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Veröffentlicht am 04.09.2019

Gelungenes Debüt, welches zeigt, dass der Verlust eines geliebten Menschen unersetzlich ist

Levi
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„Levi“ ist der Debütroman von Carmen Buttjer. Die Handlung spielt in Berlin in der Gegenwart. Im Mittelpunkt steht der 11-jährige Levi Naquin, der erst vor etwa einem halben Jahr mit seinen Eltern in die ...

„Levi“ ist der Debütroman von Carmen Buttjer. Die Handlung spielt in Berlin in der Gegenwart. Im Mittelpunkt steht der 11-jährige Levi Naquin, der erst vor etwa einem halben Jahr mit seinen Eltern in die Bundeshauptstadt gezogen ist. Es sind Sommerferien, doch statt Levis Familie bei Ferienaktivitäten zu erleben, traf ich den Jungen und seinen Vater auf den ersten Seiten des Buchs bei der Beerdigung von Levis Mutter. Levi schafft es kaum, ruhig sitzen zu bleiben. In einer spontanen Aktion greift er die Urne, läuft damit nach Hause und richtet sich in einem Versteck auf dem Dach des Mehrfamilienhauses ein.

Bereits vor dem Tod seiner Mutter war das Leben von Levi gestört durch die ständigen Streitereien seiner Eltern. Es gelang ihnen nicht, die Differenzen untereinander vor Levi zu verbergen und große Probleme gab es schon beim Umzug nach Berlin. Die Erzählform wechselt zwischen den Kapiteln, einige erzählt Levi in der Ich-Form. Während seiner Schilderungen denkt er nicht ein einziges Mal an einen gleichaltrigen Freund und ich vermutete, dass er keinen hat. Stattdessen verbringt er einen Teil seiner Freizeit beim Kioskbesitzer Kolja gegenüber und nimmt Kontakt zu Vincent, einem Mitbewohner des Mietshauses auf.

Levi und sein Vater finden keine gemeinsame Kommunikationsebene, viele Dinge bleiben ungesagt, entwicklungsbedingt klafft der Spalt des Verständnisses füreinander immer weiter auf. Schon vor dem schrecklichen Tod der Mutter hat Levi begonnen, sich in eine eigene Welt einzuweben voller Tiere, manche davon gefährlich. In seiner Fantasie ist es spannend und es gibt immer was zu erleben. Doch die Grenzen zur Realität verschwimmen mitunter.

Kolja und Vincent sind auf ihre Art für Levi da, wenn er sie braucht, doch als Vorbilder für ihn dienen sie weniger. Beide sind von den eigenen Schatten der Vergangenheit geprägt. Sie sind zwar Anlaufstelle für Levi, doch sie können sein aufgewühltes Innenleben nicht in geordnete Bahnen lenken. Carmen Buttjer zeigt einfühlsam wie wichtig es für Heranwachsende ist, einen Vertrauten zu haben, der nicht nur zuhört, sondern auch mit viel Verständnis Fragen beantwortet und Werte zu vermitteln weiß, jemand dessen uneigennützige Liebe man spürt und der dabei hilft die Tiefen des Lebens zu überbrücken. Dabei bedient die Autorin sich einer feinsinnigen Sprache, die die andersartige Welt von Levi bildhaft aufzeigt.

„Levi“ von Carmen Buttjer ist ein gelungenes Debüt, dass auf ergreifende Weise das Schicksal eines 11-Jährigen und seiner Eltern aufzeigt und mir wieder bewusst machte, dass der Verlust eines geliebten Menschen unersetzlich ist. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 31.08.2019

Überraschende Themenauswahl, gelungene Umsetzung

Spiel des Lebens
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Der Entertainer Udo Jürgens Bockelmann, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Udo Jürgens, wäre im September 2019 85 Jahre alt geworden. In seinen letzten Lebensmonaten plante er gemeinsam mit seiner ...

Der Entertainer Udo Jürgens Bockelmann, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Udo Jürgens, wäre im September 2019 85 Jahre alt geworden. In seinen letzten Lebensmonaten plante er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Michaela Moritz einen Band mit Geschichten. Mit dem Buch „Spiel des Lebens“ ist dieser jetzt erschienen.

