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Veröffentlicht am 21.10.2024

Ein ganz besonderer Lesegenuss für Fans nordischer Mythologie & Mystik

Sisters in Blood - Der Schwur
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Wie habe ich dieses Buch geliebt und mich jedes Mal schon so unendlich aufs Weiterlesen gefreut! Schon lange habe ich kein so spannendes Buch mehr gelesen, das Elemente aus historischem Roman mit Mythologie, ...

Wie habe ich dieses Buch geliebt und mich jedes Mal schon so unendlich aufs Weiterlesen gefreut! Schon lange habe ich kein so spannendes Buch mehr gelesen, das Elemente aus historischem Roman mit Mythologie, Fantasy und aktuellen Themen auf authentische Weise verwebt, authentische Charaktere und eine spannende Geschichte hat und dabei stets so interessant zu lesen ist!

"Sisters in Blood - Der Schwur" von Genevieve Gornichec ist eine moderne Interpretation nordischer Mythologie, angelehnt insbesondere an die isländische Saga von Gunnhild und Erik (die Geschichte selbst spielt allerdings nicht in Island, sondern überwiegend in Norwegen).

Es geht um drei Mädchen, die sich als Teenager durch einen Blutsschwur aneinander binden und dabei versprechen, sich immer gegenseitig zu unterstützen und füreinander einzustehen: die beiden Schwestern Signy und Oddny, und ihre Freundin Gunnhild. Und damit verbunden um eine Weissagung, dass eine der dreien das Schicksal der anderen beiden überschatten und verdunkeln würde und deren Wege untrennbar miteinander verbunden seien.

Signy wird schließlich als junge Frau von Räubern verschleppt, während Oddny sich retten kann und gemeinsam mit Gunnhild alles daran setzt, ihre Schwester frei zu bekommen.

Im englischsprachigen Original heißt das Buch "The weaver and the witch queen". Das zeigt schon an, dass entgegen der deutschsprachigen Beschreibung nicht alle drei Schicksale gleich viel Raum im Buch bekommen: hauptsächlich erleben wir das Buch aus der Perspektive von Oddny und Gunnhild sowie weiterer Personen in ihrer Umgebung. Diese erleben auf der Suche nach der verschleppten Signy viele spannende Abenteuer, schließen Freundschaften, müssen entscheiden, wem sie vertrauen können und wem nicht usw.

Spannend habe ich auch gefunden, dass die Frauenrollen in dem Buch eine Mischung aus Tradition und modernen Ansätzen sind: es gibt Mädchen, die von ihren Eltern in arrangierte Ehen gedrängt werden, aber gleichzeitig auch Frauen, die als Hexen oder Wahrsagerinnen unabhängig leben und hoch respektiert werden, und sogar eine Anführerin einer Räuberbande und Kämpferinnen. Und Gunnhild heiratet aus freien Stücken (und um mehr Mittel zu haben, um Signy zu retten) den Königssohn Erik und handelt dafür knallhart diverse Bedingungen aus.

Derzeit gesellschaftlich aktuelle Themen wie Konsens in der Sexualität und generell vielfältige Formen der Geschlechteridentität finden ebenfalls Platz im Buch. So gibt es auch queere Charaktere und die Autorin schreibt im Nachwort, dass sie sich selbst dieser Community zuordne und es diese Menschen immer schon gegeben habe.

Für mich persönlich waren diese modernen Themen durchaus gut und authentisch ins Buch eingebaut und eine Bereicherung - unabhängig davon, wie die historischen Wikinger, über die ich viel zu wenig weiß, nun tatsächlich damit umgegangen wären. Für jemanden, der darüber gar nichts lesen will, ist es aber vielleicht kein Buch, dazu ist der Stellenwert dieses Themas zu prominent.

Insgesamt habe ich die verschiedenen Charaktere als liebevoll durchdacht erlebt, mit einer authentischen Reifung und Persönlichkeitsentwicklung im Buch. Das Buch hatte für mich insgesamt deutlich mehr Tiefe und hat mehr zum Nachdenken angeregt als viele andere Bücher aus der Kategorie "Historischer Roman". Besonders mochte ich auch die Bezüge zum nordischen Glaubens- und Mythologiesystem sowie die Praktiken der Frauen im Bereich Heilung, Zauberei und Wahrsagerei, das hat dem Buch einen ganz besonderen mystischen Touch gegeben.

