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Veröffentlicht am 17.03.2025

Spannender literarischer Thriller mit Tiefgang

Der Gott des Waldes
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"Der Gott des Waldes", das neue Buch von Liz Moore, weckt schon von der Aufmachung her enorm hohe Erwartungen: in der gebundenen Ausgabe sehr hochwertig mit fast 600 dicken Seiten aus robustem Papier, ...

"Der Gott des Waldes", das neue Buch von Liz Moore, weckt schon von der Aufmachung her enorm hohe Erwartungen: in der gebundenen Ausgabe sehr hochwertig mit fast 600 dicken Seiten aus robustem Papier, mit einem geheimnisvollen Titelbild, einem See, über den ein rosafarbener Blutstrom rinnt, der sich sogar haptisch vom Rest des Buches abhebt. Dazu Lobpreisungen an verschiedenen Stellen auf dem Schutzumschlag, die von einem "literarischen Thriller der Spitzenklasse", einem "seltenen Juwel" und einem "Meisterwerk" sprechen. So ein Marketing lässt also ein ganz besonderes Buch erwarten. Ist es das?

Ich lese sehr gerne anspruchsvolle Literatur und gelegentlich mal den einen oder anderen Krimi oder Thriller, kenne also beide Genres. Viele Thriller sind mir zu banal konstruiert und haben wenig glaubwürdige, sehr stereotype Figuren. Davon hebt sich der "Gott des Waldes" durchaus wohltuend ab: es wird nicht nur einfach eine sehr spannende Handlung erzählt, sondern das Setting und die Figuren regen auch zum Nachdenken über die Zeit zwischen 1950 und 1975 in den USA, die Geschlechterrollen damals, soziale Ungleichheit und die mit Geld und Macht einhergehenden Privilegien und unfairen Vorteile an. Damit bietet das Buch deutlich mehr als ein einfacher Krimi oder Thriller und kann sich durchaus als literarisch bezeichnen.

Die Handlung spielt überwiegend im Sommer 1975, mit Rückblenden erzählt aus der Perspektive der 1950er und 1960er Jahre, um die Hintergründe und insbesondere die Entwicklungen einer Familie zu zeigen. Wir befinden uns in den Adirondacks Mountains, wo die vermögende Familie Van Laar ihren Sommersitz hat und außerdem, gemeinsam mit einer befreundeten Familie, ein Abenteuerferiencamp für Kinder betreibt, in dem diese den Sommer verbringen, Spaß und Unterhaltung haben, neue Freundschaften knüpfen können und lernen, wie man alleine im Wald überleben kann.

Die Familie Van Laar ist sehr reich, verschlossen und konservativ, und sie möchte genau ein Kind pro Generation haben, damit niemand das Erbe teilen müsse: am besten einen Jungen, Peter Van Laar, der erste, der zweite, der dritte und der vierte. Peter Van Laar I, der Gründervater, ist schon verstorben, doch mit seinem Sohn, Peter Van Laar II, mittlerweile ein alter Mann, dessen Sohn, Peter Van Laar III, einem Mann mittleren Alters, und wiederum dessen Sohn Peter Van Laar IV, genannt "Bear", einem Kind, leben zeitweise drei dieser Peters van Laar in der großen, aus der Schweiz hergeschafften und in den USA wieder aufgebauten Villa "Self-Reliance" am Rande des Feriencamps. Jeden Sommer wird das Fest "Blackfly Goodbye" gefeiert, bei dem sich alle gemeinsam darüber freuen, dass die Zeit der lästigen, blutsaugenden Kriebelmücke "Blackfly" für die Saison zu Ende geht, und zu dem all jene eingeladen werden, die die Familie als Freunde ansieht oder von denen sie sich geschäftliche Vorteile erhofft.

Frauen gibt es natürlich auch in der Familie, generationenlang als angeheiratete Gattinnen, blass und machtlos an der Seite der übermächtigen und manipulativen Peters. "Bear", der jüngste Peter, scheint aus der Reihe zu schlagen, alle haben ihn als freundliches, empathisches und zugewandtes Kind beschrieben... bis er leider auf tragische Weise im Wald verschwunden ist. Nach seinem Verschwinden brauchte es einen neuen Erben und Peter III und seine Gattin Alice machten sich an diese Zeugung desselben... doch diesmal wurde es ein Mädchen, Barbara. Ein sehr rebellisches, unabhängiges Mädchen, das sich nicht unterdrücken lassen will und sich gegen die lieblose Erziehung auflehnt. Mit 12 oder 13 Jahren möchte Barbara auch am Feriencamp teilnehmen und es wird ihr gewährt - die Eltern sind froh, sich mit der rebellischen Tochter mal einen Sommer weniger herumschlagen zu müssen. Doch gegen Ende des Feriencamps verschwindet auch sie im Wald.

