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Veröffentlicht am 03.06.2023

Wer ist die Mutter?

Das Baby ist meins
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Normalerweise steht ab und an die Frage im Raum „Wer ist der Vater des Kindes?“. In diesem Roman dreht sich alles darum, dass zwei Frauen behaupten die Mutter eines Neugeborenen zu sein. Dabei wird die ...

Normalerweise steht ab und an die Frage im Raum „Wer ist der Vater des Kindes?“. In diesem Roman dreht sich alles darum, dass zwei Frauen behaupten die Mutter eines Neugeborenen zu sein. Dabei wird die Geschichte aus der Perspektive eines jungen nigerianischen Frauenhelds erzählt, der mit der Zeugung des Babys kurioserweise rein gar nichts zu tun hatte. Er wird von seiner Freundin mitten im ersten Corona-Lockdown vor die Tür gesetzt und sucht im Haus des verstorbenen Onkels Unterschlupf. Dort trifft er nicht nur seine verwitwete Tante sondern auch die ehemalige Geliebte seines Onkels sowie einen Säugling an. Beide Frauen behaupten das Kind sei ihres und es läuft auf einen Kampf der hysterischen Hühner hinaus.

Der letzte Satz ist etwas salopp formuliert, geht es doch ums Kindeswohl. Leider besteht aber ein Großteil der nur 128 Seiten kurzen Erzählung aus Hühnerkämpfen zwischen den beiden. Der Mitte Zwanzig jährige Ich-Erzähler dient zunehmend als Vermittler und wird über wenige Tage hinweg scheinbar erwachsen.

Die Geschichte ist solide erzählt und mal etwas anderes für Zwischendurch. Allerdings wirkt der Roman ein bisschen, wie ein Lockdown-Lückenfüller. So richtig mitreißen konnte er nie und bleibt letztlich recht dünn. Die drei Figuren dieses Kammerspiels haben nur wenig psychologische Tiefe und hinterlassen kaum einen Eindruck. Nachvollziehbar sind ihre Persönlichkeitsveränderungen nicht wirklich. Die Sprache bleibt dabei unaufregend.

Allein der „Ungewöhnlichkeitsfaktor“ beschert dem Roman von mir noch gerade so 3 Sterne. Kann man gelesen haben, muss man aber nicht zwingend.

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Veröffentlicht am 03.06.2023

Eine gänzlich andere Welt

Ein anderes Brooklyn
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Das Brooklyn der 1970er Jahre und der ethnischen Minderheiten scheint wie eine andere Welt im Vergleich zum Bild vom „Disco“-New York der weißen Bevölkerung. Hier wurde Kinder erwachsen, die auf unsicheren, ...

Das Brooklyn der 1970er Jahre und der ethnischen Minderheiten scheint wie eine andere Welt im Vergleich zum Bild vom „Disco“-New York der weißen Bevölkerung. Hier wurde Kinder erwachsen, die auf unsicheren, dreckigen Straßen unterwegs waren. Die Mädchen waren jedoch einfach aufgrund ihres Genders und ihrer Race noch größeren Gefahren ausgesetzt.

Erzählt wird die Geschichte von August, welche zu einem Vierer-Gespann von Freundinnen gehörte, die in diesem anderen Brooklyn aufgewachsen ist. Sie erzählt größtenteils aus der Erwachsenenperspektive heraus von ihrem Aufwachsen, das jedoch sehr bruchstückhaft und nur an einzelnen szenischen Beispielen. Sie selbst ist mittlerweile Anthropologin, welche Beerdigungsrituale verschiedener Völker erforscht.

Durch die recht kurzen Textpassagen wirkt die Geschichte recht locker erzählt. Inhaltlich zeigen sich jedoch zunehmend die Erschwernisse eines Aufwachsens in dieser Gegend in dieser historischen Ära. Neben Armut, Missbrauch und Drogenkonsum wird die Verwahrlosung eines Viertels beschrieben. Leider bleiben viele Themen nur oberflächlich angekratzt oder lassen gänzlich eine historische Einordnung vermissen. Gerade die Perspektive der erwachsenen August hätte hier mehr Reflexionsfähigkeit bieten können. Zeitweise war ich von einzelnen Sätzen und Feststellungen im Roman emotional tief getroffen, aber über die nur 160 Seiten hinweg verpuffte dies wieder. Um einen tiefgreifenden Eindruck zu hinterlassen fehlten dem Roman vielleicht noch 100 weitere Seiten. Wäre ich nicht mit einem gewissen Vorwissen zum zeitlichen, räumlichen und ethnischen Rahmen an das Buch herangegangen, hätten sich mir einige Zusammenhänge nicht aus der Lektüre heraus erschlossen.

