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Veröffentlicht am 28.12.2024

Der Ort, den es nicht mehr gibt

Ich bleibe hier
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Ein schlanker Kirchturm, der aus einem Stausee in Südtirol ragt, war für Marco Balzano Anlass, sich mit der Geschichte des Ortes zu beschäftigen. So trug er die Fakten um den gefluteten Ort Graun im Vinschgau ...

Ein schlanker Kirchturm, der aus einem Stausee in Südtirol ragt, war für Marco Balzano Anlass, sich mit der Geschichte des Ortes zu beschäftigen. So trug er die Fakten um den gefluteten Ort Graun im Vinschgau zusammen und ersann die fiktive Geschichte von Trina und ihrer Familie. Trina hat gerade ihre Lehrerinnenausbildung beendet, als in Südtirol alles Deutsche verboten wird. Mit Mussolini kommt 1922 auch der Faschismus in das Tal und Trina kann nur noch heimlich und unter großer Gefahr, in Kellern und in Scheunen, in ihrer Muttersprache unterrichten. Dieser Verlust wird nicht der einzige bleiben, denn bald geht ihre kleine Tochter mit Verwandten ins "Reich" und jahrzehntelang wird das Damoklesschwert des Staudammes über dem Ort hängen.

In einer schlichten Sprache wird diese Lebensgeschichte vermittelt, die geprägt ist von einer zerrissenen Heimat, die zwischen Faschismus und Nationalsozialismus, Konzerninteressen und Korruption aufgerieben wird und die doch Widerstand leistet. Trina und ihr Mann Erich nehmen unsägliche Mühen auf sich, um im Dorf bleiben zu können, um nicht den Nationalsozialisten in die Hände zu fallen, um schlicht am Leben zu bleiben. Dieser Abschnitt nimmt einen großen Teil der Geschichte ein, der eigentliche Bau des Stammes dagegen wird erst auf den letzten Seiten verhandelt. Eine sehr eindrückliche Geschichte, die den Blick auf die Region Südtirol verändert.

Als ein einziger Brief an die verlorene Tochter verfasst, läßt Trina ihre Geschichte vor unseren Augen lebendig werden.

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Veröffentlicht am 28.12.2024

Die sechs Leben der Mascha Kaléko

Die paar leuchtenden Jahre
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Kleine Notizen aus dem Berliner Alltag, im Sinne der Neuen Sachlichkeit nüchtern und mit einfachen Worten aber auch mit Witz erzählt, bringen der jungen Mascha Kaléko rasch Erfolg. Ab 1929 wird ihre "Gebrauchslyrik" ...

Kleine Notizen aus dem Berliner Alltag, im Sinne der Neuen Sachlichkeit nüchtern und mit einfachen Worten aber auch mit Witz erzählt, bringen der jungen Mascha Kaléko rasch Erfolg. Ab 1929 wird ihre "Gebrauchslyrik" in vielen der zahlreichen Berliner Tageszeitungen abgedruckt. 1933 erscheint bei Rowohlt ihr erstes Buch "Das Lyrische Stenogrammheft". 1937 werden ihre Schriften verboten und ein Jahr später flieht sie mit ihrer Familie in die USA. An den großen Erfolg während der Weimarer Republik kann sie nie wieder anknüpfen. Kaléko stirbt 1975.

Der Titel des Buches "Die paar leuchtenden Jahre" meint die Zeit um 1930, vor der "großen Verdunkelung". Diese Zeile hat die Herausgeberin einem Vortrag von Kaléko entnommen. In dieser Veröffentlichung hat Gisela Zoch-Westphal Gedichte zusammengestellt, die lange vergriffen waren, dazu Chansons und Lieder; neben zeitbezogener Lyrik gibt es auch Kindergedichte und einige längere Prosatexte z.B. über ihre Zeit in New York. Eine mit Dokumenten und Fotos angereicherte Biographie von über 100 Seiten, sowie ein Essay, eine Zeittafel, eine Bibliografie und ein alphabetisches Werkverzeichnis machen das Buch absolut rund.

