Am Ende ist es Liebe
Genau so, wie es immer warDer Roman von Claire Lombardo schildert das Schicksal von Julia Ames und ihrer Familie auf mehreren Zeitebenen.
Im Rückblick einerseits die junge Julia, Mutter des dreijährigen Ben, eines ruhigen und ...
Der Roman von Claire Lombardo schildert das Schicksal von Julia Ames und ihrer Familie auf mehreren Zeitebenen.
Im Rückblick einerseits die junge Julia, Mutter des dreijährigen Ben, eines ruhigen und offenen Kindes, die in der Öde ihrer langen, einsamen Tage versinkt und das Gefühl hat, als Mutter und Frau nicht zu genügen. Sie ist überzeugt davon, immer alles “kaputtzumachen” und weiß selbst, dass ihr Zustand nicht mehr auf den schwankenden Hormonhaushalt nach der Geburt, sondern auf eine Depression zurückzuführen ist, unter der sie schon die längste Zeit leidet. Dabei hätte sie alles, was man sich wünschen kann: einen Mann, Mark, der sie innig liebt, ein gesundes, liebes Kind, ein schönes Haus in einer guten Suburb, dennoch kann Julia mit den Menschen um sich herum nichts anfangen. Jede zwischenmenschliche Interaktion fällt ihr schwer, wenn sie die Mütter anderer Kindergartenkinder trifft, würde sie am liebsten weglaufen, und auch Mark, ihrem ruhigen und gelassenen Ehemann, sagt sie im Streit einmal ins Gesicht, dass sie nichts mit ihm zu tun haben möchte. Aus diesem Grund sieht es in der Beziehung düster aus, die Erotik und auch Gespräche kommen zu kurz.
Am Tiefpunkt ihrer Einsamkeit trifft sie die ältere Helen, die sie zu sich einlädt und sie wie eine eigene Tochter behandelt. Mit der Zeit werden die Besuche bei Helen immer wichtiger, wichtiger als die Beziehung zu ihrem Mann und nur bei ihr fühlt sie Geborgenheit und auch Liebe. Helen ist vermögend und selbst Mutter mehrerer erwachsener Kinder. Mit der Zeit erfährt Julia, dass auch Helens Kinder Probleme haben und eines Tages beendet sie die Freundschaft mit Helen. Dazu kommt, dass Julia sich auf eine Beziehung zu Helens Sohn eingelassen hat, was sie bitter bereut, wobei Mark die Ehe aufrecht erhält, aber zur Bedingung macht, dass sie Helen und ihren Sohn nie wieder sieht.
In einer weiteren Zeitebene lernen die Lesenden die ältere Julia kennen, die den sechzigsten Geburtstag ihres Mannes vorbereitet, zwei Kinder hat, Ben und Alma, siebzehn Jahre alt. Auch jetzt bewegt sich Julia im Kontakt mit ihren Kindern wie auf einem Minenfeld, denn Alma ist der typische Teenager und Ben erwachsen. Beide Kinder haben jedoch Probleme: Alma mit der Aufnahme ins College und Ben wird Vater- und wieder steht Julia der Situation zwiespältig gegenüber.
Doch dann trifft sie im Supermarkt Helen wieder…
In der jungen Julia beschreibt uns die Autorin eine unsichere und mit ihrer Lebenssituation völlig überforderte junge Frau, die keine Vorstellung davon hatte, was es bedeutet, Mutter zu werden und ohne Ansprache eines Erwachsenen sich bleiern hinziehende Tage zu verbringen. Ihrem Sohn steht Julia zwiespältig gegenüber: Wenn das Kind da ist, möchte sie alleine sein, wenn es nicht da ist, fehlt es. Sie zeigt Ben kein starkes Mutterbild, denn immer wieder bricht sie vor dem Kind in Tränen aus. Auch ihrem Mann gegenüber zeigt sich Julia abweisend. Dieses Verhalten mag auf ihre unglückliche Kindheit zurückzuführen sein, auf eine abweisende, trinkende Mutter und einen Vater, der die Familie verlassen hat. Julia flüchtet zwar in eine Affaire, aber weiß selbst nicht genau, warum. Letztlich entscheidet sie sich für ihre Familie und als die Autorin uns die ältere Julia schildert, hat diese sich augenscheinlich mit der Situation arrangiert, liebt ihre Kinder zwar, aber kann schlecht beurteilen, wann es klüger ist, sich nicht in deren Leben einzumischen. Noch immer scheut sie vor zwischenmenschlichen Begegnungen zurück, hat aber mit Mark einen Ausgleich gefunden, so dass ihre Ehe sogar mit neuen erotischen Praktiken bereichert wird. Mark ist es, der immer wieder als ausgleichendes Element fungiert, oft mit seinen Kindern besser zurechtkommt als die Mutter und Julia durch für sie unangenehme Situationen hilft.
Der Roman von Claire Lombardo schildert ein Frauenleben, eingebettet in das Geflecht einer eigentlich durchschnittlichen, wenn auch gut situierten amerikanischen Familie, das immer wieder Herausforderungen an die Protagonistin stellt, aber keine wirklichen Schicksalsschläge bereithält.
Einerseits wird die Idylle der Mutterschaft in Frage gestellt und damit gezeigt, dass die Beziehung zu den eigenen Kindern nicht immer nur von Liebe, sondern oft auch von Verzweiflung und Versagensängsten geprägt ist. Andererseits wird beleuchtet, wie fragil eine Partnerschaft sein kann und welche Herausforderung es für die Betroffenen darstellt, Vertrauen zu geben und zu erhalten. Das Erleben in der Kindheit und Jugend, das immer wieder Einfluss auf das Geschehen in der Familie nimmt, beeinflusst nicht nur die Entwicklung der Figuren, sondern zeigt auch die in der Vergangenheit erlittenen Verletzungen und Traumata.
Mit “Genau so, wie es immer war” hat Claire Lombardo einen großangelegten, einfühlsamen und klugen Familienroman geschrieben, der eine Zeitspanne von sechzig Jahren umfasst. Das farbenfrohe Cover, das die Gemütlichkeit einer Suburbidylle zeigt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass in dieser Familie neben alltäglichem Leben viele Verletzungen sichtbar werden und Narben aufbrechen, die die Wunden der Kindheit nur oberflächlich überdecken. Den Lesenden wird Geduld abverlangt, die nicht nur dem Umfang des Buches geschuldet ist, sondern auch der komplexen Familiensituation, in die die Lesenden hineingezogen werden und die sie miterleben, ohne eingreifen zu können. In einem eingängigen und teilnehmenden Schreibstil schildert die Autorin Zuneigung und Enttäuschung sowie die Suche nach einem gelingendem Leben.
Berührend ist der Schluss des Buches, als Julia sich an ihr Leben erinnert. In der Rückschau erkennt sie alles Glück, das das Leben für sie bereithielt und fühlt neben wiederauftauchender Verzweiflung, wie sehr die Liebe zu ihrem Mann und ihren Kindern ihr Leben bereichert hat.
Dieses Roman ist ein vielschichtiges Buch, das von der nicht immer einfachen Geschichte einer Familie erzählt, es den Lesenden gestattet, sich als Teil des Geschehens zu fühlen, mit den Protagonisten Mitleid und Freude zu empfinden und am Ende zu erkennen: ”Das ist Liebe”. Eine klare Leseempfehlung, denn dieses Buch wird die Lesenden bereichert zurücklassen!