Schlussendlich handelt es sich durchaus um einen lesenswerten Roman, der sehr gut hätte werden können, wenn die Autorin etwas mehr Substanz geboten hätte. Für den Einstieg ist dieser jedoch sicherlich geeignet, um dann das Interesse an diese (im negativen Sinne) herausstechende Zeit in Brooklyn (und anderen ärmeren Stadtteilen) zu bieten.

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Veröffentlicht am 03.06.2023

Warten auf Godot… ehm Cecilia

Tage ohne Cecilia
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Der Titel von Becketts Theaterstück ist mittlerweile zur Redewendung geworden, meinend ein Zwang zu langem und vergeblichem Warten. Unser Ich-Erzähler in dem Roman von Molina ist ein älterer Mann, der ...

Der Titel von Becketts Theaterstück ist mittlerweile zur Redewendung geworden, meinend ein Zwang zu langem und vergeblichem Warten. Unser Ich-Erzähler in dem Roman von Molina ist ein älterer Mann, der aus New York mit dem gesamten Hausstand nach Lissabon umgezogen ist. Jetzt fehlt eigentlich nur noch seine Frau, Cecilia, die als anerkannte Neurowissenschaftlerin ständig im Labor oder auf Tagungen unterwegs ist. Vielbeschäftigt, weshalb sie, laut dem Ich-Erzähler, erst verspätet in Lissabon, dem gemeinsamen Altersruhesitz, ankommen wird. Die Tage vergehen und gehen ineinander über, man verliert beim Lesen das Zeitgefühl, aber dieses scheint der Erzähler auch verloren zu haben, wie so einiges anderes.

Sprachlich ganz herausragend bietet Molina hier die psychologische Studie eines Verstandes, der im Warten zergeht. Stolz erzählt der Protagonistin von den Forschungen seiner Frau und weiteren neurologisch-psychologischen wissenschaftlichen Erkenntnissen, aber auch von dem während des Wartens aus der Hausbibliothek angelesenen Wissens. So vertieft sich der Erzähler in der Autobiografie („Alone“) von Richard E. Byrd, der fünf Wintermonate allein in einer antarktischen meteorologischen Station verbrachte und scheinbar ähnliche Angstsymptome zeigte, wie auch unser Erzähler. Denn das sind die Themen, die sich durch die Gedanken des Erzählers und die Arbeit seiner Frau ziehen: Angst, Trauma, Krisensituationen. Der Erzähler überlebte mit seiner Frau 9/11 und schnell wird klar, dass sich seitdem in seinem Leben immer mehr verschiebt.

Moline erzählt dieses Kammerspiel dabei mit einer ruhigen, gefassten Stimme, nimmt sich Zeit für Beschreibungen und erhöht damit nur umso mehr die Spannung welche sich von Seite zu Seite steigert. Was ist mit Cecilia los, will man im Laufe des Buches immer dringender erfahren. Bevor sich der Autor zum fulminanten Finale aufmacht, stockt jedoch die Erzählung zu Beginn des letzten Drittels ein wenig. Zu ausufernd wird eine Szenerie geschildert, die später - meine Erachtens - keine tiefgreifende Rolle mehr spielt. Auch sprachlich erschient mir diese Passage weniger reizvoll wie der Rest des Buches. Der Autor findet jedoch zu seiner alten Stärke zum Schluss noch einmal zurück. Atemlos liest man die letzten Seiten und steigt vollends in die Psyche des Protagonisten ein. Das Ende lässt viele Deutungen zu, erscheint mir - so wie ich es deute - jedoch nicht komplett plausibel für die Lesenden. Dass das Denken des Protagonisten nicht immer plausibel und ihm auch nicht immer zu trauen ist, wissen wir zu diesem Zeitpunkt schon lange.

Dieser absolut lesenswerte Roman entführt seine Lesenden in die Psyche eines Mannes und in dessen Lissabonner Wohnung gleich mit. Bei kleineren Abstrichen zum Plot entscheide ich mich für die 4-Sterne-Bewertung bei insgesamt 4,5 Sternen. Ein wirklich feinfühliger Roman, der ganz anders als „Warten auf Godot“ nicht „nur“ zur Redewendung verkommen sondern definitiv auch tatsächlich gelesen werden sollte.

