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Veröffentlicht am 24.12.2019

Viele Fakten, wenig Einheit

Untrue
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"Untrue" hat mich mit seinem Thema und dem fetzigen Cover geködert und ich hoffte, dass es ein lockeres, nahbares Buch mit vielen Fakten ist. Letztlich war es ein Buch, das mich bereichert, aber insgesamt ...


"Untrue" hat mich mit seinem Thema und dem fetzigen Cover geködert und ich hoffte, dass es ein lockeres, nahbares Buch mit vielen Fakten ist. Letztlich war es ein Buch, das mich bereichert, aber insgesamt nicht glücklich gemacht hat. An das im Buch zitierte "Sex - die wahre Geschichte" kommt die Autorin nicht heran.

Meine Meinung zum Inhalt

Der englische Titel spielt sehr gut mit dem Thema - "untrue" bedeutet "unwahr"; "untreu" übersetzt man meist mit "unfaithful". Es geht weniger um die Frage, ob Untreue gut ist, sondern wie der Begriff und seine Verwendung insgesamt zu bewerten sind. Warum wird von Frauen erwartet, dass sie "treu" sind - und stimmt das? Nicht gut ist, dass sich der deutsche Titel und der Untertitel auf "Treue" beschränken, während der englische verspricht, dass es auch im Lust und Frauen (allgemein) geht. Das wird dem Buch besser gerecht.

Zuerst geht es im Buch darum, warum der Frau die Rolle zugeschrieben wird, bevor die Autorin den Sinn und Un-Sinn von "Treue" erläutert und mittels matriarchalischer Gesellschaften zeigt, dass auch Frauen manipulieren und bewusst "untreu" sein können. Leider greift sie dabei meist auf Affen zurück, was ich wenig aussagekräftig fand. Trotzdem war das ein sehr spannendes Kapitel.

Später zeigt uns die Autorin, wie wichtig Frauen auch heute noch das Ideal der "treuen" Frau ist und wie die Partner das ausnutzen. Bedrückend fand ich die Geschichte einer Frau, die ihren Mann betrügt, von ihm auf's Land gedrängt wird, damit er seiner Affäre nachgehen kann - und das später lange Zeit als ausgleichende Gerechtigkeit sieht. Ähnliches bei einem lesbischen Ehepaar, bei dem eine Frau aus der unglücklichen Beziehung in Form des Betrugs und später einer offenen Beziehung flieht - und dann zurückkehrt, weil ihre Frau das nicht möchte. Und die Schuldgefühle hat, weil sie ihrer Frau so etwas angetan hat. Ob der Betrug "gerecht" war, darüber kann man streiten, aber es hat mich sehr traurig und wütend gemacht. Als leider sehr typisches Gegenbeispiel wird eine offene Ehe am Ende genannt, bei der die Frau einen dritten Partner eingeführt hat, während der Mann mit anderen Frauen schläft - aber unter Einhaltung bestimmter Regeln. Ich fand das gut, aber die Autorin ist hier an eine Grenze gestoßen, weil sie das nicht analysiert, aufbereitet, sondern nur erzählt.

Ohnehin stört mich im Buch, dass uns die Autorin eher Fakten darlegt, als Erzählerin zu sein. Das Buch versucht an einigen Stellen brachial, Atmosphäre zu erzeugen, indem die Autorin das Aussehen und die Umgebung ihrer Gesprächspartner beschreibt - obwohl das für den Inhalt nicht relevant ist. Ich habe sie eher als Diener der Sache gesehen, denn als jemand, der aktiv daran teilnimmt, der den Leser mitnehmen will auf seine Reise. Was der Begriff "Treue" mit der Autorin zu tun hat, wusste ich nicht. Ich habe keine Bindung zu ihr aufgebaut und mir ging die Glaubwürdigkeit verloren.

Ohnehin habe ich nicht verstanden, warum das Wort "Untreue" nicht hinterfragt, sondern im ganzen Buch verwendet wird. Warum sollte jemand nicht loyal zu seinem Partner sein, wenn er mit anderen schläft? Kann man das von außen bewerten?