In der ersten Erzählung, die bereits einmal in einer Anthologie erschienen ist, schildert Udo Jürgens ein Erlebnis aus seinem Leben am Ende der 1950er Jahre. Die nachfolgenden Geschichten basieren auf wahren Geschehnissen, über die er gelesen oder von denen er gehört hat. Um diese kurzen Meldungen herum schafft er einen breiten Raum in dem seine Vorstellungen über die Begebenheiten lebendig werden. Er lässt sich Zusammenhänge dazu erklären und er besichtigt ein Unternehmen in Fernost, um seine Beschreibungen noch realistischer zu gestalten. Außerdem versucht er die Personen aus den Meldungen aufzuspüren. Er führt Gespräche über die Ereignisse, die ihn bewegen und zum Nachdenken bringen.

Als Leser spürte ich, dass der Autor sich mit den Hintergründen der Storys auseinandergesetzt hat, denn es ist ihm gelungen, seine Eindrücke an mich als Leser zu transportieren. Ich war nicht nur über die Auswahl der Themen überrascht, sondern auch über die Umsetzung. In seinen Geschichten erzählt er vom dienstältesten Kellner einer Bar in Berlin , von einem gehbehinderten Jungen und seinem Vater in Bulgarien, von einem auf dem Balkon tanzenden Jungen in Portugal und von der Leidenschaft eines ghanaischen Jungen fürs Trommeln. Außerdem lässt er den Arbeiter einer indischen Kleiderfabrik zu Wort kommen. Die Erzählungen spielen in verschiedenen Ländern, kulturelle Eigenarten fließen in die Schilderungen ein. Einige Schicksale stimmen traurig, doch immer ließen mich die Entwicklungen auf eine schöne Zukunft für die Protagonisten hoffen.

Udo Jürgens hat gemeinsam mit Michaela Moritz Geschichten in einen wunderbaren Ton gefasst. Sie sind mitten aus dem gelebten Leben gegriffen und bewegen so wie seine Lieder. Mich stimmten einige nachdenklich, denn ganz nebenher schwingt in den Storys Gesellschaftskritik, besonders dort, wo Ungerechtigkeiten anklingen. Gerne vergebe ich hierzu eine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 31.08.2019

Unterhaltsamer, spannender und bewegender Roman, der im Jahr 1920 spielt

Einer wird sterben
1

Der Titel des Psychothrillers „Einer wird sterben“ von Wiebke Lorenz ist Programm, denn er kündigte mir bereits an, was ich zum Ende hin in der Geschichte erwarten konnte. Auch der Prolog, in dem zwei ...

Der Titel des Psychothrillers „Einer wird sterben“ von Wiebke Lorenz ist Programm, denn er kündigte mir bereits an, was ich zum Ende hin in der Geschichte erwarten konnte. Auch der Prolog, in dem zwei Personen eine Rolle spielen, deutete in die gleiche Richtung und im Laufe der Erzählung wurde mir schnell klar, welche Figuren hier beteiligt sind.
Die eigentliche Story beginnt damit, dass die 32-jährige Stella wieder einmal für mehrere Tage allein zu Hause ist, weil ihr Mann Paul als Pilot seinen Dienst auf Fernflügen versieht. Daher ist er schwer erreichbar und sie grundsätzlich auf sich allein gestellt. Dann bemerkt sie ein auffälliges Auto, in dem eine Mann und eine Frau sitzen, dass auf der Straßenseite gegenüber geparkt ist. Es steht den ganzen Tag über dort und ist auch noch am nächsten Morgen noch da. Auch die Nachbarn sind schon aufmerksam geworden. Bei Stella werden Erinnerungen an eine Nacht vor sechs Jahren wieder wach, in der sie gemeinsam mit Paul einen Autounfall hatte. Zufällig war der PKW damals von der gleichen Marke wie das parkende Auto.
Von Beginn an erzeugt die Autorin eine subtile Spannung. Ich fühlte, wie beunruhigt Stella war, konnte aber dennoch nicht wirklich begreifen, warum, denn mir kam ihre Besorgnis übertrieben vor. Doch langsam häufen sich die seltsamen Begebenheiten. Wiebke Lorenz spielt geschickt mit weiteren möglichen Lösungen für die merkwürdigen Geschehnisse. Die Konstruktion der Geschichte hat aber ihre Schwächen. Das Verhalten von Stella fand ich nicht immer logisch, sondern nur auf die Entschlüsselung abgestimmt. Außerdem driftet die Erzählung immer weiter ab und fokussiert auf Nachbarstreitigkeiten. Das war zwar unterhaltsam, zog die Geschichte aber in die Länge und steigerte dadurch nicht die Spannung. Zum Ende hin wurde die Handlung immer unrealistischer und mir erschloss sich nicht, warum ein Nachbar unbedingt sein Geheimnis gegenüber Stella offenlegen muss, obwohl fast jeder der Anwohner seit Jahren etwas zu verschweigen hat.
Die Figuren wurden mir nicht sympathisch, Stella war überdreht und Paul nicht hilfsbereit. Nachdem ich die Auflösung kannte, fand ich das Verhalten allerdings passend. Wiebke Lorenz gestaltet die Handlung mit Sorgfalt und bietet zum Schluss eine überraschende Wende, die mich nicht ganz überzeugt. Einer wird sterben“ ist ein unblutiger Thriller, der mir ein paar unterhaltsame Lesestunden geboten hat.