Ich hatte mich zuvor so gut wie gar nicht mit Mascha Kaléko beschäftigt und habe ihre Lyrik nun sehr gerne gelesen. Die Texte wirken immer noch frisch und frech. Sie spielt mit Worten, mit dem Berliner Dialekt, sie springt zuweilen ins Englische oder Französische, schreibt aber häufig so, wie die Wörter gesprochen werden. Da ist viel Witz in ihren Gedichten enthalten. Das hat mir sehr gefallen, obwohl oft von Abschied geschrieben wird. Sehr bereichernd war der biografische Teil, der auch Tagebuchaufzeichnungen enthält. In diesen wird deutlich, wie sehr sie ihren Sohn und ihren Mann geliebt, ja verehrt hat. Tragischerweise hat Kaléko beide überlebt.

Insgesamt eine Veröffentlichung, die ich sehr empfehlen kann, um sich mit der Person und Künstlerin Mascha Kaléko erstmals vertraut zu machen.

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Veröffentlicht am 27.11.2024

Vor Kartoffelfüßen und Hallux Valgus

Marzahn, mon amour
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Wer auf dem pinkfarbenen Thron (Behandlungsstuhl) der Fußpflegerin und (Schriftstellerin) Katja Oskamp Platz nimmt, wird verwöhnt und kann seinen Alltag und die Sorgen für eine kurze Zeit vergessen. Auf ...

Wer auf dem pinkfarbenen Thron (Behandlungsstuhl) der Fußpflegerin und (Schriftstellerin) Katja Oskamp Platz nimmt, wird verwöhnt und kann seinen Alltag und die Sorgen für eine kurze Zeit vergessen. Auf dem Gelände von alten Rieselfeldern wurden die Wohnblöcke in Marzahn hochgezogen und im Erdgeschoss eines solchen Blocks empfängt Oskamp ihre Kund*innen mit Berliner Schnauze. Ihr Motto: Jede und jeder soll fröhlicher gehen, als er oder sie gekommen ist. Und die Fußpflegerin in mittleren Jahren stürzt sich engagiert in ihre neue Aufgabe. Für einige ehemalige Schriftstellerkolleginnen ohne Frage ein Abstieg.

Die Geschichten, die die Autorin hier zusammengestellt hat, sind traurig, herzerwärmend und voller Humor. Man taucht für wenige Seiten in das Leben von Menschen ein, wie sie auch nur für eine Stunde das Geschäft betreten und dann wieder ihrer Wege gehen. Einige würde man gerne weiter begleiten und noch mehr über ihr Schicksal erfahren.

Oskamp schreibt mit Blick fürs Detail und für das Menschliche und auch über sich selbst. Eine wunderbar zu lesende Zusammenstellung über ganz normale Menschen und doch von ganz besonderen.

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Veröffentlicht am 27.11.2024

Erstaunliche Fakten der Nachkriegszeit

Ritchie Girl
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Die Zeit unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg: Deutschland liegt in Trümmern. Die US-Amerikaner bereiten die Nürnberger Prozesse vor.

Paula Bloom, ausgebildet in Camp Ritchie (Ausbildungslager der US ...

Die Zeit unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg: Deutschland liegt in Trümmern. Die US-Amerikaner bereiten die Nürnberger Prozesse vor.

Paula Bloom, ausgebildet in Camp Ritchie (Ausbildungslager der US Army in Maryland), hatte ihre Jugend in Berlin verbracht. Im Frühjahr 1945 landet sie mit einem Militärschiff in Genua und wird nach Frankfurt entsandt. Dort haben die Amerikaner "Sieben" inhaftiert, den Mann, der als größter Spion der Deutschen galt und seine Informationen angeblich direkt aus dem Kreml erhalten hatte. Paula soll herausfinden, ob Johann Kupfer wirklich "Sieben" ist. Ansonsten droht ihm die Auslieferung an die Russen. Paula verfolgt aber auch eigene Ziele und nutzt ihre Kontakte, um nach ihrer großen Liebe, Georg Melzer, zu suchen. Hilfreich ist Sam, ihr alter Freund aus Camp Ritchie.

