verantwortungsbewusstsein verfügt, weil sein fünf Jahre älterer Bruder ans andere Ende der Welt, nach Neuseeland, ausgewandert ist und sein gesundheitlich angeschlagener Vater es nicht alleine schaffen würde, das Hotel am Meer, in das er sein Leben, seine Träume gesteckt hat, zu halten. Josh liebt seinen Vater und er sorgt sich um ihn, denn seitdem die Mutter auf der Suche nach Selbstfindung die Familie verlassen hat, ist er nicht mehr der alte. Er hat sich verändert, ganz allmählich, zieht sich immer mehr zurück – und ist eines schönen Morgens spurlos verschwunden.
Josh ruft seine Freunde zu Hilfe und gemeinsam machen sich die Vier auf die Suche nach Frank, dem Vater. Dabei entwickeln sie die abenteuerlichsten Theorien zu seinem Verbleib, und das Mädchen Kia, Tochter einer sehr alternativen Mutter, scheint gar überzeugt zu sein, dass die Aliens ihre Hände im Spiel haben könnten.
Mehr oder minder durch Zufall kommen sie Joshs Vater auf die Spur, wobei Josh eigentlich ziemlich genau wusste – was allerdings erst nach und nach dem Leser mitgeteilt wird - , was der Grund für Franks Verschwinden war und überhaupt, was hinter seinem zunehmend seltsamen Verhalten während der letzten Jahre steckt. Joshs Vater ist depressiv und war deshalb bereits einmal für längere Zeit in einem Sanatorium. Nachdem das endlich klar wird, versteht der Leser Joshs Sorge natürlich besser. Der Junge hat große Angst, dass seinem Vater etwas Schlimmes zugestoßen sein könnte. Man kann sich vorstellen, wie allein und hilflos sich Josh fühlt, wie überfordert, denn die Leitung des Hotels liegt jetzt schließlich auch noch in seinen Händen. Zum Glück hat er seine Freunde, nicht alltäglich auch sie, aber für ihn da, als Josh sie braucht. Und alle tragen ihren Teil dazu bei, Frank am Ende wiederzufinden....
Der Autor hat sich einer nicht leichten, einer berührenden, allzu oft totgeschwiegenen Thematik angenommen in seinem Roman, wenn auch nicht mit aller Konsequenz. Und er hat vor allem einen Protagonisten geschaffen, der den Leser auf seine Seite zieht, denn Josh ist ein großartiger Junge, auf den sein in einer anderen Welt lebender Vater unbedingt stolz sein kann.
So weit, so gut! Die Suche nach dem Vater wird aus der Perspektive des Protagonisten Josh erzählt. Und dieser macht unendlich viele Worte, die sich gar oft um sich selber drehen und sich buchstäblich ineinander verknoten. Mir schwirrte immer wieder der Kopf beim Lesen dieses Gedankenwirrwarrs, das in die eigenartigsten Sätze gepackt wurde, das sich wie eine Schraube hochdrehte – und das wollte bis zum Ende einfach nicht aufhören! Von den vielen, vielen Anglizismen und „Fucks“ in den abwegigsten und komplett unnötigen Zusammensetzungen ganz zu schweigen. Authentische Jugendsprache? Hoffentlich nicht! Mit vielen verschwurbelten Worten, Sätzen und Satzfetzen wurde, unterm Strich, wenig ausgesagt. Zudem schien mir der so sympathische Josh unstimmig; einerseits managt er Vaters Hotel – ungewöhnlich souverän übrigens für einen so jungen Mann ohne Erfahrung mit dem Geschäft -, andererseits kommt er in vielen seiner Gedankenergüsse daher wie ein frisch gebackener Grundschüler. Und als seien diese Diskrepanzen noch nicht ausreichend, lässt ihn der Autor, sein geistiger Vater, gelegentlich auch noch hoch philosophische, tiefgründige Sätze sagen, die man allerdings leicht übersehen kann, so verpackt sind sie in dieser verwurstelten Sprache, die mir immer unerträglicher wurde. Dass es dem Verfasser dennoch gelungen ist, Josh zu einem so gewinnenden Charakter zu machen – obwohl er ihm so viel Unsinniges, Unverständliches in den Mund legt -, ist verwunderlich!
Und zu guter Letzt für all diejenigen, die sich durch den Buchtitel irreleiten lassen und etwa meinen, dass zwischen den Buchdeckeln etwa Science Fictionartiges verborgen sei – weit gefehlt! Und ob Kia, die die Idee mit der Entführung durch die Aliens zu Anfang aufgebracht hat, tatsächlich an ihre eigenen Worte glaubt, wage ich am Ende der Lektüre des Jugendromans – freilich für sehr reife Jugendliche! - zu bezweifeln!