Von der Autorin gibt es ein weiteres Buch, das bisher meines Wissens nur auf Englisch erschienen ist: "The witch's heart". Ich habe mir dieses schon besorgt und werde es auf jeden Fall auch lesen, wie auch zukünftige Bücher der Autorin, denn ich bin begeistert!

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Veröffentlicht am 20.10.2024

Berührende wahre Geschichten aus dem Berufsalltag einer Hospizschwester

Zwischen den Welten
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"Zwischen den Welten" von Hadley Vlahos ist ein ganz besonderes Buch einer mutigen und einfühlsamen jungen Frau, das in mir sicher noch lange emotional nachwirken hat und transformiert hat, wie ich über ...

"Zwischen den Welten" von Hadley Vlahos ist ein ganz besonderes Buch einer mutigen und einfühlsamen jungen Frau, das in mir sicher noch lange emotional nachwirken hat und transformiert hat, wie ich über den Prozess des Sterbens und damit das Ende des Erfahrungsprozesses im menschlichen Körper und den Übergang in ein unbekanntes Danach denke.

Sterben und der Tod - das sind Themen, mit denen sich viele Menschen lieber nicht so genau befassen, solange sie es nicht müssen. Und die uns doch immer wieder im Leben einholen, in Form geliebter Menschen, die wir durch den Tod verlieren, bis wir schließlich selbst an der Reihe sind. Hadley Vlahos wurde schon jung mit heftigen Themen konfrontiert: als Jugendliche hat sie den plötzlichen Tod eines guten Freundes miterleben müssen, dann wurde sie im Alter von 20 Jahren ungeplant alleinerziehende Mutter, hatte mit sozialer Ausgrenzung durch ihre sehr religiöse Familie und mit Armut zu kämpfen, und musste ihr Studium abbrechen, um ganz alleine für ihren Sohn zu sorgen.

Das ursprünglich von ihr geplante Studium und ihre ursprünglichen Berufswünsche (einer davon Schriftstellerin - wie schön, dass sie sich dem mit diesem Buch doch noch annähern konnte) ließen sich erst einmal nicht mehr realisieren... aber was möglich war, war die Ausbildung zur Krankenschwester und schließlich zur Hospizschwester. Im jungen Alter von 22 begann Hadley also, als Hospizschwester sterbenden Menschen zur Seite zu stehen, ihre Schmerzen zu lindern, für sie da zu sein und für einen möglichst angenehmen, sanften und selbstbestimmten Übergang aus diesem Leben zu sorgen.

Sehr persönlich und berührend erzählt Hadley in dem Buch sowohl aus ihrem eigenen Leben als auch aus ihrem Berufsalltag. Dazu schildert sie insgesamt etwa zwölf Fälle von sterbenden Menschen, die sie als Hospizschwester begleitet hat, meistens zu Hause bei den jeweiligen Menschen, gelegentlich auch im Spital. Wir erleben die Begleitung dieser Menschen hautnah mit, ab dem ersten Kontakt, den Hadley als Hospizpflegerin mit ihnen hatte, über die laufenden Kontakte bis zu ihrem Tod.

Dabei wird deutlich, wie einfühlsam, menschlich und mutig Hadley ist, wie sie mit all diesen Menschen eine nahe Beziehung eingeht und sich berühren lässt, aber gleichzeitig auch sich selbst reflektiert und daran arbeitet - zeitweise auch mit therapeutischer Unterstützung - an diesem fordernden Beruf, den die meisten nach kurzer Zeit wieder verlassen, zu wachsen statt auszubrennen.

Wir erleben mit, wie Hadley aus jeder Begegnung etwas für sich persönlich mitnimmt, daran wächst und reifer wird und wie sie es am Ende auch schafft, gegen Ungerechtigkeiten und unnötige Formalismen und Hierarchien aufzubegehren und sich bedingungslos für das Wohl ihrer Schützlinge einzusetzen.

Auf der einen Seite kann das Buch also auch als Memoir über Hadley und ihren persönlichen Entwicklungs- und beruflichen Emanzipationsprozess gesehen werden.