Vor diesem privaten Schicksal fächert Andreas Pflüger die Zeit bis Oktober 1946 auf, als die Urteile von Nürnberg vollstreckt werden. In unglaublicher Detailfülle werden die Verstrickungen vor, während und nach dem Krieg aufgezeigt: Private und staatliche Interessen mit Blick auf wirtschaftliche und militärische Vorteile, von denen man meint, sie gehörten dem fiktiven Teil in diesem Roman an - weit gefehlt! Neben diesen Fakten ist die Einbindung von - zu diesen Zeitpunkt häufig noch unbekannten - Personen großartig gelungen, die nur kurz erwähnt werden oder in der Handlung auftauchen, von denen wir aber wissen, was einmal aus ihnen werden wird. Hier ein paar Namen: Graham Green, Stan Lee, Richard von Weizsäcker, Richard Nixon, Zuckmayer, Hans Moser, Willy Brandt, Peter Ustinov, Martha Gellhorn, Oskar Schindler. An anderer Stelle wird der Titel "Invasion der Körperfresser" geboren. Es ist schon doll, was da alles zusammenkommt. Darüberhinaus ist die Sprache teils sehr sarkastische und ironisch, auch das ist sehr gelungen. Allerdings sind die politischen bzw. militärischen Beziehungen manchmal doch unübersichtlich und die Spannung bleibt etwas auf der Strecke, daher habe ich für das Buch auch recht lange gebraucht. Empfehlen kann ich es dennoch auf jeden Fall. Die Kapitel sind zudem recht kurz und mit (häufig peppig) passenden Überschriften versehen. Ein Stück Geschichte, das einen oft einfach nur mit dem Kopf schütteln lässt, angesichts der Dinge, die nach 1945 passiert sind.

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Veröffentlicht am 27.11.2024

Annemarie Schwarzenbach

ANNEMARIE
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Eine ganz außergewöhnliche Graphic Novel hat das spanische Autorenduo María Castrejón und Susanna Martín hier vorgelegt. Das kurze Leben der Schweizer Fotojournalistin und Autorin Annemarie Schwarzenbach ...

Eine ganz außergewöhnliche Graphic Novel hat das spanische Autorenduo María Castrejón und Susanna Martín hier vorgelegt. Das kurze Leben der Schweizer Fotojournalistin und Autorin Annemarie Schwarzenbach wird nicht nur in Graphic Novel üblichen Skizzen dargestellt, sondern auch in Fotos, Textauszügen, Briefen etc. aus einer feministisch geprägten Sicht. Einige der gezeichneten Bilder sind detailgetreu ihren Fotografien nachempfunden. Das macht es sehr spannend, in diesem Buch auf Entdeckungsreise zu gehen. Auch verändert sich die Art der Darstellung, von hübschen Zeichnungen, die ohne Text auskommen und z.B. Einblicke in die Kindheit geben, bis zu teils verstörenden und drastischen Bildern, die Annemarie in den Fängen ihrer Sucht zeigen.

Wir begleiten Annemarie von ihrer Heimat der Schweiz zum Studium nach Paris; nach Berlin, wo sie erneut mit Erika und Klaus Mann viel Zeit verbringt und ihre Drogensucht den Anfang nimmt. Fotos und Texte entstehen in Russland, dem Orient, den USA und im Kongo. Sie, die aus einer reichen Industriellenfamilie stammt, versucht immer wieder den Ausbruch und widmet sich zum Beispiel der Dokumentation der Wirtschaftskrise im Süden der USA. Ihre Depressionen und ihre Rückfälle in die Drogensucht schwächen die androgyne Annemarie, die mit nur 34 Jahren an den Folgen eines schweren Fahrradunfalls verstirbt.

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