Dieses Buch hat einige sehr interessante Charaktere. Besonders gemocht habe ich die unangepasste und trotz all ihrer Kindheitsverwundungen selbstbewusste und ihren eigenen Weg gehende jugendliche Barbara. Weitere interessante Figuren sind Tessie Jo, genannt "T.J.", die ebenfalls nicht den Geschlechternormen der damaligen Zeit entspricht, wild und frei ist, sich androgyn kleidet, nicht heiraten will und ihren Weg geht. Sie hat das Glück, von ihrem Vater die Campleitung übertragen bekommen zu haben und damit eine Aufgabe und ein Einkommen zu haben. Außerdem gibt es Judyta, eine junge Ermittlerin polnischer Abstammung, die es als eine der wenigen Frauen bei der Polizei nicht leicht hat, aber auch mutig ihren Weg gibt. Tracy, eines der Ferienkinder, die sich mit Barbara anfreundet und diese bewundert. Oder Louise, mit schwierigem familiärem Hintergrund, die im Camp als Sommerbetreuerin arbeitet und sich um die Zukunft ihres jüngeren und von der Mutter vernachlässigten Bruders sorgt. Alice, die Frau von Peter III, eine wenig selbstbewusste Frau, die von ihrem Mann und dessen mächtiger Familie unterdrückt wird und sich in eine psychische Erkrankung und die Einnahme von Medikamenten flüchtet.

Das sind nur einige der Figuren, die wir in diesem umfangreichen Buch sehr genau kennen lernen, denn es wird abwechselnd aus der Perspektive verschiedener Charaktere erzählt. Dadurch, dass somit Perspektive und Erzählzeit wechseln, bekommen wir einen sehr vielschichtigen, umfassenden Einblick in die Welt des Buches. Es werden insbesondere ganz verschiedene Frauenfiguren gezeigt, die jeweils mit den Normen und Beschränkungen ihrer Zeit zu kämpfen haben und sich ganz unterschiedlich dazu positionieren. Aus männlichen Perspektiven wird nur selten erzählt - wenn ich nichts vergessen habe, gibt es nur einen männlichen Protagonisten, dessen Sicht wir lesend kennen lernen können: Carl, der im Camp arbeitet, dem jungen Bear viel beibringt und ihn als letzter vor dessen Verschwinden gesehen haben soll. Es könnte sein, dass das Buch mit dieser Darstellung eher weibliche als männliche Lesergruppen anzieht. Ach ja, und Jacob, einen verurteilten Frauenmörder, der aus dem Gefängnis ausgebrochen und auf dem Weg in diese Gegend ist, und der aus dessen Perspektive ganz selten zwischendurch auch erzählt wird.

Es ist keineswegs offensichtlich, was mit Bear und mit Barbara geschehen ist, und bis zum Ende des Buches gibt es so einige spannende Überraschungen, die sich aber durchaus plausibel in die Handlung einfügen. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass für klassische Thriller-/Krimi-Lesende die Handlung etwas zu langsam voranschreitet bzw. sich in zu vielen Nebenaspekten verliert... um dieses Buch zu mögen, sollte man sich schon für mehr interessieren als für die Spannungsaspekte alleine (obwohl das Buch sich durchaus sehr spannend liest) und auch die sozialen Hintergründe interessant finden.

Es ist ein gutes Buch, ein solider literarischer Thriller, den ich sehr gerne gelesen habe und der mir neben Unterhaltung auch Aspekte zum Nachdenken geboten hat. Sehr geschätzt habe ich auch die leserfreundliche und hochwertige Gestaltung des Buches: so gibt es etwa eine Übersichtskarte des Camps und außerdem am Anfang der Kapitel Zeitleisten, die die Orientierung, wo wir uns zeitlich gerade in der Handlung befinden, sehr erleichtern.

Für ein 5-Sterne-Buch fehlt mir dennoch ein bisschen etwas. Insbesondere in der Auflösung und Verbindung der Handlungsstränge am Ende gab es Aspekte, die ich in Bezug auf die vorherige Figurenzeichnung und -entwicklung nicht sonderlich plausibel gefunden habe, dafür einen Stern Abzug (inhaltlich mehr dazu zu erwähnen würde spoilern). Dennoch insgesamt ein wunderschön gestaltetes, unterhaltsam und spannend geschriebenes und lesenswertes Buch.

