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Veröffentlicht am 20.09.2024

Verlagswelt steht Kopf

The Other Black Girl
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Zugegeben, mein Titel erschließt sich erst, wenn man das Buch gelesen hat, dennoch zeigt bereits das Cover, dass Haare eine wichtige Rolle in diesem Roman spielen, der jedoch nicht in einem Friseursalon ...

Zugegeben, mein Titel erschließt sich erst, wenn man das Buch gelesen hat, dennoch zeigt bereits das Cover, dass Haare eine wichtige Rolle in diesem Roman spielen, der jedoch nicht in einem Friseursalon angesiedelt ist, sondern in der Verlagswelt von Manhattan.

Im renommierten Verlagshaus Wagner Books kämpft die junge Nella als einzige Schwarze um Anerkennung und für mehr Diversität. Aber hat sie sich in den letzten zwei Jahren nicht vielleicht doch zu bequem an ihrem Arbeitsplatz eingerichtet? Als mit Hazel unerwartet eine weitere Schwarze Lektoratsassistentin angestellt wird, weht urplötzlich ein neuer Wind im Büro. Scheinbar mühelos wickelt Hazel alle um den Finger und schafft in kürzester Zeit, was Nella bisher nicht gelungen ist. Allerdings schlägt Nellas Freude über die quirlige Mitstreiterin mit den unfassbar wunderbaren Dreadlocks bald in Misstrauen um.

Der Roman spiegelt, wie sich Schwarze Angestellte in einer von Weißen dominierten Arbeitswelt verhalten (müssen) und welche Schwierigkeiten dies birgt, bis zur Selbstverleugnung. Die Verlagsbranche bekommt hier ordentlich ihr Fett weg. Die Geschichte ist zugleich unterhaltsam und spannend und wird am Ende zwar arg auf die Spitze getrieben, bleibt aber nachvollziehbar und im Kern absolut real. Die "Auflösung" von OBGs ist überraschend.

Ich habe das Buch sehr gerne gelesen: Interessante Charaktere, eine ungewöhnliche und doch alltägliche Geschichte, New York Life, Bücherwelt. Etwas verwirrend waren die verschiedenen Zeitebenen und die verschiedenen Blickwinkel in den Kapiteln, das sortiert sich erst später an die richtige Stelle.

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Veröffentlicht am 17.09.2024

Ausverkauf eines Volkes

Spuren
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Nanapush, der letzte seines Stammes, erzählt die Geschichte seines Volkes der kleinen Lulu, die er immer wieder direkt anspricht. Er macht ihr deutlich, wie viel verloren ist: Tiere, Flüsse, Bäume, Land, ...

Nanapush, der letzte seines Stammes, erzählt die Geschichte seines Volkes der kleinen Lulu, die er immer wieder direkt anspricht. Er macht ihr deutlich, wie viel verloren ist: Tiere, Flüsse, Bäume, Land, Traditionen, Familie. Die Zeit von 1912 bis 1924 wird in mehrere Kapiteln eingeteilt, die alle den indigenen Namen einer Jahreszeit tragen, der verdeutlicht, wie stark das Leben der Menschen mit ihrer Umwelt verknüpft war. In der geschilderten Zeitspanne geht es um das nackte Überleben, um das Sichern des Landes und um die schicksalhafte Verflechtung von wenigen Familien. Kleine Parzellen sind ihnen von ihrem Land geblieben und selbst diese will die Regierung ihnen wegnehmen und gewinnbringend weiterverkaufen. Im Zentrum steht Fleur Pillager, Lulus Mutter, die als einzige die Schwindsucht und den kalten Winter ihrer sechsköpfigen Familie überlebt hat. Zur Perspektive von Nanapush gesellt sich abwechselnd die des Mädchens Pauline Puyat hinzu, die im Reservat eine Aussenseiterin ist. Sie fungiert als eine Art Gegenspielerin zu Fleur.

Der Einstieg in die Geschichte ist mir nicht so leicht gefallen. Ich habe schon andere Romane der Autorin gelesen, die mich sofort in die Handlung gezogen hatten (z. B. Das Haus des Windes), das war hier nicht der Fall. Bis zum Ende bin ich nicht ganz warm geworden mit dieser Geschichte, die für mich eher kantig zu lesen war, ganz wie der Charakter von Fleur beschrieben werden kann. Es ist viel Mystisches im Text, Dinge, die ich gar nicht richtig verstanden habe, die mir fremd sind. Diese Dinge bleiben bei den Chippewa. Sie werden aber durch Nanapush eindringlich an die nächste Generation weitergegeben. Und auch die Fakten werden von dem alten Mann in seinen ganz eigenen Worten anschaulich beschrieben. Da blutet einem das Herz, wenn die Indigenen, die fast nichts mehr besitzen, im Winter fast erfrieren und verhungern, ihr Land für etwas Mehl hergeben; räudige Felle verkaufen, jede Geldnote sammeln, um die Grundsteuern bezahlen zu können.