Veröffentlicht am 29.08.2019

Historischer Kriminalroman, der 1950 spielt, mit viel Zeitgefühl

Die im Dunkeln sieht man nicht
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Der Kriminalroman „Die im Dunkeln sieht man nicht“ von Andreas Götz spielt im Jahr 1950. Die Abbildung des Isartors auf dem Cover führte mich gleich zum Handlungsort nach München. Die Bundesrepublik Deutschland ...

Der Kriminalroman „Die im Dunkeln sieht man nicht“ von Andreas Götz spielt im Jahr 1950. Die Abbildung des Isartors auf dem Cover führte mich gleich zum Handlungsort nach München. Die Bundesrepublik Deutschland ist gerade ein paar Monate alt. In Westdeutschland geht der Wiederaufbau voran, doch immer noch können manche Dinge nur über den Schwarzmarkt besorgt werden. Hier werden auch zwielichtige Geschäfte geschlossen, die Drahtzieher bleiben im Verborgenen und die ermittelnden Polizeibeamten stehen immer wieder vor der Schwierigkeit, die Mauer des Schweigens unter den Kriminellen zu durchbrechen.

Ludwig Gruber ist Oberkommissar in München. Im Januar 1950 steht er vor dem Rätsel, warum der Fuhrunternehmer Brandl ermordet wurde. Fraglich ist, ob der Inhalt des geknackten Tresors der Grund, der Diebstahl eines Bilds oder etwas ganz anderes. Als der Schriftsteller Karl Wieners im April von Berlin in seine Heimatstadt zurückkehrt, ist der Fall immer noch nicht gelöst. Ein Freund Karls hat ihn beauftragt, einen Artikel über den Kunstraub aus dem Führerbunker in München am Ende des Weltkriegs zu schreiben. Wenn Karl die Drahtzieher zu der Tat finden würde, könnte er sich darüber nicht nur journalistische Anerkennung verschaffen. Karl hat im Zorn sein Heimathaus hinter sich gelassen, doch seine 17 Jahre jüngere Nichte Magda hat ihn nie vergessen. Gemeinsam mit ihr begibt er sich auf die Suche nach den Dieben. Schon bald bemerkt er, dass auch Ludwig, der ein früherer Mitschüler von ihm ist, nach Kunsträubern sucht. Ob es der oder die gleichen Verbrecher sind?

Andreas Götz hat seinen Roman zu einer interessanten Zeit angesiedelt. Zu Beginn der 1950er Jahre wurden die Lebensmittelkarten abgeschafft. Bis dahin war in München vor allem die Möhlstraße ein Paradies für Schieber- und Schleichhändler. Die Knappheit an Gütern des täglichen Bedarfs hat die Menschen in den Nachkriegsjahren immer raffinierter werden lassen, wenn es um deren Beschaffung ging. Der Autor wählt das Thema als Hintergrund für seinen Kriminalroman, der zwar zu Beginn einen Mord verzeichnet, dann aber erst langsam die Ermittlungen anlaufen lässt und spät zu Ergebnissen führt.

Sehr viel Wert legt Andreas Götz auf das Innenleben seiner Figuren, die mit ihrer Vergangenheit zu kämpfen haben, vor allem an den durch den Krieg erlittenen Verlusten. Karls Schwermut lässt sich durch den Ortswechsel nicht abstreifen. Glückliche Erinnerungen teilt er mit Magda, die zu einem Zwiespalt in seinen Gefühlen führen. Auch Magda erinnert sich gern an ihre Kindheit mit Karl in ihrer Nähe. Sie hat noch nicht ihre Bestimmung im Leben gefunden, vielleicht wegen fehlenden Personen in ihrem Umfeld, denen sie ihr uneingeschränktes Vertrauen schenken kann.

