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Veröffentlicht am 29.01.2024

Zu stakkatohaft erzählt, um mitreißen zu können

Wir Gotteskinder
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Wenn man die biografischen Angaben zur Auroin Nana Oforiatta Ayim auf dem Buchumschlag sowie im Internet mit der erzählten Lebensgeschichte der Ich-Erzählerin Maya vergleicht, wird deutlich, dass es sich ...

Wenn man die biografischen Angaben zur Auroin Nana Oforiatta Ayim auf dem Buchumschlag sowie im Internet mit der erzählten Lebensgeschichte der Ich-Erzählerin Maya vergleicht, wird deutlich, dass es sich bei diesem Roman mehr oder weniger um die eigene Geschichte der Autorin handeln muss. Denn Maya ist die Enkelin des verstorbenen Königs der ghanaischen Region Akeym Abuakwa, in Deutschland aufgewachsen, in Großbritannien studiert und später als Kuratorin tätig, nun wieder in Ghana lebend. Wie gesagt, stimmt für Maya wie für Nana.

Nun erzählt uns Ayim ihre Geschichte aus der Ich-Perspektive und vergisst meinem Gefühl nach ein wenig die Leser*innen ihres Werkes. Sie springt unvermittelt von einem Lebensabschnitt zum nächsten und von einer Anekdote zur nächsten. Leider ergibt sich dadurch ein wenig zusammenhängendes Bild einer Frau dieser Generation, deren Mutter nach Europa geschickt wurde, um mit ausgebildeten Kindern nach Ghana zurückkommen zu können und das Land voranzubringen. Als für Maya sehr wichtige Bezugsperson wird der Cousin Kojo eingeführt, welcher als Vollwaise von Mayas Mutter aufgenommen und wie ihr eigenes Kind aufgezogen wird. Kojo sei ein "Gotteskind", wie es nur selten in eine Familie geboren werde, dazu berufen, die alten Geschichten in die neue Generation zu tragen. Er ist damit die heimliche Hauptfigur des Romans, bleibt jedoch ungewöhnlich flach, ebenso wie fast alle anderen Figuren inklusive der Ich-Erzählerin. Der Roman heißt übrigens im englischen Original "The God Child", was in der Einzahl auch besser passt, als der Titel in der deutschen Übersetzung.

Leider schafft es der Roman trotz ein paar einzelner, aufschlussreicher Sequenzen für mich nicht, im Gesamten zu funktionieren. Er wirkt nie richtig rund, bruchstückhaft und lieblos erzählt. Manchmal konnte ich der Handlung gar nicht mehr richtig folgen, konnte nicht einschätzen, warum das Geschilderte jetzt wichtig sein soll. Mit einem großen Fragezeichen im Kopf lässt mich der Auszug aus "Das Buch der Geschichten", welcher am Ende des Buches abgedruckt ist, zurück. Dieses Buch wird im Roman häufiger erwähnt und scheint - wenn ich das überhaupt richtig verstanden habe - eine Aufzeichnung von Kojos Vater, also Mayas Onkel aus dessen Leben zu sein. Wenn so prominent ein Text angestellt ist, würde ich einen starken Erkenntnisgewinn daraus erwarten, einen Inhalt, der das zuvor Gelesene in neuem Licht erscheinen lässt. Leider ist dieses neue Licht für mich nicht aufgeleuchtet, vielleicht weil ich den gesamten Roman nicht in dem Maße verstanden habe, wie es dafür notwendig gewesen wäre. Meine Vermutung ist die, dass Ayim den Roman in einer speziellen Form, welche in Ghana traditionell typisch ist, angelegt hat, um eine Art des Geschichtenerzählens zu konservieren, die im Land immer mehr verloren geht. Dieser Art des Erzählens funktioniert aber leider nicht für mein europäisches Hirn. Auf Grundlage dieser Vermutung, dass hier mehr dahinter stecken könnte, bekommt das Buch von mir doch drei Sterne. "Verführerisch, poetisch, beispiellos", wie der Roman auf dem Cover beworben wird, war er für mich jedoch leider nicht.