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Veröffentlicht am 14.03.2025

Sensibel erzählte Geschichte von sozialem Abstieg

Bis die Sonne scheint
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Christian Schünemann, bisher eher für Krimis bekannt, hat sich mit diesem Roman in den Bereich der autofiktionalen Literatur begeben, und das gleich in hoher Qualität. In "Bis die Sonne scheint" erzählt ...

Christian Schünemann, bisher eher für Krimis bekannt, hat sich mit diesem Roman in den Bereich der autofiktionalen Literatur begeben, und das gleich in hoher Qualität. In "Bis die Sonne scheint" erzählt er einen Ausschnitt aus seiner eigenen Familiengeschichte, basierend auf seinen Jugenderinnerungen sowie auf vielen Briefen, die die mittlerweile verstorbene Mutter mit ihrer in Amerika lebenden Schwester ausgetauscht hat.

Überwiegend spielt die Handlung in den 1980er Jahren, doch es gibt auch immer wieder Rückblenden in frühere Zeiten, sodass wir erfahren, woher die väterliche und die mütterliche Seite der Familie kommen, wie die Eltern aufgewachsen sind und was sie geprägt hat. Das schafft nochmal mehr Verständnis und Mitgefühl.

Durch die Augen des jugendlichen Daniels, der jüngste von vier Geschwistern und kurz vor der Konfirmation stehend, erleben wir, wie eine ehemals erfolgreiche und sehr fleißige Familie in immer größere finanzielle Schwierigkeiten gerät, vor denen die Eltern jedoch die Augen verschließen. Die unternehmerische Tätigkeit des Vaters läuft aufgrund veränderter wirtschaftlicher Bedingungen und eigener kurzfristiger Planung nicht mehr so wie früher, und auch die Versuche der Mutter, Geld zu verdienen, sind nicht dauerhaft erfolgreich, sodass bald der Exekutor vor der Tür steht und "Kuckuck-Pfändungsmarken" auf Klavier und Fernseher klebt.

Daniel muss sich für seine Konfirmation mit einer viel kleineren Feier und bescheidenerer Kleidung zufrieden geben, auch der ersehnte Frankreich-Trip mit der Schule ist nicht mehr möglich... und doch schmeißen die Eltern auch immer wieder impulsiv für scheinbar sinnlosen Konsum das Geld zum Fenster heraus, während die finanzielle Misere immer größer wird. Man will sich schließlich belohnen. Und man lebt in einer Zeit und einem sozialen Umfeld, in dem es extrem wichtig ist, zu zeigen, wer man ist und was man hat.

Aus der Nachkriegsarmut kommend haben die Eltern sich mit harter Arbeit und Fleiß ihren Wohlstand und Status bitter erarbeitet... umso schwieriger ist es, den Tatsachen des immer größer werdenden finanziellen Ruins ins Auge zu sehen... da fährt man lieber noch schnell ein letztes Mal auf Urlaub, dorthin, wo die Sonne scheint - während daheim das Haus demnächst zwangsversteigert wird und die Kaufinteressenten schon im Garten stehen.

Es ist eine Familiengeschichte von sozialem Aufstieg, Abstieg und Verleugnung. Ein Zeitporträt der 1980er Jahre in der BRD und der damals weit verbreiteten Werte. Dabei gelingt es dem Autor, seine Familie keineswegs vorzuführen oder zu verurteilen, sondern durch die vielschichtige und mehrere Jahrzehnte umfassende Betrachtungsweise und die sensible Charakterisierung der einzelnen Figuren auch Mitgefühl und Verständnis für sie zu schaffen.

Sprachlich liest sich das Buch angenehm, locker und unterhaltsam, ist vom Stil her zugänglich und interessant, und regt bei aller Leichtigkeit doch zum Nachdenken über sozialen Aufstieg und Abstieg, Ehrlichkeit vs. Verschweigen in der Familie und in der Gesellschaft und generell die gesellschaftlichen Werte in der BRD im 20. Jahrhundert an. Wer zu dieser Zeit gelebt hat, wird einiges wieder erkennen. Wer jünger ist, kann einiges lernen, was zum besseren Verständnis älterer Generationen beitragen kann. Damit ist es ein empfehlenswertes Buch für eine breite Leserschaft.

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Veröffentlicht am 11.03.2025

Die letztlich unerfüllte Kinderwunschreise einer eher unreflektierten Frau

Lebensschlenker
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Mir fällt es schwer, eine Rezension über "Lebensschlenker" von Nova Meierhenrich zu schreiben. Das liegt darin, dass ich in meiner Beurteilung zwiegespalten bin. Einerseits habe ich großen Respekt vor ...