Ein Begriff, der für mich neu war, war "Fortpflanzungserfolg" - die Autorin erklärt das leider nicht ausführlich, sondern bindet ihn nur ein. Aber er bedeutet die Anzahl der überlebenden Nachkommen bzw. Maßnahmen, die sie erhöhen. "Untreue" kann den Fortpflanzungserfolg erhöhen, wenn sich die Frau z.B. in einer sozial schwachen Schicht befindet und offen lässt, wer der Vater des Kindes ist. Dann hat sie mehrere Männer, die sie versorgen, was von Vorteil ist.

Schuld an der Untreue ist übrigens ein alter Bekannter - die "Neolithische Revolution". In dieser Zeit wandelten sich die Menschen von umherziehenden Jägern und Sammlern zu sesshaften Ackerbauern. Die Techniken zur Bewirtschaftung verbesserten sich, bis die Erfindung des Pfluges den Wert von Mann und Frau trennte - trugen Frauen bis dahin gleichberechtigt zum Lebensunterhalt bei, konnte die schwere Arbeit des Pfluges eher von Männern durchgeführt werden, sodass die Frau am Herd stand und die Kinder versorgte. Manchmal ging dieser "Wertverlust" als Teil der Gemeinschaft bzw. "Wertsteigerung" als Objekt soweit, dass es sich manche Männer "leisten" konnten, eine "Frau am Herd" wie ein Schmuckstück zu haben. Dieser Werteverfall durch die patriachalische Gesellschaft reicht bis in die heutige Zeit.

Interessant fand ich, dass manche Frauen, besonders in weiblich organisierten Gesellschaften, weder "brav" noch "nett" sind. Ganz im Gegenteil: Sie nötigen Männer zum Akt, nutzen körperliche Nähe, um Bündnisse zu schließen.

Wie wurde das Wissen präsentiert?

Ich habe zum Erzähler keinen Zugang gefunden, konnte das Buch aber gut lesen. Mehr Erklärungen wären gut gewesen.

Es wird viel zitiert und das sehr korrekt - 512 Fußnoten gibt es, einschließlich des konkreten Wortlautes und der Stelle. Ich hätte mich gefreut, wenn man mehr davon eingebunden hätte, weil ich es, besonders bei kleiner Schrift, mühselig finde, die Fußnote auf dem Reader zu treffen.

In den seltenen Fällen, in denen mehr als eine Wortgruppe zitiert wird, ist diese mit einem Absatz abgegrenzt - in Grau. Das ist digital sehr schlecht lesbar.

Fazit

Der engliche Untertitel verspricht "Why Nearly Everything We Believe About Women, Lust, and Infidelity Is Wrong and How the New Science Can Set Us Free" - besonderes letztes habe ich nicht so empfunden. Die Autorin geht oft zurück zu den Ursprüngen, vergleicht mit Gesellschaften, die weiblich geprägt sind. Aber sie zeigt nicht, was wir in unserer (männlich) dominierten Gesellschaft ändern können, damit die Last der Untreue gleichmäßig auf beide Geschlechter verteilt wird. Warum (sexuelle) Untreue oft gleichgesetzt wird mit emotionaler Untreue. Im Nachwort relativiert die Autorin: dass das nur ein Ausschnitt aus einem sehr umfassenden Thema sei, dass ihre Forschung weitergeht usw. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich hier eher ein Klecks-Gemälde aus Fakten, vielen Zitaten anderer Forscher und einigen Geschichten habe. Aber kein stimmiges Ganzes. Immerhin habe ich einiges gelernt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
Veröffentlicht am 02.11.2019

Die alten Leiden junger Frauen in unserer Zeit

Drei Wünsche
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In diesem Buch sehen wir Frauen: Leiden. Das ist nicht neu, aber gut gestaltet. Ich hatte anfangs Probleme ins Buch zu kommen, weil es schwer war, die Biografien der drei Frauen aufzunehmen, aber als sich ...

In diesem Buch sehen wir Frauen: Leiden. Das ist nicht neu, aber gut gestaltet. Ich hatte anfangs Probleme ins Buch zu kommen, weil es schwer war, die Biografien der drei Frauen aufzunehmen, aber als sich alle drei begegneten, wurde es besser.