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Veröffentlicht am 03.06.2023

Die (unglaublich authentische) Kriegerin

Die Kriegerin
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In der deutschen Literaturwelt noch ein relativ unberührtes Thema aufzugreifen ist nicht so einfach. Zu fast allem ist schon vieles gesagt. Ein literarisch hochwertiger Roman über zwei Soldatinnen wirkt ...

In der deutschen Literaturwelt noch ein relativ unberührtes Thema aufzugreifen ist nicht so einfach. Zu fast allem ist schon vieles gesagt. Ein literarisch hochwertiger Roman über zwei Soldatinnen wirkt da regelrecht frisch und unverbraucht. Lisbeth hat ihre Grundausbildung bei der Bundeswehr vor vielen Jahren zusammen mit „Der Kriegerin“ absolviert. Die Kriegerin erhielt ihren Spitznamen in ebenjener Grundausbildung und behielt ihn seitdem. Während Lisbeth mittlerweile als Floristin arbeitet und gerade eben vor ihrem Leben in der Kleinfamilie mit Partner und Kleinkind geflohen ist, hat sich die Kriegerin für 12 Jahre verpflichtet und verbringt kaum ihre Zeit in Deutschland. Auf verschiedensten Auslandseinsätzen ist sie schon gewesen. Zuletzt ist es immer wieder Afghanistan, wohin sie geschickt wird. Nach vielen Jahren treffen sich nun die beiden zufällig im Winter an der Ostsee wieder und vertiefen eine zwischenzeitlich abgekühlte Freundschaft.

Sehr langsam und bedächtig erzählt Bukowski davon, was sogenannte „friedenssichernde Auslandseinsätze“ mit den Soldaten und Soldatinnen psychologisch machen. Denn dieser Roman ist über einen längeren Zeitraum erzählt. Immer wieder in regelmäßigen Abständen treffen sich Lisbeth und Die Kriegerin wieder, immer mehr sieht man dem psychischen Veränderung Der Kriegerin zu und steht dem ebenso hilflos wie Lisbeth gegenüber. Lisbeth, die an Neurodermitis leidet, einer Erkrankung, die so stark wie kaum eine andere psychosomatisch ihre Spuren hinterlässt. Die eigenen aber auch die psychischen Belastungen anderer schreiben sich in die Haut von Lisbeth ein. Durch Rückblicke erfahren wir Stück für Stück, was mit Lisbeth über ihr Leben hinweg passierte, bis zu dem Punkt, an welchem sie ihre Familie verlassen hat. Der Ausgangspunkt des Romans. Gleichzeitig treibt die Autorin die Handlung um Die Kriegerin voran und lässt alles auf ein spannendes Finale hinauslaufen.

Zwischendurch kommt es zu ein, zwei recht großen Zufällen, die den Plot vorantreiben und zum Schluss wird geht alles dann gefühlt sehr schnell. Mir hätte ein durchgängig ruhiger Erzählstil mit einem methodischen Freilegen der Vergangenheit und der Auswirkungen auf die Psyche der Personen in der Gegenwart etwas besser gefallen, als es dann letztlich die Autorin mit dem angezogenen Erzähltempo gelöst hat. Geschenkt.

Das ist nur Gemecker auf hohem Niveau, denn insgesamt beleuchtet der Roman ein bisher übersehendes Themengebiet dermaßen authentisch und mitreißend, dass ich die volle Punktzahl dieser wichtigen Geschichte nicht vorenthalten will. Mich hat der Roman von Helene Bukowski gepackt und in eine emotionale Achterbahn gesteckt. Es ist gut, dass es Frauen in der Bundeswehr geben darf, und gleichzeitig bedarf es einer tiefgründigen Auseinandersetzung damit, was dies speziell zur Folge haben kann. Viele Eindrücke im Kampfeinsatz werden wohl bei allen Beteiligten eine ähnliche Wirkung haben, aber manche davon sind nun einmal spezifisch weiblich und sie gehören benannt. Umso besser, dass sich Bukowski nun damit beschäftigt.

Meines Erachtens handelt es sich hierbei um ein definitiv empfehlenswertes, sehr gut recherchiertes Buch. Der Roman legt den Finger in verschiedene traumatische Wunden von Frauen, oder um im Koordinatensystem des Romans zu bleiben: er kratzt immer wieder die Wunden auf, die scheinbar in der (weiblichen) Menschheitsgeschichte nie verheilen und sich immer wieder entzünden.

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Veröffentlicht am 03.06.2023

Nicht die große Liebe

Eine Liebe
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In Sara Mesas von mir heiß erwarteten neuen Roman „Eine Liebe“ zieht eine Anfang 30-Jährige aus einer größeren Stadt aufs spanische Land. Mitten in die Provinz, nicht ans Meer, denn das kann sie sich nicht ...