Von den Figuren des Romans wurde mir keine richtig sympathisch, weil jeder Charakter seinem eigenen Willen nachgeht und dabei auch zu Gewalt greift oder sich am Rand des Gesetzes bewegt. Die Rolle von Karls Mutter in der Familie erschien mir undurchsichtig. Aufgrund der zwielichtigen Geschäfte kam es immer wieder zu unerwarteten Handlungen. Die Spannung des Kriminalromans baut sich erst spät auf und bietet zum Schluss hin noch eine überraschende Wendung.

Wer historische Kriminalromane mit viel Zeitgefühl mag, dem empfehle ich das Buch gerne weiter. Es wird eine Fortsetzung geben …

Veröffentlicht am 28.08.2019

Zunehmend spannend mit einigen unerwarteten Wendungen

Drei
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Der israelische Autor Dror Mishani bezeichnet seine Geschichte „Drei“ als „Detektivroman“, darüber wunderte ich mich zunächst. Warum die Bezeichnung dennoch treffend ist, lässt sich erst nach dem Lesen ...

Der israelische Autor Dror Mishani bezeichnet seine Geschichte „Drei“ als „Detektivroman“, darüber wunderte ich mich zunächst. Warum die Bezeichnung dennoch treffend ist, lässt sich erst nach dem Lesen abschließend beurteilen. Entsprechend seines Titels ist die Erzählung in drei Teile gegliedert, in denen jeweils eine Frau die Protagonistin ist. Die drei Frauen haben eine Gemeinsamkeit: sie sind auf der Suche, jede auf ihre Art. Außerdem spielt ein Rechtsanwalt in jedem der Abschnitte eine Rolle. Der Haupthandlungsort ist Tel Aviv.

Der erste Teil des Buchs handelt von Oran, die nach einer Scheidung auf der Suche nach einer neuen Liebe ist und sich gleichzeitig sorgt, dass ihr Ex-Mann danach trachtet, den gemeinsamen Sohn für sich und seine neue Familie zu beanspruchen.

Im zweiten Teil steht Emilia im Mittelpunkt der Geschehnisse. Sie ist im lettischen Riga beheimatet und kam über eine Personalvermittlung nach Israel, die sie in die Pflege einer älteren Person vermittelt hat. Jetzt ist sie auf der Suche nach einer neuen Stellung, mit der sie ihren Lebensunterhalt sichern kann.

Ella, die Protagonistin des dritten Teils, schreibt mit 37 Jahren an ihrer Masterarbeit. Ihre Suche hat ganz andere Beweggründe als die von Oran und Emilia.

Die Figuren, die Dror Mishani beschreibt, stehen mitten im Leben. Er vermittelte mir ihre täglichen Ängste und Sorgen, die sich mit der Hoffnung vermischen, dass die Zukunft Möglichkeiten schaffen wird ihren Wunschvorstellungen näher zu kommen. Es ist ein Wechselbad der Gefühle, das die Frauen durchleben, dabei sind sie sehr verschieden. Obwohl jede von ihnen es schätzt, offen und ehrlich zu sein, sind es doch die kleinen Flunkereien von denen sie sich erwarten, dass sie ihnen einen Vorteil verschaffen und nicht weiter ins Gewicht fallen. Allerdings rechnen sie nicht immer damit, dass auch sie selbst durch solche kleinen Lügen betrogen werden könnten. Der Autor spielt mit Wahrheiten und Wünschen und sorgt auf diese Weise immer wieder für unerwartete Wendungen.

Während der Autor mich mit den Problemen einer alleinerziehenden Mutter konfrontiert, baut er subtil im Hintergrund Spannung auf. Im zweiten Teil erwartete ich bereits, dass er die Geschichte nicht geradlinig fortführen wird. Der letzte Abschnitt wechselt vom Schreibstil und Dror Mishani sprach mich als Leserin in der mir von ihm zugedachten Rolle mehrmals direkt an. Der Tonfall wird eindringlicher. Es kommt wieder zu einem überraschenden Twist.

„Drei“ von Dror Mishani entwickelte sich beim Lesen für mich zunehmend spannender, unerwartete Wendungen gestalteten den Roman interessant und lesenswert. Zuviel vom Inhalt kann ich nicht verraten, aber gerne spreche ich eine Leseempfehlung für den Roman aus.