Rezi enthält Spoiler!

Worum geht es?

Der Text schildert die Leben dreier Frauen: Helena wird schwanger, aber die Schwangerschaft verläuft kompliziert, bis hin zur Frühgeburt. Gleichzeitig erkrankt ihr Vater an Krebs. Rebecca ist eine erfolgreiche Geschäftsfrau, die sich minderwertig fühlt und die damit hadert, nicht schwanger werden zu können. Maxie betrügt ihren Mann mit einem Freund ihres Vaters.

Die Figuren im Detail

Helena wirkte auf mich am positivsten, obwohl sie an drei Fronten kämpfen muss. Einerseits der Arbeitgeber, der schon kurz nach Verkündung der Schwangerschaft die Nachfolge regeln will. Hinzu kommt, dass sich Helena in der Schwangerschaft nicht wohlfühlt - der Körper verändert sich, frühzeitige Wehen setzen ein. Dann die Frühgeburt mit zahlreichen Arztbesuchen. Und die Krankheit des Vaters. Eines Vaters, der die Bezugsperson war; ein Mensch, mit dem sie kämpfen, aber genießen konnte. Den sie manchmal verachtete, weil er kein Maß kannte. Die Autorin beschreibt den Tod sehr ausführlich, aber feinfühlig.

Rebecca entwickelt sich am meisten in der Geschichte. Von der traurigen Frau wird sie zu einem Beistand für die anderen und findet ein ruhiges, versöhnliches Ende. Bei Rebecca habe ich gut den Konflikt aus Innen- und Außenwahrnehmung gesehen: Sie fühlt sich wertlos, aber ihre Kollegen sind sogar neidisch. Rebecca wirkt wie ein Arbeitstier ohne Boden. Dennoch hätte man das Thema "Fruchtbarkeit" noch etwas ausführlicher darstellen sollen.

Maxie hat mir am meisten Kopfzerbrechen bereitet. Als Leserin hätte ich sie gern angeschrien, weil sie die wertvolle Liebe beider Männer nicht sieht. Sie nimmt und nimmt und ihr ist nicht bewusst, was beide Männer geben. Sie hinterfragt nicht. Sie wirkt wie ein emotionales Loch. Während sie der Geliebte Bobby mit Liebe überschüttet, was sie genießt, aber nicht wertschätzt (und nicht hinterfragt), ÜBERschätzt sie die Liebe ihres Mannes Hannes. Sie arbeitet nicht an der Beziehung. Vielleicht ist sie selbstgerecht, denkt, es genauso verdient zu haben. Auch zeigt sich später eine selbstzerstörerische Ader - sie nimmt Drogen, und auch die Beziehung zu Bobby wird extremer. Ich fand sie interessant gestaltet, aber sie nimmt auch den meisten Raum ein.

Ich glaube, was alle Figuren eint, ist ein Mutter, die eher negativ wirkt. Und ein Vater, der verschwindet. Helena ist ein Papa-Kind. Rebeccas Mutter kann nicht verstehen, dass ihre Tochter Karriere machen will. Maxies Vater kann mit ihren Gefühlen nichts anfangen und zu seiner neuen Freundin hat sie kein gutes Verhältnis. Die Mutter ist tot.

Das Leiden

"Drei Wünsche" ist ein Buch, bei dem man ständig hofft, es würde besser werden. Und am Ende gibt es sogar ein Happy End für alle drei. Trotzdem entstand nach all den Seiten ein Vakuum, weil das Leiden aufhört, ohne, dass die Freude ankommt. Ich würde das Buch niemandem empfehlen, der bereits traurig ist. Das Buch zieht den Leser in die Tiefe.

Schreibstil

Die Texte sind aus einer auktorialen Perspektive mit personalem Einschlag geschrieben - der Erzähler ist meist liebevoll-beobachtend im Kopf der Figur, kann aber auch die Gefühle der anderen sehen. Er sieht jedoch nicht, was die anderen tun. Anfangs wirkte das kindlich, ich habe mich aber schnell daran gewöhnt und bin des Stils bis zum Schluss nicht überdrüssig geworden.