Mir fällt es schwer, eine Rezension über "Lebensschlenker" von Nova Meierhenrich zu schreiben. Das liegt darin, dass ich in meiner Beurteilung zwiegespalten bin. Einerseits habe ich großen Respekt vor allen, die so wie die Autorin mutig ihre eigene Geschichte teilen. Ihr Leben war in vielem nicht leicht, nicht nur hat sich ihr Kinderwunsch am Ende nicht erfüllt, sie hatte auch einen depressiven Vater, der sich am Ende das Leben genommen hat. Dafür hat sie mein Mitgefühl. Andererseits kann ich das Buch selbst nur teilweise empfehlen und insbesondere Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch würde ich eher zu anderen Büchern raten.

Die bekannte Schauspielerin und Moderatorin Nova Meierhenrich teilt in diesem Buch ihren sehr persönlichen Kinderwunschweg. Ein Wunsch, der sich nicht erfüllt hat... auch mit allen Mitteln der modernen Kinderwunschmedizin konnte sie am Ende nicht Mutter werden und musste mit dem Thema abschließen.

Wir lernen schon ganz am Anfang des Buches eine sehr disziplinierte, planungs- und zielorientierte Frau kennen, die meint, im Leben alles kontrollieren und steuern zu können. Nova weiß, sie will Mutter werden, und zwar am besten von einer Tochter, die sie "Luka" nennen will, nach dem Lied von Suzanne Vega. Diese Vision von ihrem Leben trägt sie seit ihrer Jugend jahrzehntelang in sich: "Und wie an allen anderen Plänen meines persönlichen Lebens-Moodboards hatte ich auch keinerlei Zweifel daran, dass irgendwann Luka zu meinem Leben gehören würde." (S. 13) Was wäre eigentlich, wenn sie mit einem Sohn schwanger geworden wäre? Wäre sie dann eine der Frauen gewesen, die beklagen, wie sehr sie unter "Gender Disappointment" leiden?

Auch ist sie bereit, diesen Weg, wenn nötig, ohne einen Partner an ihrer Seite zu gehen. "Es mag befremdlich klingen, aber ich habe schon in meinen Zwanzigern gewusst: Im Zweifel mache ich es allein. Mein Kind und ich." (S. 20). Doch noch nicht "jetzt", jetzt ist erst einmal die berufliche Karriere dran, reisen, feiern, Selbstverwirklichung. In dem Weltbild der Autorin sollte Kinder-Kriegen kein Problem sein, solange alle biologischen Parameter stimmen.

Um das sicherzustellen, lässt sie schon ab ihren frühen 30ern regelmäßig gynäkologisch ihren Anti-Müller-Hormon-Wert bestimmen. Dieser ist bei ihr ausgezeichnet, sie habe die Werte einer 10 Jahre jüngeren Frau, meinen die Ärzte, deshalb wiegt sie sich in Sicherheit, noch sehr lange problemlos Kinder bekommen zu können. Sie wartet bis zum reifen Alter von 42 Jahren, bis sie überhaupt ihre Kinderwunschreise startet, mangels passenden Partners an ihrer Seite als Solo-Mutter und mit Samenspende in Dänemark, da dieser Weg zu dieser Zeit in Deutschland rechtlich noch nicht erlaubt ist.

Sie wählt aus der riesigen Samenspenderbank den ihr am idealsten erscheinenden Spender aus, "Gordon", und unternimmt mit dessen Samen mehrere Versuche, erst einmal einer Insemination, in der Kinderwunschklinik. Schwanger wird sie nicht. Zwischenzeitlich muss sie weitere Samenhalme besorgen, doch jener von "Gordon" ist ausverkauft, was sie erst einmal in eine Krise stürzt, da sie sich innerlich schon so auf "Gordon" eingestellt hat. Doch schließlich entscheidet sie sich für einen weiteren Spender, und später noch einen weiteren, da auch dieser ausverkauft ist, und weitere Versuche. Irgendwann probiert sie dann IVF und ICSI aus, das klappt aber auch alles nicht, bis sie dann schließlich mit Mitte 40 bei einer Reise zum Nordkap mit ihrem unerfüllten Kinderwunsch abschließt.

Das macht drei Viertel des Buches aus. Danach folgen noch ein paar kurze Beiträge anderer Frauen - meist aus dem beruflichen und privaten Umfeld der Autorin - und Statements zu deren Leben als freiwillig Kinderfreie, nach einer Fehlgeburt oder als lesbische Frau im Co-Parenting mit einem schwulen Mann. Das soll die Vielfalt der möglichen Wege in Bezug auf das Kinder-Thema aufzeigen. Insgesamt plädiert die Autorin für einen toleranteren, freieren Umgang mit dem Thema und für mehr Sensibilität in Bezug auf ungefragte Kommentare und Nachfragen dazu.