Veröffentlicht am 01.07.2021

Neubeginn auf der Insel aus Feuer und Eis

Nordstern – Der Ruf der freien Pferde
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Erla und ihre Mutter verlassen Deutschland, in dem sie in den Nachkriegsjahren keine Zukunft mehr sehen, um auf Island neu zu beginnen. Warum aber ausgerechnet „auf einer Insel aus Eis, ganz oben im Norden“, ...

Erla und ihre Mutter verlassen Deutschland, in dem sie in den Nachkriegsjahren keine Zukunft mehr sehen, um auf Island neu zu beginnen. Warum aber ausgerechnet „auf einer Insel aus Eis, ganz oben im Norden“, wie Erlas Mutter die künftige Heimat beschreibt? Nun, es wurden Arbeitskräfte auf den Bauernhöfen gebraucht, die in dem kleinen Land nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung standen und die man deshalb im Ausland suchte – eine neue Chance für viele, denen der Zweite Weltkrieg jegliche Perspektive geraubt hatte!
Unglücklicherweise aber werden Erla und ihre Mutter kurz nach der Ankunft voneinander getrennt und das 14jährige Mädchen landet bei einer Bauernfamilie, die es als Arbeitssklavin missbraucht und ihr Möglichstes tut, um den Kontakt zur Mutter zu verhindern. Doch Erla kämpft sich durch – nicht zuletzt dank ihres Pferdes Drifa und einer besonderen Gabe, die ihre Mutter nicht nur ärgerlich macht, sondern die sie auch um jeden Preis verschweigen möchte. Schon immer nämlich konnte das Mädchen Wesen sehen, Stimmen hören, die anderen verborgen blieben. Und so mutet es geradezu wie eine Bestimmung an, dass Erla ausgerechnet in Island gelandet ist, der Insel, auf der man an lebendig gewordene uralte Mythen glaubt, an Zauberwesen, an Elfen, Gnome und Trolle und auf der die Huldu, die Unsichtbaren, beheimatet sind, Menschen gleiche Wesen in einer Parallelwelt.
Unsichtbar sind sie aber nicht für Erla! Unmittelbar nach ihrer Ankunft macht sie die Bekanntschaft von Floki, einem Huldu, und seiner Familie und lässt sich immer stärker hineinziehen in seine Welt. Dies bleibt der ungastlichen Familie, bei der sie untergekommen ist, nicht verborgen, was deren Misstrauen noch stärker werden lässt. Misstrauen, freilich gepaart mit Angst. Einerseits glaubt man, bis auf den Großvater, der ebenfalls über die Gabe, gleich Erlas, verfügt, allerdings nicht darüber spricht, nicht an die Unsichtbaren, andererseits aber kann man nie wissen, muss man sich besser gut mit ihnen stellen, um sich nicht den Zorn des verborgenen Volkes, Beschützer der Natur und Hüter ihrer Schätze, zuzuziehen. Und wenn Erla mit den Huldu im Bunde steht, nun ja, man muss vorsichtig sein!
Während ihre Mutter, die sie schließlich nach vielen Umwegen doch wiedersieht, sich entschlossen zur Isländerin mausert, nimmt Erla einen ganz anderen Weg, fühlt sich wie magisch angezogen von den Unsichtbaren, spürt immer stärker, dass hier bei ihnen ihre wahre Heimat ist, ohne den Grund dafür zu verstehen, spürt Verbindungen, die ihr aber auch Angst machen, zumal die Freunde, die sie unter den Huldu findet, sich in geheimnisvollen Andeutungen ergehen – allen voran Jorunn, eine sehr alte Frau, eine Weise, eine Heilerin, die von jedermann mit Ehrfurcht behandelt wird. Jorunn weiß mehr als alle, sie kennt Erlas Schicksal, das auf unerklärliche Weise mit dem Volk der Huldu verbunden ist, so wie sie weiß, dass ein mächtiges Unheil auf ihr Volk zukommen wird, durch Erla und die Ereignisse, die ihr Kommen aus dem fernen Lübeck in Gang setzt.