Fazit

Was bleibt? Das Gefühl von Gemeinschaft. Die Vielfalt der Trauer, vor allem über sich selbst und das vermeintliche Scheitern. Aber auch die Erkenntnis, dass hier weder neue Probleme noch Lösungen präsentiert werden. Es ist gut geschrieben und hat mich gefesselt. Aber ob es Spuren hinterlässt?

Veröffentlicht am 26.10.2019

Wer wie was war und warum?

Schutzzone
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Ich hatte das Buch gewählt, um mich mit der Thematik "Uno" zu beschäftigen. Letzlich war es ein Buch, das mich weder aufgeregt noch erheitert hat; das mich irgendwie beruhigt hat und das ich gern gelesen ...

Ich hatte das Buch gewählt, um mich mit der Thematik "Uno" zu beschäftigen. Letzlich war es ein Buch, das mich weder aufgeregt noch erheitert hat; das mich irgendwie beruhigt hat und das ich gern gelesen habe. Das aber keine Spuren hinterlässt.

Worum geht es?

Um Mira, die von ihren Eltern bei Darius einschließlich Haushälterin und Sohn Milan abgegeben wird. Darius ist eine Säule in ihrem Leben, ein Mann, der wochenlang verschwindet, offensichtlich für eine Organisation arbeitet und traumatisiert ist. Der Kosovo-Konflikt wird angedeutet, die politische Lage in Afrika spielt eine zentrale Rolle.

Meine Meinung

Dieses Buch ist nicht laut. Es hat keine spannende Handlung, Schauplätze und Zeitebenen werden erwähnt, sind aber nebensächlich. Und auch die Hauptfigur bleibt ein Phantom - sie treibt durch ein Leben, von dem man nicht weiß, ob sie es selbst gewählt hat. Sie handelt, wie man ihr aufgetragen hat, hat aber ihren Idealismus verloren. Ob sie die philosophischen Diskussionen beim Abendessen mit dem afrikanischen Rebellenführer mit Interesse oder Gleichmut ausführt, ist egal; sie tut es einfach. Und die Erkenntnis, dass darin ein Funken Wahrheit schlummert, macht das Buch so bitter. Denn während auf der einen Seite Hilfsbedürftige stehen, bleiben auf der anderen Schreibtisch-Täter, die sich die Zeit damit vertreiben, in abgeschottenten Ressorts auf Aufträge zu warten oder versuchen, falsche oder absurde Fakten möglichst unauffällig in Berichte zu schmuggeln. Je wichtiger der Bericht, desto mehr Anerkennung. Wahr auch: Beziehungen gehen daran kaputt. Ob man zuhause sitzt und auf seinen Partner wartet oder ob man im Hotel sitzt und auf seinen Partner wartet, das ist egal. Und betrifft real Menschen, deren Partner für große Unternehmen um die halbe Welt reisen. Das große Nichts macht das Buch so traurig.

Fazit

Das Buch hat mir interessante Denkanstöße gegeben und gezeigt, dass Menschen in Krisengebieten nicht nur Helfer, sondern auch Menschen sind. Bitter, aber spannend. Trotzdem ein Buch, das kaum Spuren hinterlässt.

Veröffentlicht am 26.10.2019

Viel zu sagen, aber zu wissenschaftlich

Yalla, Feminismus!
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Ich habe das Buch angefordert, weil ich die Autorin aus den Medien kenne. Ich habe sie als eine mutige Frau bewundert, die oft auf ihre Provokation reduziert wird. Ich hatte gehofft, dass es sie es schafft, ...

Ich habe das Buch angefordert, weil ich die Autorin aus den Medien kenne. Ich habe sie als eine mutige Frau bewundert, die oft auf ihre Provokation reduziert wird. Ich hatte gehofft, dass es sie es schafft, das Thema "Feminismus" vielseitig darzustellen. Letzlich war das Buch für mich überwiegend das - eine Provokation, der besonders in der ersten Hälfte die Argumentation fehlt.

Worum geht es?