In Sara Mesas von mir heiß erwarteten neuen Roman „Eine Liebe“ zieht eine Anfang 30-Jährige aus einer größeren Stadt aufs spanische Land. Mitten in die Provinz, nicht ans Meer, denn das kann sie sich nicht leisten. Nat ist Übersetzerin und versucht sich nun mit einer freien Literaturübersetzung über Wasser zu halten. Aber schon das Ankommen im neuen Dorf und im gemieteten Haus wird ihr nicht leicht - man könnte gar sagen besonders schwer - gemacht. Nicht nur vom schmierigen Vermieter auch von vielen der Ortsbewohner, die die Zugezogene nicht gleich ins Herz schließen wollen. Mit Píter freundet sie sich an, einen verwahrlosten Hund bekommt sie vom Vermieter abgetreten und so macht sie sich auf, das Haus in Stand zu setzen und den Garten zu bewirtschaften. Als das undichte Dach geflickt werden muss, macht ihr ein Anwohner, genannt „Der Deutsche“ ein scheinbar unmoralisches Angebot. Er schlägt ihr ein Tauschgeschäft vor: Sex gegen Handwerkerleistung.

Aus diesem Angebot entspinnt sich nun eine nicht nachvollziehbare Obsession von Nat bezüglich einer „Liebes-“Beziehung mit Andreas, Dem Deutschen. Nicht nachvollziehbar bleibt diese merkwürdige Geschichte, weil uns Sara Mesa zwar ausgedehnt an dem unablässigen Hinterfragen der Protagonistin bezüglich ihrer Einstellungen, Gedanken, Eindrücke etc. teilhaben lässt, jedoch nie irgendwelche Hintergründe bzw. tiefgründige Informationen zur Protagonistin anbietet. Nat ist unglaublich neurotisch angelegt in ihrer Persönlichkeit. Das kann funktionieren, sofern sie als Person im Roman dann auch irgendeine Arte von – wenn auch leichter – Veränderung durchlaufen würde. Tut sie aber nicht und das führte bei mir zu einer unglaublichen Abneigung der Protagonistin gegenüber. Unangenehm nervig schieben sich die Überlegungen von Nat in den Vordergrund, wobei sie trotzdem als Figur flach bleibt. Ebenso wie die vielen Nebenfiguren des Dorfes. Hier wäre Potential da gewesen, um eine interessante Studie zum Dorf aufmachen zu können. Aber auch das macht die Autorin nicht. Wir verbringen zu viele der nur 190 Seiten in der abstrusen Beziehung zwischen Nat und Andreas. Ein Einblick in die Vergangenheit Nats oder eine ausführlichere Erklärung ihres kuriosen Beziehungsverhaltens über eine zwei Zeilen lange Erwähnung eines Missbrauchs in der Kindheit hinaus, hätten den Roman eventuell noch interessant machen können. Aber nein, die Autorin wirft den Missbrauch als mögliche Erklärung mal eben so nebenher den Lesenden vor die Füße und diskreditiert damit das Thema vollkommen. Selten habe ich einen unglücklicheren Umgang mit einem solchen Thema in einem Buch gelesen.

Ein Paukenschlag, eine erklärende Wendung, irgendetwas dieser Art am Ende des Romans wären auch ein Weg gewesen, diesen noch zum Besseren zu führen. Aber auch hier verpasst die Autorin eine Chance und lässt ihn ausplätschern. Auf gefühlt einer halben Seite gibt es plötzlich eine Veränderung bei Nat, die aber in dieser Form nicht nachvollziehbar gestaltet wurde und die Lesenden ratlos zurücklässt. Von den nur 190 Seiten war ich in einem Maße genervt, dass man der Autorin schon fast anrechnen könnte, dass sie zumindest das mit dem Roman bewirkt hat. Ansonsten konnte sie bei mir leider gar nichts bewirken. Der Roman konnte mir nichts geben und ich bin froh, die Lektüre endlich beendet zu haben.

Empfehlen kann ich die Lektüre leider gar nicht. Mit den gegebenen 2 Sternen möchte ich lediglich anerkennen, dass die Autorin eine flüssige Schreibe hat, die sich – trotz Qualen ob des Inhalts – zügig bewältigen lässt. Mal davon abgesehen, dass man diskutieren kann, warum die Autorin ihren Roman überhaupt „Eine Liebe“ genannt hat, kann ich nur resümieren, dass der Roman für mich nicht die große Liebe war, im Gegensatz eher eine literarische Schreckensbeziehung.

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