Ich muss ehrlich sagen, sonderlich sympathisch war mir die Autorin in diesem Buch nicht. Sie hat einen gewissen Humor und einen lockeren, frischen Schreibstil, wirkt aber wenig reflektiert und nicht sehr zugänglich. Sie ist sehr überzeugt davon, dass die Selbstbestimmung der Frau über ihr Leben über allem steht - zweifellos ein wichtiger Wert, aber sie wirkt auf mich wie eine recht einsame Frau, die insbesondere die Perspektive des Kindes zu wenig in Betracht zieht (aber zumindest will sie sich für eine offene Spende entscheiden, damit das Kind mit 18 die Möglichkeit hat, seine Abstammung zu erfahren).

Von ihrem Kinderwunschweg erzählt sie außer ihrer Mutter und einer einzigen Freundin jahrelang niemanden. Stürzt sich währenddessen in Partyleben und unverbindliche Dates und sucht dabei bewusst nur nach Männern ohne Kinderwunsch, diesen will sie ja alleine verwirklichen: Mit einem Partner gemeinsam hätte sie nur ein Kind bekommen, wenn sie den absolut perfekten Partner dafür gefunden hätte, was ihr - wie so gut wie allen Menschen mit diesen Vorstellungen - natürlich nicht gelungen ist.

Was mich aber am meisten geärgert hat an dem Buch, weil es Lesende, die sich noch nicht viel mit dem Thema auseinandergesetzt haben, in die Irre führen könnte, ist der geringe Wissensstand der Autorin über den Faktor Alter beim Kinderwunsch. Nicht nur am Anfang ihrer Kinderwunschreise, sondern auch noch beim Verfassen des Buches. So ist es ihr bis heute unerklärlich, warum sie letztlich kinderlos geblieben ist, obwohl sie erst mit 42 gestartet ist (in einem Alter, in dem statistisch auch mit Unterstützung von Kinderwunschkliniken die Erfolgschancen schon sehr gering sind).

Der gute AMH-Wert lässt sie daran glauben, viel länger als andere Zeit zu haben mit dem Kinder-Kriegen. Dabei lässt sie außer acht, dass dieser nur wenig über die (mit dem Alter meist stark abnehmende) Qualität der Eizellen aussagt, sondern nur über die Quantität, und auch stark schwanken kann. Dieses Thema wird im Buch überhaupt nicht behandelt oder kritisch reflektiert, stattdessen meint sie, an "idiopathischer", unerklärter Sterilität zu leiden (daran würden sehr viele leiden, wenn diese dadurch definiert wäre, dass man erst mit 42 zum ersten Mal versucht, schwanger zu werden, und es dann nicht mehr klappt).

Hoffnungslos naiv war schon der Beginn der Kinderwunschreise: selbst, als sie schon den Entschluss dazu gefasst hatte, hat sie noch weitere zwei Jahre gewartet (gerade zwischen 40 und 42 gibt es statistisch einen enormen Fruchtbarkeitsabfall), um alles medizinisch und finanziell genau zu planen, bevor sie dann mit 42 überhaupt den ersten Versuch unternimmt, schwanger zu werden. Traurig genug, dass niemand die Autorin genauer über diesen Faktor Alter aufgeklärt hat, als sie mit ihrem Weg begonnen hat (oder sie es nicht hören wollte? Das klingt auch immer wieder im Buch durch). Mich als Leserin macht es ärgerlich, dass sie es auch in der Reflexion in diesem Buch nicht mehr betont und sich nicht erklären kann, warum es nicht mehr geklappt hat.

Sprachlich ist das Buch sehr umgangssprachlich geschrieben, so schreibt die Autorin beispielsweise immer wieder vom "Loslaufen", wenn es um den Start ihrer Kinderwunschreise geht: "Und so stießen wir an Weihnachten 2015 gemeinsam an, als ich ihr erzählte, dass ich losgelaufen bin. 2016 sollte DAS Jahr werden. Ich war bereit." (die Autorin ist Jahrgang 1973).