Ein stellenweise wirklich erschütterndes Buch, das mir durch die Erzählweise aber nicht ganz so nahe gekommen ist, wie andere Bücher der Autorin, die selbst eine indigene Mutter hat. "Spuren" ist eines ihrer frühen Werke, das bereits 1988 erschienen ist.

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Veröffentlicht am 17.09.2024

Schiffbruch

Der Untergang der "Wager"
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Ein Schiff mit 250 Mann Besatzung verlässt den Hafen von Portsmouth. Auf dem Weg um Kap Hoorn gibt es Wetterprobleme, die immer heftiger werden. Das Schiff strandet vor einer unbewohnten Insel vor der ...

Ein Schiff mit 250 Mann Besatzung verlässt den Hafen von Portsmouth. Auf dem Weg um Kap Hoorn gibt es Wetterprobleme, die immer heftiger werden. Das Schiff strandet vor einer unbewohnten Insel vor der Küste Patagoniens. Bald bilden sich zwei, später sogar drei verfeindete Lager; es kommt zu Missgunst, Anfeindungen, Waffengewalt. 283 Tage später tauchen 29 Männer in Brasilien auf und werden später in der Heimat als Helden gefeiert. Wer fehlt, ist der Kapitän. Sechs Monate später tauchen drei weitere Überlebende auf, unten ihnen ist Kapitän Cheap. Die Geschichten der Überlebenden stehen zueinander in Widerspruch. Was ist damals wirklich geschehen, 1741 auf Wager Island?

Das Buch liest sich wie ein Abenteuerroman und doch hat sich alles so zugetragen. In jahrelanger intensiver Forschungsarbeit hat der Autor David Grann gewaltige Mengen an Material gelesen und zu dieser Geschichte zusammengebracht. Er versucht dabei, die verschiedenen Aussagen der Überlebenden faktengetreu wiederzugeben und stützt sich dabei besonders auf Tagebücher, die während der Reise angefertigt und gerettet wurden, Augenzeugenberichte, Gerichtsakten etc. Letztlich müssen die Leser und Leserinnen entscheiden, wie die teilweise widersprüchlichen Aussagen ineinandergreifen.

Für mich war das Buch sehr unterhaltsam, eine Mischung aus Roman und Sachbuch. Ich habe es in kürzester Zeit gelesen. Man muss das Genre natürlich mögen oder zumindest interessant finden, sonst könnte man sich ggf. langweilen. Aber das ist ja mit anderen Genres genauso. Fasziniert hat mich wieder, wie überheblich die Kolonialmächte gegenüber der Natur und natürlich den Indigenen agieren, die dort leben, wo die vermeintlichen zivilisierten Männer immer mehr verrohen und kurz vor dem Hungertod stehen. Ähnlich wie schon in den Romanen über die Terror und die Erebus, hätten sich die Verluste in Grenzen gehalten, wenn man sich nicht so ungemein überschätzt hätte und Vernunft vor Pflichtbewusstsein gesetzt hätte - von dem Verhalten gegenüber den Indigenen mal ganz abgesehen.

Etwas ermüdend war lediglich die ständige Wiederholung, wie viel Hunger die Männer leiden mussten. Natürlich steht die Nahrungsbeschaffung an erster Stelle, aber gefühlt standen die Seeleute ca. 100 Mal unmittelbar vor dem Hungertod, bevor eine Schnecke oder ein Stückchen Seegras diesen Tod noch mal um zwei Stunden verzögerte, um dann einige Seiten weiter wieder von vorne zu beginnen.

Abbildungen, Karten, Literatur- und Quellenverzeichnis sowie ein Anmerkungsapparat vervollständigen das Werk.

Interessant außerdem: Unter den Seeleuten war ein direkter Vorfahre von Lord Byron, der wiederum die Erlebnisse seines Großvaters literarisch verarbeitete.

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Veröffentlicht am 06.09.2024

Das überfüllte Grab

Delikatessen
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Auch der vierte Fall für den sympathischen Polizeichef von Saint-Denis im Périgord, Bruno, trumpft mit den bewährten Zutaten auf: Ein heimeliges Setting in der pittoresken französischen Kleinstadt mit ...