Auf der anderen Seite vermittelt es aber auch über die Fallgeschichten viel Wissen über den Sterbeprozess und über die teilweise unerklärlichen Phänomene, die dabei immer wieder auftreten, unabhängig von vorigen religiösen Überzeugungen der Sterbenden: so gibt es zum Beispiel bei sehr vielen Sterbenden aller möglichen religiösen Hintergründe und auch bei Atheisten und Atheistinnen das Phänomen, dass diese am Ende ihres Lebens den Eindruck haben, von wohlmeinenden schon verstorbenen Angehörigen begleitet, getröstet und abgeholt zu werden, und zwar in einer Form, die sich von sonstigen Halluzinationen oder Wahnvorstellungen deutlich abgrenzt.

Und wir erfahren auch, dass der Tod, wenn er auf natürlichem Weg eintritt, oft ein gradueller Prozess ist, ein Immer-Weniger-im-Leben-sein, ein schrittweiser Abbau von Körperfunktionen und Bewusstsein, bis schließlich der tatsächliche Tod eintritt. Und dass dieser Prozess oft zeitlich relativ genau eingrenzbar ist: für mit dem Thema Erfahrene gibt es oft eindeutige Zeichen, dass der Sterbeprozess begonnen hat und der Tod sehr wahrscheinlich innerhalb der nächsten ca. 72 Stunden eintreten wird.

Es ist also ein in vielerlei Hinsicht lehrreiches und berührendes Buch, das wertvolle Informationen für alle bietet, die bereit sind, sich nicht nur intellektuell, sondern auch emotional (ich habe beim Lesen der Geschichten immer wieder weinen müssen) auf ein zwar dunkles und tiefgehendes, aber doch auch transformatives Thema einzulassen, das uns früher oder später alle betrifft. Absolute Leseempfehlung für alle, die mutig genug für diese Konfrontation sind!

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Veröffentlicht am 17.10.2024

Spannende und psychologisch authentische Trennungsgeschichte

Trennungsroman
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Eigentlich hatte ich ursprünglich gar nicht vor, dieses Buch zu lesen, schon gar nicht jetzt. Unter den aktuellen Neuerscheinungen bin ich auf das neueste Buch von Anna Brüggemann "Wo nachts die Kampfhunde ...

Eigentlich hatte ich ursprünglich gar nicht vor, dieses Buch zu lesen, schon gar nicht jetzt. Unter den aktuellen Neuerscheinungen bin ich auf das neueste Buch von Anna Brüggemann "Wo nachts die Kampfhunde spazieren gehen" durch seinen auffälligen Titel aufmerksam geworden, habe dann neugierig kurz nachgeschaut, was die Autorin sonst noch so geschrieben hat, ihr Debüt "Trennungsroman" gefunden, online in die Leseprobe reingelesen... und zack! Dieses Buch hat mich so gepackt, dass ich es mir sofort besorgen musste und all meine anderen Lesevorhaben erst einmal zur Seite geschoben habe, bis ich es ausgelesen hatte. Also das gibt schon einen ersten Hinweis darauf, wie unglaublich gut mir dieses Buch gefallen hat!

Worum geht es? Um eine Geschichte, wie sie sicher viele Millenials heute selbst oder in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis miterlebt haben: Thomas und Eva sind um die 30, leben in Berlin und sie sind seit 8 Jahren zusammen. Sind also also ganz junge Menschen zusammen gekommen, als beide studiert haben, und es war eine wunderschöne Liebesgeschichte, jahrelang. So vertraut sind sie miteinander, so sehr schätzen sie sich gegenseitig, betrachten sich mit liebevollen Blicken. Nun ist die Beziehung gereift und das Leben stellt die beiden vor die Frage, wie erwachsen sie nun eigentlich sein möchten und ob sie bereit für mehr Commitment und weitere Schritte sind. Und die Leidenschaft und sexuelle Anziehung, tja, die ist nach acht Jahren natürlich nicht mehr so wie am Anfang, sondern einer tiefen Vertrautheit gewichen.

Thomas hat Medizin studiert, er arbeitet als Assistenzarzt in einer Klinik, hinterfragt seinen Beruf und sein Leben und ob das alles so weitergehen soll. Er stammt aus einer sehr konservativen und erfolgreichen Familie, der Vater ist auch Arzt und hat ihm Fußstapfen aufgezeigt, die sich für Thomas zu groß anfühlen... so ehrgeizig, pflichtbewusst und diszipliniert seine Karriere und seine Lebensziele verfolgen, wie das der Vater getan hat und auch von ihm erwarten würde, das ist nicht er, so kann und will er nicht sein. Aber was dann?