Auch inhaltlich ist es keine Offenbarung... wir lesen über den Weg der Autorin und eingestreut, sowie in den Geschichten am Ende, leidenschaftliche Plädoyers dafür, dass jede Frau ihren eigenen Weg auf der Kinderwunschreise gehen und dabei gesellschaftlich unterstützt werden sollte. Kritisch betrachtet wird kaum etwas, auch nicht das Thema der Solo-Mutterschaft, zu dem nur angemerkt wird, es gäbe erste Studien, dass das Kindern nicht schaden würde (dem eine Vielzahl an Studien zu den gesundheitlichen und sonstigen Risiken, denen Kinder, die vaterlos aufwachsen, ausgesetzt sind, gegenüberstehen - das erwähnt sie aber nicht). Fundierte medizinische Informationen über die Kinderwunschreise oder auch nur wissenschaftliche Quellenangaben sucht man vergebens.

In meinem Umfeld habe ich viele Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch. Diesen empfehle ich dieses Buch ausdrücklich nicht, denn sie könnten sich über einige der erwähnten Themen und die mangelnde Selbstreflexion der Autorin sehr ärgern, vor allem aber auf nicht hinterfragte Fehlinformationen stoßen, so wie die Autorin selbst. Ich wüsste auch nicht wirklich, wie dieses Buch jemanden mit unerfülltem Kinderwunsch abgesehen von Binsenweisheiten unterstützen könnte. Somit empfehle ich das Buch nur jenen, die sich insbesondere für Nova Meierhenrich und ihr Leben interessieren, aber von dem Thema persönlich nicht sonderlich betroffen sind.

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Veröffentlicht am 10.03.2025

Tiefgründige und spannende Familiengeschichte in wunderschönem Natursetting

Stromlinien
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"Stromlinien", das neue Buch von Rebekka Frank, hat ein wunderschönes Cover, wie ich es selten gesehen habe: ein Boot mit einer paddelnden jungen Frau darin. Hinter ihr ist das Wasser türkisblau, also ...

"Stromlinien", das neue Buch von Rebekka Frank, hat ein wunderschönes Cover, wie ich es selten gesehen habe: ein Boot mit einer paddelnden jungen Frau darin. Hinter ihr ist das Wasser türkisblau, also eher seicht und ungefährlich, während vor ihr tieferes, dunkelblaues Wasser liegt, ein Bild für die Reise ins Unbekannte, das auch gefährlicher sein kann. Dazu noch die Stromlinien, die auch haptisch eingezeichnet sind.

Dieses Cover beschreibe ich so genau, weil es für mich sinnbildlich für dieses Buch steht: es ist eine zutiefst atmosphärische, vielschichtige und tiefgründige Familiengeschichte, die so spannend erzählt wird, dass es auch auf über 500 Seiten keine Sekunde langweilig ist. Ein Buch, das ich geliebt und verschlungen habe, und nach dessen Lektüre ich zwei Sachen sicher weiß: demnächst besorge ich mir auch das erste Buch dieser talentierten Autorin. Und ich würde am liebsten eine Reise in die Elbmarsche buchen, so schmackhaft hat mir das Buch diese Gegend gemacht!

Die Elbmarsche, die Gegend an der Elbe und an ihrem Nebenfluss Lühe, zwischen Hamburg und der Nordsee, dorthin versetzt uns dieses Buch. Und es versetzt uns so eindrücklich dorthin, dass ich auch nach dem Zuklappen der Buchdeckel immer noch die Bilder lebhaft in meinem Kopf habe und mit Enna die Elbe und Lühe im Boot auf- und abfahre. So viel habe ich über diese mir unbekannte Gegend gelernt: wie sehr die Gezeiten des Meeres noch weit in diese Flusslandschaft hineinwirken, sodass mehrmals täglich die Strömung des Wassers ihre Richtung ändert. Wie die Menschen diese Landschaft verändert haben, sodass der ursprünglich relativ flache Fluss Elbe nun eine bis zu 17 Meter tiefe Fahrrinne in der Mitte hat, in der die riesigen Containerschiffe zum Meer fahren oder von dort zurückkommen können, während der Fluss an den Rändern nach wie vor recht flach ist. Wie sich das auf das Ökosystem dort auswirkt und den Fluss aber auch gefährlicher macht, da dadurch zusätzliche Strömungen und Strudel entstehen. Und noch so vieles mehr.

Meine Begeisterung für dieses Buch geht tief, und dabei habe ich noch gar nicht begonnen, die eigentliche Geschichte kurz zu schildern: da gibt es die 17-jährigen Zwillinge Enna und Jale, die bei ihrer Großmutter Ehmi aufwachsen, da ihr Mutter Alea im Gefängnis sitzt. Alea ist dort seit 38 Jahren, und die Zwillinge wissen nicht einmal, was ihr vorgeworfen wird, es hat ihnen niemand gesagt, in der Familie herrscht Schweigen über dieses Familiengeheimnis, und noch über so einige weitere, die erst im Laufe des Buches gelüftet werden.