Fesselnd ist er ganz ohne Frage, dieser erste Band einer Trilogie, in deren Mittelpunkt Erla steht, das Mädchen mit den besonderen Fähigkeiten selbst, dessen Schicksal sich, wie sich hier bereits abzeichnet, auf der Insel aus Feuer und Eis, in der die alten Überlieferungen so lebendig sind, wie wohl nirgendwo sonst, erfüllen wird. Worin dieses Schicksal besteht, kann man nur dunkel ahnen. Der Leser wird, genau wie die Protagonistin, vor nicht nur ein Rätsel gestellt, von denen kein einziges aufgelöst wird – man wird also auf den Folgeband beziehungsweise auf die beiden Folgebände warten und seine Neugierde zügeln müssen, um mehr zu erfahren. Ein Nachteil, den Buchreihen dieser Art mit sehr offenem und, wie hier, geradezu abruptem Ende nun einmal mit sich bringen! Aber ob das wirklich ein Nachteil ist, ist wohl Ansichtssache, und jeder Leser mag das anders empfinden.
Erlas Geschichte jedenfalls, denn dass wir genau diese hier lesen verspricht bereits das Vorwort, das allerdings nur ein weiteres Rätsel von vielen ist, ist sehr schön und bewegend erzählt, sie lässt Anteil nehmen an dem, was dem jungen Mädchen in dem fremden, zunächst wenig gastlichen Lande, widerfährt. Erla ist eine Protagonistin, die Sympathien weckt, deren Partei man ergreift. Ein mutiges Mädchen ist sie, das, obwohl sie sich verloren fühlt und obwohl das gute neue Leben, das ihr ihre Mutter verheißen hat, auf sich warten lässt oder gar nie kommen wird, nicht aufgibt. Eine echte Persönlichkeit begegnet uns in ihr, von großer innerer Stärke, trotz aller Ungewissheiten und Zweifel. Dabei aber immer auch eine ganz normale 14jährige, mit den gleichen Wünschen und Sehnsüchten wie ihre Altersgenossen. Das macht sie sehr glaubwürdig!
Berührend und stets nachvollziehbar erzählt ist ihre erwachende Liebe zu der unwirtlichen und doch seltsam schönen, wunderbar anschaulich beschriebenen Insel nahe des Polarkreises, das immer stärker werdende Gefühl, hierher zu gehören, das Sich einlassen auf das Fremde, das Unbekannte, auf eine Welt jenseits der sichtbaren Realität, gar das Einswerden mit dieser, dank auch der Freunde, die sie findet und dem bereits erwähnten Pferd Drifa, das eine wichtige Rolle spielt und, so ist zu vermuten, auch weiterhin spielen wird.
Das schreibt jemand, dachte ich mir während der Lektüre, die sich auskennt, die die alten Sagen nicht als Unsinn abtut, der Island, das ich als zweite Protagonistin bezeichnen möchte, vertraut ist und die womöglich mehr sieht als nur das, was mit dem Auge zu erfassen ist, oder aber die ganz einfach nur anders hinschaut, tiefer blickt. Wie Erla eben, genau so wie sie!