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Veröffentlicht am 29.01.2024

A Girl Called Johnny

Johnny Ohneland
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"...verstanden als Vorgang des Ersetzens. Des Auswaschens gar und Ausschwemmens alles Schädlichen oder nicht zu Gebrauchenden, und zwar aus dir selbst, durch den Einfluss und das Einströmen des Unbelasteten ...

"...verstanden als Vorgang des Ersetzens. Des Auswaschens gar und Ausschwemmens alles Schädlichen oder nicht zu Gebrauchenden, und zwar aus dir selbst, durch den Einfluss und das Einströmen des Unbelasteten und Nötigen, schlechthin Neuen, einer Blutwäsche, die dir nach und nach zurückhülfe [nein kein Tippfehler!] zu einem Johnnysein, das dir verschwommen und flirrend, fatamorganisch, mit neun oder zehn vorgeschwebt hatte, oder sagte man: war?, es war eine Uneindeutigkeit darum bis ins Grammatische hinein, und eben nach ihr sehntest du dich."

Sooo, nur, dass schon einmal klar ist, worauf man/frau/mensch sich einlässt bei der Lektüre von "Johnny Ohneland"... Es handelt sich bei diesem Roman nämlich nur oberflächlich um einen Identitätsfindungs-/Entwicklungsroman. Das ist nur die Tarnung für ein Sprachgewitter proustschen Ausmaßes. Inhaltlich geht es um Johnny, die als Joana 1981 in einer Kleinstadt Nordostdeutschlands geboren wurde, deren Mutter als sie 17 Jahre alt war, mir nichts dir nichts die Familie verlassen hat und deren Weg wir nun zwischen den Genderidentitäten und sexuellen Orientierungen hin und her verfolgen. Diese Reise passiert nicht nur innerhalb von Johnny und ihren sozialen Interaktionen sondern findet auch rein physisch statt mit Zwischenstopps in Finnland und Australien.

Fast schon als eigene, eigenwillige und mehr als nennenswerte Romanebene agiert aber auch die Sprache. An diesem "Ort" des Geschehens, spielt sich mitunter viel mehr als im Plot ab. Der Roman ist in einer Du-Ansprache-Form geschrieben und von der Zukunft auf die Vergangenheit blickend, in einer grammatischen Form, die ich kaum benennen kann. Diese "Neigung" der besonderen Sprache und das Durchdeklinieren jeglicher Gedankengänge, die nicht nur Johnny sondern auch die Autorin zu haben scheint, wird sogar konkret benannt: "Wie erwartbar, wie variationslos das Leben in seiner Ambivalenz doch irgendwann wird, alles hat zwei Seiten mindestens, das trifft immer zu. Das trifft, immerzu. Aber nicht unbedingt ins Schwarze, die Resultate dieser schwer zu kontrollierenden Neigung, die Worte doppelt und dreifach nutzbar zu machen, ihnen zweite und dritte Ebenen abzupressen, nichts umkommen zu lassen."

Mir kam beim Lesen dieses 525 Seiten langen Buches der Gedanke, dass man per Zufall irgendwelche Seiten daraus bei einem Poetry Slam vortragen könnte und aufgrund der Sprachgewalt wahrscheinlich sofort das Highlight des Abends wäre. Meines Erachtens ist der Reiz an einem solchen Abend, dass die Beiträge zeitlich begrenzt und dadurch in ihrem Umfang eingeschränkt und pointiert präsentiert werden. Über das vorliegende Buch in seiner kompletten Länge hinweg verliert der Stil jedoch seinen Highlight-Effekt. Da wirklich gefühlt jeder Satz inhaltlich wie sprachlich durchdekliniert wird, verblassen die Highlights nebeneinander. Sie nerven sogar zunehmend, weil mal die Drehungen und Wendungen der Sprache und Sprichwörter schon vorhersieht, wie bei einem schlechten Wortwitz. Das ist schade, denn so zieht sich das Buch und auch das Interesse an der Story als solcher sinkt. Es ist ein Spiel mit der Sprache und jedes Spiel wird auf Dauer langweilig.

Trotz allem handelt es sich hier um ein lesenswertes und ebenso außergewöhnliches Buch, was von mir sehr gute 3,5 Sterne erhält.