Enna und Jale haben, wie viele Zwillinge, eine extrem enge Bindung zueinander, erzählen sich alles, haben eigentlich keine Geheimnisse voreinander, verstehen sich ohne Worte... bis es auf einmal nicht mehr so ist. Denn an dem Tag, an dem die Mutter aus dem Gefängnis entlassen werden soll und auf den die Zwillinge so hingefiebert haben, taucht nicht nur die Mutter Alea nicht auf... nein, auch Jale verschwindet in der Nacht davor spurlos, sodass Enna alleine vor der Gefängnispforte steht.

Besonders macht das Buch, neben den tollen Naturbeschreibungen, dass wir die Familie aus verschiedenen Perspektiven kennen lernen: über jedem Kapitel steht, in welcher Zeit wir gerade sind, und es gibt neben vielen Kapiteln aus der Jetzt-Zeit im Sommer 2023 auch solche aus der Zeit, als Alea jung war und es zu ihrer Inhaftierung kam (1984/85), aus der Zeit danach, aber auch aus Ereignissen in der Familiengeschichte, die weit früher zurückreichen, bis zu 100 Jahre, und dennoch bis heute ihre Auswirkungen haben.

Psychologisch besonders interessant sind die pathologischen Persönlichkeitsmuster, die sich durch die Familie ziehen und bisher nicht reflektiert und aufgearbeitet wurden, aber von außen gut zu erkennen sind: fast alle Familienmitglieder neigen zu Distanziertheit und Verschlossenheit in ihren Beziehungen zueinander und zu anderen, aber auch zu einer aufbrausenden Impulsivität, die zu Übersprungshandlungen mit manchmal drastischen Konsequenzen führen kann. Dieser Persönlichkeitszug eint sie, doch ansonsten sind es ganz unterschiedliche Charaktere, die authentisch gezeichnet werden, sodass man sie sich gut vorstellen kann, mit ihnen mitfiebert und sich ihnen verbunden fühlt.

Insgesamt ist "Stromlinien" also ein Meisterwerk, das auf so vielen Ebenen überzeugt: Familiendynamik, Charakterdarstellung und -entwicklung, Dramaturgie und Spannungsaufbau, Multiperspektivität und authentisches Hintergrundsetting in den bezaubernden Elbmarschlandschaften. Wie im Nachwort ersichtlich wird, hat die Autorin für das Buch akribisch recherchiert, und so kann man bei der Lektüre auch einiges über verschiedene Themen lernen, denn auch, wenn die Figuren fiktiv sind, haben so einige Hintergrundinformationen einen wahren Hintergrund.

Ich empfehle dieses Buch allen, die anspruchsvolle Literatur und tiefgründige Familienromane mögen, aber auch denen, die sich einfach gut unterhalten lassen möchten, dieses Buch bietet das alles! Besonders mögen werden es außerdem alle, die die Natur lieben und insbesondere Flüsse und Wasser lieben.

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Veröffentlicht am 07.03.2025

Dieses Buch weiß nicht, was es sein will

Die Zeit der Fliegen
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"Zeit der Fliegen", das neue Buch von Claudia Pineiro, knüpft lose an ihr vor etwa zwei Jahrzehnten erschienenes Werk "Ganz die Deine" an, in dem Inés die Geliebte ihres Mannes ermordet und dafür für 15 ...

"Zeit der Fliegen", das neue Buch von Claudia Pineiro, knüpft lose an ihr vor etwa zwei Jahrzehnten erschienenes Werk "Ganz die Deine" an, in dem Inés die Geliebte ihres Mannes ermordet und dafür für 15 Jahre ins Gefängnis kommt. Nun ist Inés wieder aus dem Gefängnis draußen und hat gemeinsam mit ihrer Freundin Manca, die sie dort kennen gelernt hat, das Unternehmen FFF - Frauen, Fliegen, Finale - gegründet. Tatsächlich handelt es sich dabei eher um zwei lose verbundene Einzelunternehmen, die wenig miteinander zu tun haben, da es sich um komplett verschiedene Geschäftsbereiche handelt: Manca betreibt eine Detektei, während sich Inés mit Ungeziefervernichtung beschäftigt.

Dann bekommt Inés ein verlockendes, aber unmoralisches Angebot von einer Kundin. Diese bittet sie, ihr ein hochwirksames Gift zu besorgen, denn auch sie möchte jemanden ermorden. Es sieht so aus, als würde es sich um eine ähnliche Geschichte handeln wie die mit Inés' untreuem Ehemann und seiner Geliebten. Für sowas hat Inés Verständnis und könnte das Geld gut brauchen...