Um Sprache im Rap. Kopftuch. Und Rassismus und Sexismus im akademischen Betrieb.

Inhalt im Detail

Der erste Teil bezieht sich auf Sprache im Rap und die Darstellung queerer und weiblicher Menschen innerhalb dieser Kunstform. Zwei Aspekte sind mir dabei in Erinnerung geblieben: Dass bei männlichen Gangster-Rappern vorausgesetzt wird, dass es stark überzeichnet ist und dass das Lyrische Ich wenig mit der Person dahinter zu tun hat. Bei weiblichen Rapperinnen erwartet man dagegen, dass sie meinen, was sie in ihren Texten sagen - und deswegen härter beurteilt werden. Derbe Sprache oft als Einladung verstanden wird, fröhlich beleidigen. Interessant war auch, dass Frauen sich die Verhaltensweisen der Männer aneignen, um respektiert zu werden. Ob das der "richtige" Weg ist, darüber darf man grübeln. Auch die sehr einseitige Darstellung von Frauen, die Heilige, mutter-ähnliche Figur im Gegensatz zur promiskuitiven, offenen Frau, hat die Autorin gut erklärt. Weniger gefallen hat mir, dass die Quellenlage dürftig ist. Es werden nur wenige positive Beispiele für feministische Rap-Texte genannt und überhaupt kommen nur "Mainstream-Rapperinnen" vor. Dass es einige unbekannte Rapperinnen gibt, die auch ohne Gangster-Slang auskommen, wird wenig erwähnt. Oder die Tatsache, dass eine weibliche Rapperin in einem Wettbewerb weit gekommen ist - und dafür von einigen als Quotenfrau verspottet wurde, von anderen gelobt wurde, dass sie eine gute Rapperin ist, obwohl sie sich gegen all die Männer behaupten muss. Mich hätte die Auseinandersetzung damit interessiert. Schwierig finde ich auch, dass die Autorin einen Einblick in das Musikgeschäft gibt, aber an der Oberfläche bleibt. Sie arbeitet gut heraus, wie vermeintlich selbstbewusste Frauen von männlichen Produzenten ein Stück passend gemacht werden, damit sie als besonders feministisch erscheinen. Oder den Spagat, mit berühmten Rappern kooperieren zu können, dabei aber nur Klischees zu bedienen. Aber mir fehlt die Reflexion, warum - dass dahinter viel Geld steckt usw. Besonders bei Äußerungen zu und über Frauen bezieht sich die Autorin oft auf Interviews - und setzt sich nicht damit auseinander, dass sich Künstler in diesen Situationen repräsentieren und ein Bild von sich zeichnen wollen. Man kann argumentieren, dass auch die Leser dieser Medien glauben, was sie dort lesen. Und dass es wichtig ist, dass zu hinterfragen. Aber ich denke, wenn sie manche Künstlerin in anderem Rahmen befragt hätte, wäre das Ergebnis vielschichtiger gewesen.

Erzählt wird auch von Belästigungen. Schockierend fand ich, dass die Autorin selbst von einem bekannten Rapper öffentlich belästigt wurde - aber die Medien das nicht erwähnt haben. Allerdings wird das Bild an anderer Stelle verzerrt: Im Buch wird beschrieben, wie eine Musikjournalistin bei einem Interview von einem männlichen Rapper verbal und körperlich angegriffen wird, was aber von ihrem Kollegen und von ihr selbst heruntergespielt wird. In der Fußnote am Ende des Buches (!) erfährt man, dass der Kollege nur per Telefon zugeschaltet war. Belästigungen sind schrecklich, aber dass hier ein unvollständiger Eindruck erweckt wird, das fand ich schlecht für die Glaubwürdigkeit.

Ohnehin ist die Präsenz der Ich-Erzählerin in diesem Abschnitt sehr stark. Es geht um ihre Jugend, um den Mut, auf Bühnen zu gehen. Aber auch darum, dass sie wegen ihrer Texte oft abgelehnt wurde, von Männern und Frauen. Dass es an Solidarität fehlt. Mein Eindruck ist, dass die Ich-Erzählerin ein Mensch ist, der viel zu sagen hat und sich gern für andere einsetzt. Eine Löwin. Die nicht gehört wird und daher versucht, mit Provokation Aufmerksamkeit zu erregen. Womit sie manche Leser - auch mich - vor den Kopf stößt und neue Klischees bedient z.B. die Abwertung arbeitsloser Menschen.