Veröffentlicht am 23.06.2021

Agatha Christies am wenigsten geliebter Kriminalroman

Der blaue Express
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In ihrer Autobiographie erwähnt die englische Kriminalschriftstellerin Agatha Christie ihren achten Roman nur ungern, da sie selbst ihn für ihren schlechtesten hält. Geschrieben hat sie ihn kurz nach zwei ...

In ihrer Autobiographie erwähnt die englische Kriminalschriftstellerin Agatha Christie ihren achten Roman nur ungern, da sie selbst ihn für ihren schlechtesten hält. Geschrieben hat sie ihn kurz nach zwei Schicksalsschlägen in ihrem Leben, dem Tod der geliebten Mutter und dem katastrophalen Ende ihrer Ehe mit Archibald Christie, nachdem das Schreiben plötzlich nicht mehr nur eine Freizeitbeschäftigung war, sondern vielmehr notwendig, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen – ungewohnt für die privilegierte Tochter wohlhabender Eltern, der Geldsorgen bisher fremd waren. Für „The Mystery of the Blue Train“ (deutscher Titel „Der blaue Express“), der 1928 erstveröffentlicht wurde, zog sie eine bereits 1923 erschienene Kurzgeschichte, „The Plymouth Express“ heran und machte daraus einen Roman, der, wie sie überaus selbstkritisch konstatierte, voller Gemeinplätze und Clichés sei und darüber hinaus eine uninteressante Handlung habe.
Zugegeben, „The Mystery of the Blue Train“ ist nicht einer der besten Krimis der berühmten Britin, aber ihr allzu negatives Urteil kann ich nicht bestätigen, womit ich konform gehe mit der Meinung der allermeisten Kritiker, die die Geschichte seit ihrem Erscheinen besprochen haben. Langweilige Handlung? Davon kann keine Rede sein, denn auch wenn die „Queen of Crime“ sich beim Schreiben, wohl aufgrund ihrer privaten Probleme, einigermaßen schwer getan haben mag, so hat ihr am wenigsten geliebter Krimi doch alle Zutaten, die die Britin zur bekanntesten Kriminalschriftstellerin der Welt gemacht haben: eine verzwickte Handlung voller überraschender Wendungen und falscher Fährten, eine Reihe sehr unterschiedlicher, rätselhafter, nicht leicht durchschaubarer Charaktere, die – und in diesem Punkte stimme ich der Schriftstellerin zu – sehr wohl chlichéhaft sind, was aber bei ihr nicht ungewöhnlich ist, interessante Schauplätze, wie der von 1886 bis 2003 von Calais nach Ventimiglia verkehrende „Le Train Bleu“, durchaus vergleichbar mit dem berühmten Orient Express, und schließlich die französische Riviera.
Nicht zuletzt hat auch der unnachahmliche belgische Meisterdetektiv mit dem unerschütterlichen Ego, Hercule Poirot, seinen – bis dahin sechsten – Auftritt! Und er ist immer ein Garant für amüsante Unterhaltung! Dass er den ihm anvertrauten Fall am Ende auf seine grandiose Art und Weise lösen wird, den Mord nämlich an einer reichen amerikanischen Erbin, Ruth Kettering, die, einer unglücklichen Ehe entfliehend, mit dem „Train Bleu“ unterwegs ist zu ihrem Liebhaber, dem zwielichtigen Comte de la Roche, Verehrer schöner, aber vor allem reicher Frauen und exquisiten Schmucks, steht außer Zweifel! Und besagte Lösung ist, wie kann es auch anders sein bei Agatha Christie, gewohnt überraschend, obgleich der Leser, folgt er den immer wieder sehr geschickt eingestreuten Hinweisen und interpretiert sie richtig, dem Mörder auch selbst hätte auf die Spur kommen können!
Ja, etwas verwirrend ist die Geschichte schon, denn es geht nicht nur um die Aufklärung eines Mordes sondern auch um den Diebstahl eines berühmten Rubins, des „Heart of Fire“, den die Ermordete von ihrem Multimillionär-Vater, dem Amerikaner Rufus Van Aldin, geschenkt bekommen hatte und den sie mit sich führte. Besagter Edelstein übrigens, den Van Aldin über dunkle Kanäle erworben hat, hat seine eigene Geschichte, ist verrufen, weil er seine Besitzer angeblich nicht froh machen solle, wie Juwelen überhaupt seit Anbeginn der Zeiten Unglück gebracht haben. Wurde Ruth Kettering also wegen des Rubins getötet oder steckt vielmehr Derek Kettering, ihr Ehemann, hinter dem Mord? Vertrauen wir Poirot – wenn jemand das Knäuel auflösen kann, das sich immer mehr zu verheddern scheint, dann ist er es! Und er bekommt unerwartet Hilfe, in Gestalt nämlich der sympathischen Katherine Gray aus St. Mary Mead (Miss Marple Fans werden hier zu Recht aufhorchen!), die mit Hilfe einer kürzlich gemachten Erbschaft ihre neue Freiheit an der Riviera genießt – und sich prompt in den charmanten Windhund, den frisch verwitweten Derek Kettering, verliebt, Hauptverdächtiger im Mordfall Ruth Kettering. Aber da ist noch jemand, der ein Auge auf die junge Frau mit den wunderschönen grauen Augen und dem ausgeprägten Sinn für Humor geworfen hat... Aber damit ist schon beinahe zu viel gesagt – und dennoch zu wenig, was das Kaleidoskop an bemerkenswerten Gestalten betrifft, die diesen Krimi bevölkern und die alle irgendwie in den Fall verwickelt sind. Langweilig wird es wahrhaftig zu keinem Zeitpunkt und es lohnt sich allemal, das „Stiefkind“ der unübertrefflichen Krimiautorin aus Torquay in Cornwall zu lesen!
Und zu guter Letzt soll die Widmung zu „The Mystery of the Blue Train“ nicht unerwähnt bleiben, denn sie wirft Licht auf die Verfassung Agatha Christies, als sie den hier besprochenen Krimi schrieb. „To the two distinguished members of the O.F.D., Carlotta and Peter“ lesen wir da. Das Kürzel steht für „Order of the Faithful Dogs“, womit diejenigen gemeint waren, die Christie nach den Schicksalsschlägen 1926/27 die Treue gehalten und sich nicht von ihr abgewandt hatten, wie so viele der früheren gemeinsamen Freunde des nunmehr entzweiten Ehepaars. Carlotta war übrigens die loyale Sekretärin der Autorin, Peter der geliebte Terrier ihrer Tochter Rosalind....