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Veröffentlicht am 29.01.2024

Amüsante Sammlung

Gesichter
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In diesem dünnen Büchlein versammelt Vita Sackville-West auf 190 Seiten ganze 44 Rassehunde-Vorstellungen mit Wissens- und Schmunzelnswertem. Das Ganze ist nicht nur amüsant geschrieben, sondern enthält ...

In diesem dünnen Büchlein versammelt Vita Sackville-West auf 190 Seiten ganze 44 Rassehunde-Vorstellungen mit Wissens- und Schmunzelnswertem. Das Ganze ist nicht nur amüsant geschrieben, sondern enthält durchaus auch sachbuchartige Sequenzen, die jedoch stets von Sackville-Wests persönlichen Präferenzen und Erfahrungen durchzogen sind. Meist gibt es noch einen Bezug zu Großbritannien bzw. den Briten.

Die maximal vier Seiten kurzen Texte werden ergänzt durch Schwarz/Weiß-Porträtfotografien jeweils eines/r Vertreters/in der entsprechenden Hunderasse, die nicht immer "rassetypisch" aber immer "charakteristisch" geraten sind.

Dieses Buch ist nichts Weltbewegendes und schnell weggelesen, aber es eignet sich meines Erachtens gut als Geschenk oder für die eigene leichte Lektüre am Abend. Vielleicht ja nach der Hunderunde... ;)

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Veröffentlicht am 29.01.2024

Misogynie durch Staatsfeminismus?

Macht
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Karen Duve entwirft in diesem Roman eine nahe Zukunft im Jahre 2031, die eigentlich scheinbar recht positive politische Entwicklungen andeutet: Es gibt mindestens 50% Frauen in den Ministerien und Unternehmen, ...

Karen Duve entwirft in diesem Roman eine nahe Zukunft im Jahre 2031, die eigentlich scheinbar recht positive politische Entwicklungen andeutet: Es gibt mindestens 50% Frauen in den Ministerien und Unternehmen, durch ein CO²-Punktesystem werden die Bürger Deutschlands dazu angehalten sich einzuteilen, ob sie nun eine Flugreise unternehmen oder Fleisch essen (können), in Russland wurden Mammuts ausgewildert, um den Permafrostboden festzutrampeln und damit das Methan zu binden. (Auf den letzten Punkt komme ich später noch zu sprechen.) Trotz der Bemühungen scheint jedoch die Erde als Lebensraum für die Menschen am Ende. Umweltkatastrophen ziehen über den Planeten und, wer hätte es gedacht, religiöse Sekten schießen aus dem Boden.

Die gesellschaftlichen Umwandlungen erfahren wir aus den Erzählungen des Ich-Erzählers dieser Geschichte. Sebastian ist eigentlich um die 70 Jahre alt, aufgrund eines populären Medikaments sieht er aber aus wie Ende 30. Was die Autorin meines Erachtens großartig macht, ist diesen verachtenswerten Menschen psychologisch vollkommen schlüssig darzustellen. Denn obwohl er früher Umweltaktivist und Befürworter des Feminismus war, kann er an anderer Stelle auch ganz anders. Er ist nämlich ein psychopathischer Sadist. Er verachtet die Frauen für ihr hart erkämpftes Oberwasser und lässt diesen Hass an seiner Ex-Frau aus, die er seit zwei Jahren im Kellerverlies gefangen hält. Jede seiner verdrehten Einstellungen ist dabei (im Rahmen seiner Persönlichkeit) hochrealstisch und zeigt, wie perverse Gewalt gegen Frauen innerlich gerechtfertigt wird von bestimmten Tätergruppen. Dabei wird Karen Duve in ihren Schilderungen der (sexuellen) Gewaltszenen sehr konkret und drastisch. Das kann und will sicherlich nicht jeder Leserin aushalten. Meines Erachtens sind diese Szenen auch irgendwie nur aushaltbar, weil man im Hinterkopf hat, dass dieses Buch von einer Frau geschrieben wurde und sie etwas deutlich machen will damit. Die Beschreibung hätte es jedoch auch bei der ersten auftauchenden Szene getan und hätte nicht zwingend immer wieder so ausführlich geschildert werden müssen. Trotzdem finde ich dies im Rahmen des Gesamtwerks hinnehmbar. Sprachlich glänzt Duve in diesem Roman ohne Zweifel. Ich war von der ersten Seite an gefesselt und blieb es bis zum Schluss aufgrund des Könnens der Autorin.