Außerdem stört mich, dass im Abschnitt oft von queeren Menschen gesprochen wird, aber keiner zu Wort kommt. Weder Rapper, die offen nicht-binär sind, noch andere Künstler. Nur auf die Kunstfigur Juicy Gay wird verwiesen.

Der zweite Teil ist wesentlich fundierter - was auch daran liegt, dass Frauen mit Kopftuch das zentrale Thema der Doktorarbeit waren. Das Thema wurde vielschichtig und anfänger-freundlich aufbereitet. Ich fand es sehr interessant zu lesen, welche Gründe das Tragen oder Nicht-Tragen des Kopftuches hat und dass die Auseinandersetzung mit Feminismus in islamischen Störmungen sehr tief geht. Es ist eine Beschäftigung mit der Interpretation und Übersetzung von Stellen aus dem Koran - so, wie man es auch von anderen theologischen Diskussionen kennt. Etwas, dass man als Mensch ohne religösen Hintergrund schwer verstehen kann.

Später geht es um Belästigungen im akademischen Betrieb. Ich fand es spannend, wie vielschichtig auch hier die Benachteiligungen sind und wie sehr das System sich selbst schützt z.B. in dem die Ansprechpartner gleichzeitig die Täter sind. Oder manche nicht zwischen Mensch und Künstlerin unterscheiden können. Leider fehlen auch hier Beispiele, die sie nicht selbst erlebt hat. Was aber auch daran liegt, dass Menschen das selten öffentlich machen.

Allerdings fehlt mir hier ein menschliches Puzzle-Teil: Sie betont oft, dass sie gern in der Wissenschaft arbeitet, dass ihr die Studien wichtig sind - aber die Begeisterung wird nicht spürbar. Wo ist die Verbindung zwischen der Frau, die sich benachteiligt fühlt und der Leidenschaft für das Fach?


Gestaltung und Schreibstil

Am Anfang des Buches findet man ein Glossar - was ich gut fand. Leider werden nur sehr wenige Begriffe erklärt und besonders im Kopftuch-Teil fehlt sovieles, das man in einem Glossar nicht erklären kann. Außerdem hatte ich bis zur zweiten Hälfte einige Begriffe wieder vergessen.

Große Probleme bereitet mir das Gender-Sternchen. Ich habe schon verschiedene Varianten gesehen und bis zum Ende gehofft, dass ich damit warm werde. Aber es hat mich ständig aus dem Fluss gebracht, weil ich dachte, dass eine wichtige Stelle kommt. Vor allem sind die tatsächlich wichtigen (und sehr interessanten!) Fußnoten untergegangen.

Den Schreibstil finde ich mittelmäßig wissenschaftlich. Es klingt nicht so korrekt wie in einer wissenschaftlichen Arbeit, aber die Autorin versucht, alles sehr genau zu beschreiben - und bläst damit das Buch auf. Bespielsweise ist im ersten Teil von der "deutschen Mehrheitsbevölkerung" die Rede. Das ist passend, weil es um Rassismus geht. Aber der Begriff wurde bereits erklärt, sodass es nicht notwendig ist, ihn immer auszuschreiben. Wenngleich natürlich jede Erwähnung ein Zeichen ist.

Auch das Nachwort ist eine tolle Zusammenfassung des Buches - liest sich aber wie in einer wissenschaftlichen Arbeit.

Menschen, die mit den Themenkomplexen nicht vertraut sind, werden mit dem Buch Schwierigkeiten haben.

Fazit

Gut gedacht, nicht so gut gemacht. Der Stil wirkt hoch, aber die Recherche hätte im ersten Teil tiefer sein können. Das Buch möchte "Lücken füllen", bleibt aber manchmal bei Klischees kleben. Dennoch wirft es interessante Gedanken auf und hat mich zum Nachdenken angeregt.