Auch der vierte Fall für den sympathischen Polizeichef von Saint-Denis im Périgord, Bruno, trumpft mit den bewährten Zutaten auf: Ein heimeliges Setting in der pittoresken französischen Kleinstadt mit meistens liebenswerten Menschen, Natur, Tieren und natürlich gutem Essen und noch besserem Wein. Wenn da bloß nicht immer diese störenden Elemente wären, wie z.B. Mord, Totschlag, Anschläge, Terroristen, gewaltbereite Aktivisten und so manch besserwissende Vorgesetzte aus dem Ministerium.

Dieses Mal muss Bruno wieder gleichzeitig an mehreren Fronten kämpfen und es bleibt ihm kaum Ruhe, um seine leckeren Gerichte zu kochen. Neben einem unbekannten Toten, der bei archäologischen Ausgrabungen gefunden wird und noch gar nicht so lange tot ist, obliegt Bruno die Sicherung eines Treffens zwischen französischen und spanischen Politikern, das als mögliches Ziel der Untergrundorganisation ETA (Freiheit für das Baskenland) identifiziert wurde. Zu allem Überfluss machen gewaltbereite Tierschützer der heimischen Gänseleberpasteten-Lobby das Leben schwer und auch die neue Amtsrichterin Annette hat keinen guten Start in Saint-Denis.

Gekonnt läßt Walker seinen Polizeichef zwischen all diesen gefährlichen Klippen hindurchsegeln, souverän, weit- und nachsichtig und immer das Wohl seiner Stadt im Auge behaltend.

Die Romane lassen sich wunderbar leicht lesen und dabei lernt man nicht nur die französische Küche kennen, sondern erfährt ebenso in jedem Buch etwas über die französische Politik und Geschichte. Es ist jedesmal fast wie ein kleiner Frankreich-Urlaub, wenn man in die überschaubare Welt von Saint-Denis eintaucht. Ein Wermutstropfen bleibt in diesem Band zurück, denn von einem liebgewonnenen Charakter müssen wir uns verabschieden.

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Veröffentlicht am 30.08.2024

Das Haus auf den Klippen

Die Frauen von Maine
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In diesem Roman will Sullivan ziemlich viel und für mich ist das auch gelungen.

Erzählt wird vordergründig die Geschichte von Jane Flanagan, die an der Küste von Maine aufwächst und immer wieder von einem ...

In diesem Roman will Sullivan ziemlich viel und für mich ist das auch gelungen.

Erzählt wird vordergründig die Geschichte von Jane Flanagan, die an der Küste von Maine aufwächst und immer wieder von einem verlassenen Haus auf einer prägnanten Klippe angezogen wird. (Originaltitel daher auch: The cliffs) Als Erwachsene arbeitet Jane für die Schlesinger Bibliothek in Harvard (Library on the History of Women in America) und beschäftigt sich mit den Nachlässen von Frauen. Als sie das Haus ihrer verstorbenen Mutter in Maine ausräumt, kommt sie zufällig mit der aktuellen Besitzerin des Klippenhauses in Kontakt, die Jane bittet, Nachforschungen darüber anzustellen.

Im Roman kommen mehrere Frauen in längeren Kapiteln zu Wort, die im Klippenhaus gelebt haben und deren Wege sich dort kreuzen, auch wenn Jahrhunderte dazwischen liegen. So setzt sich nicht nur die Geschichte des Gebäudes zusammen, sondern noch so viel mehr. Es geht um das Bewahren von Geschichte - im Großen und im Kleinen -, Feminismus, Spiritualismus, schwierige Mutter-Tochter-Beziehungen, Alkoholismus, die Shaker-Bewegung, Native Americans und Epigenetik. Letzteres befasst sich mit sog. "Seelenwunden", Massentraumata durch Genozid, Versklavung, Kolonialisierung, die auf zellulärer Ebene an die nächste Generation weitergegeben werden.

Der Roman hat mich sehr gefesselt und lange wach gehalten, ich konnte ihn nicht aus der Hand legen. Er läßt einen über vieles nachdenken, z. B. über die Art der Geschichtsschreibung, die bis vor kurzem ja erst mit der Besiedelung Amerikas begann. Was war mit den Menschen, die zuvor dort lebten? Oder: Große Teile des weiblichen Schreibens wurden über die Jahrhunderte nicht bewahrt, sondern gingen verloren oder wurden bewusst vernichtet, von den Autorinnen selbst oder Angehörigen. (Ein bekanntes Beispiel ist Jane Austen.)

Insgesamt ein leicht zu lesender Roman, der eine große Palette an Themen zusammenbringt und wunderbar unterhält. Auch wenn manche Textstellen wie Einschübe wirken, ist es dennoch eine geschmeidige und stimmige Geschichte geworden. Ein toller Sommerroman mit Anspruch und zum Nachdenken.

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