Soweit zum Inhalt, ohne an dieser Stelle spoilern oder mehr verraten zu wollen. Liest sich ja ganz spannend und hätte ein sehr interessanter Thriller werden können. "Ganz die Deine" mochte ich sehr, das war ein unterhaltsames Buch mit tiefschwarzem Humor und kurzen Kapiteln auf knapp 200 Seiten. Hohen literarischen Anspruch musste man daran nicht legen, aber das passte zum Genre.

Aber "Die Zeit der Fliegen", was soll denn das nun für ein Buch sein? Von Aufmachung und Umfang (mehr als 300 Seiten) kommt es als ein Buch mit mehr Anspruch daher. Aber die Figuren sind ziemlich flach gezeichnet und haben kaum nachvollziehbare Entwicklung. Inés ist in weiten Teilen äußerst unsympathisch, sie lehnt sowohl ihre Mutter als auch ihre Tochter ab, obwohl insbesondere letztere ihr nichts getan hat, außer sie aus nachvollziehbaren Gründen nur einmal im Gefängnis zu besuchen. Immer und immer wieder muss man die Bezeichnung "die Frau, die ich auf die Welt gepresst habe" lesen, wenn es um ihre Tochter geht. Diesen Ausdruck und ihre immerwährende Wiederholung empfand ich als abstoßend und in seiner Häufigkeit unnötig. Auch den Mord an der Geliebten ihres Mannes bereut sie keineswegs und ist überhaupt kaum selbstreflektiert.

Dazwischen finden sich im Buch sehr theoretisch klingende Exkurse über Feminismus & Queerness. Aus welcher Perspektive diese erzählt sind, blieb für mich beim Lesen unklar - Inés traue ich dieses Niveau an Bildung und Reflexionsvermögen nicht zu. Somit stehen diese Teile weitgehend unverbunden im Buch, und das gilt umso mehr für die Passagen eines Chores zu Medea, dessen Bedeutung sich höchstens ganz am Ende teilweise als Metapher zeigt, aber insgesamt nicht sehr passend ins Buch eingebettet ist.

Ich weiß nicht, ob die Feminismus-Exkurse interessant sein könnten für Menschen, die davon noch nichts gehört haben (vermute aber, für diese sind sie wiederum nicht anschlussfähig genug): für mich war nichts Neues dabei, ich habe diese Exkurse überwiegend als uninteressant und langatmig empfunden und sie haben immer wieder ansonsten spannende Stellen unterbrochen. Wobei es sicher bis zur Hälfte des Buches gebraucht hat, bis überhaupt irgendeine Spannung aufgekommen ist.

Wäre das nicht schon genug der Genrevermischung zwischen banaler Latino-Telenovela-Tragödie und dem Versuch, das Lesepublikum feministisch zu bilden, gibt es auch noch die Exkurse über die Fliegen. Seitenweise erfahren wir über deren Lebeweise und Verhalten. Bezug zum Buch - abseits des Titels - besteht nur sehr am Rande, wir lernen etwa, dass Inés sich ihr Wissen über Fliegen durch Lektüre im Gefängnis angeeignet hat, und sie vergleicht die vielen ihr verhassten Frauen in ihrem Leben mit diversen Fliegenarten, auch für ihre ungeliebte Tochter hat sie einen bösen Vergleich. Am Ende gibt es einen eher banalen Vergleich zur angeblichen Zeitwahrnehmung der Fliegen. Ansonsten sind diese Exkurse aber für alle, die keine große Leidenschaft für Fliegen haben, eher langweilig und unterbrechen oft ansonsten spannende Stellen.

Würde man also die feministischen und die Fliegenexkurse streichen und auch sonst das Buch von der Handlung her deutlich straffen, hätte es ein interessanter Thriller werden können, ein bisschen ähnlich wie "Ganz die Deine". Für ein literarisch hochwertiges Buch bräuchte es deutlich mehr Figuren- und Charakterentwicklung und einen glaubwürdigeren Plot - speziell am Ende wird alles hollywoodreif in letzter Minute actionmäßig aufgelöst.

3 Sterne für das Bemühen, verschiedene Genres miteinander zu verbinden und dabei eine spannende Geschichte zu erzählen, auch wenn das nur streckenweise gelungen ist. Und als Anerkennung dafür, dass die erwähnten feministischen Diskurse in Lateinamerika möglicherweise neuer sind als hierzulande, und dementsprechend mit der Kenntnis dieses kulturellen Hintergrundes lehrreicher und etwas anders zu bewerten sein könnten. Empfehlen kann ich das Buch insgesamt leider nicht.

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