Eva ist Geisteswissenschaftlerin, sie organisiert Kunstausstellungen in einem Museum und schreibt nebenbei an ihrer Dissertation. Die letzten zwei Jahre hat sie beruflich in Paris verbracht, in dieser Zeit konnten sie und Thomas sich zwar regelmäßig sehen, haben aber keinen Alltag miteinander geteilt. Nun kehrt Eva von ihrem Auslandsaufenthalt zurück nach Berlin und in die gemeinsame Wohnung und fühlt sich bereit für die nächsten Schritte. Sie möchte die Pille absetzen und in der nächsten Zeit gemeinsam mit Thomas versuchen, ein Kind zu bekommen. Als sie Thomas davon erzählt, bekommt er es mit der Angst zu tun...

Wie man schon aus dem Inhaltsverzeichnis erkennen kann, teilt sich dieses Buch in zwei ungefähr gleiche Hälften: die Zeit vor der Trennung und die Zeit danach. Wir wissen als Lesende also von Anfang an - auch schon durch den Titel - dass es zur Trennung kommen wird und diese ist also keine Überraschung für uns.

Das Buch beginnt 31 Tage vor der Trennung mit Evas Rückkehr aus Paris und endet etwa 14 Wochen nach der Trennung. Beide Phasen erleben wir sowohl aus Evas als auch aus Thomas' Perspektive mit, das macht das Buch besonders interessant. Wir spüren die schrittweise Entfremdung der beiden voneinander nach Evas Rückkehr, die gegenseitigen enttäuschten Erwartungen, die Hoffnungen und Träume auf eine gute Zukunft genauso wie die Erinnerungen an eine schöne gemeinsame Vergangenheit, und natürlich das soziale Umfeld beider in Form von anderen attraktiven oder interessierten Männern und Frauen, einem Freundeskreis, in dem viele Pärchen mittlerweile den nächsten Schritt gehen, heiraten oder Kinder kriegen, und die Rollenmodelle der eigenen Eltern, von denen die beiden sich abgrenzen möchten und sich doch nicht komplett lösen können. Dabei regt das Buch auch zum Nachdenken an über die eigenen Erwartungen ans Leben und darüber, was eine gute Beziehung ausmacht, wann es sich lohnt, für diese zu kämpfen und wann es Zeit ist, weiterzuziehen.

Es ist außerdem ein authentisches Porträt eines gewissen (sehr privilegierten, akademisch gebildeten) Teils der Generation der Millenials, mit unglaublich hohen Erwartungen an das eigene Lebensglück, auch projiziert auf die Partnerschaft und den Partner/die Partnerin, und der hoffnungslosen Idealisierung immerwährender sexueller Leidenschaft und tiefen Glücks und des Suchens nach immer grüneren Weiden, privat wie beruflich. Auch nach langem Medizinstudium und Ausbildung kämpft Thomas immer noch mit der Frage, ob er überhaupt Arzt sein möchte, und ist sich auch sonst nicht klar, wie er sein Leben gestalten möchte, ob er überhaupt Kinder möchte, und träumt von einer einjährigen Auszeit von allem, in der er die Welt bereist - und das mit 30. Aber auch Eva ist ihre berufliche und auch sonstige Selbstverwirklichung sehr wichtig, was sich unter anderem daran zeigt, dass sie bereitwillig zwei Jahre ohne ihren langjährigen Partner nach Paris gegangen ist und die Gefahr einer Entfremdung in Kauf genommen hat. Es gibt wenig Bereitschaft, sich auf pragmatische Kompromisse einzulassen oder wirklich auch Durststrecken miteinander zu überstehen. Das zeigt sich auch darin, dass der halbherzige Versuch Evas und Thomas, sich von einem Paartherapeuten unterstützen zu lassen, schon nach einer einzigen Sitzung scheitert.

Und so kommt es, wie es kommen muss... die Beziehung scheitert. Spannend ist, dass das Buch da nicht endet, sondern wir erst in der Mitte sind und noch weiter erleben, wie es beiden danach geht.

Insgesamt ist es ein sehr spannend geschriebenes und gleichzeitig psychologisch authentisches Buch. Wer aus dieser Generation und diesem Milieu ist, oder diese gut kennt, wird vieles darin wieder entdecken. Ich kann es allen empfehlen, die sich für die Psychologie moderner menschlicher Beziehungen interessieren, und gerne ein spannendes und gleichzeitig unterhaltsames Buch aus mehreren Perspektiven dazu lesen. Ich war begeistert davon und werde sicher noch weitere Bücher von Anna Brüggemann lesen.

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Veröffentlicht am 13.10.2024

Zauberhafte Mischung aus Coming-of-Age, Märchen und Dystopie

Im Morgenlicht
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"Im Morgenlicht" von Téa Obreht ist ein Buch, wie ich es so noch nie gelesen habe. Wir befinden uns in einer Welt unbestimmter Zeit, irgendwann in der Zukunft. Es ist eine dystopische Welt, viel ist verwüstet, ...

"Im Morgenlicht" von Téa Obreht ist ein Buch, wie ich es so noch nie gelesen habe. Wir befinden uns in einer Welt unbestimmter Zeit, irgendwann in der Zukunft. Es ist eine dystopische Welt, viel ist verwüstet, viele Tier- und Pflanzenarten gibt es nicht mehr (dafür ist Fleisch essen verboten worden), die Meeresspiegel sind angestiegen und vieles ist überschwemmt. Und doch gibt es auch zaghafte Versuche von gegenseitiger Unterstützung und Gemeinschaft.

In dieser Welt lebt die etwa 11-jährige Silvia, genannt Sil, mit ihrer Mutter und ihrer Tante Ena. Sie leben im "Morgenlicht", einem großen Wohnturm mit über 30 Stockwerken, im Rahmen eines Wiederansiedlungsprojekts für Geflüchtete in Island City, in einer größeren, weitgehend zerfallenen und überfluteten ehemaligen Stadt. Das Leben dort ist sehr karg, es gibt Lebensmittelmarken, die gerade für das allernötigste Überleben reichen, und auch ein Platz in der Schule kann Sil auf unbestimmte Zeit nicht zugewiesen werden. Sils Leben ist geprägt von offenen Fragen und Heimatlosigkeit: an die "alte Heimat", in der sie geboren wurde und aus der die Familie flüchten musste, als sie noch ein Baby war, erinnert sie sich nicht, dazwischen gab es eine Zwischenstation namens "Paraíso", die aber nicht sehr paradiesisch anmutet, und nun ist sie hier. Ihre Mutter arbeitet erst als Hausbesorgerin, später nimmt sie zusätzlich noch gefährliche, aber lukrativere, Aufträge als Bergungstaucherin an. Mit der Mutter daheim spricht Sil die Muttersprache "Unser", gleichzeitig ermahnt die Mutter sie immer wieder, dass es gefährlich sei, diese Sprache außerhalb der eigenen vier Wände zu verwenden.

Dennoch lebt Sil zumindest innerlich auch in einer Welt der alten Mythen und Märchen, die ihr insbesondere durch die Tante Ena vermittelt wird, die wesentlich lieber über die unbekannte "alte Heimat" spricht als Sils Mutter. In dieser Welt gibt es zum Beispiel Geschichten von magischen Wesen, die als "Vila" bezeichnet werden, eine Frauengestalt aus der alten slawischen Mythologie, uralt, mystisch und mit eigenen Werten und Regeln.

Und so nimmt das Mädchen Sil vieles durch diese Brille des magischen Realismus wahr, und ist zum Beispiel erpicht darauf, herauszufinden, was es mit der geheimnisvollen älteren Dame mit den Hunden auf sich hat, die im Penthouse ganz oben auf dem Wohnturm "Morgenlicht" wohnt.

Wir erleben das Buch durch Sils Augen, überwiegend durch die Perspektive der 11-jährigen Sil, mit gelegentlichen Ausblicken auf die ältere Sil ganz am Anfang und am Ende. Ich habe die besondere Szenerie des Buches sehr genossen, genauso wie die vielfältigen Bezüge auf die jüngere Geschichte, insbesondere auf die Balkankriege und die ethnischen, sprachlichen und kulturellen Herausforderungen (Bosnisch/Kroatisch/Serbisch sind sich so ähnlich... und doch erkennen viele an der Wortwahl, Betonung und Aussprache, woher jemand kommt und teilweise kann damit sogar auf die ethnische Zugehörigkeit geschlossen werden, auch darauf bezieht sich das Buch an einer Stelle) sowie auf die Mythologie des Balkans. Dazu muss ich aber ergänzen, dass mir persönlich der Balkan sprachlich und kulturell sehr vertraut ist - komplett ohne diesen Bezug wirken möglicherweise einige der Andeutungen in diese Richtung eher unverständlich bzw. brauchen genaueres Nachrecherchieren, wenn man sie verstehen möchte.

Das Buch selbst nimmt die Lesenden da ein bisschen zu wenig an die Hand und es gibt auch keine erklärenden Fußnoten dazu. Insofern verstehe ich auch andere Rezensionen von Menschen, die sich mit dem Buch da schwerer getan haben.

Es braucht schon ein Sich-Einlassen auf eine unbekannte, ganz fremdartige Welt mit ihrer ganz eigenen Logik und Mythologie und/oder ein tieferes Sich-Beschäftigen mit den Hintergründen, das aber dadurch erschwert wird, dass die Bezüge auf den Balkan niemals explizit genannt werden - man entdeckt sie nur, wenn man weiß, dass die Autorin die ersten 12 Jahre ihres Lebens in Serbien verbracht hat, und wenn man sich mit dieser Kultur schon ein bisschen beschäftigt hat.

Wenn aber diese Voraussetzungen gegeben sind bzw. man beim Lesen offen genug ist, sich einfach auf das Buch und seine Welt einzulassen, dann ist es ein ganz zauberhaftes, märchenhaftes Buch mit Elementen aus Coming-of-Age, Nachkriegsszenarien und Dystopie, das doch von seiner Grundstimmung her auch Hoffnung schenkt und gedanklich und emotional noch einige Zeit nachwirkt. Ich empfehle es allen, die mal etwas ganz anderes und Neues lesen möchten.

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Veröffentlicht am 10.10.2024

Beziehungen zwischen Schwestern überschattet von Trauer und Sucht

Blue Sisters
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Schon das Titelbild der "Blue Sisters" gibt einen guten ersten Eindruck, worum es im Buch geht: wir sehen eine Frau, die sehr traurig, verzweifelt und verschlossen wirkt. Die Blue Sisters sind die vier ...

Schon das Titelbild der "Blue Sisters" gibt einen guten ersten Eindruck, worum es im Buch geht: wir sehen eine Frau, die sehr traurig, verzweifelt und verschlossen wirkt. Die Blue Sisters sind die vier Mädchen der Familie Blue, die sich eigentlich einen Sohn gewünscht hatte, aber damit nie erfolgreich war.

Ich stelle mal die Schwestern vor, beginnend mit der ältesten: Avery, eine erfolgreiche Anwältin und mit einer Frau verheiratet, auf der die Verantwortung der Miterziehung ihrer drei jüngeren Schwestern schwer gelastet hat. Hochbegabt, sehr diszipliniert und mit einer kurzen, aber heftigen Suchtvergangenheit Anfang ihres Erwachsenenlebens, die sie aber doch überwiegend hinter sich lassen konnte. Dann Bonnie, die psychisch noch am gesündesten wirkt, Halt in ihrem Glauben findet und eine erfolgreiche Karriere im Box-Hochleistungssport verfolgt. Schließlich Nicky, die nicht mehr lebt, weil sie an zu vielen Tabletten gestorben ist. Die Endometriose hatte und dadurch chronische Schmerzen, die sie mit den Tabletten bekämpfen wollte, die aber auch eine beliebte Lehrerin war, sozial, liebenswürdig und offen, und sich so sehr eine eigene Familie mit Partner und Kindern gewünscht hat, wozu es aber nicht mehr kam. Dann die jüngste, Lucky, die als Teenager die High School abgebrochen hat, um eine erfolgreiche, aber problematische Karriere als Model zu starten, und die ebenfalls ein Suchtproblem hat.

In der Zeit ein Jahr nach Nickys Tod, aus der die meisten Szenen geschrieben sind, ist Avery 33 Jahre alt, Bonnie Anfang 30, und die beiden jüngsten in den 20ern. Die drei verbliebenen Schwestern trauern um Nicky, und das bringt manche Probleme, die sie auch davor schon in ihren Leben hatten, noch stärker zum Vorschein, bietet aber auch Gelegenheiten, wieder mehr miteinander in Kontakt zu kommen.

Dann gibt es noch die Eltern, die im Buch überraschend blass bleiben und nur gelegentlich in Erwähnungen oder kurzen Nebenszenen vorkommen.

Wir erleben das Buch - nach einer kurzen allgemeinen Vorstellung aller vier Schwestern und deren Charakteristika aus der Erzählerperspektive am Anfang - beim Lesen abwechselnd aus den Perspektiven der drei überlebenden Schwestern Avery, Bonnie und Lucky, während die verstorbene Nicky nur aus der Außenperspektive geschildert wird.

Wie schon im vorigen Absatz beschrieben, ist es den Schwestern überwiegend gelungen, jeweils extrem erfolgreiche Karrieren in ihrem Feld zu erreichen, trotz aller Probleme und Schwierigkeiten. Leistungsorientierung, Disziplin und Leidensfähigkeit sind wohl leitende Prinzipien in dieser Familie, und es scheint sich um extrem talentierte junge Frauen zu haben, die auch noch so viel Glück und passende Umstände haben, dass es mit den Karrieren klappt. Den "normalsten" Job, den als Lehrerin, hatte noch die verstorbene Nicky.

Gleichzeitig ist die Familie überschattet vom Thema Sucht, sowohl nach Alkohol als auch nach diversen Drogen und Tabletten sowie problematischem Sexualverhalten, und fast alle Schwestern kämpfen immer wieder mit einem großen Suchtproblem, das wohl auch schon mindestens den Vater und seine Herkunftslinie betroffen hat und sich durch das ganze Buch zieht. Dieses Thema nimmt auch insgesamt im Buch einen sehr großen Raum ein, einen größeren, als mir persönlich beim Lesen gut gefallen hat.

Es gab viele Szenen im Buch, die ich sehr mochte: insbesondere die, bei denen ich die Schwestern mit ihren individuellen Eigenschaften und in Beziehungen mit anderen Menschen oder miteinander näher kennen lernen konnte. Diese Teile hatten für mich Authentizität und Tiefe, die verschiedenen Persönlichkeiten kamen klar hervor, und sie waren spannend zu lesen. Gleichzeitig gab es aber auch immer wieder Stellen, die mich gelangweilt bis verärgert haben, in denen seitenweise Suchtverhalten in diversen Bars und Lokalen geschildert wurde, und die ich dann nur noch überflogen habe, um hoffentlich bald wieder zu einer interessanteren Stelle - von der es im grundsätzlich guten Buch ja viele gibt - zu kommen.

Insgesamt ist es ein Buch, das mir sehr gut gefallen hat und das auch emotional noch lange nachwirken wird. Ich finde es schön, wie differenziert die Beziehungen zwischen den Schwestern dargestellt werden und wie klar herauskommt, wie ambivalent und vielschichtig diese sein können und welche Elemente - etwa das gemeinsame Aufwachsen mit den gleichen Eltern und die Rollen, die das mit sich bringt, die ähnliche Prägung durch die Familie, die aber dann doch manches zwar vordergründig ähnlich aussehen lässt, aber die Schwestern in vielen Bereichen, kombiniert mit ihrer unterschiedlichen Persönlichkeit, wiederum doch in ganz verschiedene Richtungen gehen lässt - dazu beitragen, dass diese Beziehungen nochmal wesentlich anders sind als einfach Freundschaften zwischen Frauen. Ich habe selbst zwei Schwestern und habe so einiges wiedererkannt. Mir hat es auch gefallen, ein Buch speziell über Geschwisterbeziehungen zu lesen.

Wenn also das Suchtthema nicht dermaßen dominant und ausgebreitet worden wäre, dann wäre es für mich ein 5-Sterne-Buch. So gibt es einen Punkt Abzug dafür, insbesondere für die gefühlt zu starke Wiederholung der immer ähnlichen Suchtszenen, die ich bei Wiederholung gar nicht mehr gerne gelesen habe und die meiner Meinung nach auch nicht unbedingt dermaßen viel Raum einnehmen hätten müssen, um die grundlegende Botschaft des Buches, wie sehr diese Familie davon überschattet ist, rüberzubringen. Stattdessen hätte es mir gefallen, wenn die Beziehung zu den Eltern noch mehr Raum im Buch gekommen hätte - eine kurze Szene zwischen Avery und der Mutter ziemlich am Ende zeigt, dass dafür durchaus Potential gewesen wäre und das Buch und auch der Blick auf die vier Schwestern davon noch mehr bereichert werden hätte können.

Ich empfehle das Buch allen, die sich für Geschwisterbeziehungen, insbesondere solche zwischen Schwestern, interessieren, und die kein Problem damit haben, dass es trotz aller auch humorvollen Szenen und gelegentlicher schöner Momente über weite Teile auch ein sehr trauriges Buch ist.

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