Inselleben: zwischen romantischer Verklärung und täglicher harter Arbeit
Die Tage des WalsDas Buch "Die Tage des Wals" begleitet uns in eine den meisten wohl unbekannte Welt: auf eine kleine Insel, ca. 5 mal 1 Kilometer, im Atlantik westlich von Wales, einige Kilometer von der Festlandküste ...
Das Buch "Die Tage des Wals" begleitet uns in eine den meisten wohl unbekannte Welt: auf eine kleine Insel, ca. 5 mal 1 Kilometer, im Atlantik westlich von Wales, einige Kilometer von der Festlandküste entfernt. Dort lernen wir die 18-jährige Manod kennen, die dort seit ihrer Geburt mit ihrem Vater und ihrer jüngeren Schwester lebt. Es ist ein hartes Leben auf der Insel, die Familien leben vom Fisch- und Hummerfang, die Männer fahren, wenn es das Wetter und die Jahreszeit zulässt, täglich mit ihren Booten aufs Meer hinaus, und immer wieder kommen welche dabei um. Auch das Leben der Frauen ist geprägt von harter körperlicher Arbeit, frühem Heiraten, Kinder-Kriegen und oft frühzeitiger Verwitwung.
In diesem Kontext träumt die 18-jährige Manod von einem anderen Leben. Einem, das mehr bieten könnte als diese Härte und Tristesse. Einem, in dem sie nicht mit 18 schon heiraten soll. Vielleicht sogar studieren könnte, denn sie war eine gute und interessierte Schülerin, spricht als eine der wenigen neben ihrer Muttersprache Walisisch auch sehr gut Englisch. Doch es ist 1938, sie kennt nur das Leben auf ihrer Insel, und weiß anfangs gar nicht, dass Frauen, zumindest auf dem Westland, mittlerweile auch schon studieren dürfen in Großbritannien.
Dann wird ein Wal angeschwemmt, doch um diesen geht es nur am Rande. Viel mehr als zu sterben, zu verwesen und dann in Teilen zerlegt und verwertet zu werden, passiert nicht viel mit dem für dieses Buch titelgebenden Wal. Der Titel (im Englischen viel treffender "Whale Fall", das bedeutet Walsturz) ist somit eher als Metapher für die Entwicklung auf der kleinen Insel zu sehen, die an Bevölkerungsschwund leidet (neben Manod gibt es in ihrem Jahrgang nur einen einzigen weiteren Jugendlichen) und deren Elend immer mehr Menschen zu entfliehen suchen.
Durch den Wal kommen Wissenschaftler auf die Insel, ein Mann und eine Frau, universitär ausgebildet und mit dem Ziel, ein Buch über die Insel und die Lebensweise der Menschen dort zu schreiben. Manod wird aufgrund ihrer Sprachkenntnisse deren Sekretärin. Der Kontakt mit den Wissenschaftlern bringt ihr zumindest innerlich neue Perspektiven, sie sieht anhand des Beispiels der Frau, was alles beruflich mittlerweile für eine Frau, zumindest auf dem Festland, möglich sein kann. Dass es auch möglich ist, nicht zu heiraten und stattdessen eine berufliche Karriere anzustreben, frei und unabhängig zu sein.
Die Wissenschaftler selbst sind hingegen nicht sonderlich sympathisch und nur oberflächlich an der Kultur der Inselbewohner, und viel mehr an der eigenen Karriere und Selbstdarstellung interessiert... so sind ihnen sensationsheischende Effekte - auch auf Kosten von Authentizität und Sicherheit anderer - wichtiger als eine realitätsgetreue Darstellung. Dieser Konflikt ist im Buch sehr interessant dargestellt.
Insgesamt liest das Buch sich leicht und poetisch. Es ist in kurze Kapitel von einer halben bis zu meist maximal vier bis fünf Seiten geteilt. Hauptsächlich lernen wir die Insel aus Manods Perspektive kennen, gelegentlich angereichert durch Feldnotizen der Wissenschaftler.
Für alle, die sich fernab von verklärter Romantik für das wahre, entbehrungsreiche Leben in der damaligen Zeit auf so einer Insel interessieren, bietet das Buch auch als Roman interessante Einblicke. Darin, dies zu schildern, liegt auch der eindeutige Schwerpunkt des Buches. Die Begegnung mit den Wissenschaftlern ist eher eine kürzere Rahmenhandlung und führt auch nur langsam und in kleinen Teilen zu der angekündigten Entwicklung Manods. Insgesamt ist es aber ein spannendes, gut zu lesendes Buch in einem interessanten Setting.