Die Autorin macht im Rahmen des Plots viele Themen auf, die durchaus realistisch bzw. bezogen auf die Zukunftsszenarien wissenschaftlich fundiert sind. Das oben genannte Vorhaben mit den Mammuts wird z.B. tatsächlich derzeit angestrebt, so abwegig die (im Buch verwobene) Nachrichtenmeldung während des Lesens auch wirken mag. Über die ersten zwei Drittel des Buchs hinweg, hätte dieses für mich Potential für ein Jahreshighlight gehabt. Leider baut sich der Plot zum Ende hin zu einem deplatzierten Showdown auf, thematisch so angesiedelt, dass insgesamt der Roman nicht mehr rund wird. So bleiben leider zu viele (interessante und wichtige!) Themen angeschnitten. Eine Reduktion hätte dem Roman gut getan.

Trotzdem ist mir die Lektüre im Nachhinein eine eindeutige Leseempfehlung wert. Es muss jedoch klar und eindeutig vor den frauenverachtenden Szenen sexualisierter Gewalt gewarnt werden!

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Veröffentlicht am 29.01.2024

Eine Fahrt in die Bedeutungslosigkeit

Der Chauffeur
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Was die Sprache angeht sitzt Heinrich Steinfest "fest im Sattel", hätte ich fast gesagt. Aber nein, er "chauffiert" uns sprachlich sicher durch dieses Buch mit inhaltlich äußerst schlechter Fahrbahn. Okay, ...

Was die Sprache angeht sitzt Heinrich Steinfest "fest im Sattel", hätte ich fast gesagt. Aber nein, er "chauffiert" uns sprachlich sicher durch dieses Buch mit inhaltlich äußerst schlechter Fahrbahn. Okay, das waren jetzt vielleicht zu viele mittelmäßige Metaphern. Kommen wir zum Inhalt:

Paul Klee trifft zunächst in seinem Beruf als Chauffeur eine folgenschwere Fehlentscheidung, rettet den konservativen Politiker aus der in einem Unfall demolierten Limousine statt den kleinen Jungen im anderen Fahrzeug, bevor dieses Feuer fängt und alle Insassen sterben. Klee wagt einen Neuanfang mit einem Hotel und einer Frau. Das eine läuft sehr gut, das andere durch ein Ereignis nicht. Das Ereignis ist der Absturz eines Flugobjekts in der Nähe des Hotels, welches die Welt verändern wird. Und dann passieren noch viele andere Sachen, die nicht gerade zur Stimmigkeit und Realitätsnähe des Plots beitragen. Erzählt wird das Ganze durch Rück- und Vorschauen. Der plapperhafte Erzähler schert immer wieder in alle Himmelsrichtungen aus. Scheinbar zusammengehalten soll das durch die Stringtheorie werden. Alle "Fäden" (so heißen die Abschnitte des Buches) sind miteinander verbunden. Nur, auf welch wahnwitzige Art und Weise diese verbunden sind, kann ich nicht mehr folgen. Wobei "folgen" schon, es wird mir als Leserin ja nun auch wieder alles - aber auch wirklich alles - vom Erzähler erklärt. Nur "will" ich dem Erzählten, so abstrus es ist, nicht folgen. Die Charaktere sind alle (vielleicht bis auf Klee selbst) hochspeziell angelegt. Jeder hat eine ganz, ganz besondere Hintergrundgeschichte, besondere Fähigkeit, eine abgründige Persönlichkeit usw. Das ist einfach zu viel des Guten. Die Entscheidungen der Figuren nehme ich dem Autor einfach nicht ab, die Weltgeschichte wird für mich nicht rund.

So enttäuscht dieses sprachlich durchaus zu würdigende Buch in seiner Gesamtheit leider sehr. Es bleibt für mich keinerlei Take-Home-Message nach der Lektüre zurück.

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