Veröffentlicht am 04.09.2019

Binary-canary lovestory

Work Play Love
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Ein junger Mann, der das Bild einer vollbusigen Superheldin zeichnet - und vor dem kurz darauf die Verkörperung dessen steht. Diese Szene hat mich begeistert und dazu geführt, dass ich das Buch weitergelesen ...

Ein junger Mann, der das Bild einer vollbusigen Superheldin zeichnet - und vor dem kurz darauf die Verkörperung dessen steht. Diese Szene hat mich begeistert und dazu geführt, dass ich das Buch weitergelesen habe - in der Hoffnung, es würde so gut bleiben. Leider erfüllt der Text diese Erwartung nicht, stattdessen versinkt er in Klischees und wird vor allem realen Nerds überhaupt nicht gerecht.

Worum geht es?

Nathan, ein schüchterner Zeichner bei einer Trickfilm-Produktions-Firma begegnet seiner Traumfrau, die in allem perfekt ist. Bis hin zu fiesen Bald-Ex, der noch besiegt werden muss.

Und ein paar Zeichnungen im Stile der Looney Toons gibt es. Das war hübsch!

Die Charaktere

Nathan ist Ende 20 (?), hat einen starken, selbstbewussten Bruder und nette Eltern. Er zeichnet gern und hat keine Probleme damit, zu seinen Wünschen zu stehen. Infolge einer Ex fühlt er sich im Bett nicht wertig genug, was sich aber schnell ändert, weil Brooke alles an ihm mag. Interessant finde ich, dass Brooke ihn optisch verändern will, letztlich aber akzeptiert, dass er mit Brille gut aussieht. Nathan hat tolle Ansätze, ihm fehlen aber Ecken und Kanten.

Brooke mag Comics und ist begeisterungsfähig. Gut finde ich, dass sie sich auf ihre Stärken konzentriert - sie kann nicht zeichnen, liebt aber den Bereich. Daher produziert und managt sie Künstler. Das ist eine wichtige Botschaft. Außerdem hat Brooke ein Problem mit ihrem Körper, was realistisch ist. Aber ich konnte es nicht nachfühlen, weil Brooke zu perfekt ist. Schon der Beginn war komisch - sie geht auf Nathans Avancen ein, ohne an ihren Freund zu denken - vielleicht, weil sie sich bereits entfremdet hat? Außerdem stellt sie sich als Versuchsobjekt für Nathans angebliche Schwärmerei zu einer Kollegin zur Verfügung - ohne Skrupel. Passenderweise werden die Szenen mit der Kollegin sehr schnell durch Zeitraffungen abgeharkt. Brooke ist sexuell willig, experimentierfreudig und bringt Nathan dazu, Grenzen zu übertreten. Ob er das auch will, ist nicht ganz klar. Ich fand Brooke nicht sympatisch.

Die Dramaturgie

Das erste Viertel war für mich spannend, weil ich vermutete, dass Brooke zu schön ist und die Auflösung noch folgt. Tat sie nicht. Stattdessen turnen die beiden durch die Betten, bis Oberfiesling Arnauld die Bühne betritt und es interessant wird. Kleine Nebenkriegsschauplätze gibt es mit Nathans Kollegin, dem Bruder, der jede bekommt, dem mysteriösen Comic und das war es. Ärgerlich war, dass die Fallhöhe beim finalen Konflikt extrem flach war und sich alles schnell löste.

Die Erotik

Die Szenen im Buch finden in Betten statt und die Techniken sind gewöhnlich. Die bereits tausendfach durchgekaute Vorstellung, in einem verlassenen, mit Kameras überwachten Büro zu akten, ist das einzig "Außergewöhnliche".

Fazit

Das Buch hat viel versprochen, wenig gehalten. Schade, dass man aus den Figuren nicht mehr gemacht hat. Und davon, dass die Autorin in dem Bereich tatsächlich gearbeitet hat, spürt man wenig. In der Zeit, die ich für das Buch verwendet habe, hätte mir ein "echter" Nerd keine Zeichnungen angefertigt, aber